24. August 2009

Es war ein Montagmorgen, natürlich. Die wirklich wichtigen Dinge passieren nicht am Donnerstagnachmittag, wenn man gut ausgeschlafen und fit ist. Montagmorgen, vor Acht. Mein erstes Gespräch mit der Senderleitung und es musste Montagmorgen vor Acht sein. Ich war nervös. Vor einer Woche hatten es drei meiner Witze in die neue Show von Harald Schmidt „Schmidts Katze“ geschafft und nun saß ich hier.
Mit mir am Konferenztisch des „Raum 1408“, im 14ten Stock des Sendegebäudes von Deutschlands drittgrößtem Privatsender, saßen fünf Männer in Anzügen. Keiner der Männer sagte etwas zu mir. Ich schob das auf meine Frisur. Letzte Nacht hatte ich komplett auf der linken Seite geschlafen und war mit deutlichen Spuren in meinen Haaren aufgewacht. Ohne wirklich Zeit für irgendwas, war ich in T-Shirt und Jeans hergefahren. Und jetzt wartete ich. Na toll!
Ich zog mir eine der geputzten Aluminiumkannen mit Kaffee heran und betrachtete mein verzerrtes Spiegelbild: Irgendwie schien meine Nase größer als mein Kinn, also sollten meine Haare das kleinste Problem sein.
Plötzlich flog die Tür zum Konferenzraum auf und eine Frau in Hosenanzug und ein junger Mann direkt hinter ihr (nicht im Hosenanzug) kamen herein.
„Guten Morgen“, sagte die Frau, die ich mal eben auf Ende Vierzig schätzte. Wobei ich ihr damit nicht zu nahen rücken wollte, sie konnte tatsächlich jünger sein, woher weiß ich schon genau wie eine Frau Anfang Vierzig auszusehen hat?
Die fünf Männer in Anzügen machten Anstallten aufzustehen, hielten aber mitten in der Bewegung inne, als ihnen die Frau mit einer Geste das sitzen bleiben erlaubte. Sie setzte sich ans Kopfende des Tisches, mir gegenüber. Ihr junger Gefolgter setzte sich daneben und zückte gleich einen Notizblock. Ich hatte zwar keine Anstalten gemacht aufzustehen, als die Frau im Hosenanzug rein kam, fand aber die Bewegung und das Innehalten witzig. Irgendwie sah man, oder sahen die Männer in Anzügen, dabei ertappt aus. So als säßen sie auf dem Klo und jemand kommt rein. Voller Scham wollen sie aufstehen, verharren aber, als sie an ihre Entblößtheit denken und versuchen sich schnell noch ihre Hosen hochzuziehen. In Gedanken machte ich mir eine Notiz einen Sketch über einen Chef zu schreiben, der seinen Angestellten bis auf die Toilette begleitet um ihm Anweisungen zu geben, er entlässt den Angestellten dann zwar in die Klokabine, ihm fällt allerdings noch etwas ein und der Rest des Gesprächs findet für den Angestellten in dieser lauernden Wartestellung statt. Natürlich machte ich mir nicht wirklich eine Notiz. Ich kann mir in Gedanken keine Notizen machen. Alles was ich in diesem Moment konnte, war mir den Sketch so lange zu merken bis das Gespräch hier zu ende war, um dann schnellstmöglich einen PC zu finden, oder einen Stift und einen Block (ich war ja kein hirnloser Grobmotoriker). Darauf zu achten auch mal etwas mit Stift und Block zu schreiben, hatte ich mir angewöhnt als eine Exfreundin mir mal einen meiner fein-säuberlich getippt und ausgedruckten Liebesbriefe (mit Datum, Kontaktdaten und dem Vermerk: „Diese Nachricht wurde maschinell erstellt und ist deswegen ohne Unterschrift gültig.“) wutentbrannt zurückgab.
„Hiermit ist die Planungssitzung für das Spielfilmquartal Vier-2009 eröffnet.“, bellte die Frau im Hosenanzug in meine Gedanken hinein. „Ich begrüße auch den jungen Autor, der seit ein paar Wochen so großartige Arbeit bei „Schmidts Katze“ leistet.“
Damit meinte sie mich.
Der erste meiner drei Witze, der es in die letzte Sendung von „Schmidts Katze“ geschafft hatte, war eine einfache Nummer über Verwechslungen:
Ein älterer Mann (gespielt von Schmidt) und trifft eine junge Frau (gespielt von Nora Tschirner, die als Gast auftrat und natürlich um einen neuen Kinofilm vorzustellen) im Park. Der Mann hat eine Rose dabei aber die Frau wird sauer, weil in der Anzeige nichts über graue Haare stand. Der Mann weiß nicht was sie meint, aber die Frau fährt fort das er außerdem nicht mal annähernd wie sein Profilfoto aussieht und sowieso einen ganz krummen Gang hat, was ja wohl kaum geht, wenn er Profisportler sein soll. Der Mann will widersprechen, doch die Frau will nichts hören und regt sich über die
