HARLEKIN POST (040) The World Needs Supermen

Momentan läuft „Iron Man 3“ im Kino. Bald kommt „Man of Steel“ raus und irgendwann dann auch der neue „X-Men“-Film. Superheldengeschichten häufen sich. Und jeder Superheld hat seinen Superschurken. Eine Nemesis, einen Gegenspieler.
Im aktuellen Iron Man ist es der Mandarin. Was sich wie eine Fanta-Sorte anhört ist tatsächlich ein Terrorist und einer der klassischen Marvel-Superbösewichte.
Ich möchte eine kleine Geschichte eines anderen Superbösewichts erzählen. Vielleicht nicht so bekannt wie der Mandarin, aber er steht ihm im „Bösewichtsein“ in nichts nach.
Das Licht im Kino wird gedimmt. Der Vorhang öffnet sich und der Projektor startet:
Die Weltkugel rollt ins Bild – das Orchester spielt auf – Universal Pictures. Kurz Schwarz, dann die erste Szene:
Auf einer Farm in Nordamerika (wir könnten hier auch Hochebene in Indien, in Südamerika oder in Mecklenburg-Vorpommern (wo es weniger Hochebenen, dafür aber mehr Tieflandschaften gibt) sagen). Der Farmer steht an einem sonnigen Morgen am Traktor und will gerade raus aufs Feld. Er muss sich um die Ernte kümmern. Die Tage werden schon wieder kürzer.
Da fährt ein grauer Mittelklassewagen auf sein Grundstück. Eindeutig ein Mietwagen. Wo kommen die Leute her? – Zwei Männer steigen aus. Schwarze Anzüge. Sie fragen den Farmer ob er der Eigentümer sei. Er nickt. Dann weisen sie sich als private Ermittler aus. „Ermittler für wen?“ Keine Antwort. Stattdessen: „Sie haben doch nichts dagegen wenn wir uns umsehen, oder?“ „Doch.“ „Warum? Haben Sie etwas zu verbergen?“ „Nein, aber – – -„ „Na dann.“
Nach kurzem hin und her machen die privaten Ermittler klar: Der Farmer bekommt Probleme, wenn er ihnen keine Einsicht in seine Unterlagen gewährt. Sie wollen doch nur sichergehen dass er keine Patentrechte verletzt hat.
„Patenrechte? Ich baue Mais an.“ „Die Patenrechte unseres Auftraggebers.“ sagt einer der Ermittler mit felsenfester Stimme. „Wie bitte?“ „Haben Sie etwa noch nie von … Monsanto gehört?“ (Kamerafahrt auf das Gesicht des privaten Ermittlers. Die Musik schwingt sich auf.)
Der Farmer schaut sich um, Reißschwenk, dann zoom in seine Lagerhalle: Säckeweise stapelt sich hier das Monsanto-Saatgut. Der Farmer schluckt. Abblende.

Bevor wir in die Gegenwart zurückkehren und unseren Superschurken auf seinem Höhepunkt erleben, folgt eine kurze Montage der Vergangenheit. (Mit Saxophon unterlegt. Langsame Zooms auf alte Fotos, Überblendungen. Eben der typischen Rückblick-Schnickschnack. Dazu vielleicht eine tiefe Erzählerstimme. So in die Richtung Götz George, oder der Cowboy aus Big Lebowski.)
1901 wird Monsanto in St. Louis geboren. Er stellt zuerst Saccharin her und verkauft dieses an die Coca-Cola-Company. Saccharin gilt als zweifelhaftes Produkt. Es gibt Studien die ein Gesundheitsrisiko nicht ausschließen. Monsanto will davon nichts hören. Die Produktion läuft weiter.
1907 wird der Pure Food and Drug Act eingeführt: Saccharin als Zugabe in Lebensmitteln wird verboten. Monsanto steht vor dem Aus. Mit dem Rücken gegen die Wand entscheidet sich der junge Konzern das Gesetz zu brechen. Die Regierung mag Saccharin für gesundheitsschädlich halten, doch dies stört nicht. Mit seinem Kumpel, Coca-Cola, wird weiter Saccharin in die Cola gepumpt. Der Weg zum Schurken wird eingeschlagen.
Als 1924 die Regierung vor Gericht scheitert ist der Weg frei. Die Studien sind nicht eindeutig. In Hinterzimmern besticht Monsanto Experten und fälscht Unterlagen. Heute kann immer noch kein direkter Zusammenhang zwischen Saccharin und Krebs hergestellt werden. Noch nicht. (Die Szene endet mit einem Foto von Monsanto: Ein leichtes Lächeln um die Mundwinkel ist dem jungen Kerl von damals schon anzusehen. Hinter seinen Augen funkelt der gerade geborene Bösewicht!)

