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HARLEKIN POST (031) Bipolar

Sonntagmorgen. Verspielte Sonnenstrahlen brechen, wie ungezügelte Jungpferde, durch die frisch-geputzten Scheiben und tanzen mir auf der Nase. Es kitzelt, ich muss niesen und wache freudig auf.

Okay. Das war gelogen.
Mit bitterem Geschmack im Mund (Warum hab ich gestern, nach zwei Sekt und nem Beck’s, eigentlich ein Schultheiss getrunken?) und Schnupfen, wache ich auf und huste erst mal den Schleim meiner Erkältung ab. Es ist kalt im Zimmer. Die Heizung geht nicht richtig. Scheiße. Ins Bad. Wer ist das? – Früher dachte ich mal, dass man Augenringe stolz, wie Medaillen für „Best Work-a-holic of the Year“, tragen kann. Kann man nicht.

Mit flinken Füßen trippel ich die Treppe bis zum Briefkasten, fische mir ein Potpourri an unterschiedlichen Sonntagsausgaben verschiedenster Zeitungen heraus (u.a. „Das Intellektuellen Tagblatt“, „Schlau Heute“ und „Informierte Berliner“) und bin gerade rechtzeitig am Küchentisch, als der 15€-für-250g-Fair-Trade-Bio-Kaffee durch das chlorfrei gebleichte Recycle-Papier des Filters gelaufen ist. Nachdem ich mir genügend Zeit genommen habe, um Weltnachrichten, Finanz-Kritik und Politische-Dossiers zu lesen, stoße ich auf den Feuilleton – der in jeder, der schlauen Zeitungen, natürlich fast ausschließlich aus Opern-Rezensionen besteht und immer ganz schlicht nur „Kultur“ heißt.

In der Realität schippe ich den Großteil des ja!-Kaffees neben die Kaffeemaschine, trinke ausschließlich stark mit Discounter-Milch gepanscht und nehme so, hustend und schniefend, vor meinem Laptop platzt. Die spiegel-online-Meldungen zu irgendwas mit CSU sehe ich gar nicht. Dafür: Gestern war also „Wetten dass..??“. Aha. Mir doch egal. Oder? Eine Sekunde: War peinlich, wa? Geil. Klick.

Elf Millionen Menschen haben ihren Samstagabend dem zweiten deutschen Fernsehen geopfert. Wahrscheinlich der Grund, warum sich SPIEGEL, WELT, FOCUS und natürlich auch die BILD mit Nachbesprechungen überschlagen. Mal geht es um das Chaos, mal um die „Hollywood“-Stars, die nicht zurecht kamen oder alles zu lang fanden, mal geht es um Cindy aus Marzahn.
Ja. Wirklich. Um Cindy aus Marzahn.
Ich schreib das noch mal, weil ich es selber nicht glauben kann: Um Cindy aus Marzahn.
Und dabei war sie nicht mal da. Sondern hatte Rückenschmerzen. Vielleicht vom vielen vorne über beugen. Wenn man im Arsch von RTL und ZDF und wem noch alles steckt, passiert so was. (Gossip. Gossip.)
Jetzt ist anscheinend ein Kampf um Cindy ausgebrochen.
Sekunde. Das muss ich auch noch mal schreiben: Ein Kampf um Cindy aus Marzahn.
Damit ich das nicht vergesse: Das ZDF war damals schon an der Gründung von ARTE beteiligt, oder? Obwohl: Die machen ja auch das Weihnachtsfest der Volksmusik und den Fernsehgarten. Okay. Ich nehme alles zurück.
„Uralt“ und „Billig“ streiten sich um „Zum kotzen“. Hey, wenigstens hat spiegel-online was zu schreiben. Und ich darf mich gebildet fühlen, weil ich diese „Nachrichten“ ja lese. Ohne Video, und so. Nachrichten. Tz. Dieses Wort. Nach richten. Das will ich nicht. Auf keinen Fall.

Für mich war der Feuilleton immer das Sahnehäubchen. Schwere Themen in Politik und Wirtschaft, Banales und Persönliches im Lokalteil, Entnervendes und Großartiges im Sportteil und Erhebendes im Feuilleton. Dies kann ein Streit sein, eine Besprechung, vielleicht eine Auseinandersetzung zweier Journalisten, oder mit einem Philosophen (siehe R.D. Precht – arrogante Sau. Wann kommt das neue Buch nochmal als Taschebuch raus?), oder die Kritik. Aber wenn die Kritik zum Dauerläufer wird, wenn „Hollywood“-Stars (Warum setzt man das eigentlich davor? Und warum in Anführungszeichen?), als Referenzen der eigenen Fassungslosigkeit herangezogen werden, wieder und wieder … liebe spiegel-online-Redaktion. Es reicht. Dann guckt den Scheiß eben nicht.
Aber nicht diese bipolare Haltung. Dieser gierig, geifernder und doch tadelnde, lachend-gackernde Gaffer-Blick. Einfach mal aufhören.

Die Amis kriegen das ja auch hin. Am Dienstag ist Wahl, dann ist Schluss. Und der ganze Wahlkampf hat nur … plus/minus zwei Jahre gedauert.

Ich will das nicht, ich will das doch.
In großen Mengen liest man in den Zeitungen und auf den Online-Portalen lange Artikel über den Schrott, der sich anscheinend Fernsehen nennt. Ich selber bin da nicht besser. Am Sonntagmorgen hab ich mir dann gleich bei YouTube die Jo-Jo-Wette angesehen. Bis ich es nicht mehr ausgehalten habe. Vor allem weil Forrest Gump so erschüttert aussah, und schlecht geschauspielert hat er auch.

Peinlichkeiten von bekannten Prominenten, Streitereien zwischen Sendern, die Abwesenheit einer … Person … bei einer Fernsehshow. Das sind alles Dinge, die sich einfach konsumieren lassen. Sie gehen nie zu tief und weil sie so weit weg sind, erreichen sie uns nicht. Das ist beruhigend.
Außerdem sind Schadenfreude, Hohn und Spott Balsam für die offenen Wunden der eigenen Angst. (Hui. Der Satz war aber schön.)
Wenn ich von den Feuilleton-Seiten weiter blättere, und bei den Berichten über Simbabwe lande, werde ich nachdenklich. Wenn ich Artikel über Abschiebegefängnisse an deutschen Flughäfen lese, werde ich sauer. Wenn ich lesen muss, dass Steinbrück Kanzlerkandidat ist, frag ich mich warum ich wählen gehen soll und was aus Morgen wird. Dann muss ich mich erst mal mit mir selbst beschäftigen. Das ist nie einfach.
Aber vielleicht ganz heilsam. Ich habe, zum Beispiel, diese Woche den wunderbaren Film „Ruby Sparks“ gesehen. In dem Film geht es um einen Autor, der eine Liebesgeschichte schreibt und das Mädchen daraus wird lebendig. Es geht um die eigenen Vorstellungen an einen Partner. Und ob der perfekte Partner – auf Tastendruck – vielleicht im ersten Moment perfekt wäre, aber irgendwann dann doch nicht mehr. Vielleicht bin ich alleine, nicht weil es den perfekten Partner nicht gibt, sondern weil ich ihn mir wünsche und in Gedanken und Schrift erschaffe.
Die selbstkonstruierte Wirklichkeit im Kontrast.
Ich habe außerdem das ansehnliche Foto-Buch „Ice: Portraits of Vanishing Glaciers“ gelesen und eine Reportage dazu gesehn, in dem der Fotograf James Balog den Rückgang der Eisberge an den Polkappen dokumentiert. In der exzellenten Talkshow „Real Time with Bill Maher“ wurde dann darüber diskutiert, dass die Menschheit die globale Erwärmung überhaupt nicht mehr aufhalten kann. Egal was wir jetzt auch tun würden, der Effekt würde erst in knapp 100 Jahren eintreten. Wie hilflos man sich da fühlt. Und soll ich deswegen aufhören alle Standby-Geräte in der Wohnung von den ausschaltbaren Steckerleisten zu nehmen? Was heißt Verantwortung für mich?
Erstmal: Ein klein bisschen mehr in die Auswahl der Nachrichten zu investieren. Auf die Überschriften zu scheißen und stattdessen keine Angst vor mir selbst zu haben. Harter Tobak.

Nächsten Sonntag ist meine Erkältung hoffentlich ausgestanden. Dann werde ich vielleicht nicht von Sonnenstrahlen geweckt, aber möglicherweise hab ich bis dahin 6€ für den normalen Fair-Trade-Kaffee ausgegeben und auch diese Milch in den grünen Tetra-Packs gekauft, die die zehn Cent pro Liter direkt an die Erzeuger zurückführt. Das erste was ich dann tue, ist Bruno Mars zu hören. Und ich werde mich nicht dafür schämen, dass mir diese Scheiß-Popmusik, richtig gut gefällt. Und mehr ist dazu nicht zu sagen.

