HARLEKIN POST (013) Der erste Stein

Weiß noch irgendjemand was der Zumwinkel beruflich gemacht hat? Damals, als er noch nicht das Synonym für Steuerhinterzieher war. Irgendjemand? War der bei ner Bank? Oder im Staatsdienst? Nee. Der war doch bei der Post, oder? Ja. Postchef Zumwinkel. Was für ein langweiliger Name. Eine Million hat der hinterzogen. Irgendwie klingt das ganz schön wenig. Was kriegt man heute schon für ne Million? Nicht mal ein Auto.
Schätzungsweise 30000 Zumwinkels gibt es jedes Jahr. Wobei der das Geld über sechs Jahre hinterzogen hat, also gibt es jedes Jahr zirka 180000 Zumwinkels. Wenn man deren Namen alle kennen würde … hu.
Wieviele Guttenbergs und Koch-Mehrins und Veronica Saß es wohl gibt? Aber wir hängen ja nicht uns, wir hängen immer die anderen. Am Sonntag, zum Beispiel. Bei Anne Will. Da hat sich das Publikum mit der Moderatorin mal so richtig wohl gefühlt. Und man ist auf „Betrügerjagd“ gegangen. Jorgo Chatzimarkakis saß da in der Runde. In knapp zwei Wochen entscheidet sich, ob er seinen Doktortitel abgeben muss. Das ist ein bisschen wie bei DSDS. Das Finale schiebt man vor sich her, damit die Zuschauerzahlen und damit der Marktwert steigt. Bis dahin allerdings, weiß doch eigentlich schon jeder wie es ausgeht.
– Der Böse, ist der Politiker. Natürlich. Und der ist auch noch von der FDP. Oh ha! Das sind doch die Gelben, die Börsen-Arschlöcher. Ja, auf die können wir sauer sein. Die müssen bluten.
– Warum denn?
– Na, weil die, die Bankenkrise auch irgendwie mitgemacht haben.
– Aber wir haben die doch gewählt.
– Ja, aber nur weil die alle einen Doktortitel haben.
– Ach, so. Und wie sieht die Bankenkrise hier so aus?
– Na … geht doch allen schlecht, oder?
– Aha. Aber die Arbeitslosenzahlen sind gesunken. Und wir steigen auch aus der Atomkraft aus.
– Aber die Griechen klauen uns das Geld.
– Verstehe. Und das ist die Schuld der FDP?
– Ja … Ey. Sach ma: Bist Du etwa ein Liberaler?
– Nee.
– Trotzdem Arschloch. Ich will sauer sein. Ich will mich freuen, wenn die bei der Will auf den hakennasigen Griechen … oh, scheiße. Der Chatzimarkakis ist ja auch noch Grieche. Klaut uns das Geld und den Doktortitel. Schwein. Und dann versucht er sich auch noch rauszureden. Aber er hat doch betrogen. BETRÜGER! Hat keine Anführungszeichen gesetzt, das Schwein. Hat nur ne 3 für seine Doktorarbeit bekommen. Egal. Jetzt musst Du hängen. Du musst zu Kreuze kriechen, weil wir das so wollen. Wir wollen jemanden schlachten. Gib uns Deinen Titel und dann raus aus der Politik. Vielleicht darfst Du in acht/neun Jahren wiederkommen. Aber vorher musst Du Buße tun. Dann, in acht/neun Jahren, haben wir andere Betrüger und Du kommst zurück und kannst dann sagen: „Ha. Ich hab was gelernt. Tut mir leid. Jetzt lasst uns gemeinsam auf Anderen rumhacken.“ Vom Saulus zum Paulus. Wir wollen unsere Bild- und Stern-Geschichten immer schön bibeltreu. So könnte es dem Guttenberg auch gehen. Ein bisschen wie der dicke, geläuterte Betrüger der bei Anne Will im letzten Drittel aufs Spiel … äh, Schlachtfeld eingewechselt wurde. Ja, ja. Sagte er. Es war alles ganz schlimm was er gemacht hat, aber irgendwie hätte es die Promis, die er betrogen hat, ja auch nicht anders verdient. Alle lachten. Ja, ja. Aber jetzt saß er im Knast und bekommt anschließend die zweite, die gesellschaftliche Rehabilitierung bei Will im Senf-Dekor-Sessel. Eine Zeitmaschine für Jorgo hätte man sich da gewünscht. Sechs Jahre, vielleicht acht. Dann darf er wieder. Wenn er schön auf sich einprügeln lässt. So wie der Friedmann das nach dem Sex-Skandal auch geschafft hat. Wir lieben Comebacks fast genauso, wie wir es lieben Promis für unsere Sünden zu schlachten. Ich sitze tagelang an einer Steuererklärung und reiche den gleichen Drucker und den gleichen Laptop seit Jahren als neue Ausgabe in der Spalte „Büromittel“ ein. Dieser Beitrag ist inspiriert von Hagen Rether, ohne Quellenangabe. Ich bin nicht besser, ich bin genauso. Aber meine Volksvertreter will ich anders als mich. Soll jemand das Volk vertreten, der nicht das Volk ist. Und wenn er doch mal wie das Volk ist: Schlachtet ihn das Volk.
Ich war mal auf Vroniplag. Hab mich umgesehen. Die Internet-Braut bei Anne Will hat gesagt: „Alles transparent hier“. Ein Impressum hab ich da nicht gefunden. Vroniplag heißt so, weil als Erste Stoibers Tochter hingerichtet wurde. Veronica Saß. Die kannte ich vorher garnicht. Warum auch. Die ist doch nicht berühmt. Arbeitet bei einer Anwaltskanzlei. Hat kein politisches Amt. Moralisch muss die doch niemandem was beweisen, oder? Ein Kumpel von mir wurde beim Fälschen seiner Diplomarbeit erwischt. Gab da überhaupt kein Plag für. Komisch. Keine „kollaborative Plagiatsdokumentation“. Kollaboration. Das Wort klingt irgendwie doof. Nach Kollaborateur. Sie wollen gefeiert werden, die „Plagger“, die Plagiatswächter, die Jäger, wie Whistleblower. Wie Julian Assange, oder wie der Soldat, der immernoch im Knast sitzt. Aber dazu muss man Mut haben. Muss man sich zeigen, zu seinen Aussagen stehen. Aber das tun sie nicht. Sie verraten den Einzelnen, schwärzen ihn an. Legen sich nicht mit Unternehmen, nicht mit dem Staat, sondern prügeln auf Einzelpersonen rum. Und alles anonym.
Höchstwahrscheinlich ist einer der „Plagger“ unter den 180000 Zumwinkels jedes Jahr. Bei so einer Menge kann man gut anonym bleiben …

