Die Entrüstung ist groß. Kino.to wurde abgeschaltet. Was nun?
Auf die Straße gehen und für Raubkopien protestieren? Irgendwie findet sich dafür nicht die rechte Mehrheit. Das ist ein bisschen wie für die Legalisierung von Haschisch auf die Straße zu gehen. Man hat ja eigentlich nichts gegen den Joint am Abend, man zieht sogar gerne selber dran, aber irgendwie … hm. Vielleicht ist es ja wirklich eine Einstiegsdroge. Den Autohändler, den man kennt, der raucht auch … und der kokst auch. Ist das Zufall? Also beim Rauchen mitmachen: Ja. Aber dafür einstehen?
Kino.to war ein Phänomen, weil es den blutenden Nerv im Unterbewusstsein einer ganzen Netz-Generation … der ersten Netz-Generation traf: Das Bedürfnis nach bewegten Bildern. Und zwar nicht nach „Rote Rosen“ oder „Doctor’s Diary“ … von denen jeder Schnipsel bereits umsonst online verfügbar ist. Nein. Das will sich ja schon niemand im Fernsehen antun.
Was es gab, war das Bedürfnis nach einem Kanal auf dem läuft was man will. Qualität oder auch mal Ramsch. King’s Speech, neben Saw 6! Und man will es gleich. Abends, wenn man mit wundgetexteten Fingern aus dem Büro kommt.
Man will das Neueste sofort, weil das doch so ist im Netz. Da gibt es immer alles zu jeder Sekunde. Sollte sich diese Anspruchshaltung, mit der alle Anbieter ihre Kunden locken, zurückentwickeln, nur weil Filmkonzerne zu verstockt sind ihre Vermarktungsprozesse anzupassen?
Oder: Geht man deswegen weniger ins Kino? Nein! Die Zahlen bleiben absolut gleich … Obwohl doch Deutschland immer kleiner wird. Und was ist mit dem Preis? Ist Kino billiger geworden? Wird weniger Geld an den Kinokassen verdient? Nein. Die Karten sind sogar unverhältnismäßig (in Anbetracht der allgemeinen Inflation) teurer geworden.
Das Problem was Dienste wie kino.to aufzeigen: Die Filmindustrie bangt um Einflussnahme. Aber selbst großindustrielle Medienproduzenten sehen es ein. Für eine demokratische Netzwelt, in der man in Sekunden alles Wissen bei Wikipedia findet, braucht es neue Vertriebswege. Braucht es vielleicht die Einsicht, dass man der Mehrheit (und es war die Mehrheit auf kino.to) geben sollte, wonach sie verlangt. Und zwar gute Unterhaltung … und wenn das bedeutet, mehr Geld in DIRECT-TO-NET-Produktionen zu stecken, die man (mit Werbeunterbrechungen) im Netz immer sehen kann … warum nicht? Wer den neuen Al Pacino auf einem iPhone sehen will, während er an einer Bushaltestelle neben ätzenden Mitfahrern wartet … den soll man lassen. Der Rest geht zum vierten Teil des Paten (und der kommt. Bestimmt … und zwar in 3D. Ja. Das meine ich ernst. Auf jeden Fall … wenn Alvin & die Chipmunks nen 3ten Teil kriegt, kriegt auch der Pate den vierten Teil … in 3D. ) … immer noch in die heile Welt des Kinos.
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HARLEKIN POST (005) Thessa & der Haken
Thessa hat einen Haken falsch gesetzt. Mehr ist nicht passiert. Ein kleiner, digitaler Haken. Acht Pixel mal acht Pixel. Und schon tickt eine gesamte Generation aus. Wie ungewöhnlich das sei. Und die gewöhnlichen Verdächtigen sind natürlich mit dabei … Aber so einfach wie es sich das Medienmagazin ZAPP machen will, ist es nicht. Bild & Stern und alle anderen handeln mittlerweile nach einem Reflex. Sie suchen, ohne eine Unterscheidung zu machen, einfach nach allem was irgendwie für Aufmerksamkeit sorgen könnte. (Betonung auf „könnte“!) Wenn da eine 16-jährige einen Fehler macht (ach, ein Ausrutscher, mehr war das nicht, eine Lapalie), auch nur einen minimalen Fehler, ist es klar dass der umgehend ausgeschlachtet wird. Das ist traurig, aber wer extra Paparazzi beschäftigt um Prominenten beim Aussteigen aus dem Auto unter den Rock zu gucken … was soll der sonst machen?
