HARLEKIN POST (007) Wir sind das Netz 2

Es gab mal eine Zeit, in der haben Journalisten Präsidenten gestürzt. Sie haben die Bundesregierung angegriffen, haben einen ehemaligen Atomminister am Wahlsieg gehindert.
Diese Zeit ist vorbei. Was vielleicht ganz gut ist. Damals trugen die Menschen Jeans mit unglaublich breitem Schlag. Es war furchtbar … die Fotos meiner Eltern … Damals gab es auch noch keine dritte Fußball-Liga und ein Deutscher hatte noch nicht seine Mannschaft zum NBA-Titel geführt. Damals bekam man im Winter keine Erdbeeren und Netto war nur das, was unterm Strich übrig blieb.
Die führerlose Internet-Initiative Anonymous gab es damals auch noch nicht. Was logisch ist, gab es ja auch noch kein Internet. Doch was in den Zwanzigern das Stadtgespräch war, in den Fünfzigern der Eilbrief und in den Achtzigern das Telefon, ist heute: Das Internet.
Leben findet hier statt. Ob wir das wollen, oder nicht. Und Leben heißt Freiheit. Dies war in den Etablissements der Zwanziger so, als man sich leider nur über Nationalisten lustig machte und froh war dass es keinen Kaiser mehr gab. Es war in den Fünfzigern so, als man sich per Telegramm für einen Trip nach West-Berlin verabredete um diese neuen Bürgermeister sprechen zu hören. Und es war die Freiheit in den Achtzigern, am Telefon Kohl-Witze zu machen und sich anschließend für die Wahlveranstaltung dieses jungen, aufstrebenden Ministerpräsidenten aus Niedersachsen zu verabreden.
Anonymous hat zuerst Scientology den Krieg erklärt. Mittlerweile greift die Bewegung Kreditkartenfirmen oder den Iran an. Anonymous ist anders als Bürgerprotest. Es ist ziviler Ungehorsam im Netz. Und es ist kein Terrorismus. Genauso wenig wie kritischen Medien früher Staatsfeinde oder Vaterlandsverräter waren. Diese Unterscheidung ist wichtig. Sie ist elementar. Und wir sollten anfangen sie zu machen und nicht zulassen, dass man aus Gandhi einen Bin Laden macht.
Hui. Der letzte Satz war vielleicht doch etwas pathetisch. Das kommt davon, wenn man mit Wachowski-Filmen aufwächst. Na, wenigstens hab ich keine Hosen mit Schlag getragen.

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