9 Gedanken zu „HARLEKIN POST (013) Der erste Stein

  1. wf

    Erst mal zur Sache selbst: Es geht nicht um ein „paar Fußnoten“, es geht um Zitate auf über 70 % der Seiten, oft über mehr als drei Viertel jeder Seite. Es geht um Grundregeln, die jeder Erstsemester kennen muss. Es geht, kurz gefasst, um die massive – und ziemlich sicher auch absichtliche – Missachtung wissenschaftlicher Regeln, verbunden mit der (obendrein verschleierten) Aneignung fremden geistigen Eigentums. Und es geht um den unlauteren Erwerb eines akademischen Grads, für den andere Menschen oft sechs Jahre oder länger hart arbeiten. Manche scheitern sogar daran, obwohl sie mit Leib und Seele darum ringen – aber sie scheitern lieber daran, als zu betrügen.

    Dann: Ob Herr Zumwinkel oder ein Bankräuber etwas Schlimmeres getan hat, ist völlig uninteressant. Wenn es danach geht, dürften wir uns auch nicht mit Herrn Zumwinkel befassen, denn Herr Mladic, Herr Mugabe oder Herr Kim haben sicher noch weitaus Fürchterlicheres zu verantworten. Nur weil andere Menschen aber schlimmere Dinge tun, macht dies das Lügen und Betrügen nicht besser. Und Sie mögen es insbesondere jenen Akademikern, die eben hart und redlich arbeiten, schon verzeihen, wenn ihnen so etwas mehr als nur ein Dorn im Auge ist.