Der Haken an Thessas Geschichte sind die tausend oder mehr Leute, die tatsächlich zu ihrem Geburtstag gekommen sind. Ohne eine Sekunde über die Konsequenzen ihres Handelns nachzudenken, einfach „für den FUN“. Eine Generation von Soziopathen stand da in der Reihenhaussiedlung und grölte. Die Achtung vor sich selbst hat dieser Mob schon längst verloren. Und ohne Selbstachtung, keine Achtung vor anderen. Man zerfleischt sich gegenseitig um einen größeren Erlebnisfaktor zu genießen. Alles andere, Empathie, Reue oder Nachsicht, ist den Partygängern längst abgegangen … im Grunde schließt sich hier der Kreis zum Anfang der Woche: Die selbstgemachte Katastrophe. Besonnenheit fehlt. Die Medien machen mittlerweile einfach nur ihren Job, so wie ein Gerichtsvollzieher. Und wir, wir ticken eben gerne aus … Freiheit nennen wir das dann … und sagen „man wird doch wohl mal“. Ja, man darf. Aber dann muss man sich nicht wundern, wenn irgendwann vor dem eigenen Garten zehntausend Menschen stehen und sagen: „Aber Google Earth hat angezeigt, Du hast nen Grill.“
HARLEKIN POST (004) Die Völkischen
Norbert Röttgen sitzt da, als wollte er gleich rufen: „Was wollt ihr denn von uns? Wir tun doch genau was ihr verlangt!“ Und er hat Recht.
Seit Fukushima wurde den Deutschen, jedenfalls denen die in repräsentativen Umfragen immer wieder auf Prozentbalken gespannt werden, klar: Da war doch was. Dreißig Jahre einer grinsenden Sonne sind nicht spurlos an uns vorbei gegangen und „Atomkraft, Nein Danke“ hat es endlich ins kollektive Gedächtnis geschafft. Gott sei Dank. Und irgendwann kann sich auch eine Bundeskanzlerin, die gerne mal sitzenbleibt, nicht mehr gegen schwindende Umfragewerte wehren. Und jetzt geht es los. Atomausstieg, von der CDU? Und alle begannen zu schreien. „Ha. Das ist doch nur dem Volk nach dem Mund geredet.“ Ja. Richtig. Na und?
Stimmt: Norbert hat vor einem halben Jahr noch gesagt das es ein „Meilenstein“ sei, doch noch länger an der Atomkraft zu hängen, vor ein paar Tagen war es dann ein „Meilenstein“ schnell auszusteigen. Natürlich ist das hart für einen Politiker, seine Richtung ändern zu müssen. Man sieht es ihm an und es geschieht ihm Recht. Aber zum Glück sind Röttgen und Merkel Populisten, sonst würde nichts passieren. Und was haben wir uns den Atomaussteig gewünscht? All die vielen Demos und Castor-Blockaden! Und jetzt ist es soweit. Endlich, will man rufen.
Für ein paar Tage war es da auch okay, dass wir auf der CDU rumgehackt haben, aber irgendwann sollten wir uns vielleicht einfach freuen, dass es jetzt nicht mehr auf unbestimmte Zeit in Deutschland strahlt.
Am Mittwochabend, bei Hart aber fair, schien es dann aber noch nicht genug. Plasbergs „Faktenchecker“ glaubten gar, dass bei abgestellten Atomkraftwerken im Winter kein Strom mehr da sei. Und der Chefredakteur der Wirtschaftswoche (wie passend) glaubt an den Blackout und das dann Arbeitsplätze in Fabriken verloren gehen, weil für ein paar Stunden nichts produziert werden kann. Was man Herrn Tichy mal sagen sollte: Seine Kollegen aus der Wirtschaft brauchen bestimmt keinen Grund wie „wegen Blackout“ um noch mehr Stellen abzubauen. Und mal ein paar Stunden ohne Internet, haben die Menschen vielleicht ganz nötig. In diesem Sinne: Ich geh‘ jetzt mal raus, ohne Laptop.
HARLEKIN POST (003) Die Kachelmann-Frauen
Ein Mann bedroht eine Frau, oder nicht, mit einem Messer, oder nicht, zwingt sie zum Sex, oder nicht. So etwas passiert wahrscheinlich jeden Tag, vielleicht sogar zwei Mal oder drei Mal am Tag alleine in Berlin. Das macht es nicht weniger schlimm, aber es war auch nie anders.