HARLEKIN POST (S01) Der Pokaltourist: Groß gegen Klein

(18.08.2012 – 15:30 bis 17:19)
Fast dreißig Grad. Gefühlte Vierzig. Es ist heiß im Weserstadion. Ungewöhnlich heiß.
Mein erster Profi-Fußball-Besuch seit Jahren und ich schwitze. Aufregung?
Bei der Verlesung der der Gast-Startelf brüllt das mitgereiste Publikum lauthals die Namen mit. Beziehungsweise: Das gesamte Publikum brüllt die Namen mit. Neunzehntausend und etwas mehr sind gekommen. Fast ausschließlich in schwarz-gelb. Und dabei sind wir in Bremen. In der beeindruckend-modernen Heimspielstätte des SV Werder. Doch nicht an diesem Samstag. Der FC Oberneuland hat den deutschen Meister geladen. Statt vor möglichen 5050 Zuschauern im eigenen „Sportpark Vinnenweg“ zu spielen, hat man das Weserstadion gemietet. 15000 Zuschauer braucht es um Gewinn zu erzielen. Gerade so geschafft.

Ich sitze im Heimblock und trotzdem umgeben von gelben „EVONIK“-Trikots. Ganz nebenbei: Was macht EVONIK eigentlich? Dem Internet nach ist es eines der weltweit größten Unternehmen der Spezialchemie. Aha. Also machen die irgendwas gutes mit Forschung, gell?
Ich sehe mich also um und sehe nichts als gelb-schwarz. Für einen Bremer vielleicht ein Problem. Für mich nicht. Ich bin kein Bremen-Fan. Eigentlich bin ich überhaupt kein Fan. Jedenfalls nicht einer bestimmten Mannschaft. Als gebürtiger Hamburger wurde ich zwar schon unruhig, als bekannt wurde, dass Rafael Van Der Vaart zurück zum HSV kommt. Aber deswegen muss ich mir doch nicht gleich den Samstagnachmittag frei schaufeln und das live sehen. Was ist falsch an einem gut geschnittenen Sportschau-Beitrag?
Ich bin eben eher ein Fußballtourist. Ein, am Fußball Interessierter. Wenn überhaupt: Ein genereller, ein globaler Fußballfan. Ein Fußball-Weltbürger. Selten zwar, aber mich interessieren die Zwischentöne, nicht wer die erste Geige spielt (Uh. Ganz schlimme Metapher.) Und in diesem Jahr besonders. In dieser Saison bin ich Pokaltourist.

Und den Anfang macht: Die erste Runde im DFB-Pokal. FC Oberneuland gegen Borussia Dortmund. Zuerst lautes Geschrei und Getöse und bei der Verlesung der heimischen Elf dann fragende Gesichter. „Reus!“, is klar. „Krogemann“, hä?
Und so stürmen die bekannten Namen nach dem Anpfiff wie selbstverständlich. Die Unbekannten sehen aus wie Sparringspartner. Hier prallen Profis auf Amateure … oder Halb-Profis, wie die Jungs in Rot-Weiß schmeichelhaft genannt werden.
Oberneuland ist jene Ecke in Bremen, in der sich Werder-Spieler normalerweise Häuser kaufen. Ein schöner Fleck, aber da spielt man doch nicht. Der Stadtteilclub hat es trotzdem in die erste Runde des DFB-Pokals geschafft. Aus der Regionalliga-Nord. Und zwar über den Lotto-Pokal. Solche „kleinen“ Pokale gibt es in jeder Region des Landes. Im Grunde die Qualifikation für den „großen“ Pokal.
Von Drittligisten bis zu Kreisligisten treten die Vereine des jeweiligen Verbandes an und spielen ihn aus. In Bremen den Lotto-Pokal, in Bayern den Toto-Pokal, im Rheinland den Bitburger-Pokal, in Sachsen-Anhalt den Krombacher-Pokal. (Im Ruhrpott den Evonik-Pokal?) Und so weiter und so weiter.

Und dann spielen sie doch, die Namenlosen des FC Oberneuland. Sie leisten Widerstand gegen Reus, Subotic und Blaszczykowski. Namen, die mit der Stimme von Béla Réthy im Ohr noch von der EM nachklingen. Aber was heißt das schon? Nach fünf Minuten steht es noch Null zu Null.
Ist das ein Aufbäumen? Der Underdog gegen den klaren Favoriten.
Mit Händen und Füßen bewahren die Ungehörten den Ball davor ins Heim-Netz zu gehen. Obwohl: „Heimat?“ Neben uns sitzt ein Bremer, der seinem Kumpel – einem Dortmund-Fan, im entsprechenden Outfit – die Karten geschenkt hat. Den FC Oberneuland kannte er bis heute nicht. Eigentlich ist er immer für Hannover. Tz, diese Bremer.
Erkennen die denn die Chance nicht? Die einmalige Chance dem Bundesligameister ein Bein zu stellen. Das Glück ist doch bekanntlich mit den Mutigen, den hoffnungsvollen Streitern.

Die Tatsache das hier sprichwörtlich David gegen Goliath kämpft, lässt mich wundern: Ist der DFB-Pokal vielleicht eine letzte Bastion des fairen Spiels? Die letzten Möglichkeit mit hartem Einsatz, Kampfeswillen und unermüdlicher Aufopferungsbereitschaft den Riesen zu schlagen? Eine Möglichkeit Herz über Gehälter siegen zu lassen?

Nein. Ist er nicht.

Im Profi-Fußball geht es, wie bei jeder anderen Sache die mit „Profi“ anfängt, um Geld. Und der DFB-Pokal ist da keine Ausnahme. Dabei sieht er von weiter weg doch so demokratisch aus. Und so spannend.
Zum Beispiel, weil in der ersten Runde auch ein Fünftligist auf einen Bundesliga-Verein treffen kann. Aber das ist alles andere als ein Beweis für Fairness, Ausgeglichenheit oder gar demokratische Zustände.
Große Vereine (die eigentlich keine Vereine mehr sind) profitieren davon, wenn kleine Vereine nicht sterben. Klingt doch ganz nett, oder?
Irgendwie humanistisch. Liebevoll. Sogar fürsorglich.
Aber: Große Vereine (FCB, BVB, HSV … eben all die bekannten mit drei großen Buchstaben) profitieren nicht (!) davon, wenn kleine Vereine groß werden!
Wenn kleine Vereine sterben, sterben damit auch dutzende Anlaufstellen für junge, potentielle Fußballtalente. Die breite, deutsche Vereinsbasis (nicht nur im Fußball), nimmt jene Arbeit vorweg, von der später ein Götze im BVB-Kader profitiert. Von der der BVB profitiert. Die Begeisterung für Fußball. Die erste Prägung durch Grundkenntnisse, Spielfreude und Talententwicklung. Überhaupt: Talenterkennung passiert auf den ländlichen Fußballplätzen doch schon im Vorschulalter. Dann wenn die U12 vom SV Angermünde gegen die U12 der Spielvereinigung Eberswalde II spielt.
Deswegen dürfen in der ersten Runde DFB-Pokal auch gleich mal alle Vereine unterhalb der zweiten Liga, gegen Profi-Vereine (Vereine mit hauptberuflichen Fußballern) aus der zweiten und der Bundesliga spielen. Erste und zweite Liga sind natürlich auch von vornherein für den „großen“ Pokal qualifiziert. Kein Aussortieren hier.
Egal. Die Paarungen Groß gegen Klein bringen Geld in der Kassen der kleinen Vereine, jedenfalls genug um wenigstens eine weitere Saison zu überleben. Und ein bisschen Show bringen sie auch.
Viele kleine Vereine krebsen irgendwo zwischen unbedeutend finanziert oder chronisch unterfinanziert und am Existenzminimum. Kein Verein, der seine erste Herrenmannschaft in der Regionalliga hat, kann große Sprünge machen. (Mal abgesehen von „Rasen-Ballsport“ Leipzig. Wahrscheinlich hat deren beständige Weigerung aufzusteigen, etwas mit dem Dauerkonsum eines gewissen Energiedrinks zu tun.)
Okay. Also kassieren die kleinen Vereine ein bisschen Geld in der ersten DFB-Pokalrunde. Auch weil sie immer Heimrecht haben.
Im Gegenzug ermöglichen die schwachen Gegner den großen Vereinen das quasi sichere Weiterkommen. Was die großen Vereine natürlich nicht gebrauchen können, ist noch mehr Konkurrenz in den Profi-Ligen. Kleine Vereine sollen klein bleiben. Immerhin gibt es nur achtzehn Tabellenplätze in der Bundesliga.
Und so überleben die erste Knock-Out-Phase, statistisch gesehen, auch eher Profi-Vereine. Natürlich!
Es gibt zwar immer wieder Ausbrüche, und ein paar kleine Vereine schaffen es in die zweite Runde, aber Weisheiten wie „Der Pokal hat seine eigenen Gesetze.“ (Otto Rehagel), sind bei genauerem Hinsehen nicht mehr als ein Mythos. Nicht wahr, weil nicht bewiesen.
Und von eben jenem Mythos lebt das Event „DFB-Pokal“.
Doch schaut mal mal genau nach, war das letzte Mal, dass ein unterklassiger Verein, oder ein Regionalliga-Verein, oder ein Verein aus der dritten Liga den DFB-Pokal tatsächlich gewonnen hat … niemals. Der DFB-Pokal wird von Profi-Mannschaften gewonnen. Erste und zweite Liga. Keine Ausnahme.