    Aber auch Sie sollten darüber aber nicht einfach so hinwegsehen. Wir haben es bei den Plagiatsfällen nicht nur mit wissenschaftlichen Betrugsversuchen zu tun, sondern obendrein mit eklatanten politischen Verschleierungsversuchen und, man muss es so deutlich sagen, Lügen. Hier wird die Schuld für eigene Verfehlungen auf die abgewälzt, die man betrogen hat (Koch-Mehrin). Hier wird der Ruf von Universitäten durch die Erfindung angeblich laxerer Zitierweisen ramponiert (Oxford), die es in dieser Form nie gab. Vor allem aber werden die Bürger dieses Landes, und damit auch Sie, auf dreisteste Weise belogen. Nur eines erfolgt nicht: die Übernahme von Verantwortung für das eigene Tun.

    Nun frage ich Sie: Wenn Sie dies so unwichtig, so relativ banal finden – können Sie ausschließen, dass da mehr ist? Trauen Sie Politikern, die schon zu einer solchen Skrupellosigkeit und Dreistigkeit in der Lage sind, wenn es um so etwas relativ Unbedeutendes, wie einen Doktortitel geht, über den Weg, wenn es statt dessen um Millionenbeträge, um das Leben von Menschen etc. geht? In wem steckt wohl eher ein neuer Zumwinkel? In jemandem, der seine Dissertation redlich verfasst hat, oder in jemandem, der sie sich erschlichen hat und darüber noch dreist lügt?

    Schimpfen Sie nur weiter auf Wissenschaftler, die es nicht ertragen, dass Ihre Arbeit durch Betrüger in den Dreck gezogen wird, die sich heimlich in die Hände klatschen, weil Leute wie Sie ihnen noch dabei helfen, ihr Verhalten kleinzureden. Aber wundern Sie sich bitte nicht. Ich wünsche Ihnen dann viel Spaß in einem Land, das von lauter Guttenbergs, Koch-Mehrins und Chatzimarkakis‘ regiert wird, die nur auf ihren eigenen Vorteil schauen, dabei über Leichen gehen, sich um die Wahrheit einen Dreck scheren und sich auch nicht scheuen, Ihnen im Brustton der Überzeugung die dreistesten Lügen aufzutischen.

    Aber vermutlich werden Sie ihnen dann auch das glauben und wieder irgendeine abgedroschene Überschrift finden, mit der sie die, die sich nicht blenden lassen, attackieren.

  2. Dr.R.A.

    Jede Sache hat zwei Seiten.
    Es lässt sich gut auf einen Betrüger einprügeln, aber warum kommt es zu solchen Betrügereien?
    Ich gehöre auch zu den geschädigten Wissenschaftlern, deren Arbeiten durch solche Missbräuche diffamiert werden. Aber ich frage mich schon, wo blieb hier die Kontrolle? Was für eine Qualität hat der Wissenschaftsbereich einer Uni, wenn die Missachtung grundlegender Wissenschaftsregeln nicht erkannt wird und nicht schon im Vorwege korrigierend eingegriffen wird. Werden hier Arbeiten nur durchgereicht? Dann trägt der Universitätsbetrieb eine Mitverantwortung und er trägt Mitschuld an der Ramponierung seines Rufs.
    Ein Zitatenumfang von 70% in einer theoretischen Arbeit ist durchaus nicht ungewöhnlich, schließlich kommt es auf den Inhalt der übrigen 30% an. Sich daran aufzugeilen ist reine Hexenjagd und Panikmache um den Wissenschaftsstandort Deutschland.
    Und Hexenjagd in den Medien ist scheinbar eher angesagt als ungewöhnlich. Das bringt Quote. Eine seriöse Internetplatform aber sollte sich davon distanzieren und seine Grundregeln, Vorgehensweisen und Verantwortlichen transparent machen.
    Zeigt Gesicht und sorgt durch rechtzeitiges Einwirken auf den Wissenschaftsbetrieb, dass solcher Betrug gestoppt wird. Eine Plagiatsanalyse vor der Erteilung der Doktorwürde könnte eigentlich ein gutes Ziel sein.
    Eine Amnestie für die erfolgten Betrügereien sollte es natürlich nicht geben, aber auch keinen öffentlichen Pranger, sondern einfach das Anstoßen und die Ausschöpfung der ausreichenden rechtlichen Möglichkeiten.
    Von der redlichen Verfassung einer Doktorarbeit auf einen in allen Dingen redlichen Menschen zu schliessen ist eine gewagte, äußerst populistische These. Damit sollte man als Wissenschaftler nicht argumentieren.

