Archiv der Kategorie: Harlekin Post

HARLEKIN POST (026) Stolz wie Bolle

Stolz ist eine komische Angelegenheit.

In Berlin ist man neuerdings stolz auf all die Erfindungen, die hier gemacht wurden.
(Bleibt ja auch sonst nichts: Hertha ist selbst den sonst fremdschamresistenten Hauptstädtern peinlich. Wowereit und Henkel sehen auf Fotos aus, wie der Pummel 1 & 2, die Tschibo-Jacken tauschen und nach dem Mittag zusammen Prosecco-Pause im Whirlpool machen. Und selbst auf die Berliner Polizei kann man nicht so recht stolz sein, gab es doch dieses Jahr kaum Linke zu verkloppen.)
Also werden Bücher über die Erfindungen der Berliner geschrieben und alle Käseblätter berichten mit Stolz. Bei den wichtigen Erfindungen, die Berliner gemacht haben, denkt man natürlich es geht um Dinge wie Solarzellen, den Otto-Motor oder Zwergweizen, der es der dritten Welt endlich erlaubt sich selbst zu versorgen. Eben Erfindungen auf die man stolz sein kann, wenn man schon muss. Wie naiv.
In Berlin wurde das nahtlose Kondom, Pappteller und die Ohropax erfunden. Kein Scheiß.
Eine Wegwerfgesellschaft, die ungestört und ohne Konsequenzen, reizfrei durch die Gegend vögeln will. (Die restlichen Anspielungen und Witze machen sich von alleine, oder?)
Noch ein Tipp an die BILD-Zeitung: Egal wie sehr man sich auch bemüht, der Computer wurde immer noch in Hünfeld, der Fernseher (obwohl zuerst von einem Glasgower und anschließend einem Berliner erdacht, doch) von einem gebürtigen Fuldaer in Straßburg, die Taschenlampe in England und die Straßenbahn in Lichterfelde, damals nicht Berlin, erfunden. (Oh, schade. Knapp daneben. Das nächste Mal einfach Wikipedia bemühen.)

Zurück zum Stolz.

Stolz fliegt Obama nach Afghanistan, um zu betonen, dass ein paar Adrenalin-Junkies, auf seinen Befehl hin, vor einem Jahr genau einen Saudi in Pakistan direkt ins Auge geschossen haben. (Jemand sollte ihm erklären, dass der Friedensnobelpreis kein Wanderpokal ist.)

Wir sind stolz auf Onkel Gauck, weil er nicht zur EM in die Ukraine fahren will. Nicht weil dort immer noch Kohle wie im Mittelalter abgebaut wird („Wenn der Wellensittich von der Stange kippt, heißt es rennen!“). Auch nicht weil die Ukraine auf Platz Drei der meisten Klagen beim Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg steht. (Für die 10.000ste Klage, gibt es einmal „Oppositionsführer im Knast foltern“ umsonst.) Und auch nicht, weil für die EM überall in der Ukraine streunende Hunde gejagt und erschossen wurden. Nein, weil die Ukraine, wie die meisten Staaten, ihre Gegner aus dem eigenen Land, immer noch einsperren. Siehe China, siehe Russland, siehe … ach, eigentlich alle. (Mal sehen wann man Aung San Suu Kyi wieder unter Hausarrest stellt.) Irgendwann kommen Diktaturen und Autokratien vielleicht auf den Trichter, dass Menschenrechtler, liberale Idealisten und Oppositionelle viel weniger Wirkung auf die Menschen haben, wenn man sich nicht verfolgt, tötet oder einsperrt. Dann wird es wirklich schwer für die gesättigten Kopf-Revolutionäre in deutschen Vorstädten, sich zu empören.

Apropos Stolz: Bisher war ich immer stolz auf die Süddeutsche Zeitung. Inhalt, Stil … Dann fand ich am letzten Samstag auf einer Seite eine Kurznachricht, oder wie man wohl im Zeitungsjargon sagt: „Bubble“, deren journalistische Errungenschaft war, mir als Leser mitzuteilen: Dan Aykroid mag Bahnfahren. Das wars. Dafür lohnen sich die Zwei Euro und zwanzig Cent doch.
Wenn ihr die Seiten nicht voll bekommt, spart das Papier statt Schwachsinn die Plattform einer deutschlandweiten Veröffentlichung zu geben.

Während einer Fußball WM oder EM, während DFB-Pokalendspielen oder dem Champions-League-Finale werde ich manchmal von Emotionen heimgesucht, die mir wie Stolz vorkommen.
Aber das ist es nicht. Es ist Begeisterung, vielleicht blinde Freude oder Raserei.
Aber ich bin dann nicht stolz auf mein Land.
Wenn Nazis auf einer Demo durch die Straßen ziehen und ihre Parolen brüllen dürfen, genauso wie es die Raver von der Love-Parade machen. Wenn Sarrazin einen Verleger für seine statistisch-gefälschten Ideen findet, so wie Richard Dawkins einen Verleger für seine Bücher gegen Gott. Wenn ein fundamentalistischer Imam in einer Talkshow seine verdrehte Koranauslegung lautstark verteidigt, so wie lautstark die Gegner der Gentrifizierung überall auftreten. Wenn jeder Depp seine Meinung sagen darf, fundiert oder direkt aus dem eigenen Arsch gezogen, genau wie ich, dann bin ich stolz auf mein Land.
Es ist ein scheiß Gefühl.

