Die Weltuntergangsfamilie

Aufblende im Büro des Programmchefs eines großen amerikanischen Kabelsenders.
Der Mann hinter dem Schreibtisch trägt italienische Maßarbeit und einen kleinen Bauch. Die Sprechanlage summt und man hört die Stimme seiner Sekretärin:
„Ihr Zwei-Uhr-Termin ist da.“
„Schicken Sie ihn rein.“
Es dauert keine Minute da stehen ein ständig nickender Produzent, ein aufgeregter Jungregisseur und der Autor im Büro. Ihnen werden Plätze zugewiesen und man setzt sich. Der Programmchef sieht die Drei an und setzt dann seine übliche „ich kaufe nichts“-Miene auf.
„Gut. Also, meine Herren, was haben sie für mich?“
„Den nächsten Hit für Ihre Primetime.“, platzt es aus dem Jungregisseur heraus und zum vierten Mal in zehn Sekunden rutscht er auf seinem Stuhl von einer auf die andere Seite. Bei dem Versuch den Kopf auf dem Arm auf zu stützen, verpasst er die Stuhllehne.
„Aha.“ Der Programmchef sieht den Produzenten an, der um den Pitch gebeten hat.
„Es sieht folgendermaßen aus“, beginnt der Produzent. „Alle Sender kämpfen momentan mit aufwendigen Science-Fiction-Serien, Action oder Krimi in der Primetime um die Zuschauer. Sie aber nicht und Sie verlieren.“
„Tun wir das?“
„Ja. Aber wir haben die Lösung.“
„Familie Armageddon.“
Der Programmchef sieht den Autoren mit halboffenem Mund an. Der Autor greift sich kurz an die Brille, Schweiß läuft unter seiner ungekämmten Frisur hervor, über die gefaltete Stirn bis in die buschigen Augenbrauen. Der Programmchef fragt sich kurz, warum er nicht mal an normale Leute geraten kann oder sich wenigstens die landläufige Meinung von Autoren ändern würde.
„Familie Armageddon?“, wiederholt er mit einem deutlichen Fragezeichen am Ende.
„Ja. Genau. Ihr bestes Marktsegment sind Familienprogramme. Bei Action oder Science-Fiction treten sie gar nicht an, deswegen verlieren sie. Wir holen mit unserer Serie die Apokalypse, Action und Science-Fiction in das Spielzimmer einer Familienserie.“
„Aha.“
„Genau“, ergänzt der Autor. „Familie Armageddon ist DIE Science-Fiction-Action-Crime-Drama-Serie des Jahres. Es ist alles drin: Action, Spannung …“
„Lassen Sie mich raten: Science-Fiction und Apokalyptische-Szenarien?“
„Und der Look wird alle umhauen.“ Der Jungregisseur schürzt die Lippen und nickt dazu, als wollte er Vertrauen herbeiwinken, tatsächlich sieht es wie die zu oft ausgeführte Geste eines Wackeldackels aus.
„Aber es gibt schon alle Weltuntergangsszenarien … als große Blockbusterfilme, mit riesigen Effekten. Da mitzuhalten wird unglaublich teuer.“
„Deswegen haben wir uns etwas ausgedacht.“ Der Produzent reibt symbolisch die Hände. Es sieht weniger vertrauenserweckend als mehr linkisch und unseriös aus.
„Ich. Ich habe mir da etwas ausgedacht.“
Der Autor beugt sich nach Vorne und ein Schweißtropfen fällt auf den polierten Holztisch des Programmchefs. Er kann sich sekundenlang nicht vom Anblick des kreisrunden Körpersekrets lösen. Ertappt lehnt sich der Autor wieder zurück:
„Alles spielt in einem Haus.“
Der Programmchef sieht den Autoren fragend an:
„In einem Haus? Die ganze Serie?“
„Ja. Da wir eine Weltuntergangs-Familienserie machen, spielt alles im Haus der Handersons.“, sagt der Produzent und der Jungregisseur ergänzt: „So heißt die Familie.“
Der Programmchef weiß nicht was er sagen soll, aber der Autor:
„Es ist eine fünfköpfige Familie. Typisch amerikanisch. Vater, Mutter, eine ältere Tochter, ein pubertierender Sohn und eine süße Kleine. Alles dabei. Sie leben in einem Haus im ländlichen Iowa.“
„Iowa?“ Der Programmchef runzelt die Stirn.
