Jobinterview

Ein klinischer Raum. Keine Fenster. Ein Motivationsposter hängt an der Wand:
„Größe erwächst durch die kleinen Schritte.“ Darunter ist eine Ameise abgebildet und der wichtige Hinweis, der das Poster erst so richtig sinnhaft macht: „Ameisen können bis zum zehnfachen ihres eigenen Körpergewichtes tragen.“
Der hier Wartende, ältere Mann, betrachtet das Poster stumm. Seine Stirn, unter dem dünnen, grauen Haupthaar, legt sich in Falten. Da geht die Tür auf und ein junger Mann in einem dunkelgrünen Anzug und mit roter Krawatte kommt herein.
„Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten.“
Der ältere Mann nickt nur und der jüngere Mann setzt sich ihm gegenüber und klappt eine Akte auf.
„So“, beginnt der jüngere Mann. „Dann fangen wir gleich an. Sie sind hier wegen …“
Der jüngere Mann sucht kurz in der Akte, dann sieht er was er gesucht hat.
„Ah, ja. Sehe schon, sehe schon. Herr-äh …“
Der ältere Mann streckt schnell seine Hand vor.
„Nennen Sie mich Günther.“
„Ah, ja … gut.“
Der jüngere Mann schüttelt kurz und etwas befremdet die Hand des älteren Mannes, dann entdeckt er einen Pin an dessen Revers.
„Gut … Günther. Ah! Was ist das für ein Pin, der Ihnen … ich meine: Dir da am Revers … äh …“
Der ältere Mann folgt den Blicken des jüngeren Mannes und beginnt dann den Pin abzumachen.
„Oh. Das ist nur das Logo meines früheren Arbeitgebers.“
Der ältere Mann steckt den Pin ein.
„Okay. Aber nicht das mir das noch mal passiert. Du kriegst einen Pin von uns, Günther.“
Der ältere Mann ringt sich ein Lächeln ab.
„Gut“, fährt der jüngere Mann fort. „Dann wollen wir mal sehen: Was hast Du bisher so gemacht, Günther? Was für eine Ausbildung hast Du?“
„Abitur.“
„Aha.“
„In Bayern.“
„Oh. Aber nicht relevant.“
„Ich hab’ Jura studiert.“
„Hm.“
„Ich hatte eine eigene Kanzlei.“
„Interessant. Aber auch nicht relevant.“
„Dann hab’ ich die falschen Leute kennen gelernt.“
„Passiert uns allen.“
„Und ich hab’ bei einem Großkonzern angefangen.“
„Uh.“
„Ja.“
„Wann war das?“
„1974“
„Hu. Ganz schön lange her.“
„Ja. Mir kommt es vor wie gestern.“
„Wie lange warst Du da?“
„Bis vor ein paar Tagen.“
„Autsch.“
„Ja. Ich hab’ ganz Unten angefangen …“
„Verstehe.“
„Und hab’ mich hochgearbeitet.“
„Nicht schlecht.“
„Aber als ich Oben angekommen war, war es gar nicht so schön wie ich dachte.“
„Aha.“
„Zwischendurch wollte ich zum Mutterkonzern.“
„Aber?“
„Die sitzen in Berlin.“
„Und?“
„Ich mag’ Berlin nicht so.“
„Keine Freunde?“
„Einer vielleicht. Aber der war dann auch irgendwann weg. Wir mochten uns aber, obwohl er bei einem anderen Konzern gearbeitet hat. Hatten die gleichen Werte. Gleiche Ängste. Er mag auch keine Ausländer.“
„Hat er einen ähnlichen Job gehabt wie Du?“
„Auf Bundesebene, ja.“
„Verstehe. Habt ihr noch Kontakt?“
„Selten. Ich komm so schlecht raus aus Bayern.“
„Hm.“
„Ich war aber in Rom.“
„Papst gesehen?“
„Gesprochen.“
„Uh. Beeindruckend. Leider auch nicht relevant. Wie ist das abgelaufen, das Du aus dem Konzern rausgeflogen bist.“
„Ich bin nicht rausgeflogen.“
„Nein?“
„Ich gehen von ganz alleine. Man mochte mich nicht mehr so.“
„Aha.“
„Ja. Mein ehemaliger Chef, der der vor mir dran war, wollte zum Mutterkonzern nach Berlin, ist aber dann doch nicht gegangen. Arschloch.“
„Hui.“
„Ist doch wahr.“
„Erzähl’ weiter.“
„Ich dachte ich könnte den Konzern übernehmen, er kam zurück und ich musste wieder zurückstecken. Ich muss immer zurückstecken.“
„Ja, ja. Erzähl’ weiter.“
„Dann hab’ ich so getan als wäre alles abgehakt und hab’ an seinem Stuhl gesägt.“
„Verständlich.“
„Dann war er den Anderen doch zu peinlich und ich hab’ großzügig übernommen.“
„Fein gemacht.“
„Ja, oder?“
„Und dann?“
„Dann hab’ ich die Karre vor die Wand gesetzt. Die Kunden sind uns weggelaufen, haben bei anderen Konzernen gekauft. Alles Scheiße.“
„Verstehe.“
„War voll doof. Jetzt muss ich gehen.“
„Aha.“
„Ich meine: Ich will auch.“
„Deswegen bist Du ja hier.“
„Aber ich sag’ es lieber vorher: Ich fahre eine harte Linie.“
„Ist okay, Günther.“
„Killerspiele sind wie Pornos, Vandalisten gehören erschossen und eMails von allen Ausländern überwacht.“
„Ho, ho … Günther, nicht so schnell.“
„Ist doch wahr!“
„Hast Du auch mit irgendwas keine Probleme?“
„Alkohol am Steuer.“
„Na gut.“
Der jüngere Mann klappt die Akte zu und reicht dem ältere Mann die Hand über den Tisch.
„Dann haben wir wohl alles. Willkommen bei MacDonalds an der Kasse, Herr Beckstein.“

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