Niemals Ich

Kevin-Prinz Boateng. Abgesehen vom „Kevin“ ist das ein wirklich schöner Name. Geradezu niedlich. Das der dazugehörige Fußballer neuerdings nur noch als böse guckendes, Hanteln stemmendes Monster in allen regionalen und überregionalen Buntblättern zu sehen ist, macht aus dem Prinz dann allerdings eher den „bösen Mohr“.
Im Internet wird dann sogar noch eine Schippe drauf gelegt. Die wunderbare Anonymität des Netz hilft jedem, aber auch wirklich jedem dahergelaufenen Arschgesicht seine Hassfantasien und damit wohl in erster Linie Frust abzubauen.
Es ist geradezu typisch-freudianisch (freudsch?) wie man im WWW an jeder zweiten Blog-Ecke (!!!) oder unter jedem „News“-Artikel mit bestialisch bis primatenhaft-primitiven Beleidigungen konfrontiert wird. Ich nehme mich da nicht raus. Zwar hab ich Kevin-Prinz nie weniger als das Beste gewünscht, aber Andere mussten trotzdem leiden:

Das Internet habe ich im zarten Alter von 18 im wöchentlichen I-Café des Jugendtreffs Fulda kennen gelernt. Zwar hatten wir auch zuhause ein Modem, aber … na ja … die Geschwindigkeit machte daraus eher etwas für lange und verregnete Sonntagnachmittage. Also fuhren ein Kumpel und ich jeden Freitag einen dritten Kumpel in eben diesem I-Café besuchen (der Name „I-Café kam übrigens schon lange vor iPods und iPads auf. Suck it, Steve!). Dort loggten wir uns, während wir auf das Ende der Spätschicht warteten, in diverse Chatrooms ein. Jedes Mal unter einem anderen Namen und mit einer anderen, fiktiven Identität. Ich würde mich gerne immer noch selbst davon überzeugen das wird sonderbar kreativ waren und wir das „in eine andere Rolle schlüpfen“ nur ausprobieren wollten. Fakt ist aber: Was wir taten unterschied sich nur durch eine einzige Tatsache vom Annehmen alternativer Identitäten, wie wir es vorher schon in tausenden von Computerspielen getan hatten: Diesmal glaubten wir an die Echtheit, die fleischliche Wahrheit unserer virtuellen Gegenüber. Und so stürzten wir uns, wie zuvor in Duke Nukem 3D, diesmal in das Spiel „Chatroom“. Emails checken brachte damals nichts, Adressen waren noch so rar gesät wie Burkas im jüdischen Museum und das Wort „Profil“ brachte man nicht mit Facebook sondern mit Scherenschnitt in Verbindung (ach ja, es waren simplere Zeiten … und – gegeben die uncoole 60er-Referenz „Scherenschnitt“ – auch sehr viel langweiligere Zeiten).
Allerdings, gemessen an der Einfachheit der Zeit, war unser Einsatz des Chats nicht weniger unmoralisch, nicht naiver als der beleidigende Nutzen den heutzutage hunderttausende von Menschen jeden Tag gesichts- und identitätslos aus den Kommentarfunktionen des Netz ziehen. (Puh. Das war ein langer und viel zu umständlicher Satz. Aber was würde das jetzt für Arbeit bedeuten den zu zerteilen und dadurch lesbarer und verständlich zu machen, hm? Ich mach da nichts mehr dran. Merkt sowieso keiner.)
Leute die als „CrazyEddie77“ oder als „Unknown“ YouTube-Videos bewerten und kommentieren, Spiegel-Online-Artikel durch namenlose Diskussionen in Foren gewichten: So wie diese Leute wollten wir damals auch nur was loswerden, wollten austesten wo und wie man den maximalen Effekt erzielt (in den aufgeregten Antworten des Gegenübers) und wo man am Ende selbst die Grenze zieht. Eigentlich nirgendwo. Wir machten uns lustig, spotteten und beschimpften. Wichtig für den Kick war und ist: Echt muss der Gegenüber sein (das muss man glauben), dann lässt man alles raus, alles los.

Ein paar Jahre später, jetzt schon mit eigener eMail-Adresse, wohnte ich bereits in Berlin und studierte so vor mich hin, als ich mich – wieder zusammen mit einem Kumpel (man sieht, meine adoleszenten Versuche das Internet zu begreifen, zu beherrschen und zu erobern waren durchaus stets gruppendynamisch) – auf eine Rammstein-Fanseite verirrte.
Heute noch zitiere ich gerne aus unserer, vermeintlich cleveren Parodie eines schwul-ergebenen Fans im Gästebuch. Unser erfundener Fan berichtete dort in einem langen Eintrag und in – wie wir fanden – für das Gästebuch ungewöhnlich wortgewandter und gleichzeitig erschreckend eindrücklicher Manier, wie er sexuell vom Rammstein-Sänger bedrängt wurde und es ihm gefiel. Ein Sturm der Entrüstung ließ sich in den Folgetagen auf der Fanseite und unter unserem Eintrag lesen. Etwas Besseres hätte man uns nicht antun können. Es war großartig zu sehen was für einen Eindruck man auf das Leben Anderer – jedenfalls virtuell – haben kann, gerade in einer Zeit, in der man ansonsten das Gefühl hat überhaupt keinen Eindruck irgendwo zu hinterlassen.

Neulich hat man mir dann ein YouTube-Video eines jungen Mädchens gezeigt, welches vor der UN auftrat um dort an die Anwesenden und an die Welt zu appellieren und viele gute Gründe nannte, warum man sich für besseren und für mehr Umweltschutz einsetzen sollte. Das Mädchen sprach ohne Furcht zu den mächtigsten Menschen auf diesem Planeten und bat diese, sich für ihre Welt, die immerhin mal ihre Kinder erben sollen, stärker einzusetzen. Der Auftritt war beeindruckend und das Video fesselte tatsächlich auf jene 10-YouTube-Minuten die unsere Aufmerksamkeitsspanne definieren, wie es früher die Buchdeckel der Gebrüder Karamasow taten. (Wow. Ich kippe einfach immer wieder in den technikhassenden Jargon eines Ende-Achtzig-Jährigen. Vielleicht hab ich Alzheimer oder so was, oder das Raider war nicht mehr gut … )
Jedenfalls: Wie ein entfesseltes ES, ein triebgesteuertes und ohne moralisches oder rationales Denken gezügeltes Tier hatten unter dem Video dutzende „User“, nicht Personen, nur „User“ – gelöste Benutzer, einzig existent im Internet – … hatten also „User“ die übelsten Beschimpfungen und zeilenweise grenzdebilen Schwachsinn gespostet. Vielen war das, was das Mädchen im Video gesagt hatte, entweder zu langweilig oder überhaupt viel zu „unmachbar“ (ich zitiere mal frei). Anstatt allerdings in eine Diskussion einzusteigen, wurde nur abwertend beschimpft oder mit den typischen Kürzeln Verachtung ausgedrückt.
Kaum noch erschüttert hat mich dann die Tatsache, dass neben dem UN-Mädchen-Video, mit 2000 Hits, ein Video eines Hundebabys angeboten wurde, mit 9 Millionen Hits. God save cute little Hundebabys!