HARLEKIN POST (025) Samstagvormittag

Ich stand schon mit der „Neues Deutschland“ unterm Arm bei Tiffany’s an der Kasse. Ich las die „taz“ im Foyer einer schlagenden Verbindung in Heidelberg. Ich hab auf dem Klo einer Kommune die „Welt am Sonntag“ durchgeblättert und die Frankfurter Allgemeine zu nem Sit-In mitgenommen.
Neulich saß ich in einem Zugabteil. Ich las „die Zeit“, mein Gegenüber den „SPIEGEL“, daneben ein Mann mit dem „Focus“ und seine Freundin mit dem „Stern“.
„Die Zeit“ ist unglaublich umständlich und manchmal zäh, ganz anders als der „Stern“. Doch wenigstens fühlt man sich am Ende nicht dümmer als vor dem Aufschlagen. Der „SPIEGEL“ beschwört fast mit jeder Zeile seine Vergangenheit, verrät sie aber in angeschlossenen Nebensätzen und mit SPIEGEL TV. Der „Focus“ erscheint ohne Vergangenheit, im Nimbus des Jetzt und sieht jede Woche aus wie die letzte Ausgabe von etwas.
Ich lese gerne Zeitungen, Zeitschriften, Magazine. Ich mag es, wie Journalisten immer fast die selbe Sache in Dreiern verpacken, des Rhythmus wegen: Wulff ist arrogant, selbstgefällig und egozentrisch. Toll.
Meine Lieblingszeitung ist die Süddeutsche. SZ.
Ah … jeden Samstagvormittag schlage ich sie auf. Die Druckerschwärze, die das Deckblatt nach einer langen Reise aussehen lässt und auch so riecht.
Ich stell mir immer vor, dass irgendwo in einem Münchener Vorort eine kleine Fabrik steht. Der Druckermeister ist ein älterer Kauz, der eine von diesen Schirmmützen trägt. So eine, wie sie die Jungs hinter dem Schalter im Wettbüro in „Der Clou“ getragen haben. Ihr wisst was ich meine: Und gleich steckt Robert Redford, diesmal nicht aus „Der Clou“, sondern aus „Die Unbestechlichen“, den Kopf durch die Tür. „Die Ausgabe ist gesetzt!“, ruft er. „Du kannst loslegen, Joe.“
Ja. Ich möchte das der Druckermeister „Joe“ heißt. Und jeder Artikel ist von Woodward und Bernstein geschrieben. Ahh …
Ich hab wahrlich andere Drogen ausprobiert. Ich als „Zeitungsjunkie“.
Die „konkret“ kommt immer noch jeden Monat, obwohl ich fast keine dort gedruckte Meinung teile. Aber es hilft die eigene, pseudo-liberal-links-manchmal-mitte-Einstellung zu schärfen, wenn man weiß was im rot-roten Spektrum gedacht wird. Auf der anderen Seite … nein, die Bild-Zeitung hab ich nicht abonniert. Bild-Blog, ja. Nur ein einziges Mal hab ich mir die Bild-Zeitung gekauft: „Ufo-Sekte will Hitler klonen.“
Neulich stand in der Süddeutschen: „Der Bekannte eines Freundes des Bundespräsidenten, hat irgendwann mal jemanden auf eine Gästeliste gesetzt, ohne …“
Von wegen weit hergeholt.
Als am Ende der letzten Folge von „Star Trek: Deep Space Nine“, Commander Benjamin Sisko zu einem übernatürlichen Wesen wurde … da war mir klar: Es ist nicht so wie ich sieben Staffeln lang geglaubt habe. Und die sieben Staffeln „Star Trek: Das nächste Jahrhundert“ davor. Star Trek ist nicht das Diesseits bejahende Bollwerk gegen erlahmte Erzählstrukturen und den kalten Krieg. Dabei hatte besonders „Deep Space Nine“ in den letzten Staffeln wunderbare Gleichnisse auf den ersten Golfkrieg parat. Am Ende ist alles nur wie alles andere.
Die Süddeutsche ist nicht der Weisheit letzter Schluss, aber es wäre schön wenn sie sich noch ein bisschen mehr Mühe gäbe das zu vertuschen.
Ich liebe die Sport-Seiten am Samstag. Es gab einen großartigen Artikel über den HSV und über den 1.FC Nürnberg. Neutral, aber leidenschaftsvoll. Natürlich nerven die ewigen Bayern-Analysen. Jeder angeknackste Zeh von Breno wird diskutiert und diskutiert, aber es ist eben eine bayrische Zeitung. Und bei Bukowski störte mich das dauernde „FUCK“ ja auch nicht. Für die reine, eher unaktuelle (oder spätaktuelle) Liebe zum Fußball gibt es ja die „11 Freunde“. Was die „Beef“ wohl für Fleisch-Fetischisten ist, ist die „11 Freunde“ für alle, die lesen mögen wie man einfach nur begeistert schreiben kann. Nicht immer ganz formvollendet, aber begeistert. Da verzeiht man auch das beigelegte Stadionposter … bin ich Fünf, oder wie?
Ich wünschte es würde so etwas für Basketball geben. Die Starschnitt-Poster machen die „Basket“ zum Teenie-Magazin und für mich an der Kasse unkaufbar, die teilweise hanebüchenen Formulierungen in der „Five“ lassen mich, mich noch älter fühlen.
Es gibt eine Milliarde Fernsehzeitschriften und eine Milliarde Computerspielemagazine. Der einzige Grund sich einer Ausgabe zu nähern ist die beigelegte CD, DVD oder Blu-Ray. Die Süddeutsche hatte eine „Beste Romane“-Reihe, „Beste Krimis“, „Beste Filme“, „Beste Filme, Fortsetzung“, „Beste Kinderbücher“, „Beste Kinderbücher von Autoren mit Sechsfingrigkeit geschrieben“, „Beste Filme, Fortsetzung: Die nicht mehr ganz so besten Filme, aber trotzdem okay, die wir mit den Verleiher ausgehandelt haben, und …“. Ich meine: Reicht es nicht mehr eine Zeitung zu sein? Ich kaufe euch doch! Zwei Euro und zwanzig Cent. Und ich bezahle es gerne!
In der Computer-Bild (oh … ich hab wohl doch mehr als eine Bild-Zeitung gekauft!) bewerten sie mittlerweile andere Computerzeitschriften. Lustig.
Als Schüler hab ich lange die „Cinema“ gelesen. Bis irgendwann die Bewertungen verschwanden und man nur noch Tendenzen aus den Kritiken herauslesen konnte. Irgendwann las es sich wie die „Kino & Co“ …
Ich hab noch keine gelesen, aber ich bin mir sicher es gibt so was auch für Opern und Operetten. Ob die mittlerweile auch abhängig von den Freikarten der Veranstalter sind, und von bezahlten Ausflügen zum „Set“ und deswegen immer positiv bewerten?
Warum prangt auf dem Feuilleton der Süddeutschen (und jeder anderen Tageszeitung) ständig irgendeine Opernrezension? Und wo wir schon dabei sind: Was hat mit Tielemanns „Ring“ in Bayreuth nicht gestimmt, was ein Jahr später Nemirova in Frankfurt besser machen soll? Hm?
Darüber wird berichtet, geschrieben, gestritten.
Star Wars kommt auch wieder ins Kino, in 3D (tz!), kriegt dafür aber nicht die großen Aufmacher-Seiten. Ich meine nur … der „Ring“ ist ganz nett, aber Star Wars ist das größte Franchise der Welt! Ein bisschen mehr Ausgeglichenheit … mal ne echte George Lucas-Kritik. Ein bisschen mehr Futter. Strengt euch an, es ist Kino … anders als in die Oper, geht man da doch gerne hin … Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich irgendjemand beschweren würden, wenn es bald mal eine Neuigkeit weniger, aus der fi-fu-farbenfrohen Welt der Ausstellungseröffnungen geben würde. Hm?
Aber vielleicht ist das wie mit Panzern und dem Militär. Man hat seine Stimme für die anderen abgegeben, kriegt es aber trotzdem. Dafür wird Hartz IV um 5 Euro erhöht. Großartig! Weil es den Armen so gut geht!
[Kurzer Exkurs: Guttenberg schafft die Wehrpflicht ab und De Maizière spricht über Aufrüstung. Danke, Vroni-Plag … wirklich gut gemacht!]
Genauso die ständigen Artikel über Menschen in Berlin-Mitte … uragh. Nur weil ein paar (alle!) Zeit- und Süddeutsche-Journalisten dort wohnen, brauch ich mir jetzt echt nicht ne Platte über die fehlenden „Real-Life“-Fähigkeiten von noch einem arbeitslosen Mediendesigner in Friedrichshain machen. Ich hab selber Probleme. Zum Beispiel, wie ich dieses CD-Cover für diese angesagte Trip-Hop-Band auf meinem Handy designe, während ich bei Starbucks, dass Äquivalent meines Stundenlohns als Praktikant in Form eine lauwarmen Kaffees vor mir sitzen habe … apropos: Ich will mehr über die Arbeitsbedingungen wissen, unter denen mein Smartphone hergestellt wurde. Und zwar jede Woche. Jede Woche! Irgendwann kapier ich’s vielleicht und starte einen Boykott. Deep-Throated das mal! (Und ich meine nicht – – – Ihr wisst was ich meine!)
Ist es so schwer über seinen eigenen Schatten zu springen? (Such-a-Surge hatte das schon in den Neunzigern vor. Genauso wie gegen den Strom zu schwimmen. Wie das übrigens ausgegangen?)
Ich komm mir gerade vor, wie ein Junge der mit seiner Freundin Schluss macht, aber irgendwie vorher noch was loswerden will und am Ende sagt: Es liegt nicht an Dir …
Nein. Ich will nicht schlussmachen. Aber hinnehmen? Und es liegt auch an Dir …
An einer gut funktionierenden Beziehung muss man arbeiten. Beide müssen daran arbeiten.
Wenn ich mit der Süddeutschen in der S-Bahn sitze, oder am Küchentisch, in der Wartehalle des Bürgeramtes oder im Foyer des Hyatt am Potsdamer Platz. Es ist gut. Anerkennendes Nicken. Manchmal stört es mich, manchmal ist es angenehm. Manchmal wünsche ich mir stolzer darauf zu sein.

