Es gibt solche und solche Menschen, hat meine Großmutter immer gesagt. Um ehrlich zu sein: Hat sie nicht immer, nur einmal gesagt, aber es ist hängen geblieben.
In der Vorweihnachtszeit merkt man es sehr deutlich.
„Solche“ Menschen rennen wie aufgescheucht durch Karstadt, greifen sich Oberhemden von den Tischen mit der Auslegeware und packen einfach alles ein. Einfach alles tief in die breite, große Tragetasche mit den überstrapazierten, lang gezogenen Plastikgriffen. Die Tragetasche aus dem dünnen Plastik, welches sich an der Unterseite schon so gefährlich ausbeult.
„Solche“ Menschen sind da ganz anders. Besonnen stehen sie bei Peek & Cloppenburg, probieren eine Krawatte nach der nächsten an – und ich meine anprobieren, also binden und binden und dann noch mal mit Windsor – um am Ende doch lieber „noch mal woanders zu gucken“.
Die Geschichte über „solche“ Menschen sind tierisch langweilig, weil sich der Geschichtenerzähler meistens über seine eigene Ungeduld aufregt, es aber entweder nicht merkt oder zu stolz ist es zuzugeben.
Bleiben wir also bei den rasend schnellen Fluchtkäufern. Den High-Speed-Kaufgängern aus allen Etagen. Ständig sind sie mit dem Ziel beschäftigt. Dem Ziel möglichst vielen Personen, möglichste viele Geschenke zu machen. Das ist ja erstmal nichts Schlechtes. Es ist sogar ziemlich clever. Die meisten Speed-Käufer wissen um die Unfähigkeit ihrer Mitmenschen gute Geschenke zu machen. Eigentlich könnte man sogar sagen: Sie wissen, dass Menschen nicht gut schenken. Das klingt nach einem holen Allgemeinplatz, aber gemessen an der Fülle von Individuen, alleine in der Bundesrepublik, ist das Warenangebot von amazon doch eher bescheiden. Wie kann man also davon ausgehen, unter dreitausend Produkten das „perfekte“ Geschenk für Jemanden zu finden? Gar nicht!
Genau das wissen die hetzenden Konsumenten, und kaufen genau deshalb umso mehr!
Warum? Weil durch die Menge an Geschenken die sie in die Welt pulvern, die Menge an Geschenken die sie entgegengesetzt zurückerwarten können, ebenfalls steigt. Damit steigt dann auch die Chance auf einen Glückstreffer. Einfache Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Wenn man aus einer Urne mit … sagen wir mal … dreitausend Kugeln zehn Mal, anstatt drei Mal zieht: Ist die Wahrscheinlichkeit, dass man die richtige Kugel bei zehn gezogenen Kugel erwischt höher … um genau zu sein: Sie ist um sieben dreitausendstel höher. Was erstmal nicht nach viel klingt. Aber wenn man dann bedenkt: Der Gearschte mit nur drei Geschenken hat gerade mal eine Wahrscheinlichkeit von drei dreitausendstel das richtige Geschenk zu bekommen, dann … man versteht was ich meine.
Es liegt also nicht am Hang der Welt sich immer mehr und mehr dem Konsum hinzugeben, dass rasende Käufermassen durch Sport-, Bekleidungs- und Elektronikabteilungen hasten und einfach nach allem greifen, was nicht bei Drei auf den Bäumen ist. Es Eigensinn. Purer Eigensinn.
Als Kind hat man Bilder gemalt. Einfache Bilder. Meistens zwei Tage vor Heiligabend. Auf den Bildern waren Strich-Häuser, Strich-Männchen und Strich-Sonnen. Handwerklich waren diese Zeugnisse der frühkindlichen Kunstentwicklung also alles, nur bestimmt nicht vollendet. Trotzdem haben Mutti und Vati sie aufgehoben. Irgendwo liegen die Bilder noch. Zwischen der ersten Siegerurkunde von den Bundesjugendspielen und den Unmengen von gepressten Blättern des Herbstes `88. Vielleicht waren die Eltern damals nicht begeistert, vielleicht hätten sie sich auch sehnlicher die Tim Mälzer-DVD-Box gewünscht (mal ganz abgesehen davon, dass damals sogar noch VHS-Videorecorder die Seltenheit waren – gerade bei Eltern die ihre Kinder Blätter pressen ließen). Aber immerhin gibt es die Bilder von damals noch. Die Tim Mälzer-DVD-Box hab’ ich im August originalverschweißt in einer Kiste auf dem Sperrmüll gefunden.