Vielerorts ist es im Internet möglich sich lang und breit und gern beachtet und von Meinungsforschern (oder was sich so was heutzutage schimpft) zitiert, zu einem Thema zu äußern. Dies passiert absolut anonym. Meistens ist es für einen Kommentar nicht mal mehr nötig ein Profil zu erstellen oder gar einen Namen oder eine eMail-Adresse anzugeben: So gesehen entkoppelt sich so besonders leicht das Es vom Über-Ich, welches beim Erstellen eines, jedenfalls für kurze Zeit, Profils bei (z.B.) Facebook durchaus oft noch anwesend ist (jedenfalls in Teilen. Hasst ihr eigentlich auch diese vielen Einschränkungen und Kompromisse?). Das Über-Ich wägt hier nach gesellschaftlichen Konventionen ab, erlaubt oder verwehrt die Angabe gewisser Neigungen und Präferenzen, sanktioniert Äußerungen über Andere, Kritik und auch schon mal ein Foto, von sich und von anderen, aber öfter dann schon von sich und nicht von anderen.
Das Über-Ich kontrolliert das Es im Beisein des Ich. Dagegen wird die Freiheit des Internets gerade dafür besungen. Der große Vorteil sei doch, dass das WordWideWeb endlich für den Menschen die maximale Freiheit bedeute, die Möglichkeit sich auszuleben, GANZ MAN SELBST zu sein. Danke Piraten-Partei, dass man das Internet und dadurch die grenzenlose Freiheit jetzt auch wählen kann. (das war ironisch gemeint, falls ihr es nicht gemerkt habt: NERDS! Fucking Retards! Zieht euch mit ner Staffel Xena aufs Klo zurück und überlasst Politik den Leuten die im Politikunterricht auch mal den Mut besaßen sich zu melden. Apropos: Wenn Xena, dann Staffel 1, Episode 8: Gastauftritt Kevin „Hercules“ Sorbo. Rockt der, oder was?)
Wo war ich? Ah ja: Bullshit ihr verkappten Ches des WWWs. So!
Ohne die Kontrolle des Über-Ich ist man nicht MAN SELBST, ebenso wenig wie man ohne Es MAN SELBST sein kann. Über-Ich und Es bedingen einander und sind für das GANZE SELBST absolut notwendig.
Aber die meisten Anbieter von Portalen, Foren oder Blogs, auf denen man Kommentare, Bewertungen oder Meinungen hinterlassen kann, wissen das Hits und Traffic die Währung des Internets sind. Und Hits und Traffic lassen sich leichter „erwirtschaften“, wenn man das Kommentieren ohne Profil möglich macht, also die Anonymität für Bewerter und „Poster“ gewährt. Das Über-Ich bleibt Draußen. Es darf rein. So einfach ist das.
Für solche Trennungen der Summanten des GANZEN SELBST gibt es und gab es, schon bevor ich mit 18 in Chatrooms mit wahrscheinlich ebenso alten und verkorksten Idioten Beleidigungen austauschte, Computerspiele. Davor gab es Rollenspiele mit Stift und Papier und davor gab es schon immer die Möglichkeit sich als Sprayer (oder im alten Rom als „Kohlestiftmaler“) nachts an eine wehrlose Hauswand anzuschleichen und ihr mit einem hastig geschriebenen „Fickt euch alle“ sein Es aufzudrücken.
Was sich geändert hat, fragt ihr? Ehrlich? Das fragt ihr euch? Hat wirklich niemand verstanden worauf ich hinaus will? Hm? Die Präsenz, mensch! Die Präsenz! Die Möglichkeit und die Leichtigkeit die das Internet für so etwas bereithält. Jetzt kapiert?
Nirgendwo ist die Gemeinschaft so wenig vom Über-Ich geprägt wie im Internet. Die absolute Freiheit lässt nicht die absolute Gemeinschaft zu, sie schafft die absolute Trennung. Wie man das lösen kann und was das alles – tiefergehend meine ich – bedeutet … muss wann anders diskutiert werden. Und das werde ich, ohhh ja … keine Sorge.
Es scheint vielleicht sowieso etwas paradox, dass ich dies in einem anonymen Blog schreibe. Also will ich zum Schluss für eine Sekunde aus meiner paltonischen (platonikischen?) Höhle herauskommen:
Mein Name ist Floris. Ja, so heiße ich. Ich bin 29, lebe in Berlin und zwar im Wedding. Mein Vorname und sein uneindeutiges Geschlecht hat mich vor dem Wehrdienst bewahrt. Ich fresse viel zu viel Süßigkeiten und komme nur schwer mit dem Sport hinterher. Ich liebe Autofahren, egal was das mit dem Planeten anstellt, habe im Zoo mal über ne Stunden interessiert den Affen beim Sex zugesehen (aus rein wissenschaftlichem Interesse natürlich … was mir die alarmierten Wärter auch nicht geglaubt haben) und ich trage manchmal rosa Hemden.

Ach ja, und ich finde Kevin-Prinz Boateng sollte in der Nationalmannschaft spielen und dieser arrogante Pisser Michael Ballack ist sowieso zu alt.

Nicht Fünf, Nicht Sieben

Stellen wir uns für einen Moment vor wir schweben. Nicht über der Bettdecke, sondern im freien Raum. Wir verlieren die Orientierung. Die unzähligen Sterne um uns, sind zu weit weg und zu zahlreich um an ihnen Höhe, Länge oder Lage festzumachen. Wir schweben. Ein einzelner Stern leuchtet uns an. Warmes, weiches Licht.
Wir atmen ganz ruhig. Strecken die Arme aus, alle Glieder von uns. Wir schließen die Augen, öffnen sie wieder: Um uns ist Licht. Ein Lächeln umspielt unsere Lippen. Dann: Bam!
Ein schwitzender, schleimiger Priester hält uns in seinen Klauen. Wir sind vielleicht sechs, oder sieben. Er benutzt uns, flüstert dabei, gierig ist seine Stimme, sein Atmen an unserer Kehle, feucht und hechelnd. Er kommt uns näher und näher. Wir wollen zurück ins Weltall. Wir wollen schweben. Er hält uns hier, es dauert lange. Sehr lange. Es passiert oft. Viel zu oft. Irgendwann ist es vorbei. Wir versuchen es zu verdrängen. Zwanzig Jahre. Immer wenn die Bilder von seiner Pranke, die uns am Boden hält, wieder vor unserem inneren Auge auftauchen, flüchten wir uns in den leeren Raum. Ins Schweben. Alleine. Dort wo er nicht hinkommt. Den Glauben haben wir schon längst verloren. Die Angst vor Magie, vor allem was mit tieferer Bedeutung beladen wurde. Sie macht uns furchtsam, lässt uns weichen. Wir leben in der ständigen Anwesenheit dieser Angst. Sie sitzt mit uns im Zimmer, lugt kalt grinsend mit feuerroten Augen in unsere Richtung. Nur das Schweben lässt uns stille Momente der Ruhe. Dann kehren wir wieder vor das Erlebte zurück. An einen Ort an dem das nicht existiert. Nie existiert hat. Und ich noch lebe.

Meine Mutter ruft mich vor dem Start der Maschine an. Sie klingt nervös und ihre Stimme ist ein bisschen belegt. Sie hat mir noch ein Buch am Flughafen gekauft. „Phillip Roth, den liest Du doch auf Englisch, oder?“ Sie ist unruhiger als früher, meint es wäre nichts, ich schiebe es auf das Alter. Ich versuche ihr Mut zu machen, habe nicht viel Zeit, wünsche ihr einen guten Flug und lege auf. Am Nachmittag erscheint mein Vorgesetzter in meinem Büro. Zuerst verstehe ich nicht was er von mir will. Eine Explosion? Über Philadelphia? Meine Mutter?
Spiegel-Online spricht von einem „Feuerregen über Philadelphia“, dann bin ich schon aus der Tür. Im Büro meines Vorgesetzten steht ein Fernseher. Dann sagen sie die Flugnummer durch. Meine Kehle schnürt sich zu. Was hat meine Mutter gesagt? LH … und weiter? Der Reporter sagt: Philadelphia nach München. Ich versuche zu schlucken, es geht nicht. Zuerst rufe ich meine Schwester an. Die Flugnummer? Ich reiße sie aus einer Vorlesung. Sie wird hysterisch, dann warten. Die Bilder auf dem Fernsehschirm scheinen so irreal. So weit weg. So etwas beeinflusst mein Leben nicht. Nein. Hat nichts mit mir zu tun.
Vier Tage später ist die Beerdigung. Ich habe noch nicht geweint. Ich kann nicht. Ein leerer Sarg. Das ist sie nicht. Ein Mann hatte Plastiksprengstoff unter seinem Hodensack versteckt. Am Bahnhofskiosk sehe ich eine Überschrift „Genital-Bomber“. Jemand lacht. Ich kriege keine Luft mehr. Ich will schreien aber es geht nicht. Ein Bekenner-Video wird nach einer Woche Al-Jazira zugespielt. Ich weine nicht, ich kotze.
Einhundertsechsundvierzig Insassen, zweihundertachtundneunzig Bewohner von Philadelphia. Ich sehe einen Moslem auf der Straße einen Turban tragen. Ich will ihn schlagen, stattdessen weine ich.

Mein Vater war ein stolzer Mann. Mein Großvater war Bibliothekar, also war mein Vater auch Bibliothekar. Er hat in seinem Leben mehr als zweitausend Bücher gelesen, hat er mir einmal erzählt. Sein Lieblingsbuch war das eines Juden, wie er dann flüsternd hinzufügte. Niemand wusste davon. Er behielt es für sich. Sagte es niemandem. Außer mir. Wir waren auf einem Spaziergang, von dem kleinen Laden meiner Eltern zum Meer. Mein Vater wollte nie dass ich im Gazastreifen bleibe. Er wollte auch nicht dass ich Bibliothekar werde. Ich wurde Lehrer für Englisch und Geschichte an einer Gesamtschule in Hamburg. Offiziell bin ich ägyptischer Staatsbürger, mit Aufenthaltsgenehmigung. Am 28. Dezember 2008 starb mein Vater durch einen herab gestürzten Stützpfeiler in seinem eigenen Laden. Die Israelis nannten die Offensive „Operation Gegossenes Blei“. Im Internet habe ich gelesen das der Name an ein Kinderlied angelehnt ist. Mein Vater litt sechs Stunden. Er lag unter dem Pfeiler, während die Luftangriffe vermeintliche Schmugglertunnel von Rafah nach Ägypten zerstörten. Er verblutete. Meine Mutter war bei Verwandten in Port Said, sie lebt jetzt dort.
Israelis haben meinen Vater getötet. Meinen Vater der im Laden seines Vaters, meines Großvaters, starb. Meinen Vater, der mehr als zweitausend Bücher in seinem Leben gelesen haben will. Ich versuche die Mörder meines Vaters nicht zu verabscheuen. Ich hasse sie, aber ich versuche sie nicht zu hassen. Neulich bin ich in Hamburg in einem Buchladen gewesen. Er wirkte groß und hell, zwei Etagen. Ich fragte die Verkäuferin wie viele Bücher hier stehen. Über Viertausend. Mein Vater hätte noch so einiges zu lesen gehabt. Ich griff mir Der Process, schlug es auf. Beinahe wütend. Ein Geistlicher sagt darin: „Die Schrift ist unveränderlich, und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber.“