  3. wf

    @ Dr. R. A.:

    Wörtliche Zitate auf 70 % der Seiten? (Und wir sprechen hier nur von den falsch belegten, es kommen ja noch korrekt belegte hinzu.) Fast alle über mehrere Absätze, teilweise sogar mehrere Seiten? Lauter Passagen ohne erkennbaren besonderen Wert, der ein ausführliches wörtliches Zitat begründen würde? Die EINLEITUNG? Meinen Sie das ernst? Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine Uni in irgendeinem Fachbereich in diesem Land eine solche Dissertation wissentlich annehmen würde.

    „Von der redlichen Verfassung einer Doktorarbeit auf einen in allen Dingen redlichen Menschen zu schliessen ist eine gewagte, äußerst populistische These. “

    Das habe ich nicht behauptet, Sie verdrehen völlig meine Aussage. Ich habe nur festgestellt, dass ich jemandem, der nachweislich schwerwiegend betrogen und gelogen hat, um sich auf dem Rücken anderer (Prüfer, Universität, ehrliche Promovenden) einen persönlichen Vorteil zu verschaffen, und der dies dann, wenn er auffliegt, nicht einmal eingesteht und sich entschuldigt, sondern auf dreisteste Weise lügt und anderen die Schuld gibt, nicht mehr trauen kann. Natürlich kann auch jemand, der wissenschaftlich redlich arbeitet, sich anderweitig fehlverhalten. Er sollte aber ceteris paribus doch wohl eher zunächst den „benefit of the doubt“ verdienen, als ein akademischer Betrüger. Oder sehen Sie das anders?