„Was die Gegend betrifft sind wir flexibel.“, sagt der Produzent. „Macht sowieso nichts, da alles im Haus spielt, brauchen wir keine Außenaufnahmen, wir drehen im Studio.“
„Ja.“, erzählt der Autor weiter. „Jede Woche wird der Planet von einer neuen Katastrophe heimgesucht. In der Pilotfolge ist es die Schweinegrippe.“
„Schweinegrippe?“ Der Programmchef sieht den Produzenten an. Der Produzent grinst breit.
„Gut, oder? Ganz aktuell. Eine globale Pandemie! Unglaublich. Die Leute scheißen sich in die Hose und wir haben die Serie dazu … mit Familienelementen, natürlich.“
„Natürlich!“, springt der Autor wieder mit ein. „Neben den Seuchen, den verschiedenen Weltuntergangsszenarien, haben wir auch die üblichen Familienprobleme: Die Eltern streiten sich, Kinder machen nicht ihre Hausaufgaben, Erwachsenwerden, Verantwortung … die älteste Tochter hat ihren ersten Freund. Solche Sachen.“
„Und währenddessen tobt draußen, vor der Tür der …?“
„Vor der Tür der Handersons.“, wirft der Jungregisseur ein.
„Handersons, danke … tobt vor der Tür der Handersons die Schweinegrippe? Wie soll das erzählt werden? In Nebensätzen?“
„Nein. Viel besser!“ Der Produzent strahlt übers ganze Gesicht. „Übers Radio!“
„Radio?“ Dem Programmchef fällt auf, dass er sehr häufig einfach das letzte Wort seines Vorredners mit einem Fragezeichen danach wiederholt. Er fragt sich kurz ob ihn deswegen seine Frau verlassen hat.
„Genau. Übers Radio. Weil Insert-Fernsehsequenzen teuer und aufwendig sind, haben wir die perfekte Lösung gefunden: Alle Informationen … Tote, Ereignisse aus der ganzen Welt … Maßnahmen, die die Familie zum Überleben ergreifen muss … alles wird über das Radio vermittelt. Und damit es erklärt wird, warum immer nur ein Sender läuft: Es ist ein altes Radio und es ist defekt und auf einer Frequenz eingerastet!“
„Toll.“ Der Programmchef verpasst die richtige Intonation für Ironie.
„Nicht wahr?“ Der Autor strahlt zufrieden. „Und wir haben nicht nur Seuchen … es wird Vulkanausbrüche, Meteoritenregen, Flut … und am Ende der ersten Staffel, zum Cliffhanger … auch Zombies geben!“
„Zombies? Und die belagern dann das Haus?“
„Ja. Belagern, aber kommen nicht rein. Wir wollen das Geld für die Maske sparen, deswegen lassen wir ein paar Praktikanten einfach in den Belagerungsszenen Grunzen und schauerliche Geräusche machen und an den Türen und Fenstern kratzen.“
Der Produzent scheint sich seiner Sache sicher.
„Familie Armageddon, sagten Sie, soll das Format heißen?“
Die Drei gegenüber vom Programmchef nicken geschlossen. Er greift zum Telefon.
„Lassen Sie mich gleich bei unserer Buchhaltung anrufen und Ihnen einen Scheck ausstellen … damit die Vorproduktion beginnen kann.“
„Wirklich!?“ Autor und Produzent springen begeistert auf.
„Nein. Nicht wirklich. Sind Sie bescheuert?“
Der Programmchef steht langsam auf und funkelt seine drei Besucher wütend an.
„Wir sind ein ausgewiesener Familiensender. Wir lassen keine hirnverbrannte Apocalypse-Serie laufen. Und jetzt raus!“
Mit hängenden Schultern und sich kleinlaut über die Borniertheit und den fehlenden Wagemut beschwerend, verlassen Produzent, Autor und Jungregisseur das Büro des Programmchefs. Als sie weg sind lässt er sich zurück in seinen Bürostuhl fallen. Er schüttelt den Kopf, dann greift er nach seinem Blackberry und sucht die Nummer eines Bekannten bei FOX … ihm ist gerade die Idee für eine billige Science-Fiction-Action-Weltuntergangs-Drama und Familienserie gekommen. Vielleicht lässt sich da was machen!

3 Gedanken zu „Die Weltuntergangsfamilie

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