Ich stehe vor der alten Kommode im Schlafzimmer. Der Fensterladen vor dem Badfenster knarrt etwas. Ich habe ihn am Morgen nicht ordentlich befestigt. Der Wind von der Küste spielt mit ihm. Ich öffne die oberste Schublade der Kommode, schlage die kleine Decke zurück, dort liegt die Pistole. Jetzt werde ich mich töten.
Ich bin Theologe, dass bin ich noch. Ich war Pfarrer. Für eine kurze Zeit. Ich glaube an etwas, an etwas das größer ist als ich, als die Menschen. Ich nenne es Gott.
Ich glaube dass Glaube etwas Großartiges ist, etwas Persönliches und etwas eigentlich Unbeschreibliches. Ich habe mein Leben damit zugebracht es zu beschreiben: Es geht nicht. Soll wahrscheinlich nicht gehen. Dessen bin ich mir sicher.
Was geht, ist aus Glaube Religion zu machen. Religion ist, sich bei einem Konzert mit nur einer Note zufrieden geben.
Nehmen wir die Zauberflöte von Mozart. Das ist der Glaube den ein einzelner Mensch hat. Jeder hat seine eigene Zauberflöte. Nun ist Religion als würde man aus der genialen Komposition von Mozart nur eine einzige, vielleicht eine hohe, eine schrille und laute Note herausnehmen und jedermann verkaufen, dies sei die wahre Zauberflöte, die musst du hören.
Religion ist organisiert, gesponnen wie ein Teppich, verknüpft und arrangiert zur besseren Lenkung. Ein Konzern. Zu groß um komplex zu sein. Es werden Regeln aufgestellt, den „Gläubigen“ wird ihr Glaube genommen und durch Religion ersetzt. In der Gruppe fühlt sich ein Mensch immer wohler als alleine.
Ich bin jetzt siebzig Jahre alt. Ich habe meine Erfahrung gemacht. Mein Leben lang habe ich das studiert, Religion und Glaube. Als ich die starren Regeln der Kirche kritisierte, wurde ich exkommuniziert. Ich glaube immer noch. Religiös bin ich nicht. Mein Glaube ist stark, er hilft und führt mich. Weil es mein Glaube ist, kann mich nichts erschüttern. Keine Karikatur von Jesus verärgert mich, ich lache oft darüber. Da niemand weiß wie mein Glaube aussieht und ich selbst kaum Worte finde, wie soll sich jemand darüber lustig machen?
Zuflucht, Nächstenlieben und Hilfsbereitschaft sind die Aushängeschilder der Kirche. Aber was ist sie anderes als Benzin. Sie treibt dich an, gibt dir Kraft, aber zu welchem Preis? Sie frisst auf, vernichtet und verzerrt, weil sie es muss. Sie muss sich erhalten, muss wachsen, dass Kapital sind die Gläubigen. Sie sind der Marktwert. Ein Unternehmen. Mächtig und groß.
Ich habe einen Sohn. Er ist jetzt etwas älter als ich war, als ich aus meiner Pfarrei entlassen wurde. Er ist nicht religiös, nicht einmal getauft, aber er glaubt. Er glaubt nicht das gleiche wie ich, aber er glaubt.
Das was ich nun vorhabe verbietet die Religion. Mein Glaube tut es nicht.
Ich bin einfach zu schwach um weiter zu machen. Ich habe versucht die Kirche zu reformieren, habe geschrieben, gebellt, an die Mauern geschlagen und geschrieen. Es nützte nichts. Nun will ich es beenden.
Wieder höre ich das Knarren des Fensterladens im Wind. Ich bedecke die Pistole wieder und schließe die Schublade. Noch bin ich nicht fertig. Noch nicht schwach und feige genug.

Aufarbeitung

Meine Nase läuft unentwegt, meine Hände sind schwitzig, die Füße kalt und ich bin mir ziemlich sicher, könnte ich meine eigene Temperatur zuverlässig abschätzen, ein Griff an die Stirn würde Werte weiter über 40 ergeben.
In diesem Anfang-März-Krank-sein-Zustand ist mir eine Idee zu einer Sitcom gekommen. Gekommen im wahrsten Sinne des Wortes, im Schlaf, man mag auch Fiebertraum dazu sagen: Also eine Sitcom.
Sitcom ist ein Format, das meiner Meinung nach, viel zu stiefmütterlich in der deutschen Fernsehlandschaft behandelt wird. Ein Format, dass durch seine handliche Länge, die kurzweilige Oberfläche und zu Zeiten auch mal einem moralischen Sub-Plot eigentlich prädestiniert für deutsche Aufarbeitung ist.
Und sind wir mal ehrlich: Das ist nicht der erste Serienversuch über Humor eine Katharsis für den scheinbar endlosen Horror der jüngeren, deutschen Vergangenheit zu finden. Und genau das braucht die Aufarbeitung. Klärung, ein Ende, einen Abspann und damit das gute Gefühl das dieser Film, egal wie lang er dauerte und wie schlimm er war, endlich vorbei ist.

Da ich noch keinen wirklich passenden Titel für meine Idee habe, gebe ich dem Ganzen einen fernsehtypischen Arbeitstitel. In diesem Fall „Josua“
Josua ist Jude. Und genau darum geht es. In der Tradition der sich dauernd erneuernden, dabei kaum etwas neu erfindenden Tradition des Vorabendprogramms, entwickelte ich eine Sitcom die auf dem erfolgreichen Modell der Achtziger-Serie „Alf“ basiert.
Hierbei kracht ein Außerirdischer durch das Garagendach einer Mittelstandsfamilie und ist anschließend vier Staffeln damit beschäftigt sich vor den Behörden zu verstecken, und sich von den spießigen Erdenbürgern verstecken zu lassen.
Jetzt hat wahrscheinlich schon jeder eine Ahnung worauf das hinausläuft, also weiter:

Also Josua. Wir schreiben das Jahr 1931. Deutschland, irgendwo in der Nähe von Stuttgart. Josua ist Jude und rettet, dies wird uns in einer eindrucksvollen und durch das begrenzte Budget einer Sitcom stark limitierten Eröffnungssequenz erzählt, den jungen Offizier Kessel aus einem reißenden Fluss. Kessel war mit seinem Wagen auf dem Weg nach Hause, hatte am Abend sechs Bier zu viel und kam dann auf einer Brücke von der Straße ab. So krachte er durch das Geländer und landete im reißenden Fluss. Der angehende Arzt und Jude Josua war ebenfalls auf dem Weg nach Hause, auf dem Fahrrad und natürlich nicht betrunken, wie wir im ersten Gespräch der beiden Hauptpersonen gewieft dialogisch ausspielen:

Josua zieht den durchnässten Kessel ans Ufer.

JOSUA Sind Sie verletzt?
KESSEL Ich ggll …
JOSUA Ja?
KESSEL Ich ggll …
JOSUA Sind Sie nicht von hier?
KESSEL (sauer) Natürlich! Ich bin Deutscher. Und Arier.
JOSUA Und betrunken.
KESSEL Deutsche Männer sind nicht betrunken. Deutsche Männer trinken.
JOSUA Zuviel, wie ich sagen muss. Sie sind außerdem klitschnass.
KESSEL Wasser macht mir nichts. Es steht unter mir. Haben Sie etwa nicht getrunken, junger Mann?
JOSUA Nein, habe ich nicht. Ich trinke nicht.
KESSEL (verdächtigend) Warum nicht. Es ist Samstagabend. Religiöse Gründe?
JOSUA Nein, dramaturgische.
KESSEL Sind Sie Jude?
JOSUA Sie haben es erfasst. Kann ich Sie nach Hause bringen?
KESSEL Niemals. Ich ggll …
JOSUA Nicht schon wieder.
KESSEL Ich gg-gglaube, mir ist schlecht.
JOSUA Ach. Sie sind nicht betrunken, aber – – –

Josua will noch etwas sagen, da übergibt sich Kessel auf seine Schuhe.

Nachdem sich Kessel wieder gefangen hat, erkennt er was Josua für ihn getan hat, allerdings hat er keine Zeit mehr sich zu bedanken. Am nächsten Morgen ist Josua einfach verschwunden.
Nein. Josua ist nicht deportiert worden, immerhin ist es erst 1931. Wie ein gestörtes Kleinkind, welches sprunghaft von Langeweile überkommen wird, fällt dem deutschen Volk erst einige Jahre danach ein, dass man ja Juden hasst und sie für alles verantwortlich machen muss, was man nicht mit Blitzkriegen oder Autobahnen hinbiegen kann. Zum Beispiel das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit und des fehlende völkischen Charakters, und wenn der fehlt, dann braucht man einen reinigender Genozid um sich wieder wohl zu fühlen.
Also springen wir ins Jahr 1943:
Josua ist auf der Flucht und versucht sich im Keller der, mittlerweile, Familie Kessel zu verstecken. Vater Kessel hat Mutter Helga geheiratet und mit ihr die elfjährige Tochter Emma und den siebenjährigen Sohn Hans. Kessel ist Berufsalkoholiker und nebenbei noch bei der SS. Abends will er sich mal wieder eine Kiste Bier aus dem Keller holen und entdeckt dabei Josua. Eigentlich will er sofort die Kameraden holen und Josua ein Erster-Klasse-Ticket für diese schmucken Züge gen Osten besorgen, mit dem seine „Artgenossen“ doch so fein in die freimachenden Ferien fahren, aber dann erinnert er sich an die Nacht vor zwölf Jahren. Er schuldet Josua sein Leben und mit einer modernen Popkulturreferenz im Dialog…

KESSEL Ich schulde Dir mein Leben.
JOSUA Du meinst, so wie Chewie Han Solo in Star Wars?
KESSEL Was? Tut mir leid. Ich spreche kein Jüdisch.
JOSUA Schon gut.

