HARLEKIN POST (026) Stolz wie Bolle

Stolz ist eine komische Angelegenheit.

In Berlin ist man neuerdings stolz auf all die Erfindungen, die hier gemacht wurden.
(Bleibt ja auch sonst nichts: Hertha ist selbst den sonst fremdschamresistenten Hauptstädtern peinlich. Wowereit und Henkel sehen auf Fotos aus, wie der Pummel 1 & 2, die Tschibo-Jacken tauschen und nach dem Mittag zusammen Prosecco-Pause im Whirlpool machen. Und selbst auf die Berliner Polizei kann man nicht so recht stolz sein, gab es doch dieses Jahr kaum Linke zu verkloppen.)
Also werden Bücher über die Erfindungen der Berliner geschrieben und alle Käseblätter berichten mit Stolz. Bei den wichtigen Erfindungen, die Berliner gemacht haben, denkt man natürlich es geht um Dinge wie Solarzellen, den Otto-Motor oder Zwergweizen, der es der dritten Welt endlich erlaubt sich selbst zu versorgen. Eben Erfindungen auf die man stolz sein kann, wenn man schon muss. Wie naiv.
In Berlin wurde das nahtlose Kondom, Pappteller und die Ohropax erfunden. Kein Scheiß.
Eine Wegwerfgesellschaft, die ungestört und ohne Konsequenzen, reizfrei durch die Gegend vögeln will. (Die restlichen Anspielungen und Witze machen sich von alleine, oder?)
Noch ein Tipp an die BILD-Zeitung: Egal wie sehr man sich auch bemüht, der Computer wurde immer noch in Hünfeld, der Fernseher (obwohl zuerst von einem Glasgower und anschließend einem Berliner erdacht, doch) von einem gebürtigen Fuldaer in Straßburg, die Taschenlampe in England und die Straßenbahn in Lichterfelde, damals nicht Berlin, erfunden. (Oh, schade. Knapp daneben. Das nächste Mal einfach Wikipedia bemühen.)

Zurück zum Stolz.

Stolz fliegt Obama nach Afghanistan, um zu betonen, dass ein paar Adrenalin-Junkies, auf seinen Befehl hin, vor einem Jahr genau einen Saudi in Pakistan direkt ins Auge geschossen haben. (Jemand sollte ihm erklären, dass der Friedensnobelpreis kein Wanderpokal ist.)

Wir sind stolz auf Onkel Gauck, weil er nicht zur EM in die Ukraine fahren will. Nicht weil dort immer noch Kohle wie im Mittelalter abgebaut wird („Wenn der Wellensittich von der Stange kippt, heißt es rennen!“). Auch nicht weil die Ukraine auf Platz Drei der meisten Klagen beim Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg steht. (Für die 10.000ste Klage, gibt es einmal „Oppositionsführer im Knast foltern“ umsonst.) Und auch nicht, weil für die EM überall in der Ukraine streunende Hunde gejagt und erschossen wurden. Nein, weil die Ukraine, wie die meisten Staaten, ihre Gegner aus dem eigenen Land, immer noch einsperren. Siehe China, siehe Russland, siehe … ach, eigentlich alle. (Mal sehen wann man Aung San Suu Kyi wieder unter Hausarrest stellt.) Irgendwann kommen Diktaturen und Autokratien vielleicht auf den Trichter, dass Menschenrechtler, liberale Idealisten und Oppositionelle viel weniger Wirkung auf die Menschen haben, wenn man sich nicht verfolgt, tötet oder einsperrt. Dann wird es wirklich schwer für die gesättigten Kopf-Revolutionäre in deutschen Vorstädten, sich zu empören.

Apropos Stolz: Bisher war ich immer stolz auf die Süddeutsche Zeitung. Inhalt, Stil … Dann fand ich am letzten Samstag auf einer Seite eine Kurznachricht, oder wie man wohl im Zeitungsjargon sagt: „Bubble“, deren journalistische Errungenschaft war, mir als Leser mitzuteilen: Dan Aykroid mag Bahnfahren. Das wars. Dafür lohnen sich die Zwei Euro und zwanzig Cent doch.
Wenn ihr die Seiten nicht voll bekommt, spart das Papier statt Schwachsinn die Plattform einer deutschlandweiten Veröffentlichung zu geben.

Während einer Fußball WM oder EM, während DFB-Pokalendspielen oder dem Champions-League-Finale werde ich manchmal von Emotionen heimgesucht, die mir wie Stolz vorkommen.
Aber das ist es nicht. Es ist Begeisterung, vielleicht blinde Freude oder Raserei.
Aber ich bin dann nicht stolz auf mein Land.
Wenn Nazis auf einer Demo durch die Straßen ziehen und ihre Parolen brüllen dürfen, genauso wie es die Raver von der Love-Parade machen. Wenn Sarrazin einen Verleger für seine statistisch-gefälschten Ideen findet, so wie Richard Dawkins einen Verleger für seine Bücher gegen Gott. Wenn ein fundamentalistischer Imam in einer Talkshow seine verdrehte Koranauslegung lautstark verteidigt, so wie lautstark die Gegner der Gentrifizierung überall auftreten. Wenn jeder Depp seine Meinung sagen darf, fundiert oder direkt aus dem eigenen Arsch gezogen, genau wie ich, dann bin ich stolz auf mein Land.
Es ist ein scheiß Gefühl.

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