  4. Floris

    Lieber wf … oder liebe wf.
    Ist schon schwierig jemanden anzureden. Besonders wenn man von ihm öffentlich, aber anonym diffamiert wird. Genau das tun übrigens die Plagger.
    Es ist die Hexenjagd, während der ein scharlachroter Buchstabe dem vermeintlichen Betrüger noch vor der Verhandlung aufgedrückt wird. Und alles passiert, ohne das er seinem Ankläger in die höhnisch linkischen Augen blicken darf. (Tut mir leid, da ist der Arthur Miller mit mir durchgegangen)
    Der Punkt wurde gemacht: Es steht an, sich jenen wissenschaftlichen Betrieb einmal genauer anzusehen, der jetzt so schreit, wie er es zulassen konnte, dass Doktorarbeiten mit Plagiaten durchkamen. Und dieser wissenschaftliche Betrieb sollte es offen tun, nicht anonym. Nicht mittels Denunziantentum. Wir brauchen keinen Web-MacCarthy namens Vroniplag. (Und nur falls das nicht deutlich wurde: Ja. Das war polemisch. Aber ich meine jedes Wort so polemisch, wie ich es schreibe.)
    Der Punkt wurde auch gemacht: Nur weil man redlich seinen Doktor macht, ist man kein redlicher Mensch (und lesen sie nach: Genau das Gegenteil schreiben sie lieber wf. Erster Kommentar, vorvorletzter Absatz, die letzten beide Sätze! Genau hinsehen!). Heißt aber auch: Nur weil man versucht hat seine Doktorarbeit unredlich zu erschleichen, ist man kein unredlicher Mensch. Ums mit den Worten meiner Generation zu sagen: Der Besoffene kotzt immer überall hin, nicht nur ins Klo.
    Was ich nie gemacht habe ist Kleinreden. Ich habe mehr groß geredet, so was liegt mir nämlich. Ich wollte den Punkt machen: Wir sollten nicht glauben besser als die Volksvertreter zu sein. Der „Higher Standard“ ist eine ganz nette Idee, aber das ist die kalte Fusion auch. Politiker lügen und betrügen, so was kommt wahrscheinlich mit dem Beruf. Max Weber geht in seinem Aufsatz „Politik als Beruf“ gezielt nicht auf moralische Werte des Berufspolitikers ein, er beschreibt nur was jemanden antreibt der Politiker wird … und das ist definitiv nicht das Essen in der Reichstagskantine. Also ein bisschen mehr Realismus, auch wenn es um Steuerhinterzieher wie Zumwinkel geht. Genau da macht es eben die Relation … zu „Fürchterlicheren“ Verbrechern wie Mladic… (Sekunde. Gibt es überhaupt eine Steigerung von „Fürchterlich“? Kann man sich mehr als fürchten?) … wenn wir die betrachten: Warum reden wir die ganze Zeit über Guttenberg?
    Ich könnte jetzt noch einiges ergänzen. Könnte davon anfangen, dass selbst Galileo betrogen hat und das wissenschaftliche Standards, gerade in Geisteswissenschaften, längst nicht so fest sind, dass man mit der Analyse von Zitierweisen ein Plagiat nachweisen kann (Stichwort: Peer-Review) … ich würde eigentlich auch gerne noch darauf kommen, dass sich die Revision einer Doktorarbeit alleine im wissenschaftlichen Zirkel und nicht auf einem losen Wiki abspielen sollte. Mache ich aber nicht.
    Stattdessen komme ich zu dem, was mir wichtig ist: Ich mag keine Petzen. Ich weiß auch nicht. War schon immer so. Fehler sollen korrigiert werden, Leute müssen verantwortlich sein für ihre Handlungen, aber Petzen ist noch etwas anderes. Es vorverurteilt und diskreditiert Menschen.
    Vroniplag wird nicht von Petzen betrieben. Was da abläuft ist blanke Hetze. Wenn ich sonst Hetze lese, weiß meist „ah. Das ist die Bild-Zeitung. Klar das die Ausländer hassen, genauso tut es ein Großteil ihrer Leserschaft.“ Oder „ah. Die taz. Klar das die was gegen amerikanische Blockbuster haben, die meisten ihrer Leser rufen ja schon einen Bauernrat in der WG ein, wenn man sich mal einen englischsprachigen Film gemeinschaftlich aus der Videothek ausleiht.“ Kann ich mit umgehen. Bei Vroniplag ist es anders. Hier stellen sich die Ankläger nicht zu ihren Aussagen. Und man kann viel über Guttenberg, Koch-Mehrin, Saß oder Chatzimarkakis sagen … aber alle haben ihren Namen unter ihre betrogene Doktorarbeit gesetzt.
    Ich mag es, wenn Menschen deutlich sagen was sie meinen. Gott weiß: Ich tu das viel zu selten. Von Ihnen, wf, kann man das nicht behaupten. Ein undeutliches Angstgefühl schwappt mir da entgegen. Und wenn von „Verschleierungversuchen“ gesprochen wird, sehe ich da eher einen Ansatz von Paranoia. Eine Paranoia die sich natürlich gut totkloppen lässt, in dem man ein paar Doktortitel-Betrüger ans mediale Kreuz nagelt. Alles anonym, versteht sich.
    Ich mag es einfach nicht, wenn Leute nicht zu dem stehen was sie sagen. Und ich mag es auch nicht, wenn Leute auf Einzelpersonen eindreschen. Irgendwie kommt da, selbst für eine arrogante Tusse wie Koch-Mehrin, mein Beschützerinstinkt durch. Und dann werde ich sauer.
    Hexenjäger, die mir vorschreiben wen ich zu fürchten habe, ohne dass ich weiß wer mir das vorschlägt, die kann ich nicht leiden. Wenn Privatpersonen, wie Veronica Saß, in die Öffentlichkeit gezerrt werden, nach ihnen ein „Betrüger“-Wiki benannt wird und sie dann den Boulevardmedien zum Fraß vorgeworfen werden: So etwas macht mich einfach wütend. Und, obwohl das ganze Thema bisher eigentlich nur so etwas wie Ablenkung für mich war … hab ich langsam Gefallen daran gefunden. So viel Gefallen, dass ich keine Lust mehr habe meine Freiheit den selbsternannten Wächtern von Wissenschaft und Gesellschaft zu überlassen. Ihr Plagger wollt mir von Oben herab was vom Plagiat erzählen, und davon wie dumm ich sei, wenn ich das nicht einsehe und sowieso, dass ich den Politikern in die Hände spiele und das sowieso alles ganz, ganz schlimm ist, ja ? … Ja, wirklich? Oh. Jetzt fängt der Spaß erst an.
    Um es mit den Worten einer der wenigen Personen, der ich wirklich vertraue zu sagen: MAKE MY DAY!

