HARLEKIN POST (025) Samstagvormittag

Ich stand schon mit der „Neues Deutschland“ unterm Arm bei Tiffany’s an der Kasse. Ich las die „taz“ im Foyer einer schlagenden Verbindung in Heidelberg. Ich hab auf dem Klo einer Kommune die „Welt am Sonntag“ durchgeblättert und die Frankfurter Allgemeine zu nem Sit-In mitgenommen.
Neulich saß ich in einem Zugabteil. Ich las „die Zeit“, mein Gegenüber den „SPIEGEL“, daneben ein Mann mit dem „Focus“ und seine Freundin mit dem „Stern“.
„Die Zeit“ ist unglaublich umständlich und manchmal zäh, ganz anders als der „Stern“. Doch wenigstens fühlt man sich am Ende nicht dümmer als vor dem Aufschlagen. Der „SPIEGEL“ beschwört fast mit jeder Zeile seine Vergangenheit, verrät sie aber in angeschlossenen Nebensätzen und mit SPIEGEL TV. Der „Focus“ erscheint ohne Vergangenheit, im Nimbus des Jetzt und sieht jede Woche aus wie die letzte Ausgabe von etwas.
Ich lese gerne Zeitungen, Zeitschriften, Magazine. Ich mag es, wie Journalisten immer fast die selbe Sache in Dreiern verpacken, des Rhythmus wegen: Wulff ist arrogant, selbstgefällig und egozentrisch. Toll.
Meine Lieblingszeitung ist die Süddeutsche. SZ.
Ah … jeden Samstagvormittag schlage ich sie auf. Die Druckerschwärze, die das Deckblatt nach einer langen Reise aussehen lässt und auch so riecht.
Ich stell mir immer vor, dass irgendwo in einem Münchener Vorort eine kleine Fabrik steht. Der Druckermeister ist ein älterer Kauz, der eine von diesen Schirmmützen trägt. So eine, wie sie die Jungs hinter dem Schalter im Wettbüro in „Der Clou“ getragen haben. Ihr wisst was ich meine: Und gleich steckt Robert Redford, diesmal nicht aus „Der Clou“, sondern aus „Die Unbestechlichen“, den Kopf durch die Tür. „Die Ausgabe ist gesetzt!“, ruft er. „Du kannst loslegen, Joe.“
Ja. Ich möchte das der Druckermeister „Joe“ heißt. Und jeder Artikel ist von Woodward und Bernstein geschrieben. Ahh …
Ich hab wahrlich andere Drogen ausprobiert. Ich als „Zeitungsjunkie“.
Die „konkret“ kommt immer noch jeden Monat, obwohl ich fast keine dort gedruckte Meinung teile. Aber es hilft die eigene, pseudo-liberal-links-manchmal-mitte-Einstellung zu schärfen, wenn man weiß was im rot-roten Spektrum gedacht wird. Auf der anderen Seite … nein, die Bild-Zeitung hab ich nicht abonniert. Bild-Blog, ja. Nur ein einziges Mal hab ich mir die Bild-Zeitung gekauft: „Ufo-Sekte will Hitler klonen.“
Neulich stand in der Süddeutschen: „Der Bekannte eines Freundes des Bundespräsidenten, hat irgendwann mal jemanden auf eine Gästeliste gesetzt, ohne …“
Von wegen weit hergeholt.
Als am Ende der letzten Folge von „Star Trek: Deep Space Nine“, Commander Benjamin Sisko zu einem übernatürlichen Wesen wurde … da war mir klar: Es ist nicht so wie ich sieben Staffeln lang geglaubt habe. Und die sieben Staffeln „Star Trek: Das nächste Jahrhundert“ davor. Star Trek ist nicht das Diesseits bejahende Bollwerk gegen erlahmte Erzählstrukturen und den kalten Krieg. Dabei hatte besonders „Deep Space Nine“ in den letzten Staffeln wunderbare Gleichnisse auf den ersten Golfkrieg parat. Am Ende ist alles nur wie alles andere.
Die Süddeutsche ist nicht der Weisheit letzter Schluss, aber es wäre schön wenn sie sich noch ein bisschen mehr Mühe gäbe das zu vertuschen.
Ich liebe die Sport-Seiten am Samstag. Es gab einen großartigen Artikel über den HSV und über den 1.FC Nürnberg. Neutral, aber leidenschaftsvoll. Natürlich nerven die ewigen Bayern-Analysen. Jeder angeknackste Zeh von Breno wird diskutiert und diskutiert, aber es ist eben eine bayrische Zeitung. Und bei Bukowski störte mich das dauernde „FUCK“ ja auch nicht. Für die reine, eher unaktuelle (oder spätaktuelle) Liebe zum Fußball gibt es ja die „11 Freunde“. Was die „Beef“ wohl für Fleisch-Fetischisten ist, ist die „11 Freunde“ für alle, die lesen mögen wie man einfach nur begeistert schreiben kann. Nicht immer ganz formvollendet, aber begeistert. Da verzeiht man auch das beigelegte Stadionposter … bin ich Fünf, oder wie?
Ich wünschte es würde so etwas für Basketball geben. Die Starschnitt-Poster machen die „Basket“ zum Teenie-Magazin und für mich an der Kasse unkaufbar, die teilweise hanebüchenen Formulierungen in der „Five“ lassen mich, mich noch älter fühlen.
