HARLEKIN POST (037) Shit. Ich mag den Scheiß.

Als ich in der Schule war – so ungefähr Mittelstufe – las die Parallelklasse im Deutschunterricht Sibylle Bergs Erstling „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“.
Während in meiner Klasse Effi Briest durchgenommen wurde, las ein Viertel meines Jahrgangs ein Buch, erschienen 1997.
Da es aber einen regen Austausch im Jahrgang gab, und ich in den 5-Minuten- und der „Großen“-Pause Gespräche über dieses komische, nicht-klassische Buch mitbekam, lieh ich mir eine Ausgabe aus.
Das Buch war gut. Wirklich gut. Es ist gegenständlich geschrieben, was immer das auch genau heißen mag (aber es stimmt). Die Geschichte, bzw. das Kaleidoskop der Geschichten die im Buch angerissen werden, handeln von alltäglichen Dingen und doch vom Großen-Ganzen! Es geht um Einsamkeit. Ich mag dieses Thema. Einsamkeit bewahrt uns vor dem Wahnsinn des „Zuviel“. Alleine sein ist wichtig. Es regelt die Selbstwahrnehmung, lässt uns auf uns hören.
Einsamkeit ist anstrengend, bitter und kommt mit einem ewigen Kampf, die Einsamkeit wieder loszuwerden. Es ist ein guter Kampf.

Sibylle Berg schreibt mittlerweile für SPIEGEL ONLINE. Eine Kolumne. Natürlich. Weil „echte“ journalistische Arbeit zu anstrengend wäre. Weil der Kommentar, der kleine Bruder von allem ist – ich weiß wovon ich rede. Der Kommentar ist das Kompensat der Einsamkeit von einsamen Menschen. (Oh ja. Das will ich auf einem T-Shirt!)
Nun hat Sibylle Berg über Katja Riemann geschrieben. Über den Aussetzer von Riemann in einer Talkshow und darüber das die Medien ja etwas hassen müssen. Hassen für die Masse. Weil die Masse sich empören, aufregen und den Kopf schütteln will. Weil die Masse neidisch sein will. Neidisch ist.
Was für ein gequirlter Scheiß. Natürlich wollen wir uns aufregen, natürlich sind wir neidisch. Wir alle, auf alle.
Der erste Schritt eines Menschen, aus der Höhle heraus, war ein forschender Schritt: Was ist hinter dem nächsten Hügel? Warum geht die Sonne unter? Was sind das für Punkte am Nachthimmel? Und natürlich auch: Warum hat der da Feuer und ich nicht? Das will ich auch! Warum wohnt der in einem Zelt und ich nur in einer dreckigen Höhle? Das mach ich jetzt auch!
Wir sind neidische Wesen. Ich bin kein Pessimist, aber wir sind alle von Neid getrieben. Wahrscheinlich war es Neid, der Katja Riemann ein „Star“ werden lies. Und „Neid“ ist es, der sie ein Star sein lässt. (Was ist das überhaupt: Ein „Star“? Klingt so wie ein Schimpfwort. Keiner will ein „Star“ werden, oder? Und wenn ja, hat er es doch verdient dafür gehasst zu werden. Jedenfalls sollte ihm das klar sein. Es schwingt im Titel mit. So wie „Models“. Kann ich auch nicht leiden.)
Nur weil die „Masse“ neidisch ist, kriegt Katja Riemann die Gagen, die sie bekommt. Und jetzt ist das schlecht?
Darstellende Künste sind nun mal darstellend, sonst würde Riemann zuhause sitzen und für sich alleine spielen. Wenn ich schreibe und es nicht veröffentliche, nicht blogge oder Bücher schreibe und Verlage finde die es drucken, dann kann dass Kunst sein. Aber es ist keine darstellende Kunst. Für die Darstellung brauche ich das Publikum, egal wie groß es auch sein mag. Dies ist der Vertrag.
Der Fernsehmonteur montiert. Das ist sein Job. Dafür wird er bezahlt. Der Darsteller, stellt dar. Darstellen heißt: Er stellt sich dem Publikum (cleverer Wortwechsel, ha?). In all seiner Form.