Es gibt eben „solche“ und „solche“ Geschenke.
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Die Geschichte des Genitiv-Greis
Wenn man älter wird, ist das so eine Sache:
Damit meine ich nicht: Ich bin jetzt sehr alt. Eben älter. Weiser, vielleicht ein bisschen ruhiger.
Ich war auch mal jung. Ganz jung. Sprottenjung, sozusagen.
Als ich Dreizehn war, gab es in meiner Klasse so ein Mädchen. Nennen wir sie Manuela (ehrlich gesagt, ich glaube: Sie hieß wirklich Manuela, na wer glaubt schon an Datenschutz).
Ich fand Manuela toll. Super.
Oder wie ich das damals wohl ausgedrückt hätte: „konkret, krass und korrekt“
(Sollte jemandem diese Sprache aufstoßen … so haben wir damals eben geredet. Kommt‘ damit klar. Man fragt Shakespeare ja auch nicht warum er statt „mir egal“ lieber: „Die Pfeil und Schleudern des wütenden Geschicks erdulden“ schrieb‘ … es war damals ja nicht so, dass man für frisches Papier zum nächsten McPaper rennen konnte.)
Wie gesagt: Manuela war die Wucht. Nur erzählt hab‘ ich ihr das nie.
Wie sollte ich auch: Zu der zeit war das nicht so einfach …
Manuela und ich hatten so gut wie nichts gemeinsam: Ich war ein kleiner, aufsässiger Junger, dessen Hauptbeschäftigung das Tauschen von Wrestling-Sammelkarten war. Meine Noten waren schlecht und der einzige Grund dafür, dass sie nicht noch schlechter wurden, war mein Hundeblick (Es gibt sogar Leute die sagen ich hätte mir diese Fähigkeit über all die Jahre bewahrt;).
Dazu kam, dass ich außer Wrestling, Comics, Basketball und Kartoffelpuffer (ja, es gibt eine Geschichte zum Kartoffelpuffer, aber die ist nicht für die breite Öffentlichkeit und sollte – zugunsten meines … Seelenfriedens – auch Verschlusssache bleiben.) eigentlich nichts mehr liebte als den Fernseher. Und das war dann auch schon alles. An Mädchen … wollte ich damals sowieso nicht denken. Die lasen alle nur Wendy-das Pferdemagazin und spielten in der großen Pause Springseil und Gummitwist.
Ich hab‘ das (Gummitwist) dann, aus Forschungsgründen, auch mal probiert: Konnte mir aber auch hinterher nicht erklären, warum man ein Spiel – das schon öde aussieht – spielt, bei dem das beste Ergebnis ist, dass sich niemand auf die Fresse packt. Tz.
Wie auch immer: Ich und Manuela, Manuela und ich.
Sie war also ein für mich uninteressantes Mädchen und wir hatten so überhaupt nichts gemeinsam.
Sie war gut in der Schule, machte die Hausaufgaben – ich nicht. Ich wusste genau wer am Samstag bei Wetten dass…? auf der Couch saß, sie kannte nicht mal Thomas Gottschalk (ein Segen, wie sich später raus stellen sollte.)
Sie trug eine Brille … ohne die sie auf dem Weg zur Schule verloren gewesen wäre. Meine Sehstärke war so gut, ich glaube Lehrer setzten mich extra in die letzte Reihe, nur um zu testen ob ich tatsächlich den Röntgenblick hätte. Es kann natürlich auch sein, dass ich in der letzten Reihe saß, weil sonst die anderen Lehrer gedacht hätten: In dieser Klasse schläft der Asche auch in der ersten Reihe.