… nimmt Kessel Josua in die Familie auf und versteckt ihn fortan gegen seine eigene Überzeugung.
Natürlich lernt die Familie in den folgenden drei Staffeln viel von ihrem geheimen Gast. In einer Episode, in der der kleine Hans zur HJ soll, wird mit Josua zusammen das gute Gefühl, welches einem die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und die Anonymität gibt, ergründet und am Ende finden alle zusammen heraus: Die Familie ist die stärkste aller Gruppe, auch Freunde können Familie sein und Freunde sind wichtiger als Landsleute.
Gleichzeitig gibt es immer wieder Probleme mit den skeptischen und spionierenden Nachbarn, den Autmeiers. Oft läutet die SS an der Tür, sucht nach einem versteckten Juden und Josua muss sich in der Küche verstecken, unter dem Tisch, in einer Kammer zwischen Fußboden und Kellerdecke.
Jede Episode beginnt, genretypisch, mit einem neuen Problem. Zum Beispiel das eine Mal als Josua Sabbat feiern will und Kessel versucht koscher zu kochen. Helga versucht im Eisenwarenladen einen siebenarmigen Leuchter zu kaufen, und kommt am Ende mit zwei vierarmigen Leuchtern nach Hause, die sie zusammenstellt und herzensgut einen Arm abbricht.
Natürlich treten auch Gaststars auf. Bruno Ganz spielt in der Episode „Wir fahren nach Berlin“ mit, genauso wie Christoph Walz in der Episode „Vichy waschi.“ Götz George gibt noch einmal den Mengele, in der Doppelfolge „Out of Auschwitz“ und antwortet auf die Frage, ob er noch etwas Schweinebraten möchte, mit: „Nur wenn dem Schwein mit Sterbehilfe geholfen wurde.“ Großer Lacher am Tisch, Kopfschütteln bei Josua darunter.
Auch eine Sitcom-übliche Catch-Phrase schafft es in die Serie, wenn Josua fast in jeder Folge mit Handtuch um die Hüften aus dem Badezimmer kommt und Kessel fragt, warum die Gasleitung so rumpelt. Die Antwort des viel zu oft wiederholten Kalauers wächst über die Jahre beinahe rührend ans Publikum und wird schließlich auch auf T-Shirts gedruckt, in Anführungszeichen und Sprechblase über Kessels Kopf:
Keine Angst. Geh’ ruhig duschen.
Viel Kritik und böse Worte bekommt die Serie dagegen in der Presse. Aber ebenso wie der hohen Auflage von Dieter Bohlens Memoiren oder dem neusten Martin Walser-Buch, kann Kritik der Serie nichts anhaben. Schon gar keine Moral-Kritik. Sender, Produzenten und Erfinder feiern unglaubliche Einschalquoten und einen Dauerplatz bei Stefan Raab, Harald Schmidt und auf den Sofas von Will, Illner und Plasberg.
Der Darsteller des Josua allerdings, muss seine Karriere nach der letzten Episode begraben. Nachdem die Serie eingestellt wird, weil sich auch der derbste Nazi-Humor einmal totläuft, ihm wahrsten Sinne, wird er nur noch als „der Typ, der den Juden in dieser Nazi-Sitcom gespielt hat“ auf dem Sofa von Frühstücksfernsehsendungen im dritten Programm vorgestellt. Dabei ist es auch ganz egal wie viel avantgardistische Interpretationen er von Anouilhs Antigone an der Volksbühne gibt. Ähnlich wie der Alkoholiker Kessel in der Serie, verfällt er schnell dem hochprozentigen Problemausblender. Anders als die fiktive Figur, hat er allerdings keinen Gut-Juden zur Seite, der ihn, wie in der Episode „Ein Arier kennt kein Schmerz“, von der Flasche wegbringt:

INT. ABEND Küche

Kessel kippt das Schnapsglas herunter und verzieht keine Miene.

JOSUA Sie bleibt nur bei Dir, weil sie aufgeschmissen wäre, wenn sie Dich verlässt. Verstehst Du das? Das ist doch keine Basis für eine Beziehung.
KESSEL (betrunken) „Lieber Frau und Kind erschossen, als ein Tropfen Schnaps vergossen.“
JOSUA Bier.
KESSEL Wirklich? Du trinkst doch gar nicht.
JOSUA Ich meine, es heißt „Bier“. „Als ein Tropfen Bier vergossen.“
KESSEL Das ist mein Gedicht, Jude.
JOSUA Ach. Sind wir wieder beim „Sie“, ja?
KESSEL Ich hasse euch. Ihr seid schwach und linkisch und … schwach.
JOSUA Armdrücken?
KESSEL Jederzeit.

Kessel räumt mit einem Wisch den Tisch ab und macht sich bereit.

JOSUA Wenn ich gewinne, hörst Du auf zu trinken.
KESSEL Abgemacht.
JOSUA Ernsthaft. Vergiss nicht: Lebensschuld und so … schwöre!
KESSEL Auf den Führer.
JOSUA Schwör’ auf was, ohne peinlichen Schnurbart.
KESSEL Auf das tausendjährige Reich.
JOSUA Gut. Auch wenn ich denke, dass der Name leicht optimistisch gewählt war.
KESSEL Du wirst schon sehen.

Josua ergreift Kessels Hand und dieser beginnt sofort zu drücken. Sein Gesicht verfärbt sich rot.

JOSUA Was ich mich immer gefragt habe …
KESSEL (verkniffen) Ja?
JOSUA Ihr habt einen Führer, dessen Eltern verwandt sind … einen Propagandaminister mit Klumpfuß und einen Filmstar mit einer jüdischen Frau.
KESSEL (gepresst) Geschieden.
JOSUA Findest Du nicht, dass ihr einer leichten Form von Doppelmoral aufsitzt …?
KESSEL (stöhnend) Gleich … hab’ … ich … Dich.

Mit aller Kraft und jetzt auch zwei Händen zieht Kessel Josuas Arm langsam in seine Richtung, Josua spannt seine Muskeln an und knallt Kessel dann auf seine Seite des Tisches. Kessel erstarrt, dann fällt er mit dem Gesicht auf den Tisch und beginnt sofort zu schnarchen.

JOSUA Herrenrasse … tz.

Josua steht auf, löscht das Licht und geht zur Küchentür. Mit einem Blick zurück auf Kessel:

JOSUA Schlaf gut, kleiner Siegfried.

Abblende und „Friends“-Abspannmusik.
Ding. Ding. Ding-Ding. De-Ding-Ding.
„I’ll be there for youuuu!“

Wie Tupac, Falco & Johnny Cash

Kürzlich kam eine Studie raus, die statistisch nachzuweisen versucht, dass treue Männer intelligenter als untreue Männer sind. Oder andersrum. Außerdem sind intelligente Menschen öfter ungläubig, also nicht „ungläubig“-ungläubig, sie glauben eben nicht an Gott. Da dies gesagt ist, sage ich nur noch das: Ich bin treu und Gott gibt es nicht!

Und an Wiedergeburt glaube ich auch nicht. Da bin ich aber wohl der Einzige: Drei neue Alben sind draußen. Von drei Künstlern die tot sind. Nachgewiesenerweise. Drei Künstlern, na ja nennen wir sie Musiker, also von Musikern die ich sehr bewundere, bewundert habe. Als sie noch lebten, und bevor die grabräuberische Plattenindustrie sich ihrer B-Seiten-Überreste bemächtigte. Nicht jeder Pop-Star gehört nachinterpretiert wie Beethoven oder Mozart, von denen immerhin im Jahr gefühlte tausend neue CDs rauskommen. Und wer will schon das „Rock me Amadeus“ in hundert Jahren noch von flinkfingrigen Chinesen, deren Vorname genauso ‚lang’ wie ihr Nachname ist, am Piano nachinterpretiert wird? Oh Herrgott, vergib mir dieses Wortspiel … ehm, hab’ ich Herrgott gesagt? Ich meinte … niemand.

Erfreulicher ist da die Nachricht dass der Papst jetzt doch was gegen Missbrauch der „so called“ ‚Schutzbefohlenen’ hat. Oh, wie ich die Kirchen liebe. Gerade wenn man als liberaler, sozialdemokratisch erzogener und die Basisdemokratie anstrebender Häretiker denkt, endlich haben wir alle Gnostiker vertrieben und sind vollkommen säkular … dann donnern die Kleriker mit 1,5 (oder wie viel auch immer) Promille zurück in die Öffentlichkeit, erklären dem Staat mit donnernder Faust und Gischt vor den schiefgebeteten Zähnen, sich raus zuhalten und richten die ihren und sich selbst nach eigenem Ermessen. „Talk about“ Parallelgesellschaften!
[Anmerkung in eigener Sache: Ich muss das wirklich lassen mit diesen englischen Redewendungen, außerdem sollte ich mal an Fremdwörtern sparen, so krieg ich das Diplom auch nicht schneller.]