Und dann auf einmal ist es ein Wettermann. Ein Wettermann? Der komische Kauz, der als langer Lulatsch vor einem Green-Screen herum hampelt und wie eine Schamanin in den vielsagenden, blinkenden und sich verschiebenden Pfeilen auf einer viel zu groben Deutschlandkarte die metrologische Zukunft liest. Der uns sagt „es könnte so, aber auch so“ sein … genauso wie die Richter und im Zweifel sowieso für den Angeklagten. Aber irgendwie mochten wir Kacheljörg. Er tat niemandem was, trat als Wetterexperte auf, war unpolitisch … ein Schwiegersohn-Abziehbild. Und dann tat er das, was alle Männer mal tun: Ein Arsch sein. Weil sie es können. „Aber doch nicht unser Jörg. Mit einem Messer? Nein. Trotzdem. Das der in sowat verwickelt ist …“
Und plötzlich fiel der gesamten Talk-Elite des Landes auf: Hui. Da is ja was. Wir haben immer noch Unterdrückung in diesem Land, und wir kultivieren sie. Illner, Will, Plasberg und Maischberger. Voll von nur einem Thema. Kachelmann. Und ich musste wochenlang auf meine Dosis Krisengespräche zum Nahostkonflikt oder Schuldenberg warten. Wozu? Damit Alice Schwarzer in tatsächlich jeder Sendung was zur Unterdrückung der Frauen sagen konnte. Haben wir keine anderen Feministinnen? Ist das nicht auch Sexismus, wenn man seinen eigenen Geschlechtsgenossinnen das Wasser mit der eigenen Überpräsentation abgräbt? Man muss quasi anfangen selbstbewusste Frauen zu hassen, wenn man beim Wort „Gleichberechtigung“ immer gleich an Schwarzers Unbarmherzigkeits-Gesichtsausdruck denkt. Die ist wie Kohl, der wollte auch nicht gehen. Und jetzt macht seinen Job eine Frau. Nicht viel sympathischer, aber besser. Und satt haben wir sie auch noch nicht. Vielleicht wird es Zeit, dass ein Mann aufgeklärten Feminismus betreibt und sich gegen Sexismus in der Gesellschaft stark macht. Und dann wird aus der „Emma“ „Emma & Emil“. Ein Magazin in dem die Frau zuerst kommt, weil sie lange zu kurz kam, und der Mann stolz hinter seiner Frau steht. Ein Mann der das Messer nur zum Gurkenschneiden (äh … ach ja, die sind wieder freigesprochen), oder nicht, in die Hand nimmt. Und das Wetter macht wieder eine Frau, der kann ich sowieso viel leichter verzeihen.
HARLEKIN POST (002) Live-Ticker zum Ende der Welt
Aktualität ist ja was Schönes. Was Wunderschönes. Wir wollen aktuelle Nachrichten, und nicht erst drei Tage später in der Frankfurter Rundschau lesen wer Weltmeister in Afrika wurde (weil Redaktionsschluss schon halb Vier war und die Auslieferung gerne mal zwei Tage braucht) … für die FR war das nicht selbstverständlich, vielleicht mit einer der Gründe warum nun Stellen gestrichen werden.
Während der Grünen Revolution im Iran hielten Twitter-Beiträge und Blogs die Weltöffentlichkeit auf dem Laufenden und angeblich war Facebook mit für den Regimewechsel in Ägypten verantwortlich. Alles gut und schön, nicht immer gefiltert und nach journalistischen Kriterien abgewogen, aber wenn man sich die RTL-II-Nachrichten ansieht … was ist das heutzutage schon?
Als DER SPIEGEL zum Reaktorunfall in Fukushima einen Live-Ticker einrichtete, hatte das dann schon mehr einen … Schauwert. Wie ein Gaffer, der im Schritttempo an einem Autobahnunfall vorbeifährt. „Oh, noch eine Explosion. Hui. Strahlenwerte über dem Limit? Was ist das Limit? Egal. Limit klingt schlimm. Gleich mal auf AKTUALISIEREN klicken.“ …
Gestern dann folgte der Live-Ticker zur Apple-Präsentation auf der WWDC. Die Frage ist: Warum? Warum ein Live-Ticker? Okay, wenn da zwei Entwicklerteams Fußball gegeneinander spielen, gerne. Aber die Vorstellung eines sowieso fertigen Produkts im Minutenprotokoll? Ich find’s ja schon anödend, wenn jemand stündlich Statusupdates zur Geburt seines Sohnes bei Facebook reinstellt. Und dort passiert etwas, was bei Apple niemals passiert: Neues!