  5. wf

    Zunächst einmal: Ich bin kein Plagger. Aber ich habe eine wissenschaftliche Abschlussarbeit geschrieben, die mich mehrfach an den Rande des Nervenzusammenbruchs gebracht hat, aber bei der ich mich immer an alle Regeln mit größter Sorgfalt gehalten habe. Und ich bin ein Bürger dieses Landes und möchte nicht von meinen Vertretern belogen werden.

    Meine Abschlussarbeit ist unter meinem Namen erschienen und allgemein zugänglich. Jede wissenschaftliche Abschlussarbeit ist eine Veröffentlichung. Sie ist öffentlich. Der Kritik anderer zugänglich. Dies ist der Kern von Wissenschaft. Das gilt genau so für Frau Saß, Herrn Chatzimarkakis, Sie und mich wie sonst irgendwen. Wenn jemand bei VroniPlag auf die Idee käme, meine Arbeit zu überprüfen, wäre das völlig okay. Ich habe sie abgegeben, ich habe unterschrieben, dass ich dabei sauber gearbeitet habe, ich stehe damit im wissenschaftlichen Diskurs, und ich stehe im Wort für mein Verhalten. Wenn jemand mir nachweist, auch anonym, dass ich betrogen habe, dann muss ich meinen akademischen Grad abgeben. Das wusste, das weiß ich und damit kann ich gut leben, weil ich weiß, dass ich sauber gearbeitet habe.

    Ich finde die Aufmerksamkeit, die der Fall Saß kurzzeitig bekommen hat, auch nicht angebracht. (Allerdings spricht heute doch eigentlich kein Mensch mehr von ihr, und wen interessiert das in einem halben Jahr bitte bei ihr noch?) Mitleid habe ich aber nicht. Sie hat ihre Dissertation veröffentlicht. In dem Wissen, dass sie nicht wissenschaftlich sauber gearbeitet hat. Dass das auffliegen und Konsequenzen haben kann, musste ihr klar sein. Natürlich haben wir keine Sippenhaft, und es ist bedauerlich, dass sie hier aufgrund ihres Vaters mehr Aufmerksamkeit erfährt als andere an ihrer Stelle. Aber das hat doch nichts mit VroniPlag zu tun. Wäre ihr Titel entzogen werden, nachdem universitätsintern jemand den Fall entdeckt hätte, wäre das doch genau so eine Boulevard-Schlagzeile gewesen. Die Aufmerksamkeit für diesen Fall liegt doch nicht an VroniPlag, sondern an ihrem familiären Hintergrund. Und wenn Ihre Ausführungen im Umkehrschluss bedeuten sollen, dass es besser gewesen wäre, ihr Fall wäre unentdeckt geblieben, als von VroniPlag aufgedeckt zu werden – I beg to differ.

    Generell gilt: Wer eine wissenschaftliche Abschlussarbeit abgibt, tut dies in dem Wissen, dass er sie publiziert. Wenn sie besonders gut ist, wird er dafür viel Lob und Aufmerksamkeit erfahren und dies auch sicher gern annehmen. Dann soll derjenige bitte aber auch damit leben, dass er öffentlicher Kritik ausgesetzt wird, wenn sich herausstellt, das er betrogen hat, zumal wenn er eine Person des öffentlichen Lebens ist. Wenn ich weiß, dass ich nicht sauber gearbeitet habe, und wenn ich nicht möchte, dass das an die Öffentlichkeit kommt, dann veröffentliche ich meine Arbeit nicht.