Also, Manuela: halbblind. Ich: nicht.
Dazu kam: Manuela war eines jener Mädchen, die neben der fehlenden Prägung durchs Fernsehen (ihre Familie hatte keinen Fernseher) ein recht engagiertes Elternhaus hatte. Um es kurz zu machen: Sie war ein Naturfreak. Ein Waldliebhaber. Ohne Scheiß: Sie war ein echter Treehuger! Kein Witz.
Das bedeutete: Jeden Freitag kam sie mit einem überdimensionalen Feldrucksack in die Klasse, verstaute das Rambo-Überlebenspaket neben ihrem Pult und immer wenn jemand zu nah an diesem Monstrum vorbei ging, schepperte es gewaltig: Unten an dieser Ganzkörper-Survival-Ausrüstung hingen nämlich noch Töpfe und Pfannen in mindestens vier verschiedenen Größen.
Nach der Schule wurde Manuela dann von ihren Eltern zu Fuß abgeholt und es ging ab ins Niendorfer- Gehege.
Zur Erklärung: Das Niendorfer-Gehege ist eines jener letzten Überbleibsel Natur, die am Stadtrand von Hamburg so häufig vorkommen, dass man, wenn man will, nur einen Stein werfen braucht und immer die richtigen Naturfreunde trifft. Außerdem ist es nicht gerade so, dass im Niendorfer-Gehege Braunbären und Wölfe umher schleichen. An allen vier Ecken des drei-mal-drei Kilometer „Reservats“ gibt es ein MacDonalds und wer hier campt, der schlägt bestenfalls sein Zelt in drei verschiedenen Hundehaufen auf.
Aber, so waren sie, die Zeiten damals: Manuela ging Freitagsmittags mit ihren Eltern in den Wald.
Meine Eltern, by the way, hätten mich nicht mal zu Fuß von der Bushaltestelle abgeholt, an der ich Freitagsnachmittags ankam. Entweder sie hätten auf die Frage hin gelacht oder wären mit unserem Passat angerollt. Naja … wäre ja auch nicht schade drum gewesen: Wir hatten ja auch keine drei farblich abgestimmten Feldrucksäcke, mit Töpfen, Pfannen, verchromten Thermokannen und noch nie gebrauchten Bowie-Messern dran. Somit hätte ein Abholen zu Fuß von der Schule nicht halb so imposant ausgesehen. (Ja, war schon beeindruckend wie Manuelas Vater im karierten Holzfällerhemd vor den Toren des Albrecht-Thaer-Gymnasiums in Hamburg, Stellingen wartete und dabei ums Schienbein einen Gaskocher geschnallt hatte.)
Kurzum: Meine Eltern waren nicht wie Manuelas Eltern … und ich fand das gut so.
Trotzdem … und jetzt kommt der eigentliche Punkt (endlich!) … von all den Dingen in Hamburg die ich hätte vermissen können, brach es sich am Ende auf Manuela herunter.
Ganz ehrlich. So war es. Und ich hätte das als Allerletzter erwartet:
Als meine Eltern sagten: Junge … wir ziehen weg. Da hab‘ ich nicht gedacht … hu, scheiße, kann ich also nicht mehr Wrestling-Karten mit Goran tauschen. Oder: Hu, scheiße, was wird aus der Freundschaft zu Hannes und Christoph? (Okay … „hu“ hätte ich sowieso nicht gedacht … aber man bekommt nen Eindruck!)
Nein. Einzig und allein fiel mir Manuela ein.
Manuela, mit der ich seit zweieinhalb Jahren jeden Morgen im Bus zur Schule saß.
Manuela, die ich schon tausend Mal wegen des freitäglichen Feldrucksacks gehänselt und drei Mal deswegen schon zum weinen gebracht hatte – man denkt immer die fiesen Kinder achten nicht auf ihre Gemeinheiten … ich führte sogar Buch.
Ja. Ich würde Manuela vermissen. Und damit musste ich jetzt umgehen.