Doch die Überlegungen zum Thema Fairness, Demokratie, Chancengleichheit etc. sind allerdings vollkommen und absolut egal, wenn man erst einmal im Stadion sitzt und sich den FC Oberneuland gegen den Double-Sieger Borussia Dortmund anguckt.
Als Zuschauer hat man ein unerklärliches, kaum beschreibbares Bedürfnis nach dem Kampf „Gut gegen Böse“. Klein gegen Groß. Man will die Möglichkeit, ja die beinahe Sicherheit des Scheiterns im Nacken spüren, damit es spannend ist. (Außer natürlich man gehört – wie fast alle an diesem Samstag in Bremen – zur Fan-Gemeinde des BVB. Elterliche Prägung oder Standortidentifikation schlägt Mythos. In jedem Fall. In diesem Fall: Drei zu Null.)

Der DFB-Pokal garantiert immerhin, und das spricht für den Schauwert, Tore. Im K.O.-System muss es einen Gewinner geben. Keine Null-Nulls, wie in der Gruppenphase der Champions-League. (Da freut man sich auf Schalke gegen Tel Aviv, nimmt sich den Abend frei, kauft Bier, justiert die Zimmerantenne exakt und macht Schnittchen – und am Ende ist nicht ein Tor gefallen. Nicht ein Tor! Und Schalke kam trotzdem weiter. Tz.)

Wieder in Bremen: Nach knappen zehn Minuten immer noch kein Tor für die Gäste. Großartig. Die Möglichkeit der Sensation liegt in der Luft. Jede Sekunde ohne einen Gegentreffer, ist wie ein kleiner Sieg für die Oberneuländer. Beherzt wehren sich diese Halb-Amateure, äh … Profis weiter gegen die gelben EVONIK-Profis. Es macht Spaß hier zuzusehen. Ein paar Mal kommen die Oberneuländer sogar in die Hälfte des BVB. War das da eben etwa ein Torschussversuch? Kann das Märchen hier wahr werden? Ja, vielleicht – – – Peng. Nein! Null zu Eins. Puff. Spannung reus … äh raus. (Tschuldigung.) War ja klar. Aber für einen Moment gab es Hoffnung, Spannung. Sympathie für den Überforderten, den Unterlegenen. Nach der elften Minute dauert es dann nur bis zur achtunddreißigsten Minuten, und alles ist klar. Zwei zu Null und nach der Pause Drei zu Null.
Nach dem finalen Tor erschlägt mich das Bremer Haake Beck, wie das Ergebnis die Oberneuländer. Eigentlich war ja doch alles von vornherein klar: Keine Chance. Aber man hatte halt gehofft. Und „Null zu Drei“ ist auch nicht sooo schlecht. Hätte schlimmer kommen können.
Die Fernseheinnahmen bringen dem kleinen Verein 200000 Euro. Überleben für eine weitere Saison gut gesichert. Vielleicht springen sogar neue Trikots für die U12er raus. Ein „Win-Win“?

Das Duell „Klein gegen Groß“ geht mit erschütternder, statistischer Wahrscheinlichkeit immer positiv für den Großen aus. Was es so spannend macht, und den Kleinen kämpfen lässt, ist eben das es nur eine Wahrscheinlichkeit ist. Genau jene Unschärfe, in der eigentlich klaren Rollenverteilung, hat Berlin AK 07 – anders als der FC Oberneuland – an diesem Samstag genutzt. Und deswegen guck ich mir den in der zweiten Runde an. Ich kann das Hoffen nicht lassen.
(Hu. Und am Ende noch mal knapp an nem schlechte Wortwitz vorbeigeschrammt.)

HARLEKIN POST (029) Schutzengel – Eine Filmkritik

„Schutzengel“ von und mit Til Schweiger ist ein Film.
Er beginnt kompromisslos am Anfang der Geschichte, erzählt danach den Mittelteil und hört am Ende auf. Drei Akte oder fünf Akte. Man kann diesen Film kundenfreundlich einteilen wie man will. Krönender Abschluss ist der Abspann. Weiße, breite, gut lesbare Buchstaben auf schwarzem Grund. Die Geschwindigkeit der Buchstaben ist optimal gewählt: Dem geneigten Zuschauer entgeht nichts.
Die Auswahl der sonstigen Bestandteilen ist exquisit: Es gibt nahe Kameraeinstellungen, ebenso wie halbnahe und manchmal sogar eine weite Einstellungen. Innenaufnahmen wechseln sich mit Außenaufnahmen ab, als wäre es ein Klacks. Hin und wieder gibt sogar einen der heiß begehrten „Establishing Shots“ von Berlin. Es ist für jeden etwas dabei.
Ab und an wird, wie selbstverständlich, in Zeitlupe erzählt und anschließend – als wäre nichts passiert – wieder in Normalgeschwindigkeit. Die meisterhafte Montage von Bild an Bild, erlaubt sich nahezu keine Fehler. Immer ist etwas zu sehen. Nicht immer ganz, aber immerhin immer etwas. Toll.
Der Film verfügt auch über Farbe und Ton. Und gerade bei der Farbwahl wurde kunstbewusst auf den Einsatz von kräftigen Elementen verzichtet. Grau und Braun sind, ganz im Sinne eines reduzierten Oskar Schlemmer, tonangebend.
Musik gibt es auch, allerdings mit sehr wenig Gesang. Was wiederum die Konzentration auf die elektrisch erzeugten Geräusche gestattet und diese, den geneigten Zuhörer, auch genießen lässt.
Es gibt Schausteller und Darsteller, Komparsen und Komparsinnen. Es gibt einen Rollstuhlfahrer, ebenso wie einen Türken. Es gibt Frauen und Männer, alte und junge Menschen. Die Bandbreite von Personen ist schier endlos. Wunderbar um sich in den vielen Gesichtern zu verlieren oder wiederzufinden.
Der Film hat eine unglaubliche, ausgewiesene Länge von zwei Stunden und vierzehn Minuten, was eindrucksvoll beweist: Die Macher waren nicht faul. Außerdem erlaubt diese Länge im Kino den beliebten Überlängenzuschlag zu verlangen. Welch ein Glück.
Mit Vorfreude und Spannung harre ich der Zeit, da „Schutzengel“ als DVD-Beigabe der TV-Movie zugesteckt, oder neben der Kasse von ProMarkt für 5€ angeboten wird. Juhu!
(inspiriert durch Christoph Horst)

HARLEKIN POST (027) Grüne Hölle

Wieviel Joints kann man mit 15 Gramm Marihuana bauen? Wieviel mit sechs Gramm?
Machen wir einen Test: Fünfzehn Gramm Marihuana für die CDU-Senatoren von Berlin. Ein gemütliches Wohnzimmer, „Harold and Kumar go to White Castle“ auf DVD und die Nummer von Hallo Pizza für später.
Eine Woche danach dann sechs Gramm. Dazu „Das weiße Band“. Keine Pizza.
Ich wette wir behalten den Grenzwert von 15 Gramm.

Woher kommt eigentlich der plötzliche Ansturm auf Marihuana? – Ach. Es wird immer mehr Gras sichergestellt. Hm? Warum wohl?
Jede zweite Nachricht bei der tagesschau und spiegel.de sind neue Schulden, Finanzcrash und Arbeitslosigkeit. Global Warming, Massenmörder und Terrorismus. iPhone 5 kommt erst im Herbst und Abstieg für Hertha in die zweite Liga. Das weiße Band live.