Was folgt auf den Live-Ticker zum neuen iPhone? Der Live-Ticker zum Weltuntergang? Ein Live-Counter der EHEC-Toten? „Wow. Gestern waren es noch 14, jetzt 17. Verlinkt sind die Facebook-Profile der Verstorbenen … sieht Dir auf einer Übersichtskarte an, wo sie gestorben sind …“
Dafür das Werbeschaffende so viel Aufheben über Klick-Zahlen von potentiellen Kunden im Internet machen, klicken wir erstaunlich gerne auf die schnöden AKTUALISIEREN-Buttons. Und dann sind wir auch noch angepisst, wenn nicht wieder was passiert ist … Vielleicht sollten wir einen Live-Ticker zur Forschung nach einem Aids-Heilmittel einrichten … „KLICK. Nichts rausgefunden … KLICK … und noch kein Heilmittel … KLICK … oh, die Todeszahlen steigen … KLICK …Was? Immer noch keine Forschungsgelder … KLICK … Ha. Apple hat das iPhone 6 raus … KLICK … kein Geld für Aids … KLICK.“
HARLEKIN POST (001) Peter & der Wolf
Mal ganz ehrlich: Wenn Peter, bei „Peter & der Wolf“, am Ende vom Wolf gefressen wird … ist es wirklich ein Verlust? So lange die Schafe nichts abkriegen ist mir das doch schnuppe.
Da schreit er das erste Mal und dann das zweite Mal und jetzt zum dritten Mal … und BILD fragt: Auf wen sollen wir jetzt noch hören? Ja, natürlich auf DICH, Du dumme Sau!
Weil Du (ich meine IHR) die ganze Zeit so recht hattet. Weil wir ja alle schon tausend Mal gestorben sind … an BSE, an Vogelgrippe … ich komm kaum aus der Tür, muss jedes Mal die Leichenberge der vielen Epidemie oder Pandemie-Opfer zur Seite räumen. Sach ma: Hackt’s?
Entwarnung für Gurken. Ich glaube ich spinne. Für GURKEN! Bald gibt’s Entwarnung fürs Atmen. „Ja, also. Atmen kann ganz gefährlich sein … weil … ähm … da kann man sich ja mal verschlucken … aber dann haben wir im GALILEO-Special „Luft“ rausgefunden … haha, Entwarnung fürs Atmen!“
Jetzt haben wirs mit unseren Medien, mit der BILD, dem SPIEGEL und sogar der SZ so weit getrieben, jetzt wollen uns schon spanische Bauern verklagen. SPANIER!
Aber „auf wen sollen wir jetzt noch hören?“ … vielleicht mal auf uns. Auf den kleinen Rest gesunden Menschenverstand, der uns sagt: Rot ist NUR eine Signalfarbe. NUR! Das heißt noch gar nichts.
Nur weil eine Zeitung mit roten Lettern aufmacht, heißt das nicht dass hier irgendwas zu befürchten ist. Die müssen das so schreiben … oder der SPIEGEL, der sich das Titelbild schenkt und stattdessen auf riesige Buchstaben baut.
„DER FEIND IM ESSEN“ … ist das der neue Will Smith-Film, oder was?
Wir sind selbst Schuld. Wir kaufen Zeitungen auf denen „Tod“ steht, tausend Mal lieber, als Zeitungen auf denen „Abwarten, Ruhe bewahren“ steht. Wir wollen immer gleich alles. Die Einleitung, Hauptteil, Katharsis. Action, Tote und Panik. Weil wir Angst haben wollen und müssen, weil ohne Angst jeder zuhause bleibt. Ohne Angst fliegt man doch nicht um die halbe Welt und ballert einen Bartträger aus seinem pakistanischen Sommerdomizil. Und einen Schluss braucht jede Meldung, weil wir es nicht aushalten können, wenn etwas länger als ein youtube-Video braucht um sich zu entfalten.
Peter weiß das. Jetzt müssen wir nur aufpassen, dass der Wolf – wenn er mit Peter fertig ist – nicht irgendwann mal ins Dorf kommt …