Unverschämtheit auf sie hier unter falschen Voraussetzungen herzubestellen, er sei doch bestimmt schon Siebzig. Nachdem die Frau abgebraust ist und den Mann verdutzt hat stehen lassen, taucht Michael Ballack auf und bedankt sich bei seinem Vater (dem Mann) das er ihn hier trifft und ihm noch schnell eine Rose besorgt hat.
„Was wir zuallererst brauchen ist ein Thema für die romantische Komödie.“, sagte die Frau im Hosenanzug in einem alles andere als kompromissbereiten Ton.
„Romantische Komödie?“, fragte ich über den Tisch hinweg. Noch waren mir die Spielregeln nicht ganz klar. Irgendwas wurde hier entschieden, aber was und inwieweit ich da was zu sagen hatte war doch noch auszumachen, oder?
„Ja. Die romantische Komödie für den Winter. Unser Programmhighlight an einem der vier Adventssonntage. Eine Eigenproduktion, orientiert an internationalen Hits. Sie werden das schreiben.“
Wieder dieser Ton. Scheinbar würde ich das wirklich schreiben. Das war mir zwar neu, aber niemand am Tisch schien es zu bzweifeln.
„Okay …“, war alles was mir einfiel. Romantische Komödien sind ja per se nicht schlecht:
„Wie wäre es mit so etwas wie Keinohrhasen?“
Einer der Männer in Anzügen hatte sich nach vorne gebeugt und lächelte vertrauensvoll die Frau im Hosenanzug an.
„Keinohrhasen 2?“, fragte die Frau.
„Da könnte es rechtliche Probleme geben.“, erwiderte nun ein zweiter Mann im Anzug.
„Finden Sie mir das raus“, befahl die Frau. „Falls wir Keinohrhasen als Titel kaufen können, kaufen wir ihn und machen einen zweiten Teil. Nicht mit Til Schweiger und dieser MTV-Moderatorin, aber schon irgendwie. Und einen netten Untertitel müssen wir finden, so was wiiiieeee …“
Beim lang gezogenen „wie“ schien die Frau im Hosenanzug nicht wirklich nachzudenken, vielmehr wartete sie auf etwas. Ein dritter Mann im Anzug sprang ein:
„Die Rückkehr der Mümmler.“
Der Frau im Hosenanzug gelang es tatsächlich begeistert auszusehen.
„Sehr gut. Und wenn wir die Namensrechte nicht kaufen können, dann müssen wir etwas Vergleichbares finden. Etwas das zündet.“
„Meine Frau, die Hasen und ich.“, sagte nun ein vierter Mann im Anzug. Wenn so was ginge, hätte ich mir gern in Gedanken mit der Hand vor den Kopf geschlagen.
„Sehr gut. Wunderbar. Was sagen Sie?“
Alle Aufmerksamkeit war plötzlich auf mich gerichtet und meine Stirn tat weh.
Der zweite meiner drei Witze, der es in die letzte Sendung von „Schmidts Katze“ geschafft hatte, war ein Kalauer aus den Nachrichten:
Im Segment „Diese Woche in Schmidts Welt“ las Schmidt vom Telepromter Zwei- bis Dreizeiler vor und bekam dazu jeweils ein, mehr oder minder, lustiges Bild eingeblendet.
Mein Dreizeiler war: „Der katholische Linzer Weihbischof Gerhard Maria Wagner fiel durch seine Äußerung auf, dass Homosexualität „heilbar“ sei. Auf die Frage hin, wie man einen Homosexuellen denn erkenne, antwortet er: Das sei leicht. Schwule haben meistens unmännliche Vornamen, tragen gerne hübsche Gewänder, arbeiten nur mit Männern zusammen und haben keinen Sex mit Frauen.“
Ohne genau zu wissen worauf ich mich hier einließ, wagte ich dann doch die Frage:
„Ehm … Sie wollen wirklich dass ich für sie Keinohrhasen 2 schreibe?“
Die Antwort fiel kurz aus: Ein Nicken, mehr bekam ich nicht.
„Und sorgen Sie dafür, dass Tiere drin vorkommen. Eine Katze vielleicht.“
„Wie wär’s mit einem Hasen…“, meinte ich als Witz.
„Was Sie wollen. Sie sind der Kreative. Aber Tiere müssen sein. Das zieht. Außerdem fand ich diese Katze in „Meine Frau, die Schwiegereltern und ich“ zum schießen. Vielleicht können Sie was Ähnliches machen. Ein Hase der alleine auf Klo geht, zum Beispiel. Brüllend komisch.“
„Ich denke nicht das…“, versuchte ich zu sagen, wurde aber vom fünften Mann im Anzug übertönt. Er sah nicht mich an, sondern hielt Blickkontakt mit der Frau im Hosenanzug.