Die Kids, die auf Berliner U-Bahnhöfen wahllos Passanten zusammentreten. Ich verwette meine 15 … äh … sechs Gramm, die in meinen Star Wars-Socken versteckt sind… diese Kids haben vorher garantiert nichts geraucht. Stattdessen haben sie einen dieser Energy-Alkohl-Drinks gezischt. Wahrscheinlich zehn. „Rockstar“. Genau. Die sind auf Speed oder Koks. Nicht auf Marihuana.
Aber das sind ja alles Drogen. Einstiegs-, Umstiegs- oder Harte-Drogen. Hauptsache Drogen. Deutlich zu trennen von Alkohol. Alkohol ist deutsch und Kulturgut. Aber das kennt man ja.
Wie wäre es mit einer Mindestmenge an Alkohol in Getränken? Maximal 6%? Hm?
Kein Vodka, kein Jägermeister, kein Tequila mehr … es wäre eine Scheiß-Welt. Aber innerhalb von drei Monaten hätten wir eine Arbeitslosenquote unter einem Prozent, Rückgang der häuslichen Gewalt, 90% weniger Unfallverletzte im Straßenverkehr und die U-Bahnen würden Sonntagmorgen nicht alle nach Kotze stinken.

Wo ich vorhin schon beim iPhone 5 war …
Ich hab noch nie ein Apple-Produkt besessen. Kein Mac-Book, kein iPod oder Pad. Ich weiß nicht was mit einem Menschen passiert, wenn er etwas von Apple kauft. Vielleicht wächst ihm ein zweiter Schwanz (wobei nur die wenigsten Apple-Nutzer damit was anfangen könnten), vielleicht schmeckt sein Schweiß plötzlich nach Rosenwasser oder aus der chronischen Sehnenscheidenentzündung an der rechten Hand, wird über Nacht eine Ganz-Körper-Tranformation und er läuft durch die Welt wie jeder Typ aus der AXE-Werbung. Klick, Klick.
Keine Ahnung. Aber so wenig wie mich Air-Jordan-Schuhe höher springen lassen, so wenig hat ein Telefon mit Angry-Birds Einfluss auf den Verlauf der Menschheitsgeschichte. Es ist ein beschissenes Telefon.
Egal ob da iOS6 oder Hämorrhoiden-Punkt-Drei als Betriebssystem drauf ist. Ja. Das iPhone kann sämtliche Berechnungen, die die NASA in den Sechzigern anstellte, um drei Männer zum Mond zu schicken, in sechs Millisekunden durchführen. Trotzdem: Hätte es das iPhone in den Sechzigern gegeben, damit zum Mond gekommen wäre man nicht.

Aber was mich echt aufregt ist, dass in den letzten Jahren mehrfach mathematisch bewiesen wurde (bewiesen!), dass es Außerirdische gibt. Außerirdische! Außerdem wurde ein erdähnlicher Planet ganz in der Nähe aufgespürt, und alles was es dazu gab waren … hundert Zeilen auf der Wissenschaftsseite, die ohnehin nur benutzt wird um Fisch auf dem Markt einzuwickeln. (Als würde irgendjemand noch auf dem Markt Fisch kaufen!)
Doch worüber im Vorfeld diskutiert wird und wovon es Live-Ticker mit sekundenschnellen Updates gibt, sind Apple-Produktmessen. Abgefuckte Werbeveranstaltungen werden ausführlich besprochen und mit langen Artikeln ausdiskutiert. Artikel, die vor okkulten Abkürzungen nur so strotzen und dem abgeneigten Leser den Zugang vollkommen verwehren!
Eine weltweit besprochene Erkenntnis, wie die Tatsache dass wir nicht alleine im Universum sind (oh, diesen Satz wollte ich schon immer mal schreiben), könnte bei breiter Medienwirkung zu ungeahnten Gesellschaftsverschiebungen führen. Kriege könnten eingestellt, Revolutionen gegen mittelalterliche Staatssysteme eingeleitet werden. Vielleicht würden die Griechen auch anfangen einfach mal ihre Steuern zu zahlen (was die ganze Krise locker abwenden würde) und vielleicht würde Merkel in Deutschland endlich die Löhne anheben.
Aber so lange wir auf der Erde brandheiße News, wie die vom Update zum neuen Musicmatch Jukebox 9.00 haben … wer will da schon von seinem Retina-Display aufschauen?

Liegt die „Harold and Kumar“ DVD noch im Player? Hoffentlich ist noch was in den Star Wars-Socken.

HARLEKIN POST (026) Stolz wie Bolle

Stolz ist eine komische Angelegenheit.

In Berlin ist man neuerdings stolz auf all die Erfindungen, die hier gemacht wurden.
(Bleibt ja auch sonst nichts: Hertha ist selbst den sonst fremdschamresistenten Hauptstädtern peinlich. Wowereit und Henkel sehen auf Fotos aus, wie der Pummel 1 & 2, die Tschibo-Jacken tauschen und nach dem Mittag zusammen Prosecco-Pause im Whirlpool machen. Und selbst auf die Berliner Polizei kann man nicht so recht stolz sein, gab es doch dieses Jahr kaum Linke zu verkloppen.)
Also werden Bücher über die Erfindungen der Berliner geschrieben und alle Käseblätter berichten mit Stolz. Bei den wichtigen Erfindungen, die Berliner gemacht haben, denkt man natürlich es geht um Dinge wie Solarzellen, den Otto-Motor oder Zwergweizen, der es der dritten Welt endlich erlaubt sich selbst zu versorgen. Eben Erfindungen auf die man stolz sein kann, wenn man schon muss. Wie naiv.
In Berlin wurde das nahtlose Kondom, Pappteller und die Ohropax erfunden. Kein Scheiß.
Eine Wegwerfgesellschaft, die ungestört und ohne Konsequenzen, reizfrei durch die Gegend vögeln will. (Die restlichen Anspielungen und Witze machen sich von alleine, oder?)
Noch ein Tipp an die BILD-Zeitung: Egal wie sehr man sich auch bemüht, der Computer wurde immer noch in Hünfeld, der Fernseher (obwohl zuerst von einem Glasgower und anschließend einem Berliner erdacht, doch) von einem gebürtigen Fuldaer in Straßburg, die Taschenlampe in England und die Straßenbahn in Lichterfelde, damals nicht Berlin, erfunden. (Oh, schade. Knapp daneben. Das nächste Mal einfach Wikipedia bemühen.)

Zurück zum Stolz.

Stolz fliegt Obama nach Afghanistan, um zu betonen, dass ein paar Adrenalin-Junkies, auf seinen Befehl hin, vor einem Jahr genau einen Saudi in Pakistan direkt ins Auge geschossen haben. (Jemand sollte ihm erklären, dass der Friedensnobelpreis kein Wanderpokal ist.)

Wir sind stolz auf Onkel Gauck, weil er nicht zur EM in die Ukraine fahren will. Nicht weil dort immer noch Kohle wie im Mittelalter abgebaut wird („Wenn der Wellensittich von der Stange kippt, heißt es rennen!“). Auch nicht weil die Ukraine auf Platz Drei der meisten Klagen beim Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg steht. (Für die 10.000ste Klage, gibt es einmal „Oppositionsführer im Knast foltern“ umsonst.) Und auch nicht, weil für die EM überall in der Ukraine streunende Hunde gejagt und erschossen wurden. Nein, weil die Ukraine, wie die meisten Staaten, ihre Gegner aus dem eigenen Land, immer noch einsperren. Siehe China, siehe Russland, siehe … ach, eigentlich alle. (Mal sehen wann man Aung San Suu Kyi wieder unter Hausarrest stellt.) Irgendwann kommen Diktaturen und Autokratien vielleicht auf den Trichter, dass Menschenrechtler, liberale Idealisten und Oppositionelle viel weniger Wirkung auf die Menschen haben, wenn man sich nicht verfolgt, tötet oder einsperrt. Dann wird es wirklich schwer für die gesättigten Kopf-Revolutionäre in deutschen Vorstädten, sich zu empören.

Apropos Stolz: Bisher war ich immer stolz auf die Süddeutsche Zeitung. Inhalt, Stil … Dann fand ich am letzten Samstag auf einer Seite eine Kurznachricht, oder wie man wohl im Zeitungsjargon sagt: „Bubble“, deren journalistische Errungenschaft war, mir als Leser mitzuteilen: Dan Aykroid mag Bahnfahren. Das wars. Dafür lohnen sich die Zwei Euro und zwanzig Cent doch.
Wenn ihr die Seiten nicht voll bekommt, spart das Papier statt Schwachsinn die Plattform einer deutschlandweiten Veröffentlichung zu geben.