Eine andere Parallelgesellschaft ist der Feuilleton. Ich meine „das“ Feuilleton. Fuck you, Word 2007! Rote und grüne Zickzacklinien, seit wann lass ich mir eigentlich von so was mein Schriftbild diktieren?
Also „das“ Feuilleton. Das Feuilleton? Ich finde nur wirklich wichtige Dinge sollten „das“ heißen, und sollten so den Ritterschlag der Sächlichkeit bekommen. So wie „das“ Kino. Das Brandenburger Tor. Das Ekzem. Na ja, war gut das ich mit Linguistik aufgehört habe. Zurück zum (danke) Feuilleton:
Jemand im „Business“ hat mir mal erzählt das nur 11% der Zeitungsleser den ‚Kulturteil’ überhaupt aufschlagen. Meistens sind es Leute die selber im Kulturbetrieb arbeiten oder an dessen schattenhaftem Rand. Diese liefern sich nun, was im Fachjargon eine „Schlammschlacht“ heißt über Axolotl. Ich musste es erstmal wikipedien … wikipediaen … erstmal bei Wikipedia eingeben … (Google, diese Schweine, den perfekten Namen für das perfekte Verb): Es ist ein Lurch.
Für mich sieht das Wort aus wie eine Abkürzung für „Hugs and Kisses“ und jemanden der laut auflacht, aber scheinbar ist es ein Lurch (was den „Roadkill“ auch verständlicher macht).
Keine Ahnung was das mit einer überprivilegierten Göre aus Berlin zu tun hat, aber es hat. Jedenfalls sind irgendwie alle für die junge 17-Jährige … manche auch nicht, die werden dann aber ganz schnell runter gemacht, mit Argumenten wie „auch Bertold Brecht hat abgeschrieben“ oder so was. Wahrscheinlich hat er das sogar. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, dass Brecht mehrere junge – ich nenn sie mal – Schreibsklavinnen / Schrägstrich / Sexsklavinnen hatte, also keine echten Sklavinnen, die er im Keller seines Hauses, nein, dass machen nur Österreicher, nein, ich meine willige und freiwillige junge Literaturstudentinnen oder andere Schreiberinnen, die alles für ihn getippt haben, was er wollte und er, also Brecht, konnte dann, was er wollte, unter seinem Namen veröffentlichen. Bestimmt war es so, die haben doch sowieso nur getippt und gefickt im Osten (uhoh!), hatten ja nichts, jedenfalls kann ich mir das gut vorstellen, schließlich war der olle Berthold so was wie Robert Pattinson heute, nur das er geschrieben hat und nicht halb so weibisch aussah.
Wo war ich: Ah ja, Helene. Ach, nein.
Das Ding ist, und ich fasse es nicht das ich einen geschriebenen Satz mal so beginnen würde, aber bei mir ändert sich ja sowieso der Stil gerade, also egal: Das Ding ist, das Abschreiben, Gedanken, Worte, ganze Sätze oder gar Absätze zu klauen, bestimmt nichts neues ist. Es gibt sogar eine Diskussion darum, ob nicht Darwin der Erfinder des „Darwinismus“ ist, sondern ein Typ namens Alfred Russel Wallace, was Darwin dann zum Erfinder des „Wallaceismus“ gemacht hätte, was wiederum dumm klingt und irgendwie ist es ja auch egal.
Es ist der spezielle Gedanke der zählt. Viele Leute reden dieser Tage, oder schreiben in den eckigen Klammern die „das“ Feuilleton ist, über Urheberschaften und das alle bei allen abschreiben. Aber wie von alleine finden große Werke, große Ideen immer zum richtigen Namen, selbst wenn die Namen die Patente abgeben, wie Tesla zum Beispiel. Am Ende geht es nämlich nicht ums Abschreiben, es geht um die herausragende, die neue Idee. Das einzigartige Element, welches man nicht vortäuschen kann, welches man hat. Die Tatsache dass über das Lurch-Buch nicht anders, als im Streit über die Urheberschaft berichtet wird, lässt mich zweifeln dass dort so ein einzigartiges Element versteckt ist. Es ist nur ein Buch unter vielen Büchern. Von einer nicht mal ganz post-pubertierenden, mittlerweile und unter den Augen von hunderten Journalisten erst kürzlich, achtzehn Jahre alt gewordenen Autorin geschrieben.
Ich geh’ davon aus, gäbe es nur einen interessanten, einen neuen Gedanken (und ja, die gibt es. Nicht alles ist schon mal da gewesen, dass merkt man allein daran wie Ideen einen ansprechen), gäbe es also auch nur eine unikäre Seite im Lurch-Buch, niemanden würde es interessieren von wem sie den Rest abgeschrieben hat.
Ein Beispiel? Ihr fragt nicht, ich antworte trotzdem. Die Geschichte von Matrix, all der Auserwählte und künstliche-Intelligenzen-übernehmen-die-Welt-Kram, all das war schon lange vorher da. Auch dieser Bullet-Time-360-Grad-Kamera-Bullshit sieht heutzutage blöd und altbacken aus. Trotzdem hat dieser Film etwas Einzigartiges. Und deswegen dürfen diese beiden Freak-Brüder jetzt jeden Scheiß ins Kino bringen, eben deswegen. Genauso wie Günter Grass, der nach Waffen-SS plötzlich von der Stasi verfolgt wurde und sich so in den Gehirnen rehabilitieren will: Warum geben wir einen Dreck? Weil die Blechtrommel nun mal eines der besten Bücher in deutscher Sprache ist. Das merkt man übrigens bis in den Film hinein.
Und so geht es hunderten und tausenden anderen Werken auch. Sie sind einzigartig, besonders und deswegen lesens-, guck- oder hörwert. So wie Johnny Cashs letzten fünf Alben. Country in Schwarz. So wie Falco, jedenfalls als er noch lebte und so wie Tupac. Den würde doch niemand unzählige Male wieder auflegen und sampeln, wenn er nicht einzigartig gewesen wäre. Bücher, Filme, Lieder, Bilder, Comics … Natürlich klauen die Menschen wie wild, aber wer klaut ist selber schuld. Weil das Level einer geklauten Idee kannst Du nie halten.
Und wenn man doch von Diebstahl redet: Dann ist das Neid. So wie mein Neid auf den Feuilleton.
Gott, würde ich gerne dazugehören.
Und Gott sei Dank tu ich es nicht.
Ach ja, es gibt ja keinen Gott.

Fast Erwachsen seit fast zehn Jahren (in Berlin) [verfasst am 4. Februar]

Zum Aufwärmen ein wenig Alltagspoesie:
Der Zeitgeist in Berlin scheint dieser Tage das Knirschen unter den Schuhen zu sein, welches bis in die hintersten Regalgänge bei Kaisers den Streusplitt trägt. Schneeweiß wird zu Matschbraun, nur um dann als Dreckschwarz zu verklumpen. In Festungsstärke umrankt so die Schmutz gewordene Wintererinnerung Stromkästen und Laternenpfeiler. Einzig die Gewissheit das es irgendwann weg sein wird, dass trübe Zeug, einzig das erhält den Kampfgeist. Aber: Genug der Trauermär.

Ich lebe, atme, laufe und arbeite auch ab und an nun seit knapp 10 Jahren in Berlin. Na ja, bald sind es neun, doch das Aufrunden gefällt mir: Mit fast 29 bin ich knapp 30 und mit 1 ½ Zimmern und raus aus der WG bin ich schon fast erwachsen.
Es ist anders, als es vor knapp zehn Jahren war. Wohnungen sind beinahe immer noch gut zu kriegen, aber eben nur beinahe. Und das obwohl man beinahe die gleichen Ansprüche wie vor 10 Jahren hat, beinahe jedenfalls.

Vor knapp 10 Jahren hab ich auch deutlich mehr ferngesehen, soweit die gute Nachricht. In der WG, am Sonntagmorgen die Spiegel-TV-Dokumentationen oder Samstagnacht MTV. Heute guckt man kein MTV mehr, was nicht zuletzt daran liegt das dass „M“ schon lange für alles nur nicht für „Musik“ steht. Aber darüber haben sich schon schlauere Menschen als ich aufgeregt. Was mir allerdings neulich spanisch vorkam, war die MTV-Werbung für den sendereigenen Teletext, ganz so als wäre das eine brandneue iPhone-App. „Alle Tourdaten, Deiner Lieblingsband, ab Text-Seite 800!“ Jetzt muss MTV nur noch rauskriegen wie man über Teletext die Konzertkarten direkt kaufen, dass Konzert bewerten, sich Samples der Lieblingsband anhören und mit anderen Fans chatten kann, schon ist das Internet wieder geschlagen.