HARLEKIN POST (024) Schokoladeneis

Ich hab mal gelernt, dass Fabeln immer was mit Tieren zu tun haben. Warum eigentlich?
Schokoladeneis ist wahrscheinlich die langweiligste Eissorte der Welt. Schokoladeneis ist nicht besonders kreativ, nicht besonders anständig, aber auch nicht ungewöhnlich unanständig. Schokoladeneis ist die Vernunftentscheidung, wenn man sich nicht traut Vanille zu nehmen oder den Herstellungsbedingungen von Stracciatella misstraut. Schokoladeneis sorgt für ein Machtgleichgewicht, es verändert nicht die Gleichung und schon gar nicht das Ergebnis. Kurz: Wer sich für Schokoladeneis entscheidet, entscheidet sich für Stabilität. Den Status Quo.
Hätte man vor einem halben Jahr eine Umfrage gemacht, hätten 72% der Deutschen gesagt:
Ich mag Schokoladeneis.

Das ist ein gutes Ergebnis. Nicht Erich-Honecker-gut, aber gut. 72% legitimieren, dass auf allen „Eis“-Fahnen, vor sämtlichen Eis-Buden Deutschlands, eine Kugel Schokoladeneis abgebildet ist. Schokoladeneis ist somit das repräsentativste Eis. Das Eis des Volkes.
Es war nicht einfach da hinzukommen. Drei Mal hat man gefragt: Schokolade oder Vanille. Erst im dritten Anlauf entschied man sich für Schokolade. Komischerweise keine Bauchentscheidung. Vanille zog sich zurück, schrieb zwei Bücher und ging auf Lese- und Vortragsreise.
Doch leider bewegt sich wenig in der Welt des Speiseeis. Und es wird auf Dauer langweilig, auf dem zynischen Geschmack von Pistazie oder der tropfend-süßen-Verführung von Himbeer rumzuhacken. Also beginnt man in der Vergangenheit von Schokoladeneis herum zu wühlen. Klar: Schokoladeneis war nicht immer Schokoladeneis. Früher war es nur ein Haufen Kakaobohnen. Was wissen wir eigentlich über Kakaobohnen? Kakaobohnen sind subventioniert, haben Zuschüsse bekommen. Nicht alle diese Zuschüsse waren ganz legal, oder? Außerdem: Wie kamen die Bohnen nach Berlin und wie wurden sie Schokoladeneis? Wurde da etwa aufgestockt? Einfach so? Aus der Economy in die Business-Class? Und das Geld für die Plantage? Wo kam das her? Wurde es etwa zwielichtig geliehen, mit einem Privatkredit?
Und so starten verschiedenste Zeitungen Artikel über die Schlechtigkeit von Schokoladeneis, über seine unlautere Herkunft und besonders darüber, dass Schokoladeneis früher mal in einer Waffel mit einer anderen Kugel Eis steckte und sich dann von dieser getrennt hat. Einfach so. Geschieden. Und jetzt ist Schokoladeneis in einer neuen Waffel, mit einer ganz neuen Kugel Eis. Einer gutaussehenden Kugel. Jaha. Dieser Schuft!
Schokoladeneis war nicht immer Schokoladeneis. Es war einmal ganz anders, dreckig, gemein und böse. Es bestand aus Zutaten wie Du und Ich. Einfach so!
Und dann wird wieder eine Umfrage gemacht, diesmal mit JA oder NEIN zu beantworten:
Mögen Sie Schokoladeneis eigentlich noch? 65% sagen JA, aber 35% sagen immerhin auch NEIN, also wird weitergemacht.
Dann kommen die Eisproduzenten, die Eis-Experten und andere Eissorten zu Wort. Auch Zutaten melden sich. Alle reden über Schokoladeneis und Schokoladeneis selber weiß gar nicht wie ihm geschieht. Es dementiert, fragt sich was eigentlich los ist und dann verheddert es sich in Aussagen die es an einem hitzigen Nachmittag traf, als dummerweise einer von der PR-Abteilung von Langnese nicht ans Telefon gehen wolte.
Dann werden die Meinungen abgedruckt und allgemein entsteht der Eindruck: Eigentlich mag niemand Schokoladeneis und Schokoladeneis weiß nicht mehr was es von sich gibt. Und entschuldigt, demütig vor den anderen Eissorten und den Medien gekrochen, ist es auch nicht.
Also wird wieder das Volk gefragt und nur noch 54% antworten auf die Frage „Mögen Sie Schokoladeneis?“ mit JA. Jetzt geht es in die entscheidende Phase. Die Zeitungen lassen nicht locker. Sie überfluten das Land mit Fragen und auch gleich mit den Antworten. Braucht man Schokoladeneis überhaupt? Nein, sagt das Außenseiter-Eis Walnuss. Warum war Schokoladeneis nur so beliebt? Es hat was mit seinem langweiligen Geschmack zu tun, der ist doch doof, sagt Erdbeer-Eis und hofft insgeheim auf ein Comeback.
Und alle rufen zusammen: Es hat uns hinters Licht geführt. Schokolade ist doch langweilig. Warum haben wir das vorher nicht gewusst. Aber jetzt. Jetzt wissen wir’s und zwar zur Genüge.
Und dann, nachdem über Wochen und Monate alle Medien über die Vorwürfe und die Bonusmeilen und die Bonusmeilen der Freunde von Schokoladeneis, und die Pfennigbeträge, die Schokoladeneis einmal nicht gezahlt hat, berichtet haben … wird wieder die Frage gestellt. Und langsam haben die Menschen keine Lust mehr. Es ist Januar, draußen regnet es und eigentlich will niemand Eisessen. Und dann kippt es. Zum ersten mal sagen 53%: NEIN, ich mag kein Schokoladeneis mehr. Ich will nichts mehr davon hören. Und jetzt ist es aus. Endlich!