Während einer Fußball WM oder EM, während DFB-Pokalendspielen oder dem Champions-League-Finale werde ich manchmal von Emotionen heimgesucht, die mir wie Stolz vorkommen.
Aber das ist es nicht. Es ist Begeisterung, vielleicht blinde Freude oder Raserei.
Aber ich bin dann nicht stolz auf mein Land.
Wenn Nazis auf einer Demo durch die Straßen ziehen und ihre Parolen brüllen dürfen, genauso wie es die Raver von der Love-Parade machen. Wenn Sarrazin einen Verleger für seine statistisch-gefälschten Ideen findet, so wie Richard Dawkins einen Verleger für seine Bücher gegen Gott. Wenn ein fundamentalistischer Imam in einer Talkshow seine verdrehte Koranauslegung lautstark verteidigt, so wie lautstark die Gegner der Gentrifizierung überall auftreten. Wenn jeder Depp seine Meinung sagen darf, fundiert oder direkt aus dem eigenen Arsch gezogen, genau wie ich, dann bin ich stolz auf mein Land.
Es ist ein scheiß Gefühl.

HARLEKIN POST (025) Samstagvormittag

Ich stand schon mit der „Neues Deutschland“ unterm Arm bei Tiffany’s an der Kasse. Ich las die „taz“ im Foyer einer schlagenden Verbindung in Heidelberg. Ich hab auf dem Klo einer Kommune die „Welt am Sonntag“ durchgeblättert und die Frankfurter Allgemeine zu nem Sit-In mitgenommen.
Neulich saß ich in einem Zugabteil. Ich las „die Zeit“, mein Gegenüber den „SPIEGEL“, daneben ein Mann mit dem „Focus“ und seine Freundin mit dem „Stern“.
„Die Zeit“ ist unglaublich umständlich und manchmal zäh, ganz anders als der „Stern“. Doch wenigstens fühlt man sich am Ende nicht dümmer als vor dem Aufschlagen. Der „SPIEGEL“ beschwört fast mit jeder Zeile seine Vergangenheit, verrät sie aber in angeschlossenen Nebensätzen und mit SPIEGEL TV. Der „Focus“ erscheint ohne Vergangenheit, im Nimbus des Jetzt und sieht jede Woche aus wie die letzte Ausgabe von etwas.
Ich lese gerne Zeitungen, Zeitschriften, Magazine. Ich mag es, wie Journalisten immer fast die selbe Sache in Dreiern verpacken, des Rhythmus wegen: Wulff ist arrogant, selbstgefällig und egozentrisch. Toll.
Meine Lieblingszeitung ist die Süddeutsche. SZ.
Ah … jeden Samstagvormittag schlage ich sie auf. Die Druckerschwärze, die das Deckblatt nach einer langen Reise aussehen lässt und auch so riecht.
Ich stell mir immer vor, dass irgendwo in einem Münchener Vorort eine kleine Fabrik steht. Der Druckermeister ist ein älterer Kauz, der eine von diesen Schirmmützen trägt. So eine, wie sie die Jungs hinter dem Schalter im Wettbüro in „Der Clou“ getragen haben. Ihr wisst was ich meine: Und gleich steckt Robert Redford, diesmal nicht aus „Der Clou“, sondern aus „Die Unbestechlichen“, den Kopf durch die Tür. „Die Ausgabe ist gesetzt!“, ruft er. „Du kannst loslegen, Joe.“
Ja. Ich möchte das der Druckermeister „Joe“ heißt. Und jeder Artikel ist von Woodward und Bernstein geschrieben. Ahh …
Ich hab wahrlich andere Drogen ausprobiert. Ich als „Zeitungsjunkie“.
Die „konkret“ kommt immer noch jeden Monat, obwohl ich fast keine dort gedruckte Meinung teile. Aber es hilft die eigene, pseudo-liberal-links-manchmal-mitte-Einstellung zu schärfen, wenn man weiß was im rot-roten Spektrum gedacht wird. Auf der anderen Seite … nein, die Bild-Zeitung hab ich nicht abonniert. Bild-Blog, ja. Nur ein einziges Mal hab ich mir die Bild-Zeitung gekauft: „Ufo-Sekte will Hitler klonen.“
Neulich stand in der Süddeutschen: „Der Bekannte eines Freundes des Bundespräsidenten, hat irgendwann mal jemanden auf eine Gästeliste gesetzt, ohne …“
Von wegen weit hergeholt.
Als am Ende der letzten Folge von „Star Trek: Deep Space Nine“, Commander Benjamin Sisko zu einem übernatürlichen Wesen wurde … da war mir klar: Es ist nicht so wie ich sieben Staffeln lang geglaubt habe. Und die sieben Staffeln „Star Trek: Das nächste Jahrhundert“ davor. Star Trek ist nicht das Diesseits bejahende Bollwerk gegen erlahmte Erzählstrukturen und den kalten Krieg. Dabei hatte besonders „Deep Space Nine“ in den letzten Staffeln wunderbare Gleichnisse auf den ersten Golfkrieg parat. Am Ende ist alles nur wie alles andere.
Die Süddeutsche ist nicht der Weisheit letzter Schluss, aber es wäre schön wenn sie sich noch ein bisschen mehr Mühe gäbe das zu vertuschen.
Ich liebe die Sport-Seiten am Samstag. Es gab einen großartigen Artikel über den HSV und über den 1.FC Nürnberg. Neutral, aber leidenschaftsvoll. Natürlich nerven die ewigen Bayern-Analysen. Jeder angeknackste Zeh von Breno wird diskutiert und diskutiert, aber es ist eben eine bayrische Zeitung. Und bei Bukowski störte mich das dauernde „FUCK“ ja auch nicht. Für die reine, eher unaktuelle (oder spätaktuelle) Liebe zum Fußball gibt es ja die „11 Freunde“. Was die „Beef“ wohl für Fleisch-Fetischisten ist, ist die „11 Freunde“ für alle, die lesen mögen wie man einfach nur begeistert schreiben kann. Nicht immer ganz formvollendet, aber begeistert. Da verzeiht man auch das beigelegte Stadionposter … bin ich Fünf, oder wie?
Ich wünschte es würde so etwas für Basketball geben. Die Starschnitt-Poster machen die „Basket“ zum Teenie-Magazin und für mich an der Kasse unkaufbar, die teilweise hanebüchenen Formulierungen in der „Five“ lassen mich, mich noch älter fühlen.
Es gibt eine Milliarde Fernsehzeitschriften und eine Milliarde Computerspielemagazine. Der einzige Grund sich einer Ausgabe zu nähern ist die beigelegte CD, DVD oder Blu-Ray. Die Süddeutsche hatte eine „Beste Romane“-Reihe, „Beste Krimis“, „Beste Filme“, „Beste Filme, Fortsetzung“, „Beste Kinderbücher“, „Beste Kinderbücher von Autoren mit Sechsfingrigkeit geschrieben“, „Beste Filme, Fortsetzung: Die nicht mehr ganz so besten Filme, aber trotzdem okay, die wir mit den Verleiher ausgehandelt haben, und …“. Ich meine: Reicht es nicht mehr eine Zeitung zu sein? Ich kaufe euch doch! Zwei Euro und zwanzig Cent. Und ich bezahle es gerne!
In der Computer-Bild (oh … ich hab wohl doch mehr als eine Bild-Zeitung gekauft!) bewerten sie mittlerweile andere Computerzeitschriften. Lustig.
Als Schüler hab ich lange die „Cinema“ gelesen. Bis irgendwann die Bewertungen verschwanden und man nur noch Tendenzen aus den Kritiken herauslesen konnte. Irgendwann las es sich wie die „Kino & Co“ …
Ich hab noch keine gelesen, aber ich bin mir sicher es gibt so was auch für Opern und Operetten. Ob die mittlerweile auch abhängig von den Freikarten der Veranstalter sind, und von bezahlten Ausflügen zum „Set“ und deswegen immer positiv bewerten?
Warum prangt auf dem Feuilleton der Süddeutschen (und jeder anderen Tageszeitung) ständig irgendeine Opernrezension? Und wo wir schon dabei sind: Was hat mit Tielemanns „Ring“ in Bayreuth nicht gestimmt, was ein Jahr später Nemirova in Frankfurt besser machen soll? Hm?
Darüber wird berichtet, geschrieben, gestritten.
Star Wars kommt auch wieder ins Kino, in 3D (tz!), kriegt dafür aber nicht die großen Aufmacher-Seiten. Ich meine nur … der „Ring“ ist ganz nett, aber Star Wars ist das größte Franchise der Welt! Ein bisschen mehr Ausgeglichenheit … mal ne echte George Lucas-Kritik. Ein bisschen mehr Futter. Strengt euch an, es ist Kino … anders als in die Oper, geht man da doch gerne hin … Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand beschweren würden, wenn es bald mal eine Neuigkeit weniger, aus der fi-fu-farbenfrohen Welt der Ausstellungseröffnungen geben würde. Hm?
Aber vielleicht ist das wie mit Panzern und dem Militär. Man hat seine Stimme für die anderen abgegeben, kriegt es aber trotzdem. Dafür wird Hartz IV um 5 Euro erhöht. Großartig! Weil es den Armen so gut geht!
[Kurzer Exkurs: Guttenberg schafft die Wehrpflicht ab und De Maizière spricht über Aufrüstung. Danke, Vroni-Plag … wirklich gut gemacht!]
Genauso die ständigen Artikel über Menschen in Berlin-Mitte … uragh. Nur weil ein paar (alle!) Zeit- und Süddeutsche-Journalisten dort wohnen, brauch ich mir jetzt echt nicht ne Platte über die fehlenden „Real-Life“-Fähigkeiten von noch einem arbeitslosen Mediendesigner in Friedrichshain machen. Ich hab selber Probleme. Zum Beispiel, wie ich dieses CD-Cover für diese angesagte Trip-Hop-Band auf meinem Handy designe, während ich bei Starbucks, dass Äquivalent meines Stundenlohns als Praktikant in Form eine lauwarmen Kaffees vor mir sitzen habe … apropos: Ich will mehr über die Arbeitsbedingungen wissen, unter denen mein Smartphone hergestellt wurde. Und zwar jede Woche. Jede Woche! Irgendwann kapier ich’s vielleicht und starte einen Boykott. Deep-Throated das mal! (Und ich meine nicht – – – Ihr wisst was ich meine!)
Ist es so schwer über seinen eigenen Schatten zu springen? (Such-a-Surge hatte das schon in den Neunzigern vor. Genauso wie gegen den Strom zu schwimmen. Wie das übrigens ausgegangen?)
Ich komm mir gerade vor, wie ein Junge der mit seiner Freundin Schluss macht, aber irgendwie vorher noch was loswerden will und am Ende sagt: Es liegt nicht an Dir …
Nein. Ich will nicht schlussmachen. Aber hinnehmen? Und es liegt auch an Dir …
An einer gut funktionierenden Beziehung muss man arbeiten. Beide müssen daran arbeiten.
Wenn ich mit der Süddeutschen in der S-Bahn sitze, oder am Küchentisch, in der Wartehalle des Bürgeramtes oder im Foyer des Hyatt am Potsdamer Platz. Es ist gut. Anerkennendes Nicken. Manchmal stört es mich, manchmal ist es angenehm. Manchmal wünsche ich mir stolzer darauf zu sein.

