Block 2

5.11. (Map of your Head)
Ich saß im Bus heut’ Hinten. Normalerweise setze ich mich da nicht hin. Nicht wegen der Bedeutung (siehe: Dieser tolle Film von diesem engagierten Science-Fiction-Regisseur mit dem komischen Namen). Ich sitze nur normalerweise irgendwo in der Mitte. Am Fenster, ja, aber eben in der Mitte. Heute nicht. Heute war der Bus leer als ich einstieg. End- beziehungsweise Anfangshaltestelle. Also setze ich mich nach Hinten. Stöpsel rein und losgehört. Irgendwann fuhr der Bus auch los. Eine Station, zwei Stationen … dann stieg ein recht kahlköpfiger Typ in Bomberjacke und mit einer dünnen Aktenmappe ein und setzte sich neben mich … an die andere Seite von Hinten. Zuerst hab’ ich natürlich nichts gedacht. Mein Gott, ein typischer Glatzkopf. Ein bisschen türkisch sah er aus. Aber, Hey. Soweit gehen unsere Vorurteile doch. Entweder Glatze oder so wie Gel in den Haaren, dass es kaum noch Haare sind die da stehen. Immer schön maskulin und gefährlich aussehen. So denken wird doch. Manchmal denke ich doch so? Was mich an dem Glatzkopf neben mir schon verwundert hat, war die ruckartige Art mit der er sich bewegt hat. Dann hat er auch noch dauernd seinen Kopf im Kreis gedreht, so als hätte er eine Verspannung im Nacken oder einen steifen Hals. Und er sah sich dauernd um. Fuhr da etwa jemand hinter uns? Dann begann er zu telefonieren. Ich hab’ Musik gehört und nichts verstanden, aber irgendwas war laut. Laut und unzufrieden. Ein bisschen ist das ja auch normal für Türken. Denken wir doch. Dachte ich. Plötzlich fiel mir ein: Die Haltestelle an der er zugestiegen ist, ist die Haltestelle der JVA. Warum hatte er noch mal diese Akte dabei? Entlassungspapiere? Was stand’ da auf seinem Pullover? Das hatte ich doch bestimmt gelesen. Vorhin, als er einstieg und den schmalen Gang bis zu meiner Bank durchkam, oder? Irgendwas mit Sicherheitstechnik? Nein. Oder doch? Ein Wärter im Gefängnis? Gibt es den Begriff Wärter eigentlich noch? Heißen die jetzt nicht alle Sicherheit oder einfach Security? Aber was war das für eine Akte? Vielleicht ein ehemaliger Türsteher, wegen Gewalt am Kunden verknackt? Mir fiel die silberne Uhr an meinem Handgelenk auf. Verdammte Uhr. Warum musst du nur so silbern glänzen. Dabei warst du doch gar nicht teuer. Vorsichtig schob ich den Ärmel meines Pullovers etwas nach Oben. Nicht viel, man ist ja nicht paranoid. Nur so viel, damit die Uhr verdeckt war. Mit wem telefonierte der Glatzkopf da? Sicherheitspersonal? Häftling? War das Deutsch, was er da ins Handy rief? Und Draußen, vor dem Fenster des Busses: Da rauschte eine Vorstadtsiedlung nach der nächsten Vorstadtsiedlung vorbei. Sieht man mehr Türken als Deutsche in U-Bahnen und Bussen? Mehr Türken des Nachts auf der Straße? Liegt es am Viertel? Liegt es an der Stadt? Wahrscheinlich. Sind es Türken, wenn sie so aussehen?

6.11.
„Multiplexe sind heutzutage sehr gefährliche Orte“, sagte einst eine Filmfigur. Selbstreferenz ist über kurz oder lang eine Unumgänglichkeit. Bei Allem, bei Jedem und überhaupt.
Das Gefühl, wenn man Lieder ausgehört hat, ist so ein Gefühl. Es ist wie das abschließen der Möbiusschleife. Man kommt am Anfang an und will nicht wieder los. Es gibt so Lieder. Man hört sie, hört sie und hört sie. Ist man die Kassette an ihnen vorbei, will man eigentlich zurückspulen und noch mal hören. Bei mp3s ist das natürlich einfacher. Man skipt zurück und hört noch mal. Man kann nie alle Lieder gleichzeitig gut finden. Deswegen findet man manche besser und dann wieder unerträglich. Wenn sich die Welt ausgehört hat, beginnt die Selbstreferenz. Als würde man im Plattenschrank suchen. Dort, wo man seit dem letzten Umsortieren nicht mehr nachgesehen hat. Einem kann es natürlich nicht passieren: Dem Boss. Irgendwie macht er andere Musik. (Und jetzt habe ich meinen High Fidelity Moment) Niemals unabdingbar zurück zu skippen, aber auch irgendwie immer da. Danke, Boss.