Vor knapp 10 Jahren war ich deutlich öfter draußen. Also nicht nur vorm Fernseher. Glaub ich jedenfalls. Gehört ja auch zum Erwachsenwerden, ein Drinnenmensch werden. Genauso wie sich einen Decanter zulegen. Leider passt der, mit seinem bescheuert-breiten Auswülstungen in kein Ikea-Regal. Immer steht er ein Stück raus. Und erwachsener als Ikea ist man dann doch nicht. Aber erwachsener als StudiVZ, oder Facebook, oder Xing, oder Twitter oder: Nein. Jeder ist bei Facebook. Und jeder ist im Stress. Gerade in Berlin. Und gerade auch, wenn man so viele Jobs in den „Neuen Medien“ auf so viel mehr Leute verteilt. Und die Leute leben dann auch alle noch in der gleichen Stadt und dort oft auch in der gleichen Straße. Also wird die Aufmerksamkeit, die „soziale Netzwerke“ (irgh, diese Wort!) erfordern, ungeheuerlich. Man ist nur mit „checken“, verlinken und Status-updaten beschäftigt. Wer nicht teilnimmt, der existiert nicht. Und wer nicht existiert, der nutzt Berlin nicht. Irgendwann gibt es dann auch ein Fach „Social-Network-Science“, und … ach. Wahrscheinlich gibt es das schon längst. Wie lange hab ich schon nicht mehr ins KVV gesehen. Aber beenden wir die neo-mediale-pseudo-wissenschaftliche Beredsamkeit:

Erwachsenwerden, erwachsen sein und das seit nunmehr fast einem Jahrzehnt war das Thema. Nun: Ich reg mich nicht mehr so sehr über schlechte „Wetten dass …?“ – Sendungen auf. Die sind aber auch sehr viel besser geworden. Ja, wirklich.
Vor knapp zwei Wochen ist J.D. Salinger gestorben. Im „Fänger im Roggen“ wird nur sehr wenig über Thomas Gottschalk philosophiert. Aber über den Wunsch immer Kind zu bleiben. Ich wollte dagegen immer Erwachsener sein. Und das nicht erst, seit ich wusste das man dann in die Ab-18-Abteilung der Videothek darf. (Natürlich die Ab-18-Abteilung in der die Horrorfilme stehen, nicht die Pornos.)
Ich wollte erwachsen sein, weil meine Eltern und die Erwachsenen im Allgemeinen, alles so viel besser im Griff zu haben schienen. Es sah leicht aus, so leicht. So wie No-Look-Pässe bei LeBron James leicht aussehen.
Ähnlichen Erfolg wie mit den No-Look-Pässen hatte ich dann auch mit dem Erwachsensein. Es ist scheiße-schwer, ehrlich gesagt. Gerade in Berlin. Die Kultur die man sich eingerichtet hat und in die man gerne abtaucht, mit Kneipen, Kinos, WG-Partys und viel, viel, viel Ablenkung, machte das Kind-bleiben so unglaublich einfach. Dabei alterte man aber ganz von alleine. Jetzt hab’ ich schon graue Haare an den Schläfen. Echte graue Haare und Geheimratsecken. Nicht viele, aber sie stechen heraus wie Singles beim Tanzkurs. Die grauen Haare, meine ich, nicht die Geheimratsecken.

Ich mag Berlin. Ich mag es im Winter, auch mit Matsch und Knirschen, und ich mag es im Sommer, wenn ich mich über Flip-Flops aufregen kann. Ich mag die Stadt die jetzt meine Stadt ist, ohne das ich auch nur eine familiäre Bindung zu ihr hätte. Die Stadt ist mein Freund und als solcher drängt er mich nicht irgendwas zu erreichen, er ist einfach da. Das ist Berlin.
Endlich hab’ ich nun auch mein erstes Weihnachten hier verbracht, und bin nicht zu meinen Eltern (nach Hause) gefahren. Ein großer Schritt.
Ja, ich bin ein Zugezogener, aber ein Glücklicher und einer der auch Bezirke wie Charlottenburg oder Wilmersdorf schätzt. Ich würde da nie hinziehen, aber ich schätze die Bezirke. Ich mag Leute die da herkommen. Es sind eben ein paar Leute mehr, die Berlin so zur Metropole machen.

Und ich mag Berlin weil ich hier machen kann was ich liebe. In vielen Teilen des Landes wäre ich unbeschäftigt, bis uneinstellbar. Wer braucht schon einen wie mich. Berlin braucht mich nicht nur, hier darf ich sein. Ich bin eine rare Spezies, hier ist mein Habitat. Das ist vielleicht arrogant und eingebildet und vielleicht belüge ich mich selbst, aber mal ehrlich: Auch ein Kapitän würde niemals in die Berge ziehen.

Wachstum, Reife, Erwachsenwerden ist aber nicht nur sein, es ist werden. Es ist eine Sendung. Ganz so, als hätten einen die eigenen Eltern mit einer art Programmierung versehen: Irgendwann kommt die durch. Die Rebellen, die Selbstverwirklicher, euch meine ich: Irgendwann kommt die Programmierung durch, kommt die Elternerwartung auch bei euch an. Und es ist eine Elternerwartung, im Teekässelchen-Sinn des Wortes. Älter werden und Eltern werden. Jetzt ist es da, so wie der Frühling, aber noch hab’ ich Winterschuhe an. Ich wünsch mir für dieses Jahr ein bisschen Wachstum. Einen erwachseneren Umgang mit Berlin, einen erwachseneren Umgang von Berlin mit mir. Und das ist keine Metapher. Sei ein bisschen weniger Kumpel, Berlin. Ich brauch’ das jetzt. Danke Dir, bis bald.
Dein Floris.

Mein subjektives Empfinden

Mir ist aufgefallen: Der Eintritt in die Neue Nationalgalerie ist teurer als der Eintritt in die Alte Nationalgalerie. Was mich zum Vergleich brachte: Das ist so, als wenn „Die Gefährten“ auf DVD billiger ist als „Die Rückkehr des Königs“ oder „Episode I“ teurer als „Die Rückkehr der Jedi“, was zu bedauern wäre. Allerdings: Es ist nicht wahr. Kein „Herr der Ringe“-Teil ist teurer als ein anderer. Und am allerbilligsten sind die sowieso in der 3-Teile Vorratspackung. Und der Grund warum ich in der Neuen Nationalgalerie mehr bezahlt habe ist: Ich hatte meinen Studentenausweis vergessen. Das ich ohne den eigentlich gar nicht hätte BVG fahren dürfen … na ja.
Der Punkt ist: Ich war in der Neuen Nationalgalerie. Ist schon ne Weile her, aber ich war da. Und es war toll.
Was soll ich auch anderes sagen. Mag man keine Kunst, oder das was alle für Kunst halten, wird man mit einem Lächeln und als dumm abgespeist. Mag man Kunst, reicht das noch lange nicht. Alles zu mögen geht sowieso nicht. Man muss schon eine eigene Meinung haben. Newman, Braque, Dix oder Beckmann. Auf keinen Fall Picasso, auch Dalí ist viel zu schnöde, so was schickt sich auf WG-Toiletten, aber als Kunstgeschmack … und schon gar nicht Werke verschiedener Künstler mögen und auf keinen Fall was schön ist. Besonders nicht weil es schön ist. Schön ist eben nicht schön, wenn die Leute die entscheiden ob es schön ist, niemals Worte wie „schön“ oder „chic“ gebrauchen, sondern etwas stets nur „inspirierend“ oder „dramatisch die junge Szene aufrüttelnd“ finden.
Ich kann mit aufrüttelnd die meiste Zeit nichts anfangen. Manchmal muss es eben Law & Order sein und nicht Dexter.
Ich mag kubistisch verschlungene Gesichter neben einem Bild voller Uhren dem Aussehen nach, sonst aus keinem anderen Grund. Ich mag auch eine Skulptur aus Badekugeln, wenn sie mein ästhetisches Empfinden anspricht. Aber ich kann eben nicht sagen was ich mag, ohne es zu sehen. Ich weiß ich mag Explosionen im Film, aber den zweiten Rambo fand ich trotzdem beschissen. Ich mag gute Dialoge, aber bei Eric Rohmer krieg ich Angstzustände. Manchmal mag ich große Gemälde, wie den „Mönch am Meer“, manchmal kleine Zeichnungen, nicht mehr als drei Striche, ganz der späte Picasso. Und Museen, Museen mag ich.
Das ist keine Frage von Empfinden, es ist eine Frage von Sendungsbewusstsein. Ich will dass alle Menschen in Museen gehen und gehen können.
Wenn in Falludscha wieder die Straßen befestigt sind, jeder Trinkwasserzugang hat, ein Dach über dem Kopf und die Kinder wieder zur Schule gehen, dann muss da als nächstes ein Museum hin. Irgendwas mit viel Kunst. Die muss ich nicht mal mögen, kann auch ein Militärmuseum sein. Wappen & Wimpel, von mir aus. Aber in einem Museum eben. Dort predigt keiner, niemand wird angeklagt, von niemandem wird Ablass verlangt oder zum Mord an den Ungläubigen aufgerufen. Kunst muss gefördert werden und wieder erreichbar sein, muss vorgeführt werden. Und wenn man eine Kooperation zwischen Madamme Tussauds und dem MoMa hinkriegt und dadurch vielleicht ein Germany’s Next Topmodel-Fan auch mal an ein paar dadaistischen Montagen vorbeiläuft und dann vielleicht, nur für eine Sekunde, stehen bleibt und denkt: „Cool.“ Das ist es wert.
Es wird immer Kreise von Experten geben, Logen, Lobbys und Gespräche in Hinterzimmern. Kritiker und Fachleute werden sich immer außerhalb der Gesellschaft treffen, bezahlt vom Jedermann. Und das ist auch gut so. Die Bücher die die schreiben muss niemand verstehen, es reicht wenn ein paar Studenten das lesen, und genauso wenig verstehen. So lange Museen da sind und wir gezeigt bekommen was dort drinnen ist, und es so unterschiedlich wie Pepsi und Cola ist: Das reicht. Kunst muss in die Schulen, es muss über die Deutung des letzten Abendmahls genauso geredet werden, wie über den sterbenden Genitiv. Deutung muss erklärt und beigebracht werden, wozu ist Kunst sonst gut. Wer deutet schießt nicht auf Leute die eine andere Meinung haben, er argumentiert, mal werkimmanent, mal historisch oder biografisch.
Dann hab’ ich auch keine Angst mehr vor der Verrohung der Gesellschaft durch zu extreme Horrorfilme (mag ich doch selber), wenn in Museen gezeigt wird was Schönheit ist, was Kunst ist, da geht das schon klar.
Jugendliche und Querdenker werden sich immer unverstanden und ausgeschlossen fühlen, sowohl in der Pubertät wie auch im Leben sonst. Aber wenn sie „Der arme Poet“ sehen, sehen sie sich verstanden. Es gibt tausend Filme die es zeigen wollen, aber keiner zeigt es so genau wie dieses Bild. Das Los der Einsamkeit in Hingabe zum Wort, zum Gedanken, auf 36 mal 45 Zentimeter in Öl. Und wenn dann ein pubertierender Jugendlicher, der tausend und ein Liebeslied für eine unerreichte Schönheit geschrieben hat, kurz vor der Aufgabe, dieses Bild sieht: Ich bin mir sicher, das Verständnis (die Erkenntnis!) reicht um durchzuhalten. Naja, nicht um durchzuhalten, aber vielleicht um den einen oder anderen tief traurigen Roman zu schreiben (vielleicht nicht unbedingt abschreiben: Hörst Du, Helene, ja Dich meine ich. Ein bisschen mehr Einfallsreichtum bitte, da hilft auch der Haassche-Zuspruch nichts, klar?!). Und irgendwann wird der tief traurige Jugendliche, mit einem frischen Ullstein-Preis unterm Arm, eine Literaturstudentin treffen (die Groupies des hadernden Texters), sich neu verlieben und glücklich werden. Danke, Carl!
Aber es muss nicht immer ein Spitzweg sein: Ein Mann in einer Midlife-Crisis kann, bei einer Live-Performance auf der Kastanienallee, bei der durch die Ausscheidung von Kot und Urin in einen gewöhnlichen Aluminium-Eimer von der Darstellerin direkt und live die Vergänglichkeit und die unbedingte Konzentration allen Seins auf Stoffwechsel vorgeführt wird, bei dieser Performance kann unserem Midlife-Mann klar werden: „Haha. War alles umsonst. Ich muss leben um nicht tot zu sein.“ Und wieder jemand glücklich, oder glücklicher. Alles durch Kunst.
Wer bin ich, dass ich mein subjektives Empfinden und meine Abneigung gegenüber Live-Performance jemandem aufdrücke. Ich will die Freiheit für „Family Guy“, also gibt es auch Freiheit für Fäkal-Performance. Und es gibt Fördermittel. Oh, ja. Fördermittel. Zieht den Stecker von Großprojekten wie „24h Berlin“. Doku-Soaps gibt es genug. Das Geld ist besser investiert in weit gestreuten Kultur- und Kunstfonds. Aber, und das bleibt noch zu begreifen, die Diversifikation – schweres Wort, auch zu schreiben – muss überall hin, nicht nur dort wo am Ende der gemeine Förderheini die Jugend sucht und den Mammon vermutet. Ja, auch der Bushido-Film wurde gefördert, und nicht zu knapp. Vielleicht werden die Förderer aber auch einfach nur müde das Geld nicht mehr wieder zu sehen. Könnte man meinen. Andererseits: Bei Bushido wär doch jeder gerne eingestiegen. Geld-Zurück-Garantie, mit Gewinnmarge inklusive.
Aber wo war ich? Mein subjektives Empfinden. Ich mag Museen, weil ich mich dort wieder finden kann, genauso wie im Horror A bis K Regal in der Videothek und in der Science-Fiction und Thriller Ecke bei Dussmann. Für dieses Jahr will ich lernen niemanden, der vor mir an der Kasse von Saturn eine Schlagerhits-CDs kauft, naserümpfend mit Kopfschütteln zu betrachten. Für alle anderen gilt das gleiche. Und, ach ja: Museen sollten umsonst sein, ich fordere die Kunststeuer. Guten Abend.

