Mein Advent, Dein Advent. Teil 4: Beidseitig

Grundsätzlich gehe ich davon aus das man die Welt & sein kurzes Leben darin auf zwei Arten betrachten kann: Entweder von Unten nach Oben oder von Oben nach Unten. Aus dem Kleinen ins Große oder umgekehrt, aus dem Großen ins Kleine.
Danach geht also entweder die Ordnung der Dinge von einem allgemeinen Prinzip aus, einem höheren Prinzip als das der betroffenen Einzelteile, oder die Formation der Dinge, ihre Ordnung, erfolgt alleine aus den betroffenen Einzelteilen. Diese Spaltung ist für mich grundlegend und die „richtige“ Betrachtungsweise, wenn es eine solche gibt, lässt sich wohl nie ausmachen. Wichtig ist: Es gibt ein Unten und ein Oben (nicht im religiösen Sinn natürlich! Hu. Knapp an einem Glaubensbekenntnis vorbeigeschrammt.)
Dies ist, zum Teil, nicht nur meine Wahrnehmung: Die physikalische Realität kennt Ordnungsstrukturen (komplex und beständig) ebenso wie das zu Grunde liegende Element, die Einzelteile.

So.

Ein geschätzter Bekannter machte mich mal auf folgenden Sachverhalt aufmerksam, der eines meiner Lieblingsvorurteile (und ich liebe meine Vorurteile wirklich) in ganz neuem Licht erscheinen ließ:
Zeit meines Lebens wies ich der Bild-Zeitung stets den verabscheuungswürdigen Charakter eines widerlichen Boulevardblattes zu. Allen Entscheidern, die für eben so ein Boulevardblatt auswählen, Meinung machen und agitieren, brachte ich nur Missgunst und Hohn entgegen. Außerdem war ich der Ansicht: Die Bild-Zeitung wird von Arschgesichtern für das Volk gemacht (um es klein zu halten, es gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen zu lassen).
Mein geschätzter Bekannter jedoch erzählte mir, dass in den Radaktionen der Bild meist (von der Fachwelt) geschätzte Journalisten sitzen, die sich wohl zu den Besten ihres Fachs zählen lassen. Viele der Redakteure arbeiteten vorher bei Zeitungen, denen sogar ich etwas abgewinnen kann. Immerhin, so mein Bekannter weiter, braucht es einen guten Journalisten um aus einem komplexen Sachverhalt jene drei Zeilen verständlich rauszuquetschen, die die Bild-Zeitung jedem Thema nur zur Verfügung stellt.
Auf eine gewisse Art, und auch weil jener Bekannter eben von mir so geschätzt ist, stimmte ich stumm-nickend zu. Wahrscheinlich, so dachte ich mir, existiert über den einzelnen Ausgaben der Bild, über den Einzelteilen also, eine ordnende Struktur. Eine Struktur, die man begreifen und schätzen kann, ohne die Einzelteile zu lieben (und wer liebt schon eine Bild-Schlagzeile wie „Ufo-Sekte will Hitler klonen!“).
Jene Struktur ist, so meine Gedanken weiter, vielleicht genau das was wir Aufklärung, Volksbildung und Information durch die freie Presse nennen. Jene Struktur ist, neben all den Einzelteilen, wahrscheinlich die vierte Gewalt im Staat. Selbst die einzelnen Redakteure sind nicht mal ausschlaggebend. Es ist eine übergeordnete Komplexität, die durch die Bild-Zeitung auf die Leser wirkt und damit mitverantwortlich für Inhalt und Auswahl.
Leider wurde ich bitter enttäuscht. Die vierte Gewalt ist eine Farce. Jedenfalls was die Bild-Zeitung angeht, und verarschen wir uns nicht selbst: Das ist das Blatt für den Großteil der Nation. Jene kurz angebundenen Statements zur Innen- und Außenpolitik sind das Brot (was die Butter ist, ist klar) für die wählende Bevölkerung.
Und genau dieses Brot wird gebacken von wenigstens einem Arschloch.
Ich sag’ das mal so ganz geradeaus. Er ist ein Arschloch. Ich kenne ihn nicht, aber nach nur zwei Absätzen die er nachweislich geschrieben hat kriegte ich buchstäblich das Kotzen.

