Christian Wulff hat neulich bei MacDonalds ein Päckchen Ketchup umsonst bekommen. Der SPIEGEL hat das aufgedeckt, und nun muss Herr Wulff den Differenzbetrag nachzahlen.
Es sieht lustig aus, wenn Georg Mascolo bei Günther Jauch sitzt und versucht seine Wut darüber zu verbergen, dass Wulff nicht bei ihm, sondern bei BILD angerufen hat.
Zeitschriften wie DER SPIEGEL werden eben immer mehr zum gedruckten Äquivalent der Kommentarbox unter nem Youtube-Video. Irrelevant irgendwie, manchmal lustig, aber auch nur wenn man schon was weiß.
Man liest SPIEGEL ONLINE aber für 4 Euro am Sonntagabend die Montagsausgabe am Hauptbahnhof holen, dass will niemand. Dagegen nimmt der BILD-Leser den Gang zum Kiosk jeden Morgen gerne, holt sich die „Zeitung“, nen Kurzen und die Packung Ernte 23 fürs Frühstück.
Während die „Elite“ bei Facebook die Ergebnisse einer Doodle-Umfrage zum neuen Bundespräsidenten diskutiert, sitzt der Rest der Volkes beim Kacken, geht die Aufstellung von Kiel gegen Dortmund durch und fragt sich: Wo krieg‘ ich Geld für die nächste Ernte 23 her, was soll mein Sohn Jochen mit seinem wertlosen 3er-Abitur machen und warum marschiert niemand in Syrien ein und hilft den armen Teufeln dort? Wir waren doch sonst nie so zimperlich?
Überall – und wenn ich sage: Überall, dann meine ich in allen eitrig, verstopften Medienkanälen – wird zur Zeit Wulff besprochen. Komisch, dass niemandem auffällt wie ähnlich der Abschuss dem von Gutti ist. Sogar fast die gleiche Jahreszeit. Den Start ins neue Jahr mit einem Politiker-“bashing“ begehen. Weil wir uns danach besser fühlen. Halt! Nicht wir, uns ist das doch egal. Ich hab genug eigene Probleme. Aber die Journalisten. (Natürlich sind wir hier mittlerweile alle irgendwie Journalisten und Kommentatoren, aber das soll keine selbstreferenzielle Nummer werden!) Zeitungen, Hörprogramme, Nachrichtenmagazine und so ungefähr alles worauf „News“ steht, verkauft sich besser, wenn es eine aktuelle Affäre gibt. Und wenn man gerade keine echten Affären hat, oder die Affären, die es gibt, scheinbar zu langweilig oder zu kompliziert sind, dann erfindet man eine Affäre. (Mir ist neulich aufgefallen: Auf dem SPIEGEL-COVER war im vergangenen Jahr verhältnismäßig selten der Führer abgebildet, dafür Affären, Fälle und Atomtragödien. Sind Nazis etwa gerade out?)
Da ist die Fabel vom schlechten Politiker. Oh ja. Das Fabeln normalerweise einen Normalzustand beschreiben, erklären und zugänglich machen, mal ganz nebenbei. Aber hier geißeln die Politiker den schlechten Politiker. So wie es der böse Wolf gerne mit der bösen Stiefmutter machen würde, nur um von sich abzulenken.
Bei Wulff findet der SPIEGEL auch schnell die Erklärung dafür, warum wir (königlich?) das so gerne machen: Weil Wulff selber gerne kritisierte.
Wenn in der Schule der neunmalkluge Klugscheißer mal ne Sechs schreibt, würde ich ihm das auch jahrelang vorhalten.
Wulff kritisierte andere Politiker, deswegen sind die jetzt auch so sehr auf Rache aus. Und mit der immer gleichen schwergewichtigen Unwichtigkeit wankt Siegmar vor die Kameras, wahrscheinlich die gleichen Kameras die noch von Guttenberg im Foyer der SPD-Zentrale standen, und sagt, was er schon damals sagte: Das das echt scheiße ist und der, um den es gerade geht (Namen bitte einsetzten) jetzt auch gehen soll.
Als Guttenberg am Pranger stand, ging es um die „Integrität von Lehre und Forschung“, geht’s nicht ne Nummer kleiner? Jetzt geht es um die „Beschneidung von Pressefreiheit“.
Genau. Meine Freiheit, die Zeitung aufzuschlagen und mal NICHTS über Pressefreiheit und den Langweiler Wulff zu lesen ist beschnitten.
Warum reden wir so viel über die Probleme der Personen, wenn es doch um die Probleme des Amtes geht. Und, ja: Da ist ein Unterschied. Und, nein: Man reduziert nicht das Amt mit ein paar Fehltritten einer biederen Person. Was interessiert mich das Einfamilienhaus von nem Typen aus Hannover? Aus HANNOVER! Da ist es so scheiße, selbst die – die 17 Mal im Jahr weg dürfen, springen da vor den Zug. (Zu früh?)
Guttenberg, zum Beispiel, hat damals die Wehrpflicht abgeschafft. Hätten wir nur ein Zehntel der Aufmerksamkeit und der Kraft, die in endlose Diskussionen übers „Abschreiben“ gesteckt wurde, der Frage gewidmet: Wie können wir die wegfallenden Zivildienstleistenden irgendwie ersetzen? Wir hätten wahrscheinlich mittlerweile ein funktionierendes System aus Brückenjobs im sozialen Bereich, würden etwas gegen Arbeitslosigkeit im Alter zwischen Achtzehn bis Vierundzwanzig tun und die Versorgungslücke der sozialen Fürsorge wäre auch noch geschlossen.
Stattdessen kennt wirklich jeder mindestens einen, mäßig witzigen Copy-and-Paste-Witz zum Thema Guttenberg. Ja. War die richtige Entscheidung.
Wenn es um Wulff geht, warum diskutieren wir nicht die sinnferne Sparwut, die er in Niedersachsen angerichtet hat, wie er soziale Programme kürzte und einfach so beschloss: Wir brauchen nur 12 Jahre bis zum Abitur und das auch noch zentral. Wie wäre es, wenn Medien in der Lage sind Minister und bald wohl auch Präsidenten zu kippen, dass wir mal diese Kraft nutzen und Probleme lösen? Oder eine fruchtbare Diskussion über Bildungspolitik anstoßen? Ach, dass ist nicht spannend? Fragen Sie mal Jochen und was er mit seinem 3er-Abitur machen soll. Der findet das spannend!