Ist es nicht schön, wie einfach die Welt manchmal ist. In Deutschland zumindest. Da muss nur ein jahrhundertealtes Schmierblatt in England mal richtig Scheiße bauen und alle deutschen Schmier- und sonstigen Blätter können gemeinsam empört sein. Empört euch! So war das wahrscheinlich nicht gemeint.
Die Süddeutsche Zeitung, zum Beispiel, schreibt, dass News of the World die Anzeigekunden wegliefen. Weil die ganze Affäre um Abhör-Methoden, Bestechungen und das Ausbeuten von Familientragödien, einfach nicht mehr tragbar gewesen sind. Komisch. Die Absätze oder eine zurückgehende Auflage scheint nicht der Grund zu sein, dass News of the World eingestampft wird. Tatsächlich vermeiden es deutsche Medien (und mit ihnen Medien auf der ganzen Welt) von den 3 Millionen Lesern zu sprechen. Eine Auflage von 3 Millionen hat … tschuldigung „hatte“ News of the World! Und das bei dem Dschungel von Boulevardmagazinen in England. Das heißt: 5% der gesamten Bevölkerung kauften News of the World. Rechnet man Neugeborene und Kinder unter 14 Jahren heraus, kauften (nicht nur lesen! Kaufen!) fast 7% der lesenden (wohl eher: Des Lesens mächtigen) Bevölkerung in England das Murdoch-Blatt. Bei uns in Deutschland sind es ähnlich viele, potentielle Leser die BILD kaufen. Aber nein. Niemand will BILD in einem Atemzug mit News of the World nennen. BILD ist ja ganz anders. Bild-Reporter bremsen nur den Falschen aus, um dann Fotos von ihm zu schießen. Sie würden niemals jemanden abhören, wahrscheinlich weil die meisten noch auf einer NS-Schreibmaschine schreiben. Warum sonst gibt es bei BILD immer nur die Farben Schwarz, Weiß und Rot?
Eigentlich ist es kein Wunder, dass niemand nach den 3 Millionen Menschen fragt, die News of the World kauften. Immerhin: Wenn man anfängt potentielle Leser anzugreifen, schneidet man sich als Medienverkäufer ins eigene Fleisch. Deswegen warten deutsche Zeitungen auch gerne darauf das BILD wieder Mist baut, schreiben dann drüber und hoffen auf neue Leser, die mit ihnen empört sein wollen.
Drei Millionen Menschen wollten den Schund wissen, der als NEWS verkauft wurde. Drei Millionen wollten einfach nur unterhalten werden und drei Millionen waren mit dem was angeboten wurde zufrieden.
Na ja, aber sie wussten ja nicht wie die Reportagen recherchiert wurden, kann man sagen. Ganz ehrlich? Seit Lady Di sollte die Insel-Nation eigentlich keine Illusionen mehr darüber haben, wie die bunten Titelblätter zustande kommen. Und es ist ja nicht so, als wäre News of the World die einzige Zeitung in England. Mit THE GUARDIAN oder dem Magazin THE ECONOMIST hat Großbritannien eine starke Tradition von hoch dekoriertem Journalismus. Und daneben gibt es, ähnlich wie in Deutschland, all die Grautöne die langsam ins Schwarze hinab steigen und schließlich bei News of the World enden. Trotz großer Auswahl wählen viele Leser aber trotzdem das dreckige Ende des Spektrums. Und warum? Weil ein großer Teil, nicht der größte Teil, aber ein großer Teil der Zeitung kaufenden Menschen geschockt sein wollen. Nicht unterhalten, nein geschockt. Unterhaltung ist, dass Hägar-Komik in der Sonntagsausgabe. Geschockt ist, wenn Prinz Harry in Nazi-Uniform auf ner Faschingsparty auftaucht und eine ganze WELT drüber spricht. Aber das reicht nicht. Es gibt ja Leute, die finden das gar nicht so schlimm. Also brauchen wir mehr: Wir wollen die Exklusiv-Stimmen der Angehörigen zu jeder Tragödie die uns anekelt, weil wir eigentlich nicht angeekelt sind. Wir sind befriedigt und insgeheim begeistert: Anderen geht es schlechter als uns. Ha, ha. Wie schlecht geht es den Anderen? Ah, noch schlechter. Dann ist ja gut. (… Wusstest Du schon wie schlecht es den Anderen geht? – Nein. – Hier. Lesen Sie nach. – Uh. Ja. Den geht es schlecht. Wie schlecht es denen geht! – Nicht wahr? – Himmel!)
Nun kann man eine trübe Masse von 3 Millionen Engländern oder 3 Millionen Deutschen kaum für ihre lüsternen Gedanken, ihre Gier nach Sensation, nach Schock und nach lückenloser und sezierend-erschöpfender Aufklärung verantwortlich machen. Oder? Kann man vielleicht doch?
In Deutschland heißt es: Selbst Professoren lesen BILD. Also mir waren einige Professoren bei denen ich gelernt habe höchst suspekt. Geilheit macht nun mal vor niemandem halt.
Dass es die News of the World nicht mehr gibt finde ich gut. Dann haben wir schon mal eine, bleiben nur noch hundert weitere Boulevardmagazine. Wer hat gesagt mit BILD muss man leben? Die Geilheit und die Gier nach Neuigkeiten kriegt man doch auch an der Kasse im Supermarkt, kriegt man bei der Arbeit, im Kopierraum oder auf den Fluren der Unis. Köpfen wir die BILD, dann sind wenigstens schon mal die Straßen sicherer und wir haben was, über das wir alle reden können. Und uns gemeinsam sensationslüstern aufgeilen.
Wir Menschen sind schlecht, nutzen wir das!
HARLEKIN POST (016) Misanthropie, erster Teil
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