HARLEKIN POST (028) Der Niebel, der Friedrich und ich

Ich bin der Minister für das Gute in der Welt.“ Dieser Satz stammt von Dirk Niebel. Keine Ahnung wann er ihn gesagt hat, aber er wird häufig zitiert. Vielleicht ist es wie bei Nietzsche: „Wenn Du zum Weibe gehst, vergiss die Peitsche nicht.“ Soll ja ironisch gemeint gewesen sein. Allerdings ist Niebel von der FDP, und hat irgendjemand von der FDP schon mal Ironie bewiesen? Flugblatt Möllemann mal ausgenommen.
Im SPIEGEL-Interview hat Niebel zuletzt kritisiert, dass frühere Entwicklungshilfe nur selbstlos war. Sein Ansatz ist die „Zusammenarbeit souveräner Staaten“. Das ist ein Satz, den kann man sich auf der Zunge zergehen lassen muss. „Souveräne Staaten“. In Afrika! Gerade im Süden und in der Mitte. „Souveräne Staaten“… ha!
Man muss sich das so vorstellen: Eine Frau wurde Jahrhunderte vergewaltigt und geschändet. Sie hat ihre Kinder mit einer rostigen Nadel abgetrieben oder unterernährt zur Welt gebracht. Selber hat sie kaum überlebt. Dauernd davor zu verhungern. Und nun steht der Mann ganz großmütig vor ihr, in Seide und Samt gekleidet, und sagt: Ja. Er werde sie weiter schänden und vergewaltigen, dafür gibt er ihr allerdings ein kleines Haushaltsgeld. Wie nett.
Ersetze Mann mit Deutschland oder fast jeder anderen, westlichen Demokratie und Frau mit Afrika.
In diesem untertriebenen Gleichnis steckt noch viel mehr: Wie werden wohl die unterernährten, nicht-abgetriebenen Kinder irgendwann drauf sein? Wie sind die ihrem „Vater“ gegenüber eingestellt? Und wir wundern uns, dass die Muslimbruderschaft kein Kegelklub ist.
Das tolle an „souveränen Staaten“ ist auch: Die müssen nachher, wenn die Rohstoffe aus sind und die Kinder vor lauter Blut an den Händen keine Steine mehr für deutsche Fußgängerzonen mehr kloppen können, dann ganz „souverän“ mit den Folgeproblemen alleine klarkommen.

Boah ist das ein schlimmes Thema. Soll ich jetzt noch was über Frontex und Hans-Peter Friedrich schreiben? Was raus ist, ist raus, wa?

Der aktuelle Bericht des UNHCR zählt 571000 Flüchtlinge in Deutschland. Wow. Mehr als ne halbe Million: Man könnte ne ganze Stadt mit Flüchtlingen füllen. Zum Beispiel: Hannover.
Wer will da schon wohnen. Deutsche jedenfalls nicht. Trotzdem: Hannover ist vielleicht die hässlichste Stadt dieses Landes, aber besser als die Lager oder Aufbewahrungszellen und Gefängnisse, in denen viele Flüchtlinge zur Zeit sitzen, allemal.

In Punkto Anzahl der aufgenommenen Flüchtlinge führt Deutschland die Industrieläner ungeschlagen an. Bravo. Wobei: „Aufgenommen“ ist immer so ein schwieriges Wort. Bayer Leverkusen hat Michael Ballack auch „aufgenommen“ … aber wirklich „angenommen“ oder „angekommen“ ist er dort auch nicht.
Komisch wird es, wenn wir uns die Flüchtlinge in Nicht-Industrieländern angucken: Pakistan nimmt mehr als drei Mal so viele Flüchtlinge auf (1,7 Mio). Okay. Haben auch doppelt so viele Einwohner. Allerdings ist ihr BIP auch nur ein Sechsunddreißigstel von unserem. Wir könnten also ein paar mehr Flüchtlinge gut stemmen. Und eigentlich könnten wir ihnen auch mehr als nur rattenverseuchte Baracken zur Verfügung stellen. Für die Umrüstung der BER-Flughafens zahlen wir doch auch …
Stattdessen schicken wir eine Söldnertruppe los. Frontex. Klingt wie ne Salbe gegen Schweißfüße. Die schüchtern ein, schicken zurück und schießen im Notfall auch für Europa an den Flüchtlingsstromangelpunkten dieses Kontinents.
Diese Kinder, nicht-abgetrieben von einer von uns vergewaltigten und geschändeten Mutter, schafften es also nach Horror, Krieg und Flucht auf ein wackeliges Floß, harren wochenlang aus und werden dann mit vorgehaltener Schnellfeuerpistole wieder zurück geschickt. (Hach. Da kann ich heute und Sonntag wieder voller Stolz für mein Land bei der EM im Menschenrechtsparadies Ukraine jubeln!)

Das alles ist nicht neu. Frontex gibt es seit 2004 und unser Innenminister Friedrich meinte erst kürzlich, aber zum wiederholten Male: „wir können unseren Wohlstand nicht teilen mit dem Rest der Welt.“ Mal ehrlich: Unser Wohlstand?
Meint er Geld, oder was? Geld haben wir doch noch nie mit den Ärmsten geteilt. Deswegen wird bei Hartz IV auch über Centbeträge gestritten. Weil man anderorts lieber nen Panzer mehr kauft.
Oder meint er Land? Gilt es Hannover vor den Flüchtlingen zu verteidigen? Irgendwo im, von Landflucht gebeutelten, Osten ist bestimmt noch ein Fleckchen frei. Da können die gerne hin.
Unseren Wohlstand allerdings, kann man nicht aufteilen oder zerteilen. Der Wohlstand, weswegen Flüchtlinge hierher kommen, hat nichts mit Geld oder Raum zu tun:
Seit 1945 gab es in diesem Land viel: Terrorismus von Rechts, von Links. Aufmärsche. Anti-Atom-Demos. Wetten dass und Dallas. Es gab technologischen Fortschritt und gesellschaftlichen Aufbruch. Wir haben eine Piratenpartei, die gerade anfängt ihre ersten Gehversuche hin zum Spießertum zu machen. Wir haben ekelhafte Fleischbeschau „by Heidi Klum“ und bald ein neues philosophisches Quartett mit Richard David Precht. Wir haben Zauberfußball von Özil und Schauder-Comedy von Cindy aus Marzahn. Beides mit guten Einschaltquoten.
In diesem Land gibt es alles. Das ist kein Heilsversprechen, aber DAS ist unser Wohlstand. Und zwar weil wir eines nicht mehr haben: Krieg. Ganze 67 Jahre nicht mehr. In dieser Zeit war immer irgendwo auf der Welt Krieg, aber nicht bei uns.
Deswegen flüchten die Menschen und deswegen wollen sie zu uns.
Unser Wohlstand ist „von Braun, Brecht, Bohlen und Bratwurst“ für jedermann, ohne dabei beschossen zu werden. Jedenfalls nicht innerhalb des Landes. Und nicht, wenn man die richtigen Papiere hat.
Das hat grundsätzlich nichts mit Geld zu tun. Oder glauben wir etwa, dass ein bisschen Förderung, gute Behandlung von Flüchtlingen, etwas mehr Entwicklungshilfe, ohne weiter ein Land auszubeuten, etwa in einer globalisierten Welt nicht irgendwann positiv zurückkommt? Und auch wenn nicht: Immerhin haben wir Karma-Punkte gesammelt. Und was haben wir verloren? Ein bisschen Geld? Media-Markt bietet dann immer noch Flachbildschirme im Ratenkauf an. Teppiche aus Afghanistan braucht man nicht verzollen, bei zweitausendeins gibt es die Gesamtausgabe Joseph Roth für Fünfzehn Euro und die nächste Staffel „Das Supertalent“ kommt bestimmt.
Wovor haben wir eigentlich Angst? Macht die Türen auf, es wird stickig.

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