„Ein Mann der betrunken nicht mehr weiß welche Tür die Tür zum Klo ist und dann in den Wandschrank pinkelt. Eine großartige Szene. Das Publikum wird ausrasten.“
„Ja. Sehr gut.“, nickte die Frau im Hosenanzug. „Bauen Sie so was ein.“
Das war wieder an mich gerichtet. Ich wusste nicht ob irgendjemand erwartet dass ich Notizen machte, griff aber vorsorglich in meinen Rucksack und zog meinen Laptop heraus. Eine halbe Stunde später hatte ich zwanzig Stichpunkte, die von „Liebesszene im Auto und am nächsten Morgen von Polizist geweckt werden“ bis „Held spielt mit kleinem Jungen, der ihm Fußball in die Eier schießt – Brüller“ reichten.
Der dritte meiner drei Witze, des es in die letzte Sendung von „Schmidts Katze“ geschafft hatte, war eine Nummer über den aktuellen Kinofilms „Star Trek“:
Schmidt spielt den gealterten Kirk-Darsteller William Shatner, der sich über die fehlende Einladung zum Dreh der Neuauflage von „Star Trek“ beschwert, als man ihm gesteht man hätte ihn ersetzt. Oliver Pocher kommt rein und übernimmt.
Um kurz nach Neun war die Besprechung vorbei. Ich saß alleine im Konferenzraum und packte meinen Laptop wieder ein, während die Männer in Anzügen und die Frau im Hosenanzug (mit ihrem jungen Gefolge) wahrscheinlich schon längst andere wichtige Entscheidungen trafen. Mit hängenden Schultern, wenn so was anatomisch überhaupt geht, verließ ich das Sendegebäude und machte mich, mitsamt meiner Deadline, der Mindestanzahl von Witzen und der Vorgabe einen Gastauftritt von Jeanette Biedermann rein zu schreiben, auf den Heimweg. In der S-Bahn hörte ich aus den Ohrstöpseln meines Sitznachbarn die entfernte Melodie von „Wolf like me“ von TV on the Radio.
Ich erinnerte mich an die Witze die es nicht in die letzte Sendung von „Schmidts Katze“ geschafft hatten:
Da war die melancholische Nummer über den Jungen, mit dem gerade Schluss gemacht wurde und der einfach nur mit einem Walkman durch den Regen gehen will. Aber es es ist Hochsommer und auf jeder Kassette die er in seinen Walkman einlegt sind die absolut unpassensten Lieder (so was wie „Beautiful Day“ von U2).
Oder der nonverbale Sketch, indem ein Mann in einem Büro ein ganz bestimmtes Buch sucht. Als er merkt dass es unter einem Tischbein eines Kollegen klemmt, fragt er nicht, sondern schleicht sich an und versucht es auszutauschen. Natürlich geht das schief.
Und dann die Geschichte wie sich ein Junge und ein Mädchen kennen lernen. Allerdings sitzen sie in zwei unterschiedlichen Zügen, die nur kurz nebeneinander herfahren. Sie schreibt schnell ihre Telefonnummer auf einen Zettel und hält diesen dann an die Scheibe. Der Junge grinst und die Züge trennen sich. Als sich das Mädchen den Zettel ansieht, merkt sie dass dort „08100880810 ONIW“ steht. Sie kann ihre Dummheit nicht fassen. Da ruft er aber trotzdem an und will wissen wofür Mino die Abkürzung ist.
Solche Witze durfte ich nicht wieder schreiben. So etwas passt nicht in Keinohrhasen 2.
Zuhause angekommen stieg ich erstmal unter die Dusche. Mein Spiegel verriet, dass meine Nase doch nicht größer als mein Kinn war und schon bald lag ich im Bett um dringend benötigten Schlaf nachzuholen. Vielleicht würde ich am Donnerstagnachmittag mit Keinohrhasen 2 anfangen.
Kurz bevor ich wegdämmerte fiel mir noch etwas ein: War da nicht noch ein Sketch gewesen? Irgendeine Nummer die ich aufschreiben wollte?
Dann war ich eingeschlafen.

3 Gedanken zu „24. August 2009

  1. Der junge Mann in der Hocke

    Das muss alles wahr sein. Es muss sie geben. Aber am besten sind Treppenwitze: vor ein paar Stunden habe ich das in einen Brief an einen bestimmten Adressaten geschickt – »Flexibilität, Offenheit, Ziel- und Verantwortungsbewusstsein müssen die Grundeigenschaften einer Führungskraft sein, um nachhaltige Erfolge zu gewährleisten. Gemeinsame Leistungsprüfung und Entscheidungsfindung garantieren optimale Zusammenarbeit.«
    Es gibt sie. Und sie tragen wirklich unbekleckerte Krawatten in Dezentblau oder Untertanenrot. Und sie fühlen sich ständig zum Scheißen gut.

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