HARLEKIN POST (024) Schokoladeneis

Ich hab mal gelernt, dass Fabeln immer was mit Tieren zu tun haben. Warum eigentlich?
Schokoladeneis ist wahrscheinlich die langweiligste Eissorte der Welt. Schokoladeneis ist nicht besonders kreativ, nicht besonders anständig, aber auch nicht ungewöhnlich unanständig. Schokoladeneis ist die Vernunftentscheidung, wenn man sich nicht traut Vanille zu nehmen oder den Herstellungsbedingungen von Stracciatella misstraut. Schokoladeneis sorgt für ein Machtgleichgewicht, es verändert nicht die Gleichung und schon gar nicht das Ergebnis. Kurz: Wer sich für Schokoladeneis entscheidet, entscheidet sich für Stabilität. Den Status Quo.
Hätte man vor einem halben Jahr eine Umfrage gemacht, hätten 72% der Deutschen gesagt:
Ich mag Schokoladeneis.

Das ist ein gutes Ergebnis. Nicht Erich-Honecker-gut, aber gut. 72% legitimieren, dass auf allen „Eis“-Fahnen, vor sämtlichen Eis-Buden Deutschlands, eine Kugel Schokoladeneis abgebildet ist. Schokoladeneis ist somit das repräsentativste Eis. Das Eis des Volkes.
Es war nicht einfach da hinzukommen. Drei Mal hat man gefragt: Schokolade oder Vanille. Erst im dritten Anlauf entschied man sich für Schokolade. Komischerweise keine Bauchentscheidung. Vanille zog sich zurück, schrieb zwei Bücher und ging auf Lese- und Vortragsreise.
Doch leider bewegt sich wenig in der Welt des Speiseeis. Und es wird auf Dauer langweilig, auf dem zynischen Geschmack von Pistazie oder der tropfend-süßen-Verführung von Himbeer rumzuhacken. Also beginnt man in der Vergangenheit von Schokoladeneis herum zu wühlen. Klar: Schokoladeneis war nicht immer Schokoladeneis. Früher war es nur ein Haufen Kakaobohnen. Was wissen wir eigentlich über Kakaobohnen? Kakaobohnen sind subventioniert, haben Zuschüsse bekommen. Nicht alle diese Zuschüsse waren ganz legal, oder? Außerdem: Wie kamen die Bohnen nach Berlin und wie wurden sie Schokoladeneis? Wurde da etwa aufgestockt? Einfach so? Aus der Economy in die Business-Class? Und das Geld für die Plantage? Wo kam das her? Wurde es etwa zwielichtig geliehen, mit einem Privatkredit?
Und so starten verschiedenste Zeitungen Artikel über die Schlechtigkeit von Schokoladeneis, über seine unlautere Herkunft und besonders darüber, dass Schokoladeneis früher mal in einer Waffel mit einer anderen Kugel Eis steckte und sich dann von dieser getrennt hat. Einfach so. Geschieden. Und jetzt ist Schokoladeneis in einer neuen Waffel, mit einer ganz neuen Kugel Eis. Einer gutaussehenden Kugel. Jaha. Dieser Schuft!
Schokoladeneis war nicht immer Schokoladeneis. Es war einmal ganz anders, dreckig, gemein und böse. Es bestand aus Zutaten wie Du und Ich. Einfach so!
Und dann wird wieder eine Umfrage gemacht, diesmal mit JA oder NEIN zu beantworten:
Mögen Sie Schokoladeneis eigentlich noch? 65% sagen JA, aber 35% sagen immerhin auch NEIN, also wird weitergemacht.
Dann kommen die Eisproduzenten, die Eis-Experten und andere Eissorten zu Wort. Auch Zutaten melden sich. Alle reden über Schokoladeneis und Schokoladeneis selber weiß gar nicht wie ihm geschieht. Es dementiert, fragt sich was eigentlich los ist und dann verheddert es sich in Aussagen die es an einem hitzigen Nachmittag traf, als dummerweise einer von der PR-Abteilung von Langnese nicht ans Telefon gehen wolte.
Dann werden die Meinungen abgedruckt und allgemein entsteht der Eindruck: Eigentlich mag niemand Schokoladeneis und Schokoladeneis weiß nicht mehr was es von sich gibt. Und entschuldigt, demütig vor den anderen Eissorten und den Medien gekrochen, ist es auch nicht.
Also wird wieder das Volk gefragt und nur noch 54% antworten auf die Frage „Mögen Sie Schokoladeneis?“ mit JA. Jetzt geht es in die entscheidende Phase. Die Zeitungen lassen nicht locker. Sie überfluten das Land mit Fragen und auch gleich mit den Antworten. Braucht man Schokoladeneis überhaupt? Nein, sagt das Außenseiter-Eis Walnuss. Warum war Schokoladeneis nur so beliebt? Es hat was mit seinem langweiligen Geschmack zu tun, der ist doch doof, sagt Erdbeer-Eis und hofft insgeheim auf ein Comeback.
Und alle rufen zusammen: Es hat uns hinters Licht geführt. Schokolade ist doch langweilig. Warum haben wir das vorher nicht gewusst. Aber jetzt. Jetzt wissen wir’s und zwar zur Genüge.
Und dann, nachdem über Wochen und Monate alle Medien über die Vorwürfe und die Bonusmeilen und die Bonusmeilen der Freunde von Schokoladeneis, und die Pfennigbeträge, die Schokoladeneis einmal nicht gezahlt hat, berichtet haben … wird wieder die Frage gestellt. Und langsam haben die Menschen keine Lust mehr. Es ist Januar, draußen regnet es und eigentlich will niemand Eisessen. Und dann kippt es. Zum ersten mal sagen 53%: NEIN, ich mag kein Schokoladeneis mehr. Ich will nichts mehr davon hören. Und jetzt ist es aus. Endlich!
Die Eis-Fahnen mit Schokoladeneis werden abgesägt und Schokoladeneis klammert sich nur noch an seinen Status: „Aber ich bin doch das Eis des Volkes!“, ruft es. … Nicht mehr lange: Denn was jetzt kommt, sind Neuwahlen. Und was machen wir? Wir wählen Zitrone zum Eis des Volkes. Hellgelbes, bittersüßes Zitroneneis. Und der Typ aus der PR-Abteilung von Langnese hilft ganz kräftig.
Den Leuten von Langnese ist das nur recht. Die sitzen in Berlin und sitzen und sitzen. Brauen ihr Scheiß-Wassereis zusammen und niemand weiß was da wirklich passiert. (Nicht das Mövenpick oder Schöller besser sind, aber da weiß doch auch niemand was drin ist!)
Zitroneneis ist nicht besser als Schokoladeneis, die Zitronen kommen aus Spanien, sind massengezüchtet und mit dem Dienstwagen privat nach Deutschland gekommen. Aber das finden wir erst im nächsten Januar heraus.
Ich für meinen Teil, hab noch nie viel für Schokolade übrig gehabt. Und Zitrone finde ich zum Kotzen. Vielleicht höre ich ganz mit Eisessen auf. Obwohl? Hat ja auch Spaß gemacht … diese Schlammschlacht über Schokolade zu lesen. Hi, hi. Gibt es eigentlich Lakritz-Eis?

