Mein Advent, Dein Advent. Teil 1: Rasieren

Bildschirm eingefroren. Zurücklehnen. Da kann ich mich auch mal eben rasieren. Auf dem Weg ins Badezimmer fällt mir die Szene aus dem „Sommermärchen“ ein … und Xavier Naidoo trällert „Dieser Weg“. Verdammt da war die Welt noch rund. Gesternabend hat Florian Silbereisen doch tatsächlich Vater Abraham mit den Worten „Und Sie kennen ihn alle!“ angekündigt. Anschließend hat der designierte Dompteur der Schlümpfe zu Eberhard Hertels 70ten Geburtstag im Voll-Playback „Freunde sind dafür Freunde“ gestammelt. Oder war es „Freunde sind da für Freunde“? Ach, und wer ist noch mal Eberhard Hertel? Sie kennen ihn alle! 22,2 Prozent Marktanteil hatte der Silbereisen. Wer sich über Volksmusik aufregt, hat ja bekanntermaßen keine Argumente mehr. Dieter Bohlen hatte zur gleichen Zeit 20,6 Prozent. Stefan Raab hat dann noch 8,6 Prozent mit Stock-Car-Scheiß begeistert und auf Sat Eins lief die Lego-Show für 6,1 Prozent. Macht, summa summarum: 57,5 Prozent haben nachweislich Scheiße geguckt. Nicht irgendwelche Scheiße. Richtige Scheiße. 57,5 Prozent kann man so, mit gutem Gewissen, aufgrund instabiler Geisteslage einweisen. Wow. Würde mich mal interessieren was das am nächsten Wahlergebnis schrauben würde. Allgemein: Wahlen. Während ich mir die erste Schicht Gesichtshaar mit der groben Rasierstufe abtrage, kommen mir wunderbare Gedanken zur aktuellen Sonntagsfrage. Nein, damit meine ich nicht Anne Wills aktuelle Talkrunde unter dem Banner „Terror in der Luft“, was genauso wie der Untertitel eines aktuellen Kiefer Sutherland-Films klingt. Nein, ich meine die echte Sonntagsfrage: Fünf Parteien über zehn Prozent. Ich bin ja schon basisdemokratisch erzogen, aber soviel Indifferenz macht mir Angst. Um sich heutzutage im politischen Schmuddelwetter (oh Gott, ich klinge wie ein überambitionierter Redenschreiber für Guido Westerwelle) … wer sich da also noch absetzen will, der muss doch zwangsläufig Problemfelder wie Abtreibung oder Sterbehilfe wieder auf den Plan rufen. Würde ich auch. Gerade an Weihnachten, wenn wir doch alle Kinderaugen brauchen die wir kriegen können. Gerade in Bayern. Da wo man noch ans Christ“kind“ glaubt. Ob Josef seine Maria damals vielleicht auch zum „Wegmachen“ getrieben hätte? War schließlich nicht sein Kind. Damals war das doch undenkbar? Und die ganzen Erbkrankheiten, hat ja noch niemand den Vater von dem Kleinen gesehen. 90% aller Down-Syndrom-Kinder werden abgetrieben, fällt mir ein als ich den Rasierer auf zwei Stufen kleiner einstelle und mich ans Kinn und vorsichtig auch an den Leberfleck am Hals mache. Ist der vielleicht größer geworden? (Der Leberfleck!) Krebs ist heutzutage doch das Thema Nummer Eins, wenn es um Gesundheit geht. Irgendwo kam vor kurzem die Frage auf, warum man nicht einfach – wie damals beim Manhattan-Projekt – einen Haufen Ärzte, Forscher und Experten für zwei, drei Jahre irgendwo einsperrt und was gegen Krebs oder Aids findet. Das ist doch mal ein Vorschlag den man sich auf die Wahlkampffahnen schreiben könnte. Krebs heilen. Tada! Das wollen alle. Auch, oder gerade, die die Silbereisen am Samstagabend seine Milli-Vanilli-Variante abnehmen. Vielleicht gibt’s dann eine Silbereisen/Bohlen-Kombi-Sendung zur Auswahl der entsprechenden Ärzte. Okay: Kusch fliegt in der ersten Runde raus! Und nur die Buddhisten glauben an den „Recall“. Stattdessen beschäftigen weltweit die Pharmakonzerne und staatliche Forschungseinrichtungen mehr Wissenschaftler zu den Themen Diät-Pillen, Potenzmittel & naturreines Make-Up, als für Krebs- oder Aids-Forschung. Wer das nicht glaubt, braucht nur mal vor Weihnachten in eine Apotheke gehen. Ich seh da keine Pappaufsteller mit Pelé oder Erol Sander stehen, die für Pillen gegen Krebs werben. Aber: Achthundert neue Mittelchen gegen Schnupfen oder Husten. Am wirksamsten bleiben doch sowieso weiterhin warme Socken und Pfefferminztee. Gerade was die Reizhustenbekämpfung angeht: Die Mittel dagegen sollen sich wie ein „Film“ Innen an die Seiten der Luftröhre und der Schleimhäute legen. Großartig animiert in jedem zweiten Werbespot. Das Problem ist nur: Husten ist entweder berechtigt, dass heißt Fremdkörper sollen aus den Atemwegen befördert werden (dann braucht man auch keinen „Film“) oder der Reiz kommt alleine aus dem Gehirn (und dann hilft ein „Film“ ebenso wenig). Aber alles was sirupartig, blau und nach Menthol schmeckt, wird konsumiert wie Zimtsterne. Aber was reg’ ich mich auf: Fertig und frisch rasiert, schmier’ ich mir genauso die Creme ins Gesicht. Als würde meine großporige Nase nach zwei Anwendungen Peeling und „Hautentspannungscreme“ irgendwie besser aussehen. Auch da hilft nur das Hausmittel: Kerzenlicht, statt Neonröhre.
Zurück am PC starte ich neu und wähle mich, nachdem ich siebzig Anti-Spyware und Firewall-Programme aktiviert habe, wieder ins Internet ein. Innere Sicherheit und die Kontrolle meiner eMails ist auch so ein Wahlkampfthema. Das über moderne Probleme immer die unmodernsten Menschen entscheiden.
Übrigens lief am gestrigen Samstag, unbemerkt von der Mehrheit der deutschen Fernsehzuschauer, auf 3 Sat ein Gala-Konzert – zeitgleich mit Silbereisen, Bohlen, Raab und Lego. Ich weiß nicht genau wie viele Menschen das Konzert gesehen haben, aber VOX lag mit 3,6 Prozent Marktanteil noch davor. Das Gala-Konzert hatte sogar einen guten Zweck: Es war zugunsten der Deutschen AIDS-Stiftung.

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