Es gibt eine Milliarde Fernsehzeitschriften und eine Milliarde Computerspielemagazine. Der einzige Grund sich einer Ausgabe zu nähern ist die beigelegte CD, DVD oder Blu-Ray. Die Süddeutsche hatte eine „Beste Romane“-Reihe, „Beste Krimis“, „Beste Filme“, „Beste Filme, Fortsetzung“, „Beste Kinderbücher“, „Beste Kinderbücher von Autoren mit Sechsfingrigkeit geschrieben“, „Beste Filme, Fortsetzung: Die nicht mehr ganz so besten Filme, aber trotzdem okay, die wir mit den Verleiher ausgehandelt haben, und …“. Ich meine: Reicht es nicht mehr eine Zeitung zu sein? Ich kaufe euch doch! Zwei Euro und zwanzig Cent. Und ich bezahle es gerne!
In der Computer-Bild (oh … ich hab wohl doch mehr als eine Bild-Zeitung gekauft!) bewerten sie mittlerweile andere Computerzeitschriften. Lustig.
Als Schüler hab ich lange die „Cinema“ gelesen. Bis irgendwann die Bewertungen verschwanden und man nur noch Tendenzen aus den Kritiken herauslesen konnte. Irgendwann las es sich wie die „Kino & Co“ …
Ich hab noch keine gelesen, aber ich bin mir sicher es gibt so was auch für Opern und Operetten. Ob die mittlerweile auch abhängig von den Freikarten der Veranstalter sind, und von bezahlten Ausflügen zum „Set“ und deswegen immer positiv bewerten?
Warum prangt auf dem Feuilleton der Süddeutschen (und jeder anderen Tageszeitung) ständig irgendeine Opernrezension? Und wo wir schon dabei sind: Was hat mit Tielemanns „Ring“ in Bayreuth nicht gestimmt, was ein Jahr später Nemirova in Frankfurt besser machen soll? Hm?
Darüber wird berichtet, geschrieben, gestritten.
Star Wars kommt auch wieder ins Kino, in 3D (tz!), kriegt dafür aber nicht die großen Aufmacher-Seiten. Ich meine nur … der „Ring“ ist ganz nett, aber Star Wars ist das größte Franchise der Welt! Ein bisschen mehr Ausgeglichenheit … mal ne echte George Lucas-Kritik. Ein bisschen mehr Futter. Strengt euch an, es ist Kino … anders als in die Oper, geht man da doch gerne hin … Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand beschweren würden, wenn es bald mal eine Neuigkeit weniger, aus der fi-fu-farbenfrohen Welt der Ausstellungseröffnungen geben würde. Hm?
Aber vielleicht ist das wie mit Panzern und dem Militär. Man hat seine Stimme für die anderen abgegeben, kriegt es aber trotzdem. Dafür wird Hartz IV um 5 Euro erhöht. Großartig! Weil es den Armen so gut geht!
[Kurzer Exkurs: Guttenberg schafft die Wehrpflicht ab und De Maizière spricht über Aufrüstung. Danke, Vroni-Plag … wirklich gut gemacht!]
Genauso die ständigen Artikel über Menschen in Berlin-Mitte … uragh. Nur weil ein paar (alle!) Zeit- und Süddeutsche-Journalisten dort wohnen, brauch ich mir jetzt echt nicht ne Platte über die fehlenden „Real-Life“-Fähigkeiten von noch einem arbeitslosen Mediendesigner in Friedrichshain machen. Ich hab selber Probleme. Zum Beispiel, wie ich dieses CD-Cover für diese angesagte Trip-Hop-Band auf meinem Handy designe, während ich bei Starbucks, dass Äquivalent meines Stundenlohns als Praktikant in Form eine lauwarmen Kaffees vor mir sitzen habe … apropos: Ich will mehr über die Arbeitsbedingungen wissen, unter denen mein Smartphone hergestellt wurde. Und zwar jede Woche. Jede Woche! Irgendwann kapier ich’s vielleicht und starte einen Boykott. Deep-Throated das mal! (Und ich meine nicht – – – Ihr wisst was ich meine!)
Ist es so schwer über seinen eigenen Schatten zu springen? (Such-a-Surge hatte das schon in den Neunzigern vor. Genauso wie gegen den Strom zu schwimmen. Wie das übrigens ausgegangen?)
Ich komm mir gerade vor, wie ein Junge der mit seiner Freundin Schluss macht, aber irgendwie vorher noch was loswerden will und am Ende sagt: Es liegt nicht an Dir …
Nein. Ich will nicht schlussmachen. Aber hinnehmen? Und es liegt auch an Dir …
An einer gut funktionierenden Beziehung muss man arbeiten. Beide müssen daran arbeiten.
Wenn ich mit der Süddeutschen in der S-Bahn sitze, oder am Küchentisch, in der Wartehalle des Bürgeramtes oder im Foyer des Hyatt am Potsdamer Platz. Es ist gut. Anerkennendes Nicken. Manchmal stört es mich, manchmal ist es angenehm. Manchmal wünsche ich mir stolzer darauf zu sein.

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