Kurzer Einschub:
Meine Mutter meinte gerade neulich, wie schwierig sie die Freiheit des Internets und der Meinungsäußerung im Zusammenhang, zum Beispiel, mit Rating-Sites für Lehrer findet. Diese Seiten nennen Lehrer mit vollem Namen, Fächerkombination und Schule, und erlauben den Schülern anonym diffamierende Sprüche zu hinterlegen.
Ungeachtet meiner leichten hasenfüssigkeit kann ich mir nicht vorstellen, dass ich solch eine Seite zu meiner Zeit besucht hätte, geschweige denn einen abwertenden Kommentar hinterlassen. Vor allem anderen ist die Privatsphäre wohl eines der höchsten Güter, und sinnlose Diffamierung ist nicht nur blöd, sondern auch unkreativ und langweilig.
Aber irgendwie greift das nicht für Personen des öffentlichen Lebens.
Diesen Begriff gibt es ja nicht ohne Grund und wenn man ehrlich ist: Ein (oder mehrere) Enfant Terrible hat sich jedes Land und wohl auch jede Staatsform immer schon geleistet. Das schöne ist: In einer Demokratie knüpft man niemanden für Herrschafts- oder sonstige Kritik auf.
Uwe Boll, der (nicht von mir) fremdbestimmte „schlechteste Filmemacher der Welt“, hat mal Kritiker seiner Filme zu einem Boxkampf herausgefordert. Welcher Kritiker so blöd ist da hinzugehen: Selber schuld.
Ich persönlich habe nur ein Anliegen: „Uwe, versau’ die Max-Schmeling-Biographie, für die Du Dir gerade die Rechte gekauft hast, nicht! Und falls Du merkst: Es geht schief, ruf mich bitte vorher an. Ich kann nicht viel, aber was ich kann setzte ich für eine (wenigstens) passable Max-Schmeling-Biographie gerne ein. Solltest Du’s allerdings versauen und mich nicht anrufen, Uwe: Dann helfen Dir nicht mal Boxhandschuhe.“ Ich hab’ das zwar noch nie gemacht, aber es soll anatomisch möglich sein einer Person eine Ananas rektal …

Was uns zurück zu Kai Diekmann bringt: Kai Diekmann ist Jahrgang 1964. Vielleicht ist es als Frühgeborener und von Vor-Achtundsechzigern aufgezogen per se schwieriger Akzeptanz und Vertrauen auszuüben, ich weiß es nicht. Ich bin Jahrgang 1981, meine Eltern sind gewaltloser als Gandhi und teilweise nachsichtiger als Jesus (teilweise!).
Kai Diekmann war Chefredakteur der „Welt am Sonntag“ (Ja. Das sind die mit dem Globus im Titel und mit genug Geld, um die Titelseite immer ganz doll farbig auszustatten!) und wurde dafür mit der „Goldenen Feder“ ausgezeichnet. Das ist so ein Medienpreis, den Johannes B. Kerner moderiert. Keine Angst: Hab’ ich auch noch nie gesehen.
Jedenfalls wurde Kai Diekmann dann Chefredakteur der Bild, und ist es immer noch. Kai Diekmann schreibt allerdings auch Bücher, jedenfalls wenn man die Definition Buch nach „Papier zwischen Buchdeckeln“ abbricht. Sein „Der große Selbstbetrug“ ist so konservativ, man fragt sich seit wann wir wieder einen Reichskanzler haben. Außerdem, so Kai Diekmann, seien die Hippies an allem und besonders an unserem fehlenden Nationalstolz schuld. Und wir können doch stolz sein. Können wir doch, oder? Natürlich. Aber diese ungewaschenen, verweichlichten Alt-Achtundsechziger, mit den Kinderläden und Krippen und der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Liebe (besonders der freien), die haben uns unseren Stolz abgekauft. Was lustig ist, wenn das jemand behauptet, der auf eine taz-Satire, in der steht er habe sich erfolglos seinen Penis verlängern lassen, eine Unterlassungsklage formuliert und Schmerzensgeld fordert. Sollte man da nicht stolz drüber stehen?
Lieber Kai Diekmann: Ich möchte nicht wieder die Ananas ins Spiel bringen, aber vielleicht sollte man den Kopf aus dem Arsch ziehen, bevor man sich ans Keyboard setzt … nur so ein Gedanke.
Da fällt mir ein: Die „Goldene Feder“ haben noch so ein paar Knallschargen gewonnen. Sven Hannawald, für seine sympathische Art (hä?) und die „Du bist Deutschland“- Kampagne für … ja? Wofür?