Dann kommt der Vietnamkrieg. Und Monsanto trifft auf seinen Mentor, den Ober-Superschurken. Den Lehrmeister: Das amerikanische Militär.
Das Pentagon hat Schwierigkeiten gegen den Vietkong aus der Luft vorzugehen. Der Dschungel ist zu dicht. Also schmiedet man einen teuflischen (und vollkommen bekloppten Plan): Entlaubung.
(Wie bitte? Ja, ja. Noch mal? – ENTLAUBUNG. Ent-Laubung! Die Entfernung von Blattwerk aus den Bäumen, um bessere Sicht auf Bodentruppen zu bekommen. Klingt das nicht vollkommen bescheuert? Wie aus einer Folge „Pinky und Brain“, oder? Ist aber so geschehen. Hat natürlich nicht funktioniert. Jedenfalls nicht so wie beabsichtig.)
Um die Entlaubung zu betreiben, braucht das US-Militär ein Herbizid. Monsanto (bekannt für ätzende Substanzen!) entwickelt also Agent Orange. Was für ein großartiger Tag! Während der Herstellung wird Agent Orange mit TCDD verunreinigt. Die Herstellung muss schnell gehen, und Sicherheitsmaßnahmen sind teuer.
Viele hunderttausende Bewohner und noch mehr US-Soldaten erkranken irreversibel, durch die Wirkung von Agent Orange. Eine Katastrophe. Oder?
Doch es gibt nichts, was Monsanto nicht mit Geld regeln kann:
Sieben Firmen lieferten Agent Orange. Diese Firmen zahlen auch in einen Entschädigungsfond ein. 3788 Dollar pro Person. Insgesamt 180 Millionen Dollar, verteilt auf sieben Unternehmen. Schon 1955 hat Monsanto alleine einen Jahresumsatz von 632 Millionen Dollar. Monsanto zieht sich also ohne Schäden aus der Affäre. In den Entschädigungsfond wird aus der Portokasse eingezahlt.
Der Aufstieg zum Superschurken ist geglückt. Nun kann Monsanto niemand mehr aufhalten. Monsanto wächst und wächst. Der Superschurke wird global.

Was folgt sind dutzende Gerichtsprozesse. Monsanto besticht z.B. 140 indonesische Regierungsbeamte um Umweltkontrollen zu unterlaufen. Die Strafe: 700 tausend Dollar. (Noch mal: 700000 … das ist alles!)
Dann kommt Monsanto mit Gen-Technik in Kontakt.
Jetzt sind wir in der Gegenwart. Monsanto hat ein riesiges Imperium aufgebaut. Unternehmen aus allen Bereichen wurden aufgekauft, zwischenzeitlich Ölförder-Betriebe (mittlerweile wieder verkauft) und vor allem Agrarmittelproduzenten. Der Netto-Jahresumsatz liegt bei 1,66 Milliarden Dollar.
Und nun kommt die Gen-Technik. Besser gesagt: Gen-Manipulation von Feldfrüchten.
Und dieser Teil ist jetzt wirklich komplett aus dem Superschurken-Handbuch:
Monsanto hat erkannt das die Menschen immer eine Sache tun müssen: Essen. Wer Nahrung kontrolliert, kontrolliert die Menschen. (Das hätte auch Lex Luthor nicht besser beschreiben können!)
Und Nahrung sind Agrarerzeugnisse. Selbst wenn die Menschen Fleisch essen, muss dieses Fleisch (respektive die Tiere von denen es kommt) ja mit irgendwas gefüttert werden. Und Monsanto hat sich nicht dem Agrarsektor zugewandt, weil es die Menschheit ernähren wollte. Das war keine humanitäre Entscheidung. Monsanto hat erkannt: „Wenn die Menschen immer essen müssen, kann man mit Nahrung immer Geld verdienen. Aber selbst Nahrung herzustellen, anzubauen ist zu kompliziert. Ich verkaufe jetzt Saatgut! … Und wie stelle ich es an das jeder Saatgut bei mir kaufen muss? – Mit Gen-Manipulation, Motherfucker!“

