Am Ende des ersten „Stirb Langsam“-Films (1988), reißt Bösewicht Gruber John McClanes (Bruce Willis) Ex Holly mit aus dem Fenster. John kann Holly gerade noch festhalten und Gruber hängt an Hollys. McClane versucht den Griff zu lösen, doch es gelingt nicht. Dann hebt Gruber eine Pistole. Er zielt auf Holly und John. Erst in der letzten Sekunde schafft es McClane Hollys Armbanduhr zu öffnen – Gruber fällt in die Tiefe. Happy End.
John McClane (Bruce Willis) ist das Vorbild für den modernen, agilen Actionhelden. Ein Actionheld mit moralischen Vorstellungen. Wie zum Beispiel:
Man schießt erst, wenn auf einen geschossen wird.
Niemals zuerst zuschlagen, außer der andere hat eine Geisel oder eine Waffe.
Frauen und Kinder schlägt man schon mal gar nicht.
Und töten überhaupt nicht.
Hunde sind tabu, genauso wie Pferde und Katzen. Eigentlich alle Tiere.
Ein Held darf sich selbst überschätzen, im Sinne von: Einer gegen Sieben.
Und ein Held darf sich selbst zerstören, im Sinne von: Hoher Alkoholkonsum und Zigaretten.
Er darf auch mal seine Freundin versetzen, um dann verlassen zu werden und am Ende des Films alleine zu sein.
Das ist alles okay. Einzelgänger = ja. Egoist = nein.
Das Leben eines einzelnen (Helden) zählt immer weniger als das aller anderen. Er opfert sich auf.
Und genauso hab ich mein Leben angelegt. (Okay. Das mit dem „