Die Eis-Fahnen mit Schokoladeneis werden abgesägt und Schokoladeneis klammert sich nur noch an seinen Status: „Aber ich bin doch das Eis des Volkes!“, ruft es. … Nicht mehr lange: Denn was jetzt kommt, sind Neuwahlen. Und was machen wir? Wir wählen Zitrone zum Eis des Volkes. Hellgelbes, bittersüßes Zitroneneis. Und der Typ aus der PR-Abteilung von Langnese hilft ganz kräftig.
Den Leuten von Langnese ist das nur recht. Die sitzen in Berlin und sitzen und sitzen. Brauen ihr Scheiß-Wassereis zusammen und niemand weiß was da wirklich passiert. (Nicht das Mövenpick oder Schöller besser sind, aber da weiß doch auch niemand was drin ist!)
Zitroneneis ist nicht besser als Schokoladeneis, die Zitronen kommen aus Spanien, sind massengezüchtet und mit dem Dienstwagen privat nach Deutschland gekommen. Aber das finden wir erst im nächsten Januar heraus.
Ich für meinen Teil, hab noch nie viel für Schokolade übrig gehabt. Und Zitrone finde ich zum Kotzen. Vielleicht höre ich ganz mit Eisessen auf. Obwohl? Hat ja auch Spaß gemacht … diese Schlammschlacht über Schokolade zu lesen. Hi, hi. Gibt es eigentlich Lakritz-Eis?

HARLEKIN POST (023) Gratis Ketchup

Christian Wulff hat neulich bei MacDonalds ein Päckchen Ketchup umsonst bekommen. Der SPIEGEL hat das aufgedeckt, und nun muss Herr Wulff den Differenzbetrag nachzahlen.

Es sieht lustig aus, wenn Georg Mascolo bei Günther Jauch sitzt und versucht seine Wut darüber zu verbergen, dass Wulff nicht bei ihm, sondern bei BILD angerufen hat.
Zeitschriften wie DER SPIEGEL werden eben immer mehr zum gedruckten Äquivalent der Kommentarbox unter nem Youtube-Video. Irrelevant irgendwie, manchmal lustig, aber auch nur wenn man schon was weiß.
Man liest SPIEGEL ONLINE aber für 4 Euro am Sonntagabend die Montagsausgabe am Hauptbahnhof holen, dass will niemand. Dagegen nimmt der BILD-Leser den Gang zum Kiosk jeden Morgen gerne, holt sich die „Zeitung“, nen Kurzen und die Packung Ernte 23 fürs Frühstück.
Während die „Elite“ bei Facebook die Ergebnisse einer Doodle-Umfrage zum neuen Bundespräsidenten diskutiert, sitzt der Rest der Volkes beim Kacken, geht die Aufstellung von Kiel gegen Dortmund durch und fragt sich: Wo krieg‘ ich Geld für die nächste Ernte 23 her, was soll mein Sohn Jochen mit seinem wertlosen 3er-Abitur machen und warum marschiert niemand in Syrien ein und hilft den armen Teufeln dort? Wir waren doch sonst nie so zimperlich?

Überall – und wenn ich sage: Überall, dann meine ich in allen eitrig, verstopften Medienkanälen – wird zur Zeit Wulff besprochen. Komisch, dass niemandem auffällt wie ähnlich der Abschuss dem von Gutti ist. Sogar fast die gleiche Jahreszeit. Den Start ins neue Jahr mit einem Politiker-“bashing“ begehen. Weil wir uns danach besser fühlen. Halt! Nicht wir, uns ist das doch egal. Ich hab genug eigene Probleme. Aber die Journalisten. (Natürlich sind wir hier mittlerweile alle irgendwie Journalisten und Kommentatoren, aber das soll keine selbstreferenzielle Nummer werden!) Zeitungen, Hörprogramme, Nachrichtenmagazine und so ungefähr alles worauf „News“ steht, verkauft sich besser, wenn es eine aktuelle Affäre gibt. Und wenn man gerade keine echten Affären hat, oder die Affären, die es gibt, scheinbar zu langweilig oder zu kompliziert sind, dann erfindet man eine Affäre. (Mir ist neulich aufgefallen: Auf dem SPIEGEL-COVER war im vergangenen Jahr verhältnismäßig selten der Führer abgebildet, dafür Affären, Fälle und Atomtragödien. Sind Nazis etwa gerade out?)
Da ist die Fabel vom schlechten Politiker. Oh ja. Das Fabeln normalerweise einen Normalzustand beschreiben, erklären und zugänglich machen, mal ganz nebenbei. Aber hier geißeln die Politiker den schlechten Politiker. So wie es der böse Wolf gerne mit der bösen Stiefmutter machen würde, nur um von sich abzulenken.
Bei Wulff findet der SPIEGEL auch schnell die Erklärung dafür, warum wir (königlich?) das so gerne machen: Weil Wulff selber gerne kritisierte.
Wenn in der Schule der neunmalkluge Klugscheißer mal ne Sechs schreibt, würde ich ihm das auch jahrelang vorhalten.
Wulff kritisierte andere Politiker, deswegen sind die jetzt auch so sehr auf Rache aus. Und mit der immer gleichen schwergewichtigen Unwichtigkeit wankt Siegmar vor die Kameras, wahrscheinlich die gleichen Kameras die noch von Guttenberg im Foyer der SPD-Zentrale standen, und sagt, was er schon damals sagte: Das das echt scheiße ist und der, um den es gerade geht (Namen bitte einsetzten) jetzt auch gehen soll.