7.11.
Ilsebel salzte nach. Ohne sich weiter darüber aufzuregen, dass am Laucheintopf die bittere Geschmacksnote fehlte, die seit seiner Kindheit für Constantin dieses Gericht einzigartig und unverwechselbar im Wald der Doseneintöpfe machte, lugte der Winzer in üblicher Manier über seinen Katheder und rümpfte spießbürgerlich die verknollte Nase. Letztlich war es Brauch in seiner Familie, die Ehefrau am Herd ihrem Schicksal zu überlassen. Ilsebel oder, wie Constantin seine Frau auch liebevoll und gleichzeitig mit einer warmherzigen Stichelei rief, Ilselda, kämpfte sich nun mit der Kräutermühle weiter dem geschmacklichen Gleichnis einer Erfahrung aus ihrer eigenen Kindheit entgegen. Kleinbeigeben und etwa eines der vielen, zum Schutz in jahrzehntealte Zeitung eingeschlagenen, Kochbücher zu Rate ziehen hatte Ilsebel nicht vor. Lieber würde sie ins viktorianisch eingerichtete Esszimmer gehen, den, mit einem Porzellangriff versehenen, Hörer von der glänzenden Metallgabel des Fernsprechers nehmen und ihre Freundin Margarete aus dem entfernten Aubach konsultieren um sich letzte Ratschläge zur Abwendung eines kulinarischen Fiaskos einzuholen. Doch dazu sollte es nicht kommen. Mit neu gewonnener Sicherheit griff Ilsebel erneut zum Streuer, führte den mit Reiskörner durchsetzen Salz im kunstvoll geschwungen-geblasenen Glasbehältnis über den brodelnden Süd im caramellbraun-umwandeten Topf und dosierte sparsam aber mit Nachdruck. Ein letztes Abschmecken später erhellte eine geradezu kindliches Lächeln, dass von Kriegswirren und zwei verstorbenen Ehemännern gezeichnete Gesicht der Winzer-Gattin.

8.11.
Es gibt sie einfach nicht mehr, die viel zitierte Waschsalonromantik. Deutsche Waschsalons sehen mehr und mehr wie Bahnhofstoiletten, und riechen auch so. Wahre Geschichte:
Ganz der junge Mann, mit wenig in der Waschtrommel und lesend darauf wartend, dass sich der Trockner endlich fertig geschleudert hat, sitze ich in einer dieser Wartehallen der Reinigungsindustrie, als ein Pärchen an mir vorbeiwankt. Zuerst denke ich mir nichts, dann erwischt mich die Alkoholfahne kalt und ich kann nur im letzten Moment den Würgereiz unterdrücken. Kann ein einzelner Mensch so riechen? Besser gefragt: Darf er das? Kleinkinder, an denen er vorbeigeht, haben doch sofort ihren ersten Rausch. Ich sage nichts, versuche weiter zu lesen und komme über den angefangenen Satz nicht hinaus.
„Dieeeter! Was muss ich da drücken?! Vierzisch oder Sechzisch Grad?!“
So ungefähr geht es zwanzig Minuten weiter. Zwischendurch hat die betrunkene Gestalt beinahe unbeabsichtigt meine Maschine geöffnet und in mehreren Anläufen es schließlich doch geschafft Waschmittel in – natürlich – das falsche Fach zu füllen. Sollte ich jemals geglaubt haben: Ach … Alkoholismus ist eigentlich auch kein schlechtes Lebensziel. Hier ist der Gegenbeweis. Eine menschliche Eierlikörflasche mit dem Artikulationsreichtum des quietschenden Rollstuhls von Harald Juhnke.
Eine eigene Waschmaschine ist ein Segen, soviel steht fest. Auch wenn die Idee von Besitz immer nicht so recht in das moderne, gesellschaftskritische Antlitz eines jungen Bildungsbürgers passt: Anders geht kaum … mir egal wie das klingt.