Han

Es ist kurz vor Ende Januar. Die Straßen der Hauptstadt, der Länder und sowieso alle stecken im tiefsten Schnee. Bushido bringt einen Film zur Berlinale, oder bringt die Berlinale Bushido ins Kino. Ein Film in dem sich Bushido selber spielt, in einer Geschichte über sein Leben. Bushido wird zitiert und sagt: Du brauchst Respekt, sonst bist Du ein Opfer, oder so ähnlich. Kurze Begriffsklärung: Opfer ist ein momentaner Zustand. Man wird Opfer eines Gewaltverbrechens oder einer unfähigen Regierung. Die FDP hofiert die Opfer des Schneechaos, die Hoteliers. Hoteliers in Spanien, gerade die auf dem Land, werden bald ein weiteres Gimmick auf ihre Websites und auf ihre Flyer schreiben können: Mit tollem Blick auf das atomare Endlager. 500 Millionen kriegt das Dorf, welches am Ende den Zuschlag erhält, wenn es in der Nähe von Kinderspielplätzen, Sporthallen und Schwimmbädern strahlendes Material hinter Stahlbetontüren verschließt. Und es bewerben sich viele. Ein kleines hessisches Dorf, ja genau, hat vor ein paar Jahren 5 Millionen für ein Gefängnis bekommen. Beworben haben sich da auch viele andere Dörfer. Billig die Hessen. Gefängnisse, Endlager und Stahlspitzen in Dubai werden gebaut. Ein neues World Trade Center haben sie noch nicht mal angefangen. Eine Brücke zwischen Italien und Sizilien bauen sie auch. Berlin wollte ein Riesenrad, oder haben die das schon? Schulen, Kindergartenplätze, Vorurteile über Minarette ab oder weniger subventionierte Sojabohnen anbauen … Gene Hackman ist Achtzig geworden. Sein letzter Film war vor sechs Jahren, eine Komödie mit dem Typen von „Alle lieben Raymond“. Ein paar Jahre vorher hat er „Runaway Jury“ gemacht. Dort begegnet sein Charakter dem Gegenspieler auf der Toilette des Gerichtsgebäudes, beide streiten dann lächelt Gene abfällig und sagt: „Oh. I get it now. You are a moral man, living in a world of moral relativity.” Hackmans Gegenspieler spielt sein alter Kumpel Dustin Hoffman. Am Ende gewinnt natürlich nicht Hackman. Immer wieder hat er Opfer gespielt, Loser. Mit Respekt hat Verlieren nichts zu tun. Ich hab’ nicht automatisch Respekt für Bushido, warum auch, ich kenne ihn ja gar nicht. Ich hab’ auch keinen Respekt vor der schwarz-gelben Regierung, jedenfalls jetzt nicht mehr: Einfach uralte Atommeiler weiterlaufen lassen? Ihr seid echt taub nach Stockholm gefahren!
Spanien kann dann bald zu wirtschaftsfördernden Preisen den Atommüll für uns einlagern. Wenn dann mutierte Zombiehorden aus dem Südwesten einfallen, brauchen Viele von uns keinen VHS-Kurs mehr um sie zu verstehen: Spanisch ist die beliebteste Fremdsprache unter den 18 bis 27jährigen. Nach Spanien selber will ich jetzt nicht mehr.
Ich will das Bernd Eichinger wieder einen Film wie „Im Namen der Rose“ produziert, von mir aus können dann auch Moritz Bleibtreu und Hannelore Elstner wie einst Sean Connery und Christian Slater zusammen spielen, Regie bitte nicht Uli Edel, oder doch, aber dann der Uli Edel der „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ gemacht hat.
Ich will auch kein Opfer sein. Natürlich nicht. Ich will sagenhaft gute Kritiken kriegen, egal für was. Respekt von den Mächtigen, von mir aus. Aber wenn nicht: Auch nicht schlimm. Ralph Nader hat, glaube ich, drei Mal kandidiert um Präsident der USA zu werden. Er hat nie gewonnen (2 komma irgendwas war wohl sein bestes Ergebnis). Ich habe großen Respekt für ihn. Richtig großen sogar. Wenn Du verlierst, und Du glaubst an Deine Sache, dann sorg dafür das es auffällt. Ich kann nicht beeinflussen ein Opfer zu sein, ich versuche es zu vermeiden, manchmal handle ich wider besseren Wissens und schalte nicht um wenn „Wetten dass…?“ läuft, aber die meiste Zeit ist man ja doch klar im Kopf. Aber wenn man Opfer wird, hat das nichts mit fehlendem Respekt zu tun. Sowieso kümmern sich alle immer viel zu sehr um den Respekt, dieses männlichste und brachialste aller Wörter, na ja nicht aller Wörter, Waffen-SS klingt immer noch deutlich brachialer …
Apropos Wörter die klingen: Im Koreanischen gibt es das Wort „Han“. Das ist schwer zu übersetzen, allgemein bedeutet es Schwermut, Geschlagenheit, Traurigkeit und eine Last auf den Schultern. Aber dann ist da noch eine gewisse Hoffnung, etwas keimt auf und das Wort scheint seine eigene Melodie zu haben, die am Ende doch zuversichtlicher wird.
Ich verliere vielleicht, vielleicht schaffe ich es nicht mich aus der Opferrolle gegenüber der neuen Regierung heraus zu klauben, aber ich muss nicht Opfer der Bushido-Biografie werden und Respekt verdiene ich mir auf meine eigene Art. Ich hab’ hier lange nichts mehr geschrieben, genau damit fange ich an. Ich ändere mich.
2010 hat gerade begonnen. Das wird ein gutes Jahr, ich weiß es, ich mache es dazu.