(Nur so als kleiner Einschub: Gen-Manipulation betreiben Forscher und Farmer seit langer Zeit. Und grundsätzlich ist dagegen nichts einzuwenden. Gen-Manipulation ist auch die Zucht, die Kreuzung von Saatgut. Anpassung eben, Verbesserung. Der Friedensnobelpreisträger Norman Borlaug entwickelte in den 40er Jahren für das amerikanische und das mexikanische Agrarministerium, zusammen mit gemeinnützigen Einrichtungen, verschiedene, verbesserte Weizenarten. Mit seiner Hilfe konnte die Weizenproduktion Mexikos und die Ernteausbeute in Indien verbessert werden. Hundertausende Menschen sind dank ihm nicht verhungern. Merke: Staatliche Behörden & gemeinnützige Einrichtungen! Nicht: Großer, am Gewinn orientierter Konzern. Das nennen ich mal: „Mit Gen-Manipulation, Motherfucker!“)

Monsanto schwingt sich also zum größten Lieferanten für genverändertes Saatgut auf. Und warum ist das Saatgut genverändert? … Und warum sollte ich das als Farmer kaufen?
Weil dieses Saatgut hitzeresistenter und kälteresistenter als das normale, alte Saatgut ist. Nicht viel, aber gerade genug damit man „Neu!“ auf die Packung schreiben kann.
Und dann, wenn alle Farmer und Bauern das neue, „bessere“ Saatgut von Monsanto gekauft haben, geht der teuflische Plan auf:
Monsanto knüpft nämlich Verpflichtungen an den Kauf vom neuen Saatgut: Der Farmer darf nicht die Keimlinge vom letzten Jahr auf seinem Feld aussäen, er muss sich neues Saatgut von Monsanto kaufen. Jedes Jahr. Dazu verpflichtet sich der Farmer beim Kauf des Monsanto-Saatguts. (Wir erinnern uns an die privaten Ermittler aus der Eingangs-Sequenz!) Und das neue Saatgut muss er kaufen, weil es alle anderen Farmer auch benutzen. Und deren Ernte fällt sonst besser aus. Er will nicht zurückfallen, also …
Außerdem ist das Saatgut von Monsanto unfruchtbar. Keimlinge von diesem Saatgut können also nicht nächstes Jahr wieder gepflanzt werden. Jedes Jahr neues Saatgut … mit neuen Features … wieder etwas teurer. So macht Monsanto die gesamte Agrarwirtschaft von sich abhängig.
Das ist ein bisschen so wie es Heroindealer machen: Der erst Schuss ist fast umsonst. Die Nächsten dann nicht mehr.

Das ist der Punkt an dem der Superheld im Film spätestens auftauchen sollte. Aber wirklich allerspätestens. Eigentlich ist es hier schon zu spät. Monsanto kontrolliert die Welt … da braucht es schon die Avengers um das wieder gerade zu biegen.
Leider sind die Avengers Filmfiguren. Nicht real. (Abgesehen von Hawkeye. Aber ganz ehrlich: Hawkeye kann gegen Gen-Saatgut soviel ausrichten, wie der Hulk gegen Mundgeruch.) Monsanto steht aber, als Basis von hunderttausenden Lebensmitteln, wahrscheinlich in jeder Küche dieses und fast aller anderen Länder dieser Erde.