9.11.
VERBOTENE TRIEBE: Folge 2 „Auf fantastischen Vieren!“
Kurze Zusammenfassung der ersten Folge: Der Serienpsychopath hat dem Fahrer eines Kleinwagens einen Kugelschreiber in den Oberschenkel gerammt & Er hat, schon vor der Feiertagen, den Hund geschlachtet und unter die Butter gemischt. Sie hat ihn dafür getadelt.
Pick-Up: Indirekter Anschluss an erste Szene: Der Kleinwagen liegt im Straßengraben. Mit einer schweren Kopfwunde schleppt sich der Fahrer zurück zur Straße und versucht eines der vorbeirauschenden Autos anzuhalten. Er schreit: „Hey! Hilfe, ich —„ Ein dumpfes Gurgeln lässt ihn herumschrecken. Hinter ihm schält sich der Serienpsychopath aus dem Dunkel der Nacht und kommt mit einem blutverschmierten Grinsen auf ihn zu. „Du willst doch wohl nicht abhauen?“, fragt der Serienpsychopath und muss Blut husten. „Nein. Wieso?“, stellt sich der Fahrer dumm. „Dann ist ja gut.“ Mit einem Satz nach Vorne stößt der Serienpsychopath den Fahrer überraschenden auf die Straße, der Fahrer stolpert, fällt auf den Asphalt und rappelt sich schließlich auf. Fassungslos schaut er zurück: Der Serienpsychopath grinst. Der Fahrer bemerkt einen sich nähernden Scheinwerfer. Er schaut sich um. Dann wird er von einem LKW erfasst. Enden auf dem Serienpsychopathen, triumphal lachend und schließlich – unter seinen lebensgefährlichen Verletzungen nach dem Autounfall (während dem er nicht angeschnallt war!) – bewusstlos zusammenbrechend. TW.
Establishing Shot. Baumarkt. Ein Verkäufer in einem blauen Overall sortiert Nägel und Schrauben in ein Regal ein. Plötzlich taucht eine junge Frau hinter ihm auf. „Entschuldigen sie!“ Erschreckt dreht sich der Mitarbeiter um. „Ja?“ „Ich suche Kreissägen und Sägeblätter. Wo kann ich die finden?“ „Den Gang runter und dann Links.“ „Vielen Dank.“
Der Verkäufer beginnt schon weiter Nägel und Schrauben einzusortieren, als die junge Frau noch einmal nachhakt. „Welche Art von Säge würden sie für das Zerkleinern von Schienbeinknochen verwenden?“ Enden auf dem Verkäufer, überlegt.
(Ja. Das war definitiv zu viel Koffein.)

Ein Gedanke zu „Block 2

  1. David

    Servus Herr Asche,

    ich habe jetzt mal eine Herausforderung für dich, falls du Zeit hast neben Verbotene Triebe, sozusagen.
    Und zwar war ich letztes Wochenende in der Münchner Innenstadt einkaufen, was naheliegend ist, weil ich da ja wohne, und dass es dort brechend voll ist (an einem Samstag), kann ich ja auch nachvollziehen. Aber, sich als männlicher Konsument alleine in eine Herrenabteilung eines beliebigen bekannten Mode-Discounter wie H&M, Zara, Esprit und wie sie alle heißen, zu stürzen, ist vorsichtig ausgedrückt eine peinliche Bloßstellung. Die Masse der Mit-Konsumenten ist in Begleitung eines weiblichen (in diesem Moment Nicht-Konsumenten), der mit Rat und Tat zur Seite steht („Ne, das brauchste gar nicht nochmal anprobieren, dass sieht an dir scheiße aus“).
    Ich weiß nicht, ob du ungefähr weißt was ich meine, aber deine Aufgabe wäre es jetzt einen kurzen Absatz darüber zu formulieren, ob ich mir nun was drauf einbilden darf, dass ich meine Klamotten auch ohne Händchen halten kaufen kann, oder ob ich von vornherein dazu verdammt bin, aus Ermangelung einer weiblichen Meinung vor der Kaufentscheidung, stilistisch sozusagen tief ins Klo zu greifen.
    Ich könnte mir vorstellen, dass das recht amüsant ist, wenn du beschreibst wie sich Klamotten einkaufen als Single anfühlt.

    Grüße,
    David

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