Vitamine

>>Ich ließ die sonstigen Makel der Welt von mir abfallen wie Blätter im Herbst, ohnehin war vor dem Fenster die Welt in matschgraue und erdtonartige Vielfarbigkeit getüncht. Selbstlos ergaben sich mein Hund und meine Katze in einen Reigen der zu meinem Gemüt passte. Ich hatte sie beide in friedlicher Koexistenz aufgezogen, die Katze übernahm selbstredend die strenge Funktion der Mutter. Der Hund lechzte nach der üblichen Aufmerksamkeit die sonst nur frühlingsfrisch Heranwachsenden zuteil wird. Mir war beides recht.>Lichterloh brannte mein marmorierter Plastilin-Schrank. Mir hatte das Muster nicht gefallen, also hatte ich ein Streichholz bemüht, und dann noch eines und noch eines, bis das Möbelstück in Flammen stand. Annähernd zweitausend Grad Temperatur hat ein solches Zündholz, wenn man es an der phosphorierten Seite der Schachtel anstreicht. Annährend zweitausend Grad. Katalysiert man dieses Anstreichen durch mehrere Zündhölzer in Reihe, so lässt sich für einen kurzen Moment die Hitze spüren, die zum Beispiel ein Verbrennender auf dem Scheiterhaufen erdulden muss, oder auch ein Buch auf demselben. Vor ein paar Jahren wurde in einem Dorf in Sachsen-Anhalt bei einer Sonnenwendfeier das Tagebuch der Anne Frank verbrannt. Ein Tagebuch. Zu wenig Mut den Tanach, den Talmud oder den Koran zu verbrennen, aber sich an den Aufzeichnungen einer Minderjährigen vergehen. Vergewaltiger und Bücherverbrenner sollte man kastrieren, oder vor ihrer Haustür in Zeitungspapier eingewickelte Scheiße anzünden. Ich habe meinen Plastilin-Schrank wieder gelöscht und baue jetzt ein Vogelhaus aus den Überresten. Es wird nicht schön, ein Sozialbau für Stadtmeisen. Den Eingang mache ich extra klein, es müssen ja nicht alle Schmarotzer-Tauben Einlass finden. Ein wenig Arsch muss jeder sein.

Gravitas

Seegurke, schon mal jemand gesehen? Nicht nur ein furchtbarer Name, sie sieht auch noch so aus. Nach der Meinung einiger Wissenschaftler allerdings, gelingt der Seegurke das, wonach wahrscheinlich jeder strebt … jedenfalls jeder, der einen Gott-Komplex mit sich rum trägt oder irgendeine andere Art von Angst vor dem Verschwinden hat: Unsterblichkeit.
Ja, tatsächlich. Theoretische Unsterblichkeit. Hat irgendwas mit fortwährender Zellteilung zu tun und natürlich nur unter optimalen Bedingungen, so ungefähr wie damals Perry Rhodan. Relative Unsterblichkeit.
Und dann gibt’s da noch diese Quallenart, die ist so was wie der Wiederholungs-Benjamin Button der Tierwelt ist. Sie entwickelte sich ganz normal, aber ab einem gewissen Alter kann sie sich zurück in die geschlechtsunreife Jugend entwickeln. Wenn die das immer wieder macht, auch hier: Theoretische Unsterblichkeit.

Gratias tibi ago, domine

Pflanzen sind da auch ziemlich gut drin. Ein Mammutbaum in Kalifornien ist nachgewiesene viertausend Jahre alt. Denke mal nicht dass irgendjemand die Ausweispapiere einer Qualle überprüft hat. Viertausend Jahre. Dann gibt’s noch diese Espe in Utha, 800000 Jahre, die klont sich allerdings auch dauernd selber, deswegen.
Der älteste Mensch ist 1997 gestorben und wurde 122 Jahre alt. Sie war Französin, war ja klar. Man kann jetzt, über ein Tool im Internet, bereitgestellt von der Eduard Aeberhardt-Stiftung, seine persönliche Lebenserwartung berechnen. Oder man hält sich, wie jeder geistig gesunde Mensch, an die statistischen Mittelwerte und harrt der Dinge die da kommen, vielleicht wird man ja überrascht, vielleicht schläft man so auch besser.

Haec credam a deo pio, a deo justo, a deo scito?

Weltweit ist die durchschnittliche Lebenserwartung 65 Jahre. Am ältesten werden Menschen in Macao, in Japan und in Hong Kong, und liegen dabei mehr als fünfzehn Jahre über dem Durchschnitt. Deutsche werden im Schnitt 77,8 Jahre alt. Wenn also der achtundsiebzigste Geburtstag nahe rückt … aber das ist Statistik und ein Wert für die erste Welt. Die dritte Welt weicht ab. In Mozambique wird man durchschnittlich nur 42 Jahre alt. Genauso in Simbabwe, in Sierra Leone und auch in Afghanistan sieht es nicht viel besser aus. Gilt allerdings nur für Einheimische.
Die deutschen Soldaten, die neulich zum ersten Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte in aktive Kampfhandlungen verstrickt waren, zählen deutsch, werden also 77,8 Jahre alt. Sag das mal den zivilen Verlusten. Vielleicht will man in der dritten Welt aber auch einfach nicht älter werden …

Cruciatus in crucem

Die durchschnittliche Lebenserwartung einer Frau in Saudi Arabien ist fast so hoch wie die in Deutschland. Nur das das Leben da nicht recht Spaß machen will.
Woher kommt das eigentlich, dass wir zu fast jedem Land auf der Erde gute wirtschaftliche Beziehungen pflegen? Und fast jedes Land der Erde will Beziehungen zu uns. Saudi Arabien ist nach eigener Aussage sehr interessiert an Deutschland, nicht zuletzt seit der Fußball WM. Man will die deutsche Sprache lernen, über 200 deutsche Unternehmen arbeiten dort. Literatur, Kunst, Musik, Theater? Not so much.
Warum auch. Wenn Bandits in Saudi Arabien im Kino laufen würde, würden sich alle wundern. Frauen dürfen dort nämlich nicht Autofahren. Ja, die absolute Monarchie ist schon einer feiner Platz. Wählen dürfen Frauen da auch nicht, was auch: Es gibt ja keine politischen Parteien. Gäbe es welche, würde sich vielleicht jemand dagegen wehren, dass Frauen dort einen gesetzlichen Vormund brauchen oder dass Homosexualität mit der Prügelstrafe, homosexueller Sex sogar mit dem Tod geahndet wird. Ich hoffe Guido bringt denen dort Brokeback Mountain auf DVD mit. Aber das Auswärtige Amt beschreibt die Beziehungen als freundschaftlich und spannungsfrei. Für uns vielleicht …

uus in terra servus, nuntius fui; officium perfeci

1985 war ich vier Jahre alt. Kohl war noch Kanzler und die Dire Straits brachten Brothers in Arms raus. Vielleicht wäre es Zeit für ein Sisters in Arms.
Auf eBay hat neulich eine junge Brasilianerin ihre Unschuld versteigert um ihrer Großmutter einen neuen Lungenflügel kaufen zu können. Auf Craigslist findet man Variationen davon jeden Tag.
Eine Textzeile aus Brothers in Arms heißt „And we have just one world, But we live in different ones”.

Cruciatus in crucem, eas in crucem

Jemand hat mir mal erzählt, dass junge, frischgebackene Pilot, wenn sie in eine dichte Wolke hinein fliegen, nicht ihren Instrumenten trauen. Sie schauen auf den künstlichen Horizont, er bleibt gleich, aber sie korrigieren die Maschine trotzdem nach Gefühl. Sie schauen auf den Höhenmesser, auf Neigungswinkel und auf alle anderen Anzeigen, trauen diesen Anzeigen aber nicht, und korrigieren. Die Anzahl von jungen, frischgebackenen Piloten, die auf dem Kopf fliegend aus dichten Wolkenbänken herausfliegt, würde jeden umhauen.
Vertrau dem Kurs, Greenhorn!
Und ein bisschen mehr Gravitas.

Like poems about people who are not me

The world is bright and shines on us.
We sit around at tables, starting senseless conversations about women, booze, automobiles and the craftsmanship of the new james bond movie.
We are all alone.
We create these images of ourselves, not for others to watch, but to be look at by ourselves.
We want to be interesting, but we need to be unique.
We need to feel that way; otherwise we feel pain or nothing at all.
This is not the ugly truth.
This is about false information.
False information, we share with others.
False information we give to ourselves, just to be satisfied.

I want to be a russian author, just to put my feelings down in liquorish words for critics to understand and no-one else.
I want to be a firefighter being on call at the morning of 9-11, just to be remembered.
I want to be me again.
Alone, if I can.
But if not, not without you.

Like before
I once stand in front of a movie theatre and had seen all of the movies they showed.
I went to a bar I knew and got drunk. I got drunk before.
Drunk by liquor I like. I know that, because I drank it before.
I then met a girl I’ve met about ten times before.
I kissed her, like about six times before.
I didn’t sleep with her, like I did the last three times. And afterwards I felt bad about it, like I felt before.
I went home, where I lived, and sat down, where I sit.
I called up a random number, just to fell unique, but I heard an automatic message, like unknown times before.