Und wer soll nun gegen den Superschurken antreten? Monsanto ist ein genmanipulierender, Gerichtsurteile niederkämpfender, Herbizide vergiftender Riese. Ein echter Megaböseweicht. Wer soll was gegen diesen Konzern ausrichten?
Die UNITED STATES SECURITIES AND EXCHANGE COMMISSION etwa? (Die versucht es immerhin.)
Ich hätte nichts dagegen wenn der Film sich nach dem furchtbaren und hoffnungslosen Anfang in einen Handlungszweig mehrerer, engagierter Ermittler stürzt. Sie arbeiten unnachgiebig und krempeln ihre Hemdsärmel bildwirksam hoch. Diese alltäglichen Helden kämpfen und triumphieren am Ende im Gerichtssaal. Und während der Abspann schon läuft, eine Montage von Bildern: Auf der ganzen Welt werden Monsanto-Produkte eingezogen und zurück gerufen, Firmenschilder werden abmontiert und die Verantwortlichen wandern in den Knast. (Ende.)
Leider wird der Film so nicht enden.
Monsanto bekam in seinem letzten Verfahren eine Strafe von nur 1,5 Millionen Dollar. Eins Komma fucking fünf Millionen Dollar. Das ist nischt. Nada. Ein Witz. Niemand wurde gefeuert, niemand ging in den Knast. Der Konzern, der Superschurke hat nicht einmal gezuckt.

Deswegen rollt der Abspann nicht nach dem Triumph des Helden, sondern nachdem der Schurke die Welt als Geisel genommen hat. Und aus lauter Frust, weil keiner sich für die verschissenen Geiseln interessiert, wird eine Geisel nach der anderen umgebracht.
Und nächste Woche kommt der nächste Teil. (Wenn so etwas am Sonntagabend im Fernsehen laufen würde, die Zuschauer würden vor Angst erstarren, und dann schnell die letzte Staffel How I Met Your Mother auf DVD rauskramen, um sich der Realität nicht stellen zu müssen.)
Und es gibt viele Superschurken die auf ihren Film warten. Die ihren Film schon leben:
In „Superschurke II: Dark Water“ lernen wir den Fiesling Nestlé kennen. Er übernimmt mehr und mehr Süßwasserquellen auf der Erde und zapft afrikanischen Dörfern ihr Grundwasser weg, um es in Flaschen zu füllen und an die Reichen zu verkaufen.
In „Superschurke III: Wings of No Liberty“ wird dann Red Bull vorgestellt. Dann IKEA, Google, Amazon, Apple, Nokia, Facebook, Microsoft, Unilever …
Jede Woche ein anderer Superschurke, gleiche Handlung. Gleiches Ende!

Eigentlich ist das Problem nicht das die Helden fehlen, sondern das die Superschurken leider keine Schurken sind. Es sind Unternehmen. Und Unternehmen können als einziges Ziel ausgeben: Mehr Gewinn. Koste es was es wolle. Jeder akzeptiert das.
Ein Unternehmen kann man nicht einsperren, nicht in einem Showdown niederringen und nicht in seiner geheimen Basis, einem ausgebrannten Vulkan, aufspüren. (Nein. Unternehmen haben riesige Firmenzentralen. Direkt in der nächsten Großstadt … und mein Onkel arbeitet da, oder meine Schwester, oder ich.
Fuck. Wir sind die Superschurken! – Guter Twist fürs Ende!)
Ein Unternehmen kann man nicht in die Fresse schlagen, auch wenn man das manchmal will. Deswegen wird das Franchise von Superschurkenfilmen noch eine ganze Weile weiterlaufen. Teil 2, und 3, und 4 … und auch in 3D. Und wir sind die Zuschauer. Ohne das wir was dagegen machen können. Wir lösen die Tickets, wie Zombies. Wie wollen wir das nur aufhalten?
„Mit Gen-Manipulation, Motherfucker?“
Schön wär’s.

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