Als Guttenberg am Pranger stand, ging es um die „Integrität von Lehre und Forschung“, geht’s nicht ne Nummer kleiner? Jetzt geht es um die „Beschneidung von Pressefreiheit“.
Genau. Meine Freiheit, die Zeitung aufzuschlagen und mal NICHTS über Pressefreiheit und den Langweiler Wulff zu lesen ist beschnitten.
Warum reden wir so viel über die Probleme der Personen, wenn es doch um die Probleme des Amtes geht. Und, ja: Da ist ein Unterschied. Und, nein: Man reduziert nicht das Amt mit ein paar Fehltritten einer biederen Person. Was interessiert mich das Einfamilienhaus von nem Typen aus Hannover? Aus HANNOVER! Da ist es so scheiße, selbst die – die 17 Mal im Jahr weg dürfen, springen da vor den Zug. (Zu früh?)

Guttenberg, zum Beispiel, hat damals die Wehrpflicht abgeschafft. Hätten wir nur ein Zehntel der Aufmerksamkeit und der Kraft, die in endlose Diskussionen übers „Abschreiben“ gesteckt wurde, der Frage gewidmet: Wie können wir die wegfallenden Zivildienstleistenden irgendwie ersetzen? Wir hätten wahrscheinlich mittlerweile ein funktionierendes System aus Brückenjobs im sozialen Bereich, würden etwas gegen Arbeitslosigkeit im Alter zwischen Achtzehn bis Vierundzwanzig tun und die Versorgungslücke der sozialen Fürsorge wäre auch noch geschlossen.
Stattdessen kennt wirklich jeder mindestens einen, mäßig witzigen Copy-and-Paste-Witz zum Thema Guttenberg. Ja. War die richtige Entscheidung.

Wenn es um Wulff geht, warum diskutieren wir nicht die sinnferne Sparwut, die er in Niedersachsen angerichtet hat, wie er soziale Programme kürzte und einfach so beschloss: Wir brauchen nur 12 Jahre bis zum Abitur und das auch noch zentral. Wie wäre es, wenn Medien in der Lage sind Minister und bald wohl auch Präsidenten zu kippen, dass wir mal diese Kraft nutzen und Probleme lösen? Oder eine fruchtbare Diskussion über Bildungspolitik anstoßen? Ach, dass ist nicht spannend? Fragen Sie mal Jochen und was er mit seinem 3er-Abitur machen soll. Der findet das spannend!

HARLEKIN POST (022) Jeder hat zu allem eine Meinung, ich auch!

Thomas Kroh ist Inforadio-Moderator. Thomas Kroh ist auch Kommentator für den „Sport Platz“ beim RBB. Wöchentlich kommentiert er in „Draufgehalten“ den deutschen Sport. In den letzten beiden Sendungen ereiferte er sich über die Schiedsrichter des DFB.
Dies tat er in der typischen Inforadio-Sprechweise: So langweilig, dass ich drauf und dran war mich mit dem Stromkabel des Fernsehers selbst zu erdrosseln. Dazu benutzte Herr Kroh Redewendungen und Formulierungen, die man normalerweise nur in Festreden zur Hundertjahrfeier eines Kegelvereins hört. (Damoklesschwert? Das ist doch so ein Gegenstand aus World of Warcraft, oder?)
Aber schlimmer noch, als die uninspiriert und vollkommen fern jeder Betonung vorgetragenen Endlos-Kaugummi-Formulierungen (man merk, worauf ich hinaus will), sind die geistigen Ergüsse von Herrn Kroh. Schrieb ich Ergüsse? Ich meine: Durchfall.
Schiedsrichter sind also scheiße, dumm und blind. Wow. Das ist neu.
Fragen Sie mal irgendeinen Fan, irgendeinen. Natürlich wird niemand, gar überhaupt niemand der jemals etwas mit Sport zu tun hat, etwas negatives über Schiedsrichter sagen. Nein. Das kommt niemals vor. Schiedsrichter sind normalerweise immer die angesehensten Männer und Frauen auf allen Sportplätzen. Natürlich, ja. Da ist die Meldung von schlechten Schiedsrichter eine Sensation … oh … hab ich Meldung geschrieben? Ich meine: Meinung.
>>Aber stimmt doch, oder? Das die jetzt, in der ersten Bundesliga da, alle schlecht Pfeifen. Stimmt doch, oder? Alles scheiße da … da … da ist wahrscheinlich die Gesellschaft, ach die Jugend und sowieso die Banken, und alle, und die Griechen, och! Die Griechen. Die geizigen Griechen, die sind schuld. Natürlich. Und sowieso, hinterziehen doch alle Schiedsrichter Steuern, deswegen pfeifen die auch so scheiße. Weil ich weiß es ja besser, weil ich sehe das ja am Fernseher oder im Stadion, mit Wurst in der Hand, Ketchup auf dem Trikot und Bier im Bauch viel, viel besser! Jawohl! Schiedsrichter wollen uns doch das Spiel kaputt machen. So ist das. Ja. Warum gibt es die überhaupt? Hm? Weil … weil, die doch alle scheiße sind. Geben dem Gegner nicht Rot, dafür das der es wagt dem Patrick Ebert seinen Lauf zu stören, dafür aber dem Christian Lell die Gelb-Rote-Karte, obwohl der dem Scheiß-Gegner nur immer wieder und wieder und wieder zeigen wollte, wo der dem hinhauen würde, wenn er ihn umhauen wollte. Hat er ja aber gar nicht. Hat der Scheiß-Schiedsrichter voll scheiße nicht gesehen. Scheiß-Pfeife! Dich brauchen wir nicht, Du Arsch.Hoyzer, Kempter) offenbar nicht legal oder fair unterwegs sind, spricht das nicht für die gesamte Gattung. Das wäre so, als würde man sagen: Nur weil Josef Ackermann eine Drecksau ist, sind alle anderen Bänker auch Schwei— oh.

