Ich hab mal gelernt, dass Fabeln immer was mit Tieren zu tun haben. Warum eigentlich?
Schokoladeneis ist wahrscheinlich die langweiligste Eissorte der Welt. Schokoladeneis ist nicht besonders kreativ, nicht besonders anständig, aber auch nicht ungewöhnlich unanständig. Schokoladeneis ist die Vernunftentscheidung, wenn man sich nicht traut Vanille zu nehmen oder den Herstellungsbedingungen von Stracciatella misstraut. Schokoladeneis sorgt für ein Machtgleichgewicht, es verändert nicht die Gleichung und schon gar nicht das Ergebnis. Kurz: Wer sich für Schokoladeneis entscheidet, entscheidet sich für Stabilität. Den Status Quo.
Hätte man vor einem halben Jahr eine Umfrage gemacht, hätten 72% der Deutschen gesagt:
Ich mag Schokoladeneis.
Das ist ein gutes Ergebnis. Nicht Erich-Honecker-gut, aber gut. 72% legitimieren, dass auf allen „Eis“-Fahnen, vor sämtlichen Eis-Buden Deutschlands, eine Kugel Schokoladeneis abgebildet ist. Schokoladeneis ist somit das repräsentativste Eis. Das Eis des Volkes.
Es war nicht einfach da hinzukommen. Drei Mal hat man gefragt: Schokolade oder Vanille. Erst im dritten Anlauf entschied man sich für Schokolade. Komischerweise keine Bauchentscheidung. Vanille zog sich zurück, schrieb zwei Bücher und ging auf Lese- und Vortragsreise.
Doch leider bewegt sich wenig in der Welt des Speiseeis. Und es wird auf Dauer langweilig, auf dem zynischen Geschmack von Pistazie oder der tropfend-süßen-Verführung von Himbeer rumzuhacken. Also beginnt man in der Vergangenheit von Schokoladeneis herum zu wühlen. Klar: Schokoladeneis war nicht immer Schokoladeneis. Früher war es nur ein Haufen Kakaobohnen. Was wissen wir eigentlich über Kakaobohnen? Kakaobohnen sind subventioniert, haben Zuschüsse bekommen. Nicht alle diese Zuschüsse waren ganz legal, oder? Außerdem: Wie kamen die Bohnen nach Berlin und wie wurden sie Schokoladeneis? Wurde da etwa aufgestockt? Einfach so? Aus der Economy in die Business-Class? Und das Geld für die Plantage? Wo kam das her? Wurde es etwa zwielichtig geliehen, mit einem Privatkredit?
Und so starten verschiedenste Zeitungen Artikel über die Schlechtigkeit von Schokoladeneis, über seine unlautere Herkunft und besonders darüber, dass Schokoladeneis früher mal in einer Waffel mit einer anderen Kugel Eis steckte und sich dann von dieser getrennt hat. Einfach so. Geschieden. Und jetzt ist Schokoladeneis in einer neuen Waffel, mit einer ganz neuen Kugel Eis. Einer gutaussehenden Kugel. Jaha. Dieser Schuft!
Schokoladeneis war nicht immer Schokoladeneis. Es war einmal ganz anders, dreckig, gemein und böse. Es bestand aus Zutaten wie Du und Ich. Einfach so!
Und dann wird wieder eine Umfrage gemacht, diesmal mit JA oder NEIN zu beantworten:
Mögen Sie Schokoladeneis eigentlich noch? 65% sagen JA, aber 35% sagen immerhin auch NEIN, also wird weitergemacht.
Dann kommen die Eisproduzenten, die Eis-Experten und andere Eissorten zu Wort. Auch Zutaten melden sich. Alle reden über Schokoladeneis und Schokoladeneis selber weiß gar nicht wie ihm geschieht. Es dementiert, fragt sich was eigentlich los ist und dann verheddert es sich in Aussagen die es an einem hitzigen Nachmittag traf, als dummerweise einer von der PR-Abteilung von Langnese nicht ans Telefon gehen wolte.
Dann werden die Meinungen abgedruckt und allgemein entsteht der Eindruck: Eigentlich mag niemand Schokoladeneis und Schokoladeneis weiß nicht mehr was es von sich gibt. Und entschuldigt, demütig vor den anderen Eissorten und den Medien gekrochen, ist es auch nicht.
Also wird wieder das Volk gefragt und nur noch 54% antworten auf die Frage „Mögen Sie Schokoladeneis?“ mit JA. Jetzt geht es in die entscheidende Phase. Die Zeitungen lassen nicht locker. Sie überfluten das Land mit Fragen und auch gleich mit den Antworten. Braucht man Schokoladeneis überhaupt? Nein, sagt das Außenseiter-Eis Walnuss. Warum war Schokoladeneis nur so beliebt? Es hat was mit seinem langweiligen Geschmack zu tun, der ist doch doof, sagt Erdbeer-Eis und hofft insgeheim auf ein Comeback.
Und alle rufen zusammen: Es hat uns hinters Licht geführt. Schokolade ist doch langweilig. Warum haben wir das vorher nicht gewusst. Aber jetzt. Jetzt wissen wir’s und zwar zur Genüge.
Und dann, nachdem über Wochen und Monate alle Medien über die Vorwürfe und die Bonusmeilen und die Bonusmeilen der Freunde von Schokoladeneis, und die Pfennigbeträge, die Schokoladeneis einmal nicht gezahlt hat, berichtet haben … wird wieder die Frage gestellt. Und langsam haben die Menschen keine Lust mehr. Es ist Januar, draußen regnet es und eigentlich will niemand Eisessen. Und dann kippt es. Zum ersten mal sagen 53%: NEIN, ich mag kein Schokoladeneis mehr. Ich will nichts mehr davon hören. Und jetzt ist es aus. Endlich!
Die Eis-Fahnen mit Schokoladeneis werden abgesägt und Schokoladeneis klammert sich nur noch an seinen Status: „Aber ich bin doch das Eis des Volkes!“, ruft es. … Nicht mehr lange: Denn was jetzt kommt, sind Neuwahlen. Und was machen wir? Wir wählen Zitrone zum Eis des Volkes. Hellgelbes, bittersüßes Zitroneneis. Und der Typ aus der PR-Abteilung von Langnese hilft ganz kräftig.
Den Leuten von Langnese ist das nur recht. Die sitzen in Berlin und sitzen und sitzen. Brauen ihr Scheiß-Wassereis zusammen und niemand weiß was da wirklich passiert. (Nicht das Mövenpick oder Schöller besser sind, aber da weiß doch auch niemand was drin ist!)
Zitroneneis ist nicht besser als Schokoladeneis, die Zitronen kommen aus Spanien, sind massengezüchtet und mit dem Dienstwagen privat nach Deutschland gekommen. Aber das finden wir erst im nächsten Januar heraus.
Ich für meinen Teil, hab noch nie viel für Schokolade übrig gehabt. Und Zitrone finde ich zum Kotzen. Vielleicht höre ich ganz mit Eisessen auf. Obwohl? Hat ja auch Spaß gemacht … diese Schlammschlacht über Schokolade zu lesen. Hi, hi. Gibt es eigentlich Lakritz-Eis?
Schokoeise bei Florida solltest du mal probieren zum Beispiel in Berlin spandau 😉
Lg Jan