HARLEKIN POST (023) Gratis Ketchup

Christian Wulff hat neulich bei MacDonalds ein Päckchen Ketchup umsonst bekommen. Der SPIEGEL hat das aufgedeckt, und nun muss Herr Wulff den Differenzbetrag nachzahlen.

Es sieht lustig aus, wenn Georg Mascolo bei Günther Jauch sitzt und versucht seine Wut darüber zu verbergen, dass Wulff nicht bei ihm, sondern bei BILD angerufen hat.
Zeitschriften wie DER SPIEGEL werden eben immer mehr zum gedruckten Äquivalent der Kommentarbox unter nem Youtube-Video. Irrelevant irgendwie, manchmal lustig, aber auch nur wenn man schon was weiß.
Man liest SPIEGEL ONLINE aber für 4 Euro am Sonntagabend die Montagsausgabe am Hauptbahnhof holen, dass will niemand. Dagegen nimmt der BILD-Leser den Gang zum Kiosk jeden Morgen gerne, holt sich die „Zeitung“, nen Kurzen und die Packung Ernte 23 fürs Frühstück.
Während die „Elite“ bei Facebook die Ergebnisse einer Doodle-Umfrage zum neuen Bundespräsidenten diskutiert, sitzt der Rest der Volkes beim Kacken, geht die Aufstellung von Kiel gegen Dortmund durch und fragt sich: Wo krieg‘ ich Geld für die nächste Ernte 23 her, was soll mein Sohn Jochen mit seinem wertlosen 3er-Abitur machen und warum marschiert niemand in Syrien ein und hilft den armen Teufeln dort? Wir waren doch sonst nie so zimperlich?

Überall – und wenn ich sage: Überall, dann meine ich in allen eitrig, verstopften Medienkanälen – wird zur Zeit Wulff besprochen. Komisch, dass niemandem auffällt wie ähnlich der Abschuss dem von Gutti ist. Sogar fast die gleiche Jahreszeit. Den Start ins neue Jahr mit einem Politiker-“bashing“ begehen. Weil wir uns danach besser fühlen. Halt! Nicht wir, uns ist das doch egal. Ich hab genug eigene Probleme. Aber die Journalisten. (Natürlich sind wir hier mittlerweile alle irgendwie Journalisten und Kommentatoren, aber das soll keine selbstreferenzielle Nummer werden!) Zeitungen, Hörprogramme, Nachrichtenmagazine und so ungefähr alles worauf „News“ steht, verkauft sich besser, wenn es eine aktuelle Affäre gibt. Und wenn man gerade keine echten Affären hat, oder die Affären, die es gibt, scheinbar zu langweilig oder zu kompliziert sind, dann erfindet man eine Affäre. (Mir ist neulich aufgefallen: Auf dem SPIEGEL-COVER war im vergangenen Jahr verhältnismäßig selten der Führer abgebildet, dafür Affären, Fälle und Atomtragödien. Sind Nazis etwa gerade out?)
Da ist die Fabel vom schlechten Politiker. Oh ja. Das Fabeln normalerweise einen Normalzustand beschreiben, erklären und zugänglich machen, mal ganz nebenbei. Aber hier geißeln die Politiker den schlechten Politiker. So wie es der böse Wolf gerne mit der bösen Stiefmutter machen würde, nur um von sich abzulenken.
Bei Wulff findet der SPIEGEL auch schnell die Erklärung dafür, warum wir (königlich?) das so gerne machen: Weil Wulff selber gerne kritisierte.
Wenn in der Schule der neunmalkluge Klugscheißer mal ne Sechs schreibt, würde ich ihm das auch jahrelang vorhalten.
Wulff kritisierte andere Politiker, deswegen sind die jetzt auch so sehr auf Rache aus. Und mit der immer gleichen schwergewichtigen Unwichtigkeit wankt Siegmar vor die Kameras, wahrscheinlich die gleichen Kameras die noch von Guttenberg im Foyer der SPD-Zentrale standen, und sagt, was er schon damals sagte: Das das echt scheiße ist und der, um den es gerade geht (Namen bitte einsetzten) jetzt auch gehen soll.

Als Guttenberg am Pranger stand, ging es um die „Integrität von Lehre und Forschung“, geht’s nicht ne Nummer kleiner? Jetzt geht es um die „Beschneidung von Pressefreiheit“.
Genau. Meine Freiheit, die Zeitung aufzuschlagen und mal NICHTS über Pressefreiheit und den Langweiler Wulff zu lesen ist beschnitten.
Warum reden wir so viel über die Probleme der Personen, wenn es doch um die Probleme des Amtes geht. Und, ja: Da ist ein Unterschied. Und, nein: Man reduziert nicht das Amt mit ein paar Fehltritten einer biederen Person. Was interessiert mich das Einfamilienhaus von nem Typen aus Hannover? Aus HANNOVER! Da ist es so scheiße, selbst die – die 17 Mal im Jahr weg dürfen, springen da vor den Zug. (Zu früh?)

Guttenberg, zum Beispiel, hat damals die Wehrpflicht abgeschafft. Hätten wir nur ein Zehntel der Aufmerksamkeit und der Kraft, die in endlose Diskussionen übers „Abschreiben“ gesteckt wurde, der Frage gewidmet: Wie können wir die wegfallenden Zivildienstleistenden irgendwie ersetzen? Wir hätten wahrscheinlich mittlerweile ein funktionierendes System aus Brückenjobs im sozialen Bereich, würden etwas gegen Arbeitslosigkeit im Alter zwischen Achtzehn bis Vierundzwanzig tun und die Versorgungslücke der sozialen Fürsorge wäre auch noch geschlossen.
Stattdessen kennt wirklich jeder mindestens einen, mäßig witzigen Copy-and-Paste-Witz zum Thema Guttenberg. Ja. War die richtige Entscheidung.

Wenn es um Wulff geht, warum diskutieren wir nicht die sinnferne Sparwut, die er in Niedersachsen angerichtet hat, wie er soziale Programme kürzte und einfach so beschloss: Wir brauchen nur 12 Jahre bis zum Abitur und das auch noch zentral. Wie wäre es, wenn Medien in der Lage sind Minister und bald wohl auch Präsidenten zu kippen, dass wir mal diese Kraft nutzen und Probleme lösen? Oder eine fruchtbare Diskussion über Bildungspolitik anstoßen? Ach, dass ist nicht spannend? Fragen Sie mal Jochen und was er mit seinem 3er-Abitur machen soll. Der findet das spannend!

HARLEKIN POST (020) Ein Leben ohne Loriot ist möglich, aber sinnlos

Vicco von Bülow ist tot.
Zeitungen, das Fernsehen, Radioprogramme und Online-Portale sind voll von Nachrufen.
Hape Kerkeling hebt den Grand Senior des deutschen Humors diffus gar zum „gesellschaftspolitischen“ Komiker. Loriot war alles, aber nicht politisch. Und ihn im Nachhinein nun zu einer politisch engagierten oder gar durch Politik motivierten Person zu machen, lässt dem Mops doch nun wirklich die Haare zu Berge stehen. Und wird Papa ante Portas nicht gerecht.
An dieser Stelle führt man nun gerne die Bundestagsrede von Loriot an. Wie herrlich hier Phrasen im Wortgemenge zu typischem Politiker-Sprech arrangiert sind. Und sie sind es. Eine seiner besten Arbeiten. Doch auch absolut anti-politisch. Politik wird hier als das enttarnt, was sie in den allermeisten Fällen ist. Heiße Luft. Worte, die auszusprechen es sich nicht lohnt. Egal von wem sie stammen und in welche Richtung sie zielen. Meistens stammen sie von allen und zielen überallhin.
Loriot war einer der wichtigsten Komiker, wenn nicht sogar der wichtigste Komiker Deutschlands, gerade weil er so un… sagen wir anti-politisch war. Heinz Erhard vor ihm, war die freundliche, zahnlose Nachkriegskatze. Ein versöhnlicher Identifikationscharakter. In allen seinen Rollen die Projektionsfläche für die Käfer-Generation.
Vicco von Bülow war anders. Er war die Seite an uns, die immer da ist, aber über die man nicht immer gerne spricht. Er war die Kleinigkeiten, die Spleens und die Ungereimtheiten. Er war all das, was eben so passiert. Er war es in seiner reinsten, seiner komischsten Form.
Loriot war Perfektionist. Er war kein Sketchschreiber im Sinn von „Sketchup“ oder den Millionen Nachfolgern, bis hin zum eher entsetzlichen als lustigen „Mensch Markus“ oder den „dreisten Dreien“. Loriot formte Situationen so lange, bis ihre Absurdität komisch, aber immer auch nachvollziehbar war. Er gab Charakteren nur einen leichten Schubs, und schon war die Groteske im Alltag gefunden.
Ich weiß nicht ob meine Kinder noch Herrn Müller-Lüdenscheidt kennen werden, oder gar Passagen aus Ödipussi mitsprechen können. Aber ich weiß jetzt das mein Erstgeborener Vicco heißen wird. Mit einem Dank an meinen Großvater: Deinetwegen liebe ich Loriot so, wie Du ihn geliebt hast. Weniger hat er nicht verdient.