HARLEKIN POST (021) Branded

Der Bericht zur „Occupy Frankfurt“-Demo wird auf SPIEGEL ONLINE von einem Commerzbank-Werbespot eingeleitet und abgeschlossen von der Sparda-Bank.
Das Wetter im Ersten wird von einem Finanzdienstleiter präsentiert und Fußball traditionell von Alkohol. Red Bull sponsort dutzende Fußballteams, aber das hat Volkswagen und Bayer Pharma schon vorgemacht. James Bond fährt Ford für Geld und wenn in einem Film jemand einen Laptop aufklappt, prangt entweder ein angebissener Apfel oder neuerdings lenovo auf der Aussenhülle.

Warum ist Protest gerade so „IN“ in Deutschland? Ach was, auf der ganzen Welt.
In Afrika erhebt sich das diktatorisch klein gehaltene Volk. Kann man nachvollziehen, auch wenn es die Benzinpreise hoch treibt und wir jetzt alle noch mehr Angst vor dem Fundamentalismus haben müssen. (Als ob die Ausgehungerten – nach Freiheit und Gleichheit – gleich alle zu uns kämen. Sollten sie mal. Dann muss ich mir bei Real nicht hinter dem Fetten die Beine in den gut gefüllten Bauch stehen, sondern er bleibt zuhause – aus Angst – und ich komm‘ nach Al-Hungry schneller dran. Der trödelt nicht, kennt er doch keine Blu-Rays und weiß nicht, dass bei YouPorn die Mädels warten! Der lebt noch wirklich im JETZT und bekommt nicht nur die neuesten Statusupdated „just in time“.) Irgendwas muss man bei einer Revolution ja opfern. Warum nicht die Dicken?
In Amerika stehen die 99% auf der Wall Street, weil vielen von ihnen Häuser fehlen, in denen sie schlafen können.
Und in Deutschland? Niemand verhungert wegen Stuttgart 21. Trotzdem kettet man sich an Bäume und lässt sich die Augen von Wasserwerfern blind spritzen. Und an der Frankfurter Börse?
Die diffuse Angst, die Aggression, den Ärger. Wer hat ihn nicht auf Banken? Eigentlich schon immer. Jetzt haben die Volksbanken das Online-Banking umgestellt, und ich muss mir einen Kartenleser für Zuhause kaufen. Mehr Sicherheit. Tz! (Der erkennt den BAR-Code auf dem Laptop-Schirm nicht, wenn der zu dunkel ist. Also so hell machen, dass der Nachbar erkennt wie voll mein Akku ist. Sicher ist sicher!)
Protest ist auch schön, weil er sich nicht „branden“ lässt, oder? Weil er authentisch wirkt, egal wie viele Worthülsen man noch von den Anführern um die Ohren gehauen bekommt. Protest kommt nicht mit „Goody-Bag“ und auch nicht mit Hochglanz-Vistenkarte. Protest kommt mit faserigem Papp-Schild und Slogans in Kinderschrift-Großbuchstaben!
Meine Lieblingsband höre ich jetzt dauernd in einer Werbung für Mobilfunk, mein Lieblingsfilm dankt vier Bildschirme lang seinen Sponsoren und mein Lieblingsschauspieler macht schon seit Jahren Werbung. Mein Lieblingsautor würde ja gerne, aber er ist schon Jahrzehnte tot und zu unbekannt.
Man kann schon froh sein, wenn einem Leute – die man mal mochte, oder verehrt hat – nicht von einem Plakat für ein neues Mittel gegen Inkontinenz angrinsen.
Oh. Nächste Woche wird eine Fahrraddemo für breitere Fahrradwege von Spreequell gesponsort.
Protest. „Gebranded“. … finally!

HARLEKIN POST (020) Ein Leben ohne Loriot ist möglich, aber sinnlos

Vicco von Bülow ist tot.
Zeitungen, das Fernsehen, Radioprogramme und Online-Portale sind voll von Nachrufen.
Hape Kerkeling hebt den Grand Senior des deutschen Humors diffus gar zum „gesellschaftspolitischen“ Komiker. Loriot war alles, aber nicht politisch. Und ihn im Nachhinein nun zu einer politisch engagierten oder gar durch Politik motivierten Person zu machen, lässt dem Mops doch nun wirklich die Haare zu Berge stehen. Und wird Papa ante Portas nicht gerecht.
An dieser Stelle führt man nun gerne die Bundestagsrede von Loriot an. Wie herrlich hier Phrasen im Wortgemenge zu typischem Politiker-Sprech arrangiert sind. Und sie sind es. Eine seiner besten Arbeiten. Doch auch absolut anti-politisch. Politik wird hier als das enttarnt, was sie in den allermeisten Fällen ist. Heiße Luft. Worte, die auszusprechen es sich nicht lohnt. Egal von wem sie stammen und in welche Richtung sie zielen. Meistens stammen sie von allen und zielen überallhin.
Loriot war einer der wichtigsten Komiker, wenn nicht sogar der wichtigste Komiker Deutschlands, gerade weil er so un… sagen wir anti-politisch war. Heinz Erhard vor ihm, war die freundliche, zahnlose Nachkriegskatze. Ein versöhnlicher Identifikationscharakter. In allen seinen Rollen die Projektionsfläche für die Käfer-Generation.
Vicco von Bülow war anders. Er war die Seite an uns, die immer da ist, aber über die man nicht immer gerne spricht. Er war die Kleinigkeiten, die Spleens und die Ungereimtheiten. Er war all das, was eben so passiert. Er war es in seiner reinsten, seiner komischsten Form.
Loriot war Perfektionist. Er war kein Sketchschreiber im Sinn von „Sketchup“ oder den Millionen Nachfolgern, bis hin zum eher entsetzlichen als lustigen „Mensch Markus“ oder den „dreisten Dreien“. Loriot formte Situationen so lange, bis ihre Absurdität komisch, aber immer auch nachvollziehbar war. Er gab Charakteren nur einen leichten Schubs, und schon war die Groteske im Alltag gefunden.
Ich weiß nicht ob meine Kinder noch Herrn Müller-Lüdenscheidt kennen werden, oder gar Passagen aus Ödipussi mitsprechen können. Aber ich weiß jetzt das mein Erstgeborener Vicco heißen wird. Mit einem Dank an meinen Großvater: Deinetwegen liebe ich Loriot so, wie Du ihn geliebt hast. Weniger hat er nicht verdient.

