Provopoli: Erster Teil

In letzter Zeit frage ich mich immer häufiger: Wer castet eigentlich die Hartz-IV-Familien fürs heute-journal? Ich meine diese Familien, die immer als Beispiel für die Untersten der Unterschicht herhalten müssen, um dann mal direkt in die Kamera so richtig arm zu sein! Neulich gesehen am aktuellen Beispiel eines Beitrags zur 5€-Hartz-IV-Erhöhung.
Die Gecasteten heißen dann beispielsweise Britta M. aus „Hier bitte Namen einer bundesdeutschen Großstadt einsetzen. Nicht zu groß, damit sich auch der bajuwarische Dorfbewohner damit identifiziert, aber auch nicht zu klein, damit der Durchschnitts-Metropolist auch weiter zuhört. Auf keinen Fall darf es Berlin sein, weil da, nach Ansicht des Durschnitts sowieso der Abschaum der Menschheit wohnt. Und es darf auf keine Stadt im Osten sein, weil der Durchschnittszuschauer im Durchschnitt eben durchschnittlich westdeutsch ist. Logisch. Und kein Westler will über das Leid der Ossis wissen, hatten wir ja alles schon zur Genüge. Den einzigen Solidarbeitrag den man noch bereit ist zu zahlen, ist das die Linke im Saarland über die 5%-Hürde springt.“
Also Britta M. aus Essen oder Lüdenscheid. Britta M. hat natürlich drei Kinder, und lässt diese auch gerne und immer wieder und wieder vor der Kamera spielen, bis schließlich auch wirklich jede Bagatelle, die sich „normales Unterschicht-Leben“ schimpft im Kasten ist. Als da wären: Köpfe der Barbie-Puppen vertauschen oder nach einer Partie Killerspiele ordentlich und unflätig die Mutti anbrüllen. Oh, ja. Da lacht das öffentlich-rechtliche Herz eines Fernseh-Redakteurs!
Und dann backt Britta M. mit ihren Kindern einen Kuchen. Warum sie das macht, wissen wir nicht. Als konditionierter RTL-Aktuell-Zuschauer wissen wir aber: Eigentlich ernähren sich Unterschichten-Kinder nur von Wurst und Pommes. Wenn WIR (und ich meine das königliche, ebenso wie das einschließende WIR) mal Currywurst oder Pommes – zum Beispiel im Stadion – essen, dann ist das volksnah. Wenn die Kinder von Britta M. das tun, dann ist das typisch. Logisch, oder?
Wie auch immer: Britta M. und ihre Kindern wollen einen Kuchen backen. Dafür war Britta M. einkaufen: Wie uns der Kommentar verrät, will Britta M. nämlich „trotz magerer Zuschüsse und kleinem Geldbeutel“ … Apropos: Warum „kleiner Geldbeutel“? Versteh ich nicht, diesen Kommentar. Und der kommt ständig. „Kleiner Geldbeutel“, „Magere Zuschüsse“, „Frenetischer Beifall“ … wie wäre es mal ohne Adjektiv. Und wenn der Geldbeutel klein ist, dann nimm ne Netto-Tüte, da passt mehr rein. Aber ich schweife vom Thema ab.
Der Kommentar war: „Trotz magerer Zuschüsse und kleinem Geldbeutel will Britta M. ihren Kindern aber trotzdem hin und wieder frisches Obst und Gemüse auf den Tisch stellen“. Dazu sehen wir wie Britta M. vier Äpfeln, drei Bananen und zwei Kartoffeln im viel zu großen Einkaufskorb präsentiert. Kleiner Tipp, Britta M.: Wenn Du mit dem geflochtenen Korb (der niemals Dir gehört!) nicht zum Bauern gehen würdest, würden bei Real auch mehr als vier Äpfel, drei Bananen und zwei Kartoffeln rausspringen, und für die gestellte Backszene müsste Deine kleine Jaqueline diesen Monat nicht auf ihren Kita-Platz verzichten. Aber weiter:
Nun sitzt Britta M. also vor einer wunderschönen, dunkelbraunen Esszimmer-Garnitur von Möbel-Roller am Küchentisch, und sieht von Unten in die Kamera. Es ist herrlich. Tatsächlich sehen die meisten Unterschichtler … politisch korrekt UnterschichtlerInnen … stets bedeutungsschwanger von Unten in die Kamera. Egal ob „Die Auswanderer XXL“ oder „Die Abspecker – Ruhrpott Edition“ oder „Weiß der Himmel was noch für Doku-Soaps“, immer ist die der Kameramittelpunkt knapp oberhalb der Augen. Mindestens. Es ist wirklich so. Kein Scheiß!
Ja, ja. Furchtbar ist das mit der armen Britta M. Wie sie so leidet, um 21 Uhr 45 im zweiten deutschen Fernsehen. Die Frage bleibt: Wie kommt das heute-journal an seine Hartzer? An all die Britta M.‘s aus Essen oder Lüdenscheid. Wahrscheinlich müssen die Kamerateams bald wirklich auf Britta M.‘s in Cottbus oder Wismar ausweichen. Die Herkunft im Untertitel kann man ja „redaktionell ändern“. So viele Hartz-IV-Familien gibt es im Westen ja nicht mehr zu finden. Dann warten die Redakteure und Kamerateams (oder sagen wir lieber die vier Dauer-Praktikanten, die sich das geizige ZDF noch leistet) tagein, tagaus eben vor ostdeutschen Ämtern. Und passen auf, liegen auf der Lauer, suchen nach dem ausgemergelten Blick einer Britta M.
Falls man mal sie entdeckt, bietet man fünfhundert Westmark, also Euro. Dann darf das Kamerateam einen ganzen Tag die Sozialbauwohnung belagern, und die gierige Kamera kann sich mal so richtig sattsehen an der ganzen Mischpoke.
Dummerweise werden die fünfhundert Euronen aber als Nebenerwerb mit Hartz-IV verrechnet und am Ende bleibt nichts für Britta M. übrig. Aber im Fernsehen war sie mal, immerhin. Berühmt ist sie, im ganzen Haus und auch bei Lidl hat sie schon jemand angesprochen. Jedes Mal wenn sie wieder aufs Amt muss, hofft sie erneut angesprochen zu werden. Vielleicht kommt jemand von den Tagesthemen, oder von Frontal 21. Die bezahlen sie unter der Hand.
Danke ZDF … Du bist mein Allerlieblingssender, wenn ich mal einen Schlaganfall habe und im Pflegeheim nicht mehr alleine umschalten kann. Weil dann, dann ist auch egal.
Außer vielleicht, ich hab dann so einen Sprachcomputer und kann mir was wünschen. So macht das Stephen Hawking wahrscheinlich. „Bitte – Umschalten – Ich – Will – Germanys – Next – Topmodel – Sehen“
Dann will ich aber auch so einen Strohhalm, mit dem ich rumfahren kann. Apropos Hawking: Lebt das alte, schwarze Loch eigentlich noch? Es hieß doch schon vor zehn Jahren schon: Der macht’s nicht mehr lang. Kickt aber trotzdem immer noch ein transuniversales Standardwerk nach dem nächsten raus. Respekt. Na ja: „Kickt“ vielleicht nicht.
Oh, jetzt hab ich doch tatsächlich beim Lachen Cola-Light durch die Nase aufs Keyboard geschnieft. Ist aber auch schon spät. Gleich kommt das Nachtmagazin. Vielleicht gibt‘s mal wieder was über Ausländer, und wie die sich so integrieren. So einen Beitrag über eine typische, türkische Familie in Kreuzberg oder kurdische Gastarbeiter in Gelsenkirchen. Wer castet die eigentlich?

2 Gedanken zu „Provopoli: Erster Teil

  1. Pushpendra

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