Mir ist aufgefallen: Der Eintritt in die Neue Nationalgalerie ist teurer als der Eintritt in die Alte Nationalgalerie. Was mich zum Vergleich brachte: Das ist so, als wenn „Die Gefährten“ auf DVD billiger ist als „Die Rückkehr des Königs“ oder „Episode I“ teurer als „Die Rückkehr der Jedi“, was zu bedauern wäre. Allerdings: Es ist nicht wahr. Kein „Herr der Ringe“-Teil ist teurer als ein anderer. Und am allerbilligsten sind die sowieso in der 3-Teile Vorratspackung. Und der Grund warum ich in der Neuen Nationalgalerie mehr bezahlt habe ist: Ich hatte meinen Studentenausweis vergessen. Das ich ohne den eigentlich gar nicht hätte BVG fahren dürfen … na ja.
Der Punkt ist: Ich war in der Neuen Nationalgalerie. Ist schon ne Weile her, aber ich war da. Und es war toll.
Was soll ich auch anderes sagen. Mag man keine Kunst, oder das was alle für Kunst halten, wird man mit einem Lächeln und als dumm abgespeist. Mag man Kunst, reicht das noch lange nicht. Alles zu mögen geht sowieso nicht. Man muss schon eine eigene Meinung haben. Newman, Braque, Dix oder Beckmann. Auf keinen Fall Picasso, auch Dalí ist viel zu schnöde, so was schickt sich auf WG-Toiletten, aber als Kunstgeschmack … und schon gar nicht Werke verschiedener Künstler mögen und auf keinen Fall was schön ist. Besonders nicht weil es schön ist. Schön ist eben nicht schön, wenn die Leute die entscheiden ob es schön ist, niemals Worte wie „schön“ oder „chic“ gebrauchen, sondern etwas stets nur „inspirierend“ oder „dramatisch die junge Szene aufrüttelnd“ finden.
Ich kann mit aufrüttelnd die meiste Zeit nichts anfangen. Manchmal muss es eben Law & Order sein und nicht Dexter.
Ich mag kubistisch verschlungene Gesichter neben einem Bild voller Uhren dem Aussehen nach, sonst aus keinem anderen Grund. Ich mag auch eine Skulptur aus Badekugeln, wenn sie mein ästhetisches Empfinden anspricht. Aber ich kann eben nicht sagen was ich mag, ohne es zu sehen. Ich weiß ich mag Explosionen im Film, aber den zweiten Rambo fand ich trotzdem beschissen. Ich mag gute Dialoge, aber bei Eric Rohmer krieg ich Angstzustände. Manchmal mag ich große Gemälde, wie den „Mönch am Meer“, manchmal kleine Zeichnungen, nicht mehr als drei Striche, ganz der späte Picasso. Und Museen, Museen mag ich.
Das ist keine Frage von Empfinden, es ist eine Frage von Sendungsbewusstsein. Ich will dass alle Menschen in Museen gehen und gehen können.
Wenn in Falludscha wieder die Straßen befestigt sind, jeder Trinkwasserzugang hat, ein Dach über dem Kopf und die Kinder wieder zur Schule gehen, dann muss da als nächstes ein Museum hin. Irgendwas mit viel Kunst. Die muss ich nicht mal mögen, kann auch ein Militärmuseum sein. Wappen & Wimpel, von mir aus. Aber in einem Museum eben. Dort predigt keiner, niemand wird angeklagt, von niemandem wird Ablass verlangt oder zum Mord an den Ungläubigen aufgerufen. Kunst muss gefördert werden und wieder erreichbar sein, muss vorgeführt werden. Und wenn man eine Kooperation zwischen Madamme Tussauds und dem MoMa hinkriegt und dadurch vielleicht ein Germany’s Next Topmodel-Fan auch mal an ein paar dadaistischen Montagen vorbeiläuft und dann vielleicht, nur für eine Sekunde, stehen bleibt und denkt: „Cool.“ Das ist es wert.
Es wird immer Kreise von Experten geben, Logen, Lobbys und Gespräche in Hinterzimmern. Kritiker und Fachleute werden sich immer außerhalb der Gesellschaft treffen, bezahlt vom Jedermann. Und das ist auch gut so. Die Bücher die die schreiben muss niemand verstehen, es reicht wenn ein paar Studenten das lesen, und genauso wenig verstehen. So lange Museen da sind und wir gezeigt bekommen was dort drinnen ist, und es so unterschiedlich wie Pepsi und Cola ist: Das reicht. Kunst muss in die Schulen, es muss über die Deutung des letzten Abendmahls genauso geredet werden, wie über den sterbenden Genitiv. Deutung muss erklärt und beigebracht werden, wozu ist Kunst sonst gut. Wer deutet schießt nicht auf Leute die eine andere Meinung haben, er argumentiert, mal werkimmanent, mal historisch oder biografisch.