Provopoli: Erster Teil

In letzter Zeit frage ich mich immer häufiger: Wer castet eigentlich die Hartz-IV-Familien fürs heute-journal? Ich meine diese Familien, die immer als Beispiel für die Untersten der Unterschicht herhalten müssen, um dann mal direkt in die Kamera so richtig arm zu sein! Neulich gesehen am aktuellen Beispiel eines Beitrags zur 5€-Hartz-IV-Erhöhung.
Die Gecasteten heißen dann beispielsweise Britta M. aus „Hier bitte Namen einer bundesdeutschen Großstadt einsetzen. Nicht zu groß, damit sich auch der bajuwarische Dorfbewohner damit identifiziert, aber auch nicht zu klein, damit der Durchschnitts-Metropolist auch weiter zuhört. Auf keinen Fall darf es Berlin sein, weil da, nach Ansicht des Durschnitts sowieso der Abschaum der Menschheit wohnt. Und es darf auf keine Stadt im Osten sein, weil der Durchschnittszuschauer im Durchschnitt eben durchschnittlich westdeutsch ist. Logisch. Und kein Westler will über das Leid der Ossis wissen, hatten wir ja alles schon zur Genüge. Den einzigen Solidarbeitrag den man noch bereit ist zu zahlen, ist das die Linke im Saarland über die 5%-Hürde springt.“
Also Britta M. aus Essen oder Lüdenscheid. Britta M. hat natürlich drei Kinder, und lässt diese auch gerne und immer wieder und wieder vor der Kamera spielen, bis schließlich auch wirklich jede Bagatelle, die sich „normales Unterschicht-Leben“ schimpft im Kasten ist. Als da wären: Köpfe der Barbie-Puppen vertauschen oder nach einer Partie Killerspiele ordentlich und unflätig die Mutti anbrüllen. Oh, ja. Da lacht das öffentlich-rechtliche Herz eines Fernseh-Redakteurs!
Und dann backt Britta M. mit ihren Kindern einen Kuchen. Warum sie das macht, wissen wir nicht. Als konditionierter RTL-Aktuell-Zuschauer wissen wir aber: Eigentlich ernähren sich Unterschichten-Kinder nur von Wurst und Pommes. Wenn WIR (und ich meine das königliche, ebenso wie das einschließende WIR) mal Currywurst oder Pommes – zum Beispiel im Stadion – essen, dann ist das volksnah. Wenn die Kinder von Britta M. das tun, dann ist das typisch. Logisch, oder?
Wie auch immer: Britta M. und ihre Kindern wollen einen Kuchen backen. Dafür war Britta M. einkaufen: Wie uns der Kommentar verrät, will Britta M. nämlich „trotz magerer Zuschüsse und kleinem Geldbeutel“ … Apropos: Warum „kleiner Geldbeutel“? Versteh ich nicht, diesen Kommentar. Und der kommt ständig. „Kleiner Geldbeutel“, „Magere Zuschüsse“, „Frenetischer Beifall“ … wie wäre es mal ohne Adjektiv. Und wenn der Geldbeutel klein ist, dann nimm ne Netto-Tüte, da passt mehr rein. Aber ich schweife vom Thema ab.
Der Kommentar war: „Trotz magerer Zuschüsse und kleinem Geldbeutel will Britta M. ihren Kindern aber trotzdem hin und wieder frisches Obst und Gemüse auf den Tisch stellen“. Dazu sehen wir wie Britta M. vier Äpfeln, drei Bananen und zwei Kartoffeln im viel zu großen Einkaufskorb präsentiert. Kleiner Tipp, Britta M.: Wenn Du mit dem geflochtenen Korb (der niemals Dir gehört!) nicht zum Bauern gehen würdest, würden bei Real auch mehr als vier Äpfel, drei Bananen und zwei Kartoffeln rausspringen, und für die gestellte Backszene müsste Deine kleine Jaqueline diesen Monat nicht auf ihren Kita-Platz verzichten. Aber weiter:
Nun sitzt Britta M. also vor einer wunderschönen, dunkelbraunen Esszimmer-Garnitur von Möbel-Roller am Küchentisch, und sieht von Unten in die Kamera. Es ist herrlich. Tatsächlich sehen die meisten Unterschichtler … politisch korrekt UnterschichtlerInnen … stets bedeutungsschwanger von Unten in die Kamera. Egal ob „Die Auswanderer XXL“ oder „Die Abspecker – Ruhrpott Edition“ oder „Weiß der Himmel was noch für Doku-Soaps“, immer ist die der Kameramittelpunkt knapp oberhalb der Augen. Mindestens. Es ist wirklich so. Kein Scheiß!
Ja, ja. Furchtbar ist das mit der armen Britta M. Wie sie so leidet, um 21 Uhr 45 im zweiten deutschen Fernsehen. Die Frage bleibt: Wie kommt das heute-journal an seine Hartzer? An all die Britta M.‘s aus Essen oder Lüdenscheid. Wahrscheinlich müssen die Kamerateams bald wirklich auf Britta M.‘s in Cottbus oder Wismar ausweichen. Die Herkunft im Untertitel kann man ja „redaktionell ändern“. So viele Hartz-IV-Familien gibt es im Westen ja nicht mehr zu finden. Dann warten die Redakteure und Kamerateams (oder sagen wir lieber die vier Dauer-Praktikanten, die sich das geizige ZDF noch leistet) tagein, tagaus eben vor ostdeutschen Ämtern. Und passen auf, liegen auf der Lauer, suchen nach dem ausgemergelten Blick einer Britta M.
Falls man mal sie entdeckt, bietet man fünfhundert Westmark, also Euro. Dann darf das Kamerateam einen ganzen Tag die Sozialbauwohnung belagern, und die gierige Kamera kann sich mal so richtig sattsehen an der ganzen Mischpoke.
Dummerweise werden die fünfhundert Euronen aber als Nebenerwerb mit Hartz-IV verrechnet und am Ende bleibt nichts für Britta M. übrig. Aber im Fernsehen war sie mal, immerhin. Berühmt ist sie, im ganzen Haus und auch bei Lidl hat sie schon jemand angesprochen. Jedes Mal wenn sie wieder aufs Amt muss, hofft sie erneut angesprochen zu werden. Vielleicht kommt jemand von den Tagesthemen, oder von Frontal 21. Die bezahlen sie unter der Hand.
Danke ZDF … Du bist mein Allerlieblingssender, wenn ich mal einen Schlaganfall habe und im Pflegeheim nicht mehr alleine umschalten kann. Weil dann, dann ist auch egal.
Außer vielleicht, ich hab dann so einen Sprachcomputer und kann mir was wünschen. So macht das Stephen Hawking wahrscheinlich. „Bitte – Umschalten – Ich – Will – Germanys – Next – Topmodel – Sehen“
Dann will ich aber auch so einen Strohhalm, mit dem ich rumfahren kann. Apropos Hawking: Lebt das alte, schwarze Loch eigentlich noch? Es hieß doch schon vor zehn Jahren schon: Der macht’s nicht mehr lang. Kickt aber trotzdem immer noch ein transuniversales Standardwerk nach dem nächsten raus. Respekt. Na ja: „Kickt“ vielleicht nicht.
Oh, jetzt hab ich doch tatsächlich beim Lachen Cola-Light durch die Nase aufs Keyboard geschnieft. Ist aber auch schon spät. Gleich kommt das Nachtmagazin. Vielleicht gibt‘s mal wieder was über Ausländer, und wie die sich so integrieren. So einen Beitrag über eine typische, türkische Familie in Kreuzberg oder kurdische Gastarbeiter in Gelsenkirchen. Wer castet die eigentlich?