Aufarbeitung

Meine Nase läuft unentwegt, meine Hände sind schwitzig, die Füße kalt und ich bin mir ziemlich sicher, könnte ich meine eigene Temperatur zuverlässig abschätzen, ein Griff an die Stirn würde Werte weiter über 40 ergeben.
In diesem Anfang-März-Krank-sein-Zustand ist mir eine Idee zu einer Sitcom gekommen. Gekommen im wahrsten Sinne des Wortes, im Schlaf, man mag auch Fiebertraum dazu sagen: Also eine Sitcom.
Sitcom ist ein Format, das meiner Meinung nach, viel zu stiefmütterlich in der deutschen Fernsehlandschaft behandelt wird. Ein Format, dass durch seine handliche Länge, die kurzweilige Oberfläche und zu Zeiten auch mal einem moralischen Sub-Plot eigentlich prädestiniert für deutsche Aufarbeitung ist.
Und sind wir mal ehrlich: Das ist nicht der erste Serienversuch über Humor eine Katharsis für den scheinbar endlosen Horror der jüngeren, deutschen Vergangenheit zu finden. Und genau das braucht die Aufarbeitung. Klärung, ein Ende, einen Abspann und damit das gute Gefühl das dieser Film, egal wie lang er dauerte und wie schlimm er war, endlich vorbei ist.

Da ich noch keinen wirklich passenden Titel für meine Idee habe, gebe ich dem Ganzen einen fernsehtypischen Arbeitstitel. In diesem Fall „Josua“
Josua ist Jude. Und genau darum geht es. In der Tradition der sich dauernd erneuernden, dabei kaum etwas neu erfindenden Tradition des Vorabendprogramms, entwickelte ich eine Sitcom die auf dem erfolgreichen Modell der Achtziger-Serie „Alf“ basiert.
Hierbei kracht ein Außerirdischer durch das Garagendach einer Mittelstandsfamilie und ist anschließend vier Staffeln damit beschäftigt sich vor den Behörden zu verstecken, und sich von den spießigen Erdenbürgern verstecken zu lassen.
Jetzt hat wahrscheinlich schon jeder eine Ahnung worauf das hinausläuft, also weiter:

Also Josua. Wir schreiben das Jahr 1931. Deutschland, irgendwo in der Nähe von Stuttgart. Josua ist Jude und rettet, dies wird uns in einer eindrucksvollen und durch das begrenzte Budget einer Sitcom stark limitierten Eröffnungssequenz erzählt, den jungen Offizier Kessel aus einem reißenden Fluss. Kessel war mit seinem Wagen auf dem Weg nach Hause, hatte am Abend sechs Bier zu viel und kam dann auf einer Brücke von der Straße ab. So krachte er durch das Geländer und landete im reißenden Fluss. Der angehende Arzt und Jude Josua war ebenfalls auf dem Weg nach Hause, auf dem Fahrrad und natürlich nicht betrunken, wie wir im ersten Gespräch der beiden Hauptpersonen gewieft dialogisch ausspielen:

Josua zieht den durchnässten Kessel ans Ufer.

JOSUA Sind Sie verletzt?
KESSEL Ich ggll …
JOSUA Ja?
KESSEL Ich ggll …
JOSUA Sind Sie nicht von hier?
KESSEL (sauer) Natürlich! Ich bin Deutscher. Und Arier.
JOSUA Und betrunken.
KESSEL Deutsche Männer sind nicht betrunken. Deutsche Männer trinken.
JOSUA Zuviel, wie ich sagen muss. Sie sind außerdem klitschnass.
KESSEL Wasser macht mir nichts. Es steht unter mir. Haben Sie etwa nicht getrunken, junger Mann?
JOSUA Nein, habe ich nicht. Ich trinke nicht.
KESSEL (verdächtigend) Warum nicht. Es ist Samstagabend. Religiöse Gründe?
JOSUA Nein, dramaturgische.
KESSEL Sind Sie Jude?
JOSUA Sie haben es erfasst. Kann ich Sie nach Hause bringen?
KESSEL Niemals. Ich ggll …
JOSUA Nicht schon wieder.
KESSEL Ich gg-gglaube, mir ist schlecht.
JOSUA Ach. Sie sind nicht betrunken, aber – – –

Josua will noch etwas sagen, da übergibt sich Kessel auf seine Schuhe.