Dann hab’ ich auch keine Angst mehr vor der Verrohung der Gesellschaft durch zu extreme Horrorfilme (mag ich doch selber), wenn in Museen gezeigt wird was Schönheit ist, was Kunst ist, da geht das schon klar.
Jugendliche und Querdenker werden sich immer unverstanden und ausgeschlossen fühlen, sowohl in der Pubertät wie auch im Leben sonst. Aber wenn sie „Der arme Poet“ sehen, sehen sie sich verstanden. Es gibt tausend Filme die es zeigen wollen, aber keiner zeigt es so genau wie dieses Bild. Das Los der Einsamkeit in Hingabe zum Wort, zum Gedanken, auf 36 mal 45 Zentimeter in Öl. Und wenn dann ein pubertierender Jugendlicher, der tausend und ein Liebeslied für eine unerreichte Schönheit geschrieben hat, kurz vor der Aufgabe, dieses Bild sieht: Ich bin mir sicher, das Verständnis (die Erkenntnis!) reicht um durchzuhalten. Naja, nicht um durchzuhalten, aber vielleicht um den einen oder anderen tief traurigen Roman zu schreiben (vielleicht nicht unbedingt abschreiben: Hörst Du, Helene, ja Dich meine ich. Ein bisschen mehr Einfallsreichtum bitte, da hilft auch der Haassche-Zuspruch nichts, klar?!). Und irgendwann wird der tief traurige Jugendliche, mit einem frischen Ullstein-Preis unterm Arm, eine Literaturstudentin treffen (die Groupies des hadernden Texters), sich neu verlieben und glücklich werden. Danke, Carl!
Aber es muss nicht immer ein Spitzweg sein: Ein Mann in einer Midlife-Crisis kann, bei einer Live-Performance auf der Kastanienallee, bei der durch die Ausscheidung von Kot und Urin in einen gewöhnlichen Aluminium-Eimer von der Darstellerin direkt und live die Vergänglichkeit und die unbedingte Konzentration allen Seins auf Stoffwechsel vorgeführt wird, bei dieser Performance kann unserem Midlife-Mann klar werden: „Haha. War alles umsonst. Ich muss leben um nicht tot zu sein.“ Und wieder jemand glücklich, oder glücklicher. Alles durch Kunst.
Wer bin ich, dass ich mein subjektives Empfinden und meine Abneigung gegenüber Live-Performance jemandem aufdrücke. Ich will die Freiheit für „Family Guy“, also gibt es auch Freiheit für Fäkal-Performance. Und es gibt Fördermittel. Oh, ja. Fördermittel. Zieht den Stecker von Großprojekten wie „24h Berlin“. Doku-Soaps gibt es genug. Das Geld ist besser investiert in weit gestreuten Kultur- und Kunstfonds. Aber, und das bleibt noch zu begreifen, die Diversifikation – schweres Wort, auch zu schreiben – muss überall hin, nicht nur dort wo am Ende der gemeine Förderheini die Jugend sucht und den Mammon vermutet. Ja, auch der Bushido-Film wurde gefördert, und nicht zu knapp. Vielleicht werden die Förderer aber auch einfach nur müde das Geld nicht mehr wieder zu sehen. Könnte man meinen. Andererseits: Bei Bushido wär doch jeder gerne eingestiegen. Geld-Zurück-Garantie, mit Gewinnmarge inklusive.
Aber wo war ich? Mein subjektives Empfinden. Ich mag Museen, weil ich mich dort wieder finden kann, genauso wie im Horror A bis K Regal in der Videothek und in der Science-Fiction und Thriller Ecke bei Dussmann. Für dieses Jahr will ich lernen niemanden, der vor mir an der Kasse von Saturn eine Schlagerhits-CDs kauft, naserümpfend mit Kopfschütteln zu betrachten. Für alle anderen gilt das gleiche. Und, ach ja: Museen sollten umsonst sein, ich fordere die Kunststeuer. Guten Abend.
Mein subjektives Empfinden
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