Zum Abschied gab ich im Keller des Hauses meiner Eltern eine Party. Fast die ganze Klasse kam. Svenja, das übergroße, blonde Reitermädchen, die nicht nur Wendy las, sondern sogar ein eigenes Pferd mit dem gleichen Namen hatte, kam, stellte ihre Reiterstiefel neben der Kellertreppe ab und umarmte mich zur Begrüßung. (Ein Therapeut meinte neulich, dass ich wegen dieser Begegnung jedes Mal, wenn mich blonde Frauen umarmen … den leichten Geruch von Pferdedung in der Nase hab‘ – – – nur Spaß!)
Wer kam noch? Deborah, die Tochter einer französischen Buchhändlerin und eines deutschen Versicherungsangestellten, mit der ich vor zwei Monaten auf Hannes Geburtstagsparty „eng“ getanzt hatte. Sie gab mir einen Kuss auf die Wange und fragte, mit hochrotem Kopf, ob wir später vielleicht wieder tanzen würden. Ich glaub nicht das ich geantwortet hab‘, sondern wohl eher starr genickt und dann – cool vor meinen Freunden – mir den Kuss von der Wange wischte.
Bengt, der blasse Brillenträger kam zusammen mit Moritz, dem Lockenkopf. Ich hatte mich mal über Bengt lustig gemacht, weil er in einem Jahr Klassensprecher war (es gab keinen Gegenkandidaten) und im nächsten Jahr jeden Tag die Tafel putzte. Damals schrieb ich „Vom Klassensprecher zur Putzkraft. Eine Karriere am Albrecht-Thaer. Erzählt von Bengt“ mit bunter Kreide an die frisch gewischte Tafel. Dabei drückte ich so doll auf, dass man meinen blöden Spruch noch Wochen und viele Wischgänge später lesen konnte. (Es war ungemein witzig … heute schäme ich mich dafür;)
Moritz hingegen bekam nur den netten Beinamen: Jimmy Hartwig (und wer sich an den Fußballer erinnert ist wirklich alt!)
Bengt und Moritz kamen also auch. Wir begrüßten uns mit Handschlag, ein kurzes Schulterklopfen und ein warmer Blick. Es war fast so als wären wir gut befreundet.
Ja und dann kam Manuela. Eine Begrüßung war nicht drin … wahrscheinlich war ich zu nervös.
Richtig unterhalten haben wir uns auch nicht.
Und bei all der Aufregung und dem Abschiedsbrumborium im Keller kann ich mich auch nurnoch daran erinnern, dass wir eine ganze Zeit nebeneinander auf zwei Klappstühlen saßen und ich irgendwas über meine neue Heimat erzählt habe. Irgendwas, vonwegen: In der Nähe von Fulda ist dieses Atomkraftwerk … wenn das hochgeht, dann dauert es nur ein paar Stunden und der Fallout erreicht die Stadtgrenze … ja, irgendwas in die Richtung. Ich war also eloquent wie immer.
Und dann: Dann stand sie auf und ich stand auf und tanzten.
Jetzt nicht so: An einer Hand nehmen, Rock’n’Roll reinwerfen und die Beine in die Luft schmeißen – tanzen. Nein. Wir tanzten. So wie man in der Zeit eben tanzte. Eng und zu Joshua Kadison.
Und ich tanzte an diesem Abend nur mit ihr.
Ein paar Tage später half ich meinem Vater dabei ein paar Sachen im neuen Haus in Hessen umzuräumen und dabei entdeckte ich die beiden Klappstühle. Einer in rot und einer in gelb. Aus Hartplastik.
Die stehen wohl immer noch im Keller meiner Eltern.
[Ach, ja: Warum Genitiv-Greis … da kommen wir noch zu …]
Aller Anfang …
… soll ja schwer sein.
Dank eines pfiffigen jungen Informatikers aus München können wir das streichen.
Nun hab‘ ich sie tatsächlich: Die Möglichkeit die ganze Netzwelt mit meinem Käse vollzutexten.
Herzlich Willkommen und viel Spaß bei …
… Floris blogt.