    Ich habe deshalb auch kein Problem mit der Anonymität der VroniPlagger. Warum auch? Es geht nicht um die Personen, es geht um die Fakten. Die Untersuchungen selbst könnte auch eine Gruppe trainierter Affen durchführen, das spielt bei der Bewertung der Ergebnisse keine Rolle. Die sind eindeutig, die sind transparent dargelegt, und die Entscheidungen der Universitäten zeigen ja, dass VroniPlag keineswegs so schlecht arbeitet wie Chatzimarkakis unterstellt, und dass hier offenbar auch niemand zu Unrecht beschuldigt wurde.

    Es ist auch einfach ein Mythos, dass VroniPlag etwa Herrn Chatzimarkakis vorverurteilen würde. Herr Chatzimarkakis steht im Laden, mit der Waffe in der linken Hand und der rechten Hand in der Kasse. (Bevor Sie nun wieder darauf abheben, dass diese Vergehen nicht vergleichbar seien, das ist richtig, aber das Bild ist dennoch zutreffend.) Herr Chatzimarkakis ist überführt, und er wäre das selbst dann, wenn die Uni ihn irrigerweise nicht bestrafen würde. Ein Justizirrtum ändert nichts daran, ob ein Mensch eine Tat begangen hat oder nicht.

    Und zu guter Letzt: Es gibt ja Menschen, die sich auch namentlich zu den Plagiatsfällen äußern und nichts anderes sagen als die VroniPlagger. Der Guttenberg-Skandal wurde ausgelöst durch Prof. Fischer-Lescano, der sich namentlich und sehr deutlich bekannt hat zu seiner Einschätzung. (Was war die Konsequenz? Ihm wurde in ehrrühriger Weise unterstellt, er sei Teil einer politischen Kampagne. Verstehen Sie, warum da manche, die um ihre berufliche Zukunft noch bangen müssen, vielleicht etwas zögerlich sind, sich anders als anonym mit einem einflußreichen Politiker anzulegen?) Frau Prof. Weber-Wulff hat sich wiederholt namentlich geäußert. Prof. Stefanowitsch tut es derzeit. Es gibt namentlich von tausenden Akademikern unterzeichnete Petitionen (übrigens auch mit meinem Klarnamen darunter). Es gibt neuerdings einen namentlich gezeichneten offenen Brief eines Promovenden der Universität Oxford.

    Das sind Tausende Akademiker, die die Ergebnisse von VroniPlag selbst in Augenschein genommen und für richtig befunden haben. Die offenbar der Meinung sind, dass VroniPlag wichtige Arbeit leistet. Und dies in dem Wissen, dass sie selbst ebenso Ziel sein könnten. Vor allem aber sind es Tausende Akademiker, an die sich Leute wie Herr Chatzimarkakis ja wenden könnte. Wenn er sich seiner Sache so sicher ist, kann er ja einmal öffentlich mit einem der Genannten über seine Arbeit sprechen. Warum wohl tut er es nicht?

    Weil das ganze Gerede von Anonymität ein reines Ablenkungsmanöver ist, um diejenigen, die auf den Schwindel aufgedeckt haben, in den Dreck zu ziehen und die eigene Haut zu retten. Würde er sich diesen namentlich bekannten Personen stellen, würde es für ihn sehr viel schwieriger, sie so zu attackieren, wie er es bei den VroniPlaggern tut. Da müsste er seine Behauptungen verteidigen gegen Menschen, die wissen, was er für einen Quatsch erzählt. Da ist die Nebelkerze „Internet-Pranger“ natürlich bequemer. Und Sie helfen ihm dabei.

    Schließlich sprechen Sie noch von „Paranoia“, wenn ich von Verschleierungsversuchen spreche. Die Vorgehensweisen von Guttenberg und Chatzimarkakis sind aber leider nun einmal typisch und alles andere als unüblich, was das Verschleiern von Plagiaten angeht. So etwas begegnet jedem Prüfer einmal, auch wenn man es leider nicht immer entdeckt. Leicht unformulieren, Alibi-Fußnoten setzen, die das wahre Ausmaß der Übernahme kaschieren.

