Chartgestöber

Auf Platz Fünf der meist verkauften Sachbücher in Deutschland steht diese Woche Sonya Kraus mit „Baustelle Body“ Untertitel: „Sonya’s Secrets“. Ehrlich gesagt: An dieser Stelle fallen mir so viele Seitenhiebe ein, ich bin geradezu genötigt nichts zu schreiben. Nur soviel: Auf Platz Neun steht der Rechtschreibduden.

Auf Platz Drei der Bundesliga steht, seit diesem Samstag, Bayern München. Mit hängenden Gesichtern und Schultern und was weiß ich noch allem, haben Rummenigge, Hoeneß und der Rest des ewig grantig wirkenden Bayern-Vorstands auch gleich Klinsmann entlassen. Ich will das ja nicht auf die Vereinsführung schieben, und Gott weiß: Ich kann den FC Bayern nicht ausstehen, aber denken diese dauerhaft schmollenden War-einmal-Fußballlegenden wirklich das Jupp Heynckes in fünf Spielen irgendwas ändern kann? Vor der Saison sagte man noch: Die Ziele gehen über die Spielzeit 08/98 hinaus. Was ist passiert? Hat die Fußreflexzonenmassage, die Luca Toni nun jeden Morgen kriegt, kein Vertrauen mehr erzeugt? Ich meine: Gegen Barcelona habt ihr doch nur ganz knapp – – – Ach, nee: Ziemlich deutlich verloren. Und immerhin: Ihr verliert vielleicht gegen Barcelona, Schalke und Wolfsburg, aber gegen Frankfurt, Bielefeld, Karlsruhe, Bochum und Hannover habt ihr gewonnen. Das ist doch schon mal was. Teilweise sogar mit mehr als mit einem Tor … außer gegen Bielefeld und Karlsruhe. Also: Kopf hoch. Vergesst eure Depressionen, sagt ja zum Leben und zum UEFA-Cup … (so nebenbei: Hat schon mal jemand Uli Hoeneß lachen gesehen? Und wenn: War es so ein echtes lachen, so eins wie sein Bruder hat … oder eher so eine Art Gesichtsentgleisung … anders kann ich mir das nämlich nicht vorstellen.).

Auf Platz Eins der meistgesehenen Kinofilme in Deutschland steht in dieser Woche Crank 2. Was super ist: Bedenkt man, dass sich über 300tausend Deutsche eine geisteskranke Klamotte angesehen haben, die aussieht als wäre sie für lau gedreht worden, dabei aber 20 Millionen Dollar gekostet hat. Eine Summe, die der Film (Gott sei Dank – sehr viele Gott-Verweise in diesem Eintrag, oder?) noch nicht eingespielt hat. Was bedeutet: Nach dem erfolgreichen ersten Teil (12 Mio. Budget – mehr als 44 Mio. weltweit eingespielt) wird es keinen dritten Teil geben. Puh!
Eine Frage bleibt: Crank 2 hat in Deutschland keine Jugendfreigabe bekommen, was heißt: Er ist für Jugendliche unter 18 nicht zu sehen. Trotzdem führt er die Spitze der Kinocharts in seiner ersten Woche an. Hm? … Die ausgewiesene Zielgruppe für Crank, mit seinem eingängigen (und zusehens nervigen) Klingelton, dem Handygame, den Wallpapers und was nicht noch alles, ist die übliche Gruppe von 14 bis 49: Ich hab’ aber keinen 49-Jährigen mit nem Crank-Wallpaper auf seinem iPhone gesehen oder wie er sich auf Facebook als „Freund“ von Crank-Star Chev Chelios verlinkt.
Vielleicht sind es nicht nur Killerspiele, die man dieser Tage härter ins Gericht nehmen sollte. Die Werbung über Internet, Handy und Fernsehen wird selten von einem neuen Teil der „Wolfenstein“-Saga so eingespannt, wie sie es für neue Filme wird. Und obwohl ihre moralische Unzulänglichkeit – wie im Fall von Crank 2 – mit einer Wertung eingestuft wird, werden die Filme beworben wie Hölle. Zigarettenwerbung ist aus dem Fernsehalltag verschwunden, nach Bierwerbung folgen „Don’t drink and drive“-Hinweise … ich hab’ nichts gegen Filme ab 18. Himmel! Die meisten Filme, die ich mag sind ab 18 oder gehören in ihrer FSK-Einstufung unbedingt heraufgesetzt, und – – – Oh! Okay: Ich weiß wie sich das anhört … Nein! Ich spreche jetzt nicht von Pornos! Jedenfalls nicht hauptsächlich … zurück zum Punkt: Es ist die Fokussierung, die mich rasend macht. Passiert eine Schießerei, gehen alle auf die Computerspiele los. Dabei gibt es hier deutlich Fortschritte:

Auf Platz Eins der Spieler-Hitliste für Computerspiele stehen „Die Sims 3“, obwohl das Spiel erst am 4. Juni rauskommt (illegale Raubkopien sind doch ein Segen…). Na gut: Dahinter folgen, auf Platz 2 bis 5, Spiele die „Command & Conquer“ heißen, oder „Hell’s Highway“, „Total War“ oder „Warhammer“ im Namen tragen. Doch auf Platz Sechs folgt der beschauliche „Landwirtschaftssimulator“. Wer will sich beschweren, wenn das eigene Kind – nach einem Tag mit Erniedrigungen und Problemen in einer völlig überfüllten Gesamtschulklasse (und einem überforderten Pädagogen) – nach Hause kommt und anfängt seine eigenen Genmaisfelder virtuell anzulegen, damit er Subventionen durch die EU kassiert.
Wie viel man natürlich von, per Internet-Befragung erzeugten, Benutzer-Hitlisten ableiten kann, ist fragwürdig. Ebenso ist es fragwürdig ob die Internetnutzer, die Lady Gaga mit ihrem Album „Fame“ an die Spitze der deutschen Hitparade gewählt haben, alle auch das Album käuflich erworben haben; oder ob es eine Klingelton-Hitparade geben muss, die mir durch diesen Blog-Eintrag erst wirklich bewusst wurde und deren „Scheiße, ich liebe Dich“ vom schlecht animierten Bieber „Mauli“ mich bis ans Ende aller Tage in Alpträumen verfolgen wird.
Fakt ist: Wir lieben Hitlisten. Gerade am Wochenende hab’ ich wieder meine Lieblingsfilme aufgelistet. Ohne das jemand nachgefragt hat, einfach so. Dabei ist mir aufgefallen: Für all die guten Filme die es gibt, reichen fünf Plätze … reichen nicht mal zehn Plätze aus. Eventuell ist was falsch an meiner Herangehensweise.
Die meisten Filme die ich mag sind so unterschiedlich – und ich meine nicht nur die Pornos (Girl on Girl, Boy on Girl, Boy on Boy, Animal Erotica …) – man kann die gar nicht vergleichen.
Okay: „Heat“ mit Al Pacino kann man mit „Der Duft der Frauen“ mit Al Pacino vergleichen, immerhin ist es beide Male Al Pacino und er ist beide Male unglaublich gut, aber ansonsten?

Beim Frühlingsfest in Weißensee (fragt mich nicht wie ich darauf komme), welches an diesem Sonntag stattfand, traten 16 Talente auf. Darunter war ein behindertes Mädchen das Mundharmonika spielte. Am Ende gab irgend so ein Penner mit Mikrofon, der scheinbar die Jury anführte, den Kontrahenten eine Wertung und Verbesserungsvorschläge (Und wir dachten: Castingshows hätte keine Auswirkungen auf unsere Gesellschaft!). Verbesserungsvorschläge für Behinderte und Dreijährige Kinder, die nacheinander aufgetreten sind. Drei der „Talent-Acts“ waren mit Erwachsenen besetzt, oder was ich in diesem Zusammenhang mal Erwachsene nennen will. Eines waren irgendwelche schwergewichtigen Schotten, dann noch ein übermotivierter Alleinunterhalter und zwei Jungs mit Gitarren. Gewonnen haben die zwei Jungs mit Gitarren. Gegen ein behindertes Mädchen mit Mundharmonika.
Selbst wenn ich der fucking beste Mundharmonikaspieler der Welt wäre, der mit seinem Mund, diesem kleinen Metallinstrument und seiner Zunge [Und meine Zunge ist nicht untrainiert!] „The Age of Aquarius/Let the Sunshine In“ (in der Version von „Hair“ und in voller orchestraler Besetzung) spielen könnte, selbst dann würde ich nicht gegen ein behindertes Mädchen antreten. Und ich wollte nicht bewertet werden. Ich weiß, man soll Rollstuhlfahrer und Downies (Ja, ich hab’ „Downies“ geschrieben für Menschen mit Down-Syndrom.) behandeln als wären sie so wie alle.
Hey! Newsflash! Wenn ich Zwei Meter und Vierzig groß wäre, würde ich auch nicht bei H&M nach Hosen fragen, oder?
Was ich machen würde, wenn ich saugut Mundharmonika spielen könnte? Ich würde mit dem behinderten Mädchen zusammen spielen, ich würde ihr zuhören und zusehen wie sie das Instrument spielt. Ich würde lernen, weil sie anders spielt als ich.
Ich würde mich nicht von einem dahergelaufenen Penner mit Mikrofon auf einem Frühlingsfest bewerten und verbessern lassen und ich würde Filme, Musik und Bücher die ich mag, nicht in kleine Top-5-Listen in meinem Kopf packen. Moment… irgendwas davon müsste auch gehen, ohne das ich saugut Mundharmonika spiele. Oder ich fang gleich an zu üben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.