HARLEKIN POST (019) Schönheit

Drei Herzen nebeneinander. Nackt, zerbrechlich. Sie sehen gleich aus, gleich eklig. Über einem steht „WHITE“, über dem nächsten „BLACK“ und über dem dritten Herz steht „YELLOW“.
Eines von vielen Benetton-Werbeplakaten. Auf anderen sieht man fickende Pferde (natürlich ein Schimmel und ein schwarzes Pferd: Es ist wohl klar, wer hier wen fickt!), eine Ente im Öl-Sumpf oder ein weißes Baby an einer schwarzen Brust. Genauso oft wie diese Plakate besprochen, kommentiert, gelobt und verdammt wurden, wurden sie auch verboten.
Nun wurde wieder Werbung verboten, diesmal allerdings nicht von Benetton. L’Oreal ist die Firma die für eine neue Kampagne Julia Roberts als Aushängeschild nutzen wollte. Doch in England hat eine Parlamentsmitglied die Kampagne verbieten lassen. Doch Julia Roberts ist auf den L’Oreal-Plakaten nicht etwa nackt, oder wird von einem Pferd bestiegen, und man sieht nicht mal ihr offenliegendes Herz. Nein. Sie wurde gephotoshopt (kann man das so schreiben? Ist doch mittlerweile ein Verb, oder?). Perfektes Gesicht, perfekte Haut. Oder wie man es in Werbekreisen wohl sagt: Stinknormal.
Man muss nicht in der Werbebranche arbeiten um zu wissen: Werbung hat nichts mit der Realität zu tun. Hier springen Autos von Häusern und Männer werden dank Coke-Zero unwiderstehlich … Ich hab’s versucht. Alles was ich davon hatte, war ein Cola-Bauch und das ich dauernd aufs Klo musste. Nichts unwiderstehliches dran, glaubt mir.
Acht Jahre meines Erwachsenenlebens hab ich an AXE verschwendet. Ich gab im Monat mehr für Deos und Duschgel aus, als für Nudeln oder Reis. Und im Club roch ich wie der Rest aller Typen. Und obwohl ich diesen Ben-Affleck-Clicker hatte (erinnert ihr euch an die Werbung?) … es brachte rein gar nichts. Ich sah nur bescheuert aus. Den ganzen Abend dieses blöde Teflon-Grinsen nachmachen und mit einem Clicker in der Hand auf dem „0000“ stand. Wie peinlich.
Wie dem auch sei: Ich kam drüber weg. Ich bin drüber weg. Jedenfalls was Clicker angeht. Man kauft, was man sieht. Man benimmt sich wie Filmfiguren (Neulich stand ich mit nem Einkaufswagen in einem engen Gang im Supermarkt, und eine Frau wollte mit Kinderwagen vorbei. Es war aber nicht genug Platz. Alles was mir einfiel, war mit einem Baguette auf den Boden zu stampfen und laut zu brüllen „Du … kannst nicht … vorbei!“) und man spricht, wie das was man liest. (Jedenfalls machen das die Menschen so, die noch lesen. Der Rest unterhält sich in Dialogschnipseln aus Honey 2 … „Wenn der Battle beginnt … brauchst Du Deine ganze Power“ … Es ist zu putzig ein paar minderjährigen Deutsch-Türkinnen und nur Deutschen dabei zuzusehen, wie sie mit Schwarze-Ghetto-Frau-Gesten um sich werfen. Dieser erhobene Zeigefinger, den sie wie einen Zauberstab wirbeln …)
Der Punkt ist: Wenn man Werbung verbietet, die Fältchen oder Pickel retuschiert, kann man auch gleich die Korrekturpfanne einer Zeitung verbieten, von wegen Ungereimtheiten beseitigen … oder was ist mit Filmen wie „Cars“ oder … „Cars 2“ (Wirklich? Davon gibt es eine Fortsetzung? Wie wärs mit „Boats“ zur Abwechslung? Oder „Toaster“ … ), glauben die Kids dann jetzt: Hui. Autos können sprechen. Verbieten wir also auch Knight Rider oder MacGyver: Ich meine, niemand glaubt das man mit Schokolade einen Reaktor versiegeln kann. Wo war Richard Dean Anderson eigentlich, als Fukushima passierte?
Das Argument ist: Immer mehr Jugendliche wollen eine Schönheits-OP oder sind magersüchtig. Okay. Damit kann man was anfangen. Aber es hat nichts mit der Werbung zu tun. Wenn Eltern so dumm sind und ihren Kindern vermitteln: Oh ja, Du kannst alles werden was Du willst … auch Supermodel. Was glauben die kleinen Scheißer dann? Sie glauben es. Und langsam löst sich die Grenze zwischen Realität und Kunst (ja, ich zähle Werbung mal für diesen Punkt zur Kunst) auf. Und es ist nicht die Werbung die in die Realität kommt, soviel ist klar.
Im Mittelalter ließen sich Herzöge, Könige und Grafen gerne porträtieren. Weil die meisten Herrscher aber aus Inzest-Familien kamen und dementsprechend wie ein buckliger Kartoffelsack mit Armen aussahen, mussten Diener oder Bauern die Gewänder tragen, wurden gemalt und anschließend wurde das Gesicht des Königs drauf gesetzt.
Unsere Faszination für Royals und Gewänder ist bis heute geblieben. Und wir denken, dass L’Oreal Schuld an der verkorksten Jugend ist.