    Und genau so durchsichtige Ablenkungsmanöver sind die Anonymitätsdebatte, auf die auch Sie hereinfallen, die Attacken auf die Unis, das Erfinden eines angeblich laxeren Oxford-Zitationsstils etc. pp. Alles, um sich bloß sich nicht der Wahrheit, dem eigenen Vergehen und den Konsequenzen hieraus stellen zu müssen. Halten Sie diese Bewertung ernsthaft für Paranoia?

    „Der Punkt wurde auch gemacht: Nur weil man redlich seinen Doktor macht, ist man kein redlicher Mensch (und lesen sie nach: Genau das Gegenteil schreiben sie lieber wf. Erster Kommentar, vorvorletzter Absatz, die letzten beide Sätze! Genau hinsehen!).“

    Ich schreibe: „In wem steckt wohl eher ein neuer Zumwinkel? In jemandem, der seine Dissertation redlich verfasst hat, oder in jemandem, der sie sich erschlichen hat und darüber noch dreist lügt?“

    Ja, dazu stehe ich, aber das ist nicht die Aussage, zu der Sie sie machen. Ich sage nicht, wer seine Dissertation redlich verfasst, ist ein redlicher Mensch. Ich sage, dass er das (ich hätte noch ein „vermutlich“ ergänzen soll, granted) eher ist als jemand, der bei einer Doktorarbeit betrügt und dazu noch dreist lügt.

    Ein erwiesener Betrüger und Lügner verdient in meinen Augen ceteris paribus erst einmal weniger Vertrauen als jemand, der sich nichts halt zu Schulden kommen lassen. Sehen Sie das anders?

  6. wf

    Vielleicht noch ein kleiner, aber doch interessanter Nachtrag: Gerade vermeldet die „Zeit“ sehr offensiv Plagiatsvorwürfe gegen den niedersächischen Kultusminister Althusmann (CDU). Selbst recherchiert, namentlich gekennzeichnet, so, wie Sie es bevorzugen.

    Wie ist nun die erste Reaktion der Hexenjäger bei VroniPlag (der ich mich nach einem ersten kursorischen Blick anschließen würde)?

    „Hi, ich habe mir das Dokument der Zeit angesehen und habe den Eindruck, dass dort ein wesentlich schärferer Maßstabangelegt wird. Wie seht Ihr das? LiteRatur 11:51, 6. Jul. 2011 (UTC)

    Sehe ich auch so. Während die bishergen Arbeiten ganze Sätze 1:1 (mit Rechtscheibefehlern) übernommen haben, wird hier aus 2 oder 3 verschiedenen Arbeiten die entnommenen Satzfragmente neu zusammengestellt. Gruß 80.141.184.45 11:57, 6. Jul. 2011 (UTC)“

    Ihre Meinung hierzu würde mich interessieren. Ist das Vorgehen der „Zeit“ für sie legitimer, weil ein Name dabei steht? Würde es etwas an Ihrer Einschätzung von VroniPlag ändern, wenn man dort die von anderen erhobene Plagiatsvorwürfe anhand der auch in den früheren Fällen angewandten Vorgehensweise entkräften oder relativieren würde?

    Es ist eben nicht so, dass dort Hetze betrieben wird. In einigen Kommentaren vielleicht, aber kommentieren kann jeder, fast überall. Und es wird ja dort auch in den Kommentaren von VroniPlag-Gegnern gehetzt.

    Es geht um die Qualität der Arbeit, die dort geleistet wird. Die bisherigen Entscheidungen der betroffenen Universitäten zeigen auch dem letzten Zweifler, der zu faul ist, sich das alles einfach selbst mal anzuschauen, dass die jeweils erhobenen Vorwürfe nicht unbegründet waren. Und der neue Fall Althusmann könnte ein Beleg dafür werden, dass man dort eben nicht hetzt und Schaum vor dem Mund hat, sondern schlicht und ergreifend sachlich und transparent analysiert. Wie Wissenschaftler das im Idealfall tun sollten.

  7. wf

    Wow. Damit haben Sie mich überzeugt.

    Na ja. Bin ja selbst schuld. Ist ja meist so mit Leuten, die mit Floskeln wie „Hexenjagd“ um sich schmeißen: Argumente oder eine ernsthafte Diskussion interessieren ja gar nicht. Man hat ja schließlich schon eine Meinung.

    Na, dann mal viel Spaß noch…

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