Sibylle Berg hat auch Til Schweiger erwähnt. Die Medien hassen Schweiger, hat sie geschrieben. Alle hätten ihn abgeschrieben, würden ihn vorverurteilen. Lange bevor sein Tatort ausgestrahlt war, war das Urteil bereits gedruckt. Vernichtung. Hass.
Das stimmt. Zum Teil. In einem SPIEGEL ONLINE Interview, vor zwei Wochen veröffentlicht, kann man die Wut des Interviewers gegen Schweiger praktisch spüren. Immer wieder die gleichen, quasi-provokativen Fragen. Immer wieder nur Anspielungen, eigene Meinungen und kein Funken journalistischer Finesse. Wenn ich mit einem afrikanischen Warlord spreche, erwartet niemand dass man sich nur über das gute Wetter unterhält, aber Til Schweiger ist kein Warlord. (Gut das ich das nochmal festgehalten habe.) Christian Buß behandelt ihn aber wie einen. Mit Ablehnung von der ersten, ungelenken Frage an. So führt man kein Interview. Jedenfalls keins, welches jemand lesen will. Andererseits: Wer führt heute noch gute Interviews? (Kürzlich war in der, von mir so geliebten, 11 Freunde eine absolute Zeitverschwendung von einem Interview (mit Marko Arnautovic) zu lesen. Christoph Biermann hat sich da wirklich nicht mit Ruhm bekleckert. Keine einzige Information, nicht mal annähernd unterhaltsam waren die Fragen und Antworten. Den mutmaßlichen „Bad Boy“ reduzierte Biermann alleine auf ein schmales Image. Mit den vier Seiten Papier hätte man auch Besseres anstellen können! Erster Tadel! Setzen, drüber nachdenken, nicht noch einmal machen.)
Eigentlich gab es doch mal ne gute Interview-Kultur: Über eines der legendärsten Interviews (Frost/Nixon) wurde sogar ein Film gedreht. Ein guter Film.
Zurück zu Sibylle Berg.

Ja. Es gibt eine Vorverurteilung von Til Schweiger. Aber das macht dem doch nichts aus. Millionen Deutsche rennen in Kokowääh 2, oder kaufen die DVD von Männerherzen. Und das ist gut. Besser als die neue „Big Mamas Haus 6“-DVD zu kaufen, oder? (Auf jeden Fall ist es nicht schlimmer.)
Kommerzieller Erfolg ist Anerkennung. Wozu braucht Schweiger da noch die Anerkennung von den Kritikern und den Wenigen, für die diese Kritiker sprechen? (Und ich wette Schweiger denkt ähnlich.)
Wer sich für den Beruf des Schauspielers entscheidet, entscheidet sich für die Darstellung. Er weiß: Seine Gage kann nur dann gezahlt werden, wenn jemand zusieht wie man spielt und dafür bezahlt. (Soweit waren wir schon.) Und zum Spiel gehört auch das Interview. Wer sich im Interview daneben benimmt kriegt eben in den Medien auf die Fresse.
Und wenn ich meine „daneben benimmt“, meine ich nicht: Mal „Scheiße“ oder „Ficken“ sagen, rülpsen oder die falsche Krawatte tragen. So was verzeiht sogar die Meute, die wir heute so nett „Social Web“, „Social Media“ und ganz allgemein „Internet“ nennen. Ich meine wirklich über die gesamte Distanz verkacken. So richtig. Mit Ansage. So wie es Katja Riemann getan hat. Und dabei auch noch deutlich zeigen: Ich hab keinen Bock!
(Wenn mein Sohn so lustlos und bockig Basketball spielen würde, nachdem ich extra am Sonntagmorgen um halb Neun aufgestanden bin, ihn ins Auto gepackt habe, um bis nach Buxtehude zu fahren, nur um ihn dann vollkommen aggro und als quasi nicht-existenten Flügelspieler auf dem Basketballfeld zu sehen, dann sag ich auch zum Trainer: „Wechsel ihn aus!“ Und zu Floris-Maximilian-Henri Jr.: „Alter! Reiß Dich zusammen. Große Scheiße war das. Ein bisschen mehr Einsatz. Vorhin hat Dich ein Mädchen geblockt. Ein Mädchen! – Oder sieht dieser übergewichtige Junge nur aus wie ein Mädchen? Mit den langen Haaren und dem spitzen, aber Doppelkinn?!? Ich kann das nicht unterscheiden, nicht in dem Alter und nicht bei dem Bauchumfang. Auf jeden Fall hat er Dich geblockt. Verdammt. Geblockt. Zwei Mal! Springen, werfen. Ist das so schwer. Setz Dich auf die Bank. Reiß Dich zusammen. Im dritten Viertel will ich wenigstens ein bisschen Begeisterung sehen. Und wenn Dich das dicke Jungen-Mädchen-Whatever dann blockt. Ist das okay. Aber SO nicht!“)
Wie auch immer: Man kann mit den falschen Fragen eines Interviewers auch anders umgehen. Kürzlich gesehen bei der Post-Oscar-Pressekonferenz von Jennifer Lawrence. Komische Fragen, gute Antworten. Und witzig.
Und Katja Riemann ist doch witzig. Kann sie jedenfalls sein. Sie ist eine großartige Schauspielerin. Brilliert in Nebenrollen, genauso wie in Hauptrollen. Neulich erst in die „Relativitätstheorie der Liebe“ und „Türkisch für Anfänger“. Warum muss man sich da so wundern, wenn man ein Interview verhaut und dann dafür bluten muss. Dann eben kein Interview geben. Geht auch. Kein Bock, kurze SMS – Absage. Und die Sendung findet ohne sie statt. Niemand interessiert sich dafür.