HARLEKIN POST (018) What’s next

Es gibt Tage, an denen hasse ich alle Spekulanten dieser Welt. Ende April wurde SETI eingestellt. Vielen Dank Bankenkrise. Und wie soll ich jetzt jemals einen echten Kilrathi zu Gesicht bekommen?
Ich bin aufgewachsen mit den zukunftsgewandten Visionen der Generation Mond. Jener Generation, die am Fernseher oder am Radio hing, als der erste Mensch endgültig das Versprechen der Aufklärung einlöste, sich vom Heimatplaneten der selbstverschuldeten Unmündigkeit entfernte und den Fuß auf einen nicht-irdischen Himmelskörper setzte.
Klar das meine Eltern ein Haus bauten. Klar das sie nicht 1,37 sondern 2,0 Kinder hatten, dass sie schon gegen die Atomkraft waren, als die Generation davor noch ihre Werte und ihren Anstand zusammensuchte. Klar das diese Generation, die Generation der Spielbergs und Lucas, begeistert vom Morgen war.
Am 20. Juli 1969 lebte eine Generation, die heute eine nicht mehr werberelevante Zielgruppe genannt wird.
Meine Generation hingegen ist werberelevant. Die Werbung pendelt deswegen auch zwischen Verdrängung und dem vermeintlichen Gefühl von Sicherheit. Sportautos und Wertanlagen. iPhone 5 und Altersvorsorge.
Die Antwort auf die Frage, warum SETI eingestellt wird und das letzte Spaceshuttle letzten Freitag zum letzten Mal gestartet ist: Es ist kein Geld da. Die Währungen sind instabil, die Banken leer. Tatsächlich? Wo ist das Geld hin? Schulen sind immer noch unterfinanziert, Kindertagesstätten auch nicht genug da, die Umwelt liegt weiter brach. Arbeit gibt’s auch nicht. Was haben wir also damit gemacht? In die Raumfahrt gesteckt? Mitnichten. Noch sind wir sprichwörtlich Lichtjahre vom Mars entfernt, noch gibt es keine interstellare Skype-Freundschaft zu E.T.
0,001% des amerikanischen Haushalts war der Anteil für die Mars-Mission. Nur mal so ein Gedanke: Macht daraus 0,01% und ihr kreiert tausende Jobs, Forschungsergebnisse und vielleicht landet dann 2030 wirklich jemand auf dem roten Planeten.
Ein Mensch auf einem anderen Planeten. Das ist nicht egomanischer Ausbreitungswille, dass ist der nächste Schritt. Nach der Atomkraft kommt die Solarenergie, nach dem Verbrennungsmotor der Elektromotor. Nach Kerosin verschlingenden Düsenflugzeugen, der Solarflieger. Nach Funk, Satellitenkommunikation. Nach Diktaturen, Demokratie. Nach Printmedien, der Newsfeed. Und nach Harry Potter 7.1 , kommt 7.2. Das ist einfach so, es ist Logik.
Nach der Erde, kommt der Mars.
Einige Entwicklungen mag ich vielleicht für blöd halten: Ich kann mich, zum Beispiel, immer noch nicht mit Bluetooth-Headsets fürs Handy anfreunden. Sieht einfach superpeinlich aus. Aber das man beim Autofahren nicht mit dem Handy telefonieren soll, leuchtet sogar mir ein.
Entwicklung, Evolution heißt aber: Gucken was hinter der nächsten Ecke liegt, hinter dem nächsten Hügel. Inspiration. Ob man dann den übernächsten Hügel nimmt oder nicht … irgendwo geht’s hin:
Ich, zum Beispiel, will irgendwann auf den rostroten Hügeln der Hochebenen von Utopia Planitia stehen. Die Steine unter mir dunkelrot gefärbt, vom hohen Anteil an Eisenoxiden. Über mir, am Nachthimmel, an dem gerade ein blauer Planet aufgeht, stehen schon die beiden ovalen Monde Phobos und Deimos. Zwei Monde, dahinter ein kleiner, blauer Punkt. Dann geht es weiter: Ich durchquere den Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Mehr als 400000 Asteroiden und kleine Zwergplaneten kreisen in diesem Bereich des Sonnensystems. Aber es ist viel Platz, also hab ich sogar die Chance einen der kleineren Brocken, mit etwa 300 Metern Durchmesser, einzufangen. Vielleicht fürs Wohnzimmer, vielleicht fürs Museum. Als Weltraumgeologe wird man Kometenjäger. Zeig mir einen kleinen Jungen, der, wenn er groß ist, nicht diesen Job haben will?

Im Budgetplan der ESA taucht die bemannte Weltraumfahrt nur mit knapp 9% auf. Ungefähr soviel Millionen Euro, wie die Amerikaner für die Mars-Mission ausgeben. Die Chinesen und Russen senden erst mal eine unbemannte Sonde. Vorsichtig geht es weiter, schleppend. Meine Eltern rannten noch überall hin, ich bleib dauernd stehen und muss auf meinem Handy Statusupdates bei Facebook checken.
Ich weiß nicht wie ich drauf komme, aber heute war jemand auf unserem Dach: Er hat die Regenrinnen gereinigt. Ich hätte es fast nicht mitbekommen. Ich schau kaum noch nach oben. Schade eigentlich. (Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass es in Berlin dauernd bewölkt ist.)

HARLEKIN POST (017) Aber ich will nicht nach Linksaußen

Stellen Sie sich mal vor, Sie arbeiten in einem Unternehmen. Eines Tages setzt sich die ganze Belegschaft zusammen und sagt: Wir wollen mehr verdienen. Aber Sie müssen nicht streiken, keinen Gewerkschaftsvertreter anrufen, sie stimmen einfach ab. Alle sagen „Ja“, nur der kleine Meckerhans, der immer ganz links außen sitzt, der sagt „Nein“, bekommt aber genauso wie alle anderen ab nächsten Januar und dann nochmal ab Januar 2013 eine Gehaltserhöhung.
Ja. Ich versteh’s. Warum müssen die Diäten der Abgeordneten hoch sein: Damit sie unbestechlich sind. Okay, klappt vielleicht nicht immer … aber das Prinzip ist gut. Ich zahle denen, die ich dafür bezahle das sie mein Leben regeln, mehr, damit niemand ihnen was dazu zahlt und mein Leben ungeregelter wird. Is klar.
Aber wenn ich durchschnittlich gerade mal ein Drittel von dem verdiene, was die Leute verdienen die ich bezahle damit sie mein Leben regeln … irgendwann ist doch mal Schluss. Und außerdem: Sollte ich nicht bestimmen wie viel die Leute, die ich bezahle, verdienen?
2700 € hat ein Haushalt monatlich im bundesdeutschen Durchschnitt, da ist auch der Abgeordnet mit drin und drückt den Durchschnitt nach oben. Ab Januar 2013 verdient er 8252 € und bekommt nach acht Jahren Bundestag eine lebenslange Rente von mindestens 1651 €. Egal was er danach macht. Er kann bei Gazprom die Millionen zählen, bekommt aber immer weiter Abgeordneten- oder Minister- oder Kanzlerrente. Dafür zahlt er nichts ein. Das heißt: Mit einer immer älter werdenden Gesellschaft wird auch das Rentenaufkommen für Abgeordnete immer höher.
Na, zum Glück ist der Schmidt starker Raucher. Und Joschka sieht man auch nicht mehr Joggen.
Moment mal: Vielleicht hat der kleine Meckerhans linksaußen einfach deswegen gegen die Diätenerhöhung gestimmt, weil er wusste: Die kommt sowieso durch und wenn ich dagegen bin, sieht es besser aus.
Ach, dieser linke Meckerhans. Ich werde einfach nicht warm mit ihm. Egal was er macht: Ich misstraue ihm, traue ihm zu das er bei der erstbesten Gelegenheit uns alle ins Gulag schickt. Und wenn ich so drüber nachdenke: Dann lieber durchschnittlich 2700€ pro Haushalt und im Fernsehen läuft Dallas. Mehr brauch ich wirklich nicht.