Nachdem sich Kessel wieder gefangen hat, erkennt er was Josua für ihn getan hat, allerdings hat er keine Zeit mehr sich zu bedanken. Am nächsten Morgen ist Josua einfach verschwunden.
Nein. Josua ist nicht deportiert worden, immerhin ist es erst 1931. Wie ein gestörtes Kleinkind, welches sprunghaft von Langeweile überkommen wird, fällt dem deutschen Volk erst einige Jahre danach ein, dass man ja Juden hasst und sie für alles verantwortlich machen muss, was man nicht mit Blitzkriegen oder Autobahnen hinbiegen kann. Zum Beispiel das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit und des fehlende völkischen Charakters, und wenn der fehlt, dann braucht man einen reinigender Genozid um sich wieder wohl zu fühlen.
Also springen wir ins Jahr 1943:
Josua ist auf der Flucht und versucht sich im Keller der, mittlerweile, Familie Kessel zu verstecken. Vater Kessel hat Mutter Helga geheiratet und mit ihr die elfjährige Tochter Emma und den siebenjährigen Sohn Hans. Kessel ist Berufsalkoholiker und nebenbei noch bei der SS. Abends will er sich mal wieder eine Kiste Bier aus dem Keller holen und entdeckt dabei Josua. Eigentlich will er sofort die Kameraden holen und Josua ein Erster-Klasse-Ticket für diese schmucken Züge gen Osten besorgen, mit dem seine „Artgenossen“ doch so fein in die freimachenden Ferien fahren, aber dann erinnert er sich an die Nacht vor zwölf Jahren. Er schuldet Josua sein Leben und mit einer modernen Popkulturreferenz im Dialog…

KESSEL Ich schulde Dir mein Leben.
JOSUA Du meinst, so wie Chewie Han Solo in Star Wars?
KESSEL Was? Tut mir leid. Ich spreche kein Jüdisch.
JOSUA Schon gut.

… nimmt Kessel Josua in die Familie auf und versteckt ihn fortan gegen seine eigene Überzeugung.
Natürlich lernt die Familie in den folgenden drei Staffeln viel von ihrem geheimen Gast. In einer Episode, in der der kleine Hans zur HJ soll, wird mit Josua zusammen das gute Gefühl, welches einem die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und die Anonymität gibt, ergründet und am Ende finden alle zusammen heraus: Die Familie ist die stärkste aller Gruppe, auch Freunde können Familie sein und Freunde sind wichtiger als Landsleute.
Gleichzeitig gibt es immer wieder Probleme mit den skeptischen und spionierenden Nachbarn, den Autmeiers. Oft läutet die SS an der Tür, sucht nach einem versteckten Juden und Josua muss sich in der Küche verstecken, unter dem Tisch, in einer Kammer zwischen Fußboden und Kellerdecke.
Jede Episode beginnt, genretypisch, mit einem neuen Problem. Zum Beispiel das eine Mal als Josua Sabbat feiern will und Kessel versucht koscher zu kochen. Helga versucht im Eisenwarenladen einen siebenarmigen Leuchter zu kaufen, und kommt am Ende mit zwei vierarmigen Leuchtern nach Hause, die sie zusammenstellt und herzensgut einen Arm abbricht.
Natürlich treten auch Gaststars auf. Bruno Ganz spielt in der Episode „Wir fahren nach Berlin“ mit, genauso wie Christoph Walz in der Episode „Vichy waschi.“ Götz George gibt noch einmal den Mengele, in der Doppelfolge „Out of Auschwitz“ und antwortet auf die Frage, ob er noch etwas Schweinebraten möchte, mit: „Nur wenn dem Schwein mit Sterbehilfe geholfen wurde.“ Großer Lacher am Tisch, Kopfschütteln bei Josua darunter.
Auch eine Sitcom-übliche Catch-Phrase schafft es in die Serie, wenn Josua fast in jeder Folge mit Handtuch um die Hüften aus dem Badezimmer kommt und Kessel fragt, warum die Gasleitung so rumpelt. Die Antwort des viel zu oft wiederholten Kalauers wächst über die Jahre beinahe rührend ans Publikum und wird schließlich auch auf T-Shirts gedruckt, in Anführungszeichen und Sprechblase über Kessels Kopf:
Keine Angst. Geh’ ruhig duschen.
Viel Kritik und böse Worte bekommt die Serie dagegen in der Presse. Aber ebenso wie der hohen Auflage von Dieter Bohlens Memoiren oder dem neusten Martin Walser-Buch, kann Kritik der Serie nichts anhaben. Schon gar keine Moral-Kritik. Sender, Produzenten und Erfinder feiern unglaubliche Einschalquoten und einen Dauerplatz bei Stefan Raab, Harald Schmidt und auf den Sofas von Will, Illner und Plasberg.
Der Darsteller des Josua allerdings, muss seine Karriere nach der letzten Episode begraben. Nachdem die Serie eingestellt wird, weil sich auch der derbste Nazi-Humor einmal totläuft, ihm wahrsten Sinne, wird er nur noch als „der Typ, der den Juden in dieser Nazi-Sitcom gespielt hat“ auf dem Sofa von Frühstücksfernsehsendungen im dritten Programm vorgestellt. Dabei ist es auch ganz egal wie viel avantgardistische Interpretationen er von Anouilhs Antigone an der Volksbühne gibt. Ähnlich wie der Alkoholiker Kessel in der Serie, verfällt er schnell dem hochprozentigen Problemausblender. Anders als die fiktive Figur, hat er allerdings keinen Gut-Juden zur Seite, der ihn, wie in der Episode „Ein Arier kennt kein Schmerz“, von der Flasche wegbringt:

INT. ABEND Küche

Kessel kippt das Schnapsglas herunter und verzieht keine Miene.

JOSUA Sie bleibt nur bei Dir, weil sie aufgeschmissen wäre, wenn sie Dich verlässt. Verstehst Du das? Das ist doch keine Basis für eine Beziehung.
KESSEL (betrunken) „Lieber Frau und Kind erschossen, als ein Tropfen Schnaps vergossen.“
JOSUA Bier.
KESSEL Wirklich? Du trinkst doch gar nicht.
JOSUA Ich meine, es heißt „Bier“. „Als ein Tropfen Bier vergossen.“
KESSEL Das ist mein Gedicht, Jude.
JOSUA Ach. Sind wir wieder beim „Sie“, ja?
KESSEL Ich hasse euch. Ihr seid schwach und linkisch und … schwach.
JOSUA Armdrücken?
KESSEL Jederzeit.

Kessel räumt mit einem Wisch den Tisch ab und macht sich bereit.

JOSUA Wenn ich gewinne, hörst Du auf zu trinken.
KESSEL Abgemacht.
JOSUA Ernsthaft. Vergiss nicht: Lebensschuld und so … schwöre!
KESSEL Auf den Führer.
JOSUA Schwör’ auf was, ohne peinlichen Schnurbart.
KESSEL Auf das tausendjährige Reich.
JOSUA Gut. Auch wenn ich denke, dass der Name leicht optimistisch gewählt war.
KESSEL Du wirst schon sehen.

Josua ergreift Kessels Hand und dieser beginnt sofort zu drücken. Sein Gesicht verfärbt sich rot.

JOSUA Was ich mich immer gefragt habe …
KESSEL (verkniffen) Ja?
JOSUA Ihr habt einen Führer, dessen Eltern verwandt sind … einen Propagandaminister mit Klumpfuß und einen Filmstar mit einer jüdischen Frau.
KESSEL (gepresst) Geschieden.
JOSUA Findest Du nicht, dass ihr einer leichten Form von Doppelmoral aufsitzt …?
KESSEL (stöhnend) Gleich … hab’ … ich … Dich.

Mit aller Kraft und jetzt auch zwei Händen zieht Kessel Josuas Arm langsam in seine Richtung, Josua spannt seine Muskeln an und knallt Kessel dann auf seine Seite des Tisches. Kessel erstarrt, dann fällt er mit dem Gesicht auf den Tisch und beginnt sofort zu schnarchen.

JOSUA Herrenrasse … tz.

Josua steht auf, löscht das Licht und geht zur Küchentür. Mit einem Blick zurück auf Kessel:

JOSUA Schlaf gut, kleiner Siegfried.

Abblende und „Friends“-Abspannmusik.
Ding. Ding. Ding-Ding. De-Ding-Ding.
„I’ll be there for youuuu!“

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