Von Oben betrachtet hat sich also eine Ordnung als reaktionäres Einzelteil mit zu viel Macht über andere Einzelteile entpuppt. Schade. Ich hätte gerne an einen Konsens der vierten Gewalt geglaubt. Darauf gehofft dass, trotz titelbringenden Meldungen über die Ex von Boris Becker, am Ende vielleicht doch so ein unsichtbares Prinzip, eine Ordnung – unberührt und alleingelassen von den Einzelteilen – weit Oben steht. Ganz weit. Unerreicht. So wie andere Ordnungen.
Wie fundamentale Ordnungen. Wie Ordnungen, die wirklich wichtig sind.
Wie die Ordnung, die Kühe auf einer Weide immer in die gleiche Richtung gucken lässt.
Wie die Ordnung, die viele Menschen vergessen lässt das es ja bald Weihnachten ist und dann am letzten Tag panisch in die Geschäfte treibt.
Wie die Ordnung, die eher zum Weinen bringt, als zum Lachen.
Die Ordnung, die einen näher an die Menschen zieht, mit denen man die starken Emotionen teilt, als an die Menschen die einen sprichwörtlich kalt lassen.
Lachen ist so eine starke Emotion. Nichts ist so schwierig für die Gesichtsmuskeln, wie Wangen, Mund, Nase und selbst Stirn zu einem Lächeln zu formen. Sehr viel schwieriger als Weinen.
Eine Ordnung, ein übergeordnetes Prinzip, lässt uns aber gerade eine komplexe Aufgabe viel lieber, viel leidenschaftlicher bewältigen, als einfach nur zu reagieren. Lachen ist ein Reflex auf Zugänglichkeit, auf Bestimmtheit. Bestimmtheit, die an uns gerichtet ist. Weinen ist eine mitfühlende, eine beinahe ausschließlich egoistische Reaktion.
Komischerweise wollen wir aber die schwierigere Aufgabe, die Aufgabe die Akzeptanz und „Zulassen“ voraussetzt. Wir wollen lachen. Unbedingt.
Und wenn es hundert Jahre dauert oder sogar unmöglich erscheint: Wir warten auf die schweren Aufgaben. Wir wollen die schweren Aufgaben, weil uns eine Ordnung als Einzelteil zu jenen anderen Einzelteilen treibt. Jenen Einzelteilen, die uns vor die schwersten Aufgaben stellen. Weil wir irgendwie wissen: Sie sind es wert.
Von Unten auf die Ordnung Oben zu blicken. Ich find das beruhigend.
Und von Oben, von der Ordnung aus, zu wissen: Sie ist da, über den Einzelteilen. Das ist noch viel beruhigender.
Anders als Reaktionismus, Zurückgezogenheit, Stolz und Ignoranz, ist Einsicht, Beständigkeit, Wille und Zuversicht viel schwerer, passt aber viel besser ans Happy End.
Und damit wünsche ich:

Frohe Weihnachten.

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