Schauspieler und „Stars“ (buah!) begeben sich auf die Autobahn, die das öffentliche Interesse ist, und versuchen Fahrt aufzunehmen. Sie fahren entweder beständig auf der rechten Spur, versuchen geduldig voran zu kommen, ordnen sich ein. Oder sie überholen ab und an, beweisen Weitsicht. Einige rasen auch, dabei erregen sie natürlich Aufmerksamkeit, werden als rüpelhaft betitelt, aber da sind sie schon weitergefahren (siehe Vettel!). Außer sie bauen einen Crash. Aber kein Autofahrer, der mit 220-Sachen in die Kurve geht und dann aufm Acker landet, beschwert sich hinterher über die Autobahn!
Wenn ein Kritiker Til Schweiger ans Bein pissen will ist das ungefähr so, als würde ein Fiat Punto einen Panzer abdrängen wollen. Nicht die beste Idee des Puntos. Der Panzer rollt so oder so weiter. (Passendes Bild für den Schutzengel Schweiger!)

Apropos Schweiger: Ich hätte ein Interview mit ihm wahrscheinlich anders geführt. Hätte ein paar anerkennende Zahlen zu seinen Filmen herunter gebetet, seine Erfolge betont, bevor ich gefragt hätte: Warum lassen sie nicht alle Journalisten zu Premieren ihrer Kinofilme zu? Haben Sie Angst, oder einfach keinen Bock? Und warum muss ihre Tochter immer ihre Tochter spielen? Sehen sie als Vater überhaupt wie schlecht sie spielt? Und warum liegen sie in jedem Film mit ihr im Bett? (Die letzte Frage nur so als Provokation. Aber ist das noch jemandem aufgefallen? In jedem Schweiger-Film liegt er irgendwann neben seiner Tochter im Bett und philosophiert über irgendwas…)
Wenn das dann vorbei wäre, und mir Til Schweiger die Fresse poliert hätte, würde ich noch etwas zugegeben:
Wie sehr ich mich auch über fehlende Plot-Points, eine saubere Geschichte oder die ewigen Zeitlupen bei „Schutzengel“ aufrege; Wie sehr ich auch seine Tochter untalentiert und schrecklich in ihren Rollen finde; Und wie sehr ich sein diktatorisches Gehabe hasse – hasse wie die Masse, oder jedenfalls die Medien – so sehr unterhalten mich seine Filme doch. Filme mit ihm und von ihm. Seine jüngeren Filme sind toll abfotografiert und immer wieder lustig und gut besetzt. (Und ich kann es irgendwie anerkennen, dass er auch stets seine Freunde besetzt … abgesehen von seiner Tochter. Gab es da wirklich kein Mädchen das besser war? Familie und Freunde besetzten, gut und schön, aber: Spielen sollten sie schon können.)
Zu meinen deutschen Lieblingsfilmen wird immer „Knockin’ on Heavens Door“ gehören. Danke dafür Til Schwieger. Schutzengel 2 guck ich mir wahrscheinlich nicht an, aber so sicher wie ich den nächsten Fast & Furious gucke, mit „Mass Effect 3“ die Nächte verbringe (sobald ich meinen PC aufgerüstet habe, damit dieser Grafikspeicher-Fresser läuft) oder mich an Sibylle Bergs Kolumne auf- und abrege, so sicher guck ich auch den nächsten Tatort mit Til Schweiger. Und bin neidisch: So nen Film will ich auch mal machen. Schöne Bilder und Explosionen. Mit mehr Geschichte drin und so, natürlich. Aber … ich will auch.
Shit. Ich mag den Scheiß.

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