Jemand hat mir neulich das Konzept des Weihnachtsmanns als „doch irgendwie anarchistisch“ verkaufen wollen: Der Weihnachtsmann fährt durch die Welt und verteilt selbstlos seine Geschenke, jeder bekommt was er will.
Ich halte das für ausgemachten Bullshit. Humbug, um germanisch zu bleiben.
Der Weihnachtsmann ist alles, aber kein Anarchist.
Er ist vielmehr wie ein Kaufhaus, in dem man mit Karma-Punkten einkaufen kann. Vielleicht ist er auch ein zuverlässiger Paketdienst, wobei mein „Weltfrieden“, den ich sechsundneunzig bestellt habe, immer noch nicht da ist.
Menschen geraten ja unglaublich schnell in Panik, gerade wenn etwas nicht da ist was eigentlich da sein sollte. Zum Beispiel: Sicherheit.
Und plötzlich rufen alle „Feuer!“
„Droht jetzt die Brutal-Rezession?“, stand vor kurzem auf der Bild-Zeitung. Die SZ verlangte nach der Feuerwehr, glaubte aber dass die Koalition dem nötigen „Rettungspaket“ misstraut. Gleichzeitig führte der Spiegel eine neue Rubrik unter dem Titel „Desolate Wirtschaftslage“ ein.
Irgendwie erinnert mich das an die Geschichte von dem Jungen, der vor der Stadt aufpassen soll dass der Wolf nicht kommt … oder sollte er auf die Schafe aufpassen? Egal: Jedenfalls ruft der Junge irgendwann aus Langeweile „Wolf!“ und alle kommen angerannt. Kein Wolf da, Dorfbewohner sauer, der Junge macht das noch einmal und beim dritten Mal kommt der Wolf wirklich … bla, bla … man weiß wie das ausgeht. Gemetzel, tot: Wie ein Eli Roth-Film. (Übrigens: Hostel 2 war ja so unendlich schlecht!)
Der Punkt ist: Diesmal ruft der Junge-Schrägstrich-„Die Medien“ „Wolf“ und die Dorfbewohner-Schrägstrich-„Die Bevölkerung“ glauben ihm. Einfach so. Und wenn man dran’ glaubt, auch ohne Beweise, dann wird der Wolf irgendwann Wirklichkeit. Tada!
Fertig ist die Panik.
Aber seit wann soll die Wirtschaftslage denn „desolat“ sein? Hab ich irgendwas verpasst?
Wir hatten im September ein Außenhandelssaldo (Ausfuhr minus Einfuhr) von 15 Milliarden Euro. Das ist so gut (oder schlecht) wie durchschnittlich in den letzten zwei Jahren [Zahlen vom statistischen Bundesamt].
Wo liegt also das Problem? Aber allerorts hören wir die Gründe für Feiglinge nicht zu investieren: „Oh, nein. Tut mir leid. Honda muss sich aus dem Motorsport zurückziehen. Die allgemeine, schlechte Weltwirtschaftslage … sie wissen schon.“
Ach, hau’ doch ab! Statt vor Jahrzehnten einfach mal zu sagen „Nein, 390 Millionen im Jahr um die Luft zu verpesten und dann auch noch immer hinterherzufahren … lieber nicht“, jetzt über die Generalentschuldigung dieses Weihnachtsfestes austreten.
Panik. Panik. Panik.
Man möchte beinahe glauben: Die Panik hat Methode.
Ganz so, als würde der gesamte Nachrichtenzirkus momentan nach dem altbewährten Acht-Punkte-Plan vorgehen: „Wie zieh’ ich eine PR-Kampagne auf?“
Punkt Eins: Definiere Deine Ziele.
Das ist leicht. Panik.
Punkt Zwei: Führe Forschungen durch.
Ha. Umfragen, Ergebnisse, Statistiken: Kein Vertrauen in die Wirtschaft und die Politik und sowieso alles andere auch. Die Linken sind zu Links, die Rechten zu Rechts und die Tagesschau führt uns jeden Abend vor: So frustriert sind sie. Aha! Was? Sie sind nicht frustriert? Dann wird es aber Zeit. Alle anderen sind es ja schließlich auch …
Punkt Drei: Verändere Deine Ziele auf Basis Deiner Forschung.
Alle sind in Panik? Gut. Dann heißt das neue Ziel … ehm … Sicherheit!
Punkt Vier: Lege eine Strategie fest.
Eine neue Sicherheitsstrategie, zum Beispiel.
Für innere, äußere, soziale und alle andere Sicherheit: Das in Amerika nach der Obama-Wahl ein paar mehr Gewehre in Iowa verkauft wurden, lief bei uns zur Prime-Time auf allen Kanälen! Angst haben sie. Und wir auch und sowieso und jetzt: Jetzt brauchen wir Rettungsprogramme. Und e-Mail-Überwachung und einen neuen Knut und dann noch ein Musical zum Schuh des Manitu und Christkindlmarkt und Gottesdienste im Fernsehen und mehr Qualität mit Gottschalk und und und …
Aber richtig. So mit Ad-hoc-Kommissionen. Milliardengeldern. Programmänderungen und Eingreiftruppen. Mit Soldaten gegen böse Piraten und einem Störtebekerfilm im Kino. Volksbefriedung und Militäreinsatz vor Afrika. Juhu!
Warum gibt eigentlich keiner mal ad-hoc Milliarden gegen den Klimawandel aus, oder für ein Bildungsprogramm das funktioniert? Zum Beispiel für ausgebildete Lehrer und Engagement und Individualabitur und das dreizehnte Schuljahr, damit unsere jungen angehenden Akademiker ein Jahr mehr Zeit haben sich auszutoben, bevor sie den Planeten retten müssen? Naaaaa? Nein. So viel Angst haben wir dann doch nicht.
Punkt Fünf: Erstelle Themengebiete, Symbole und Anreize.
Ha. Wir brauchen Führer. Weise und alte Männer, mit Taschenuhren und Zigarrenqualm. Zuuum Beispiel … Helmut Schmidt.
Was? Echt? Ja, ja. Auf dem Titel des aktuellen Spiegels steht „Wie ein Bundeskanzler a.D. zur Ikone der Deutschen wurde“. Hey: Herr Blumencron und Herr Mascolo. Betonung liegt auf „a.D.“! Außer Dienst. Wie der ICE-Eins. Oder die Audi-TT-Modelle, die sich bei Tempo 180 einfach überschlagen … hm?
Eine Ikone! Ikone, ich glaube ich spinne. Ikone von Stuyvesant vielleicht.
Der alte Seitenscheitelträger raucht wie ein Schlot, scheißt auf Menschenrechtsverletzungen in China und war mal Bundeskanzler und Außenminister zusammen (Ämterhäufung heißt das, glaube ich): Mir geht ja schon der Hut hoch, wenn einer gleichzeitig Aufsichtsratmitglied der Nordstream AG und Beirat der Rothschild-Investmentbank ist. Ups. T’schuldige Gerd.
Punkt Sechs: Rufe eine Organisation ins Leben, um Deine Strategie auszuführen.
Rufen … so wie Merkel am nächsten Sonntag ins Kanzleramt?
Schritt Sieben: Entscheide über das Timing und Taktiken
So wie der Bundesdatenbeauftragte Schaar gerade jetzt, wenn alle Angst um ihr Geld haben, davon spricht das sämtliche Daten der Bundesbürger im Netz gehandelt werden?
Schritt Acht: Führe Deine Pläne aus
Und dann ist es so weit … Die Anti-Angst-Kampagne.
Was ich mir dieses Jahr vom Weihnachtsmann wirklich wünsche: Perspektive.
Perspektive der Medien und in den Medien. Und ich meine echte Perspektive. (Und ich meine die alten Medien: Zeitungen und Anne Will, ähh … Fernsehen!)
Glatt übersetzt heißt Perspektive nämlich Durchblick. Und wer blickt hier noch durch?
Überall Panikmache, Angst, Furchtsamkeit. Nicht nur das einen die kürzeren Tage und dunkle Nächte, matschiger Halb-Schnee in den Straßengräben und auf jedem zweiten Internetwerbebanner ne bescheuerte Weihnachtsmannmütze um den gesunden Verstand bringen, nein! Auch wenn wir unseren Freund den Fernseher anmachen: Überall nur Angst. Dabei haben wir doch gerade da gelernt, nicht zuletzt von den Simpsons, dass am Ende alles gut wird. Homer fällt hundert Meter tief, aber nächste Woche sitz er wieder auf der Couch. Also bitte: Ein wenig mehr Zuversicht.
Nicht auf jeden Panikmache-PR-Gag reinfallen.
Natürlich ist klar: Diese acht Punkte sind schon ziemlich weit hergeholt. Immerhin sind sie fast hundert Jahre alt. Ein Typ namens Edward Bernays hat sie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts aufgestellt und damit für die Tabakindustrie, genauso wie für Straßenbau geworben. Unter anderem arbeitete Bernays für die Amerikanische Gesellschaft für Multiple Sklerose und reduzierte den Namen der Krankheit auf „MS“, um sie für die Gesellschaft besser verdaubar zu machen.
Goebbels fand das so gut, dass er nach Bernays Buch die antijüdische Propaganda aufbaute. Jaha. Und jetzt kommt der Brüller: Bernays war Jude.
Oh. Ich liebe es wenn Pragmatismus Moral überholt. Was schrei ich nun? „Wolf“ oder „Feuer“?
Kennst du eigentlich den Scheibenwelt Zyklus von Terry Pratchet ? Der kommt dem ganzen irgendwie erstaunlich nah. Besonders das mit der Panik.
lg
Flo
borrow hologfont madhava ksjka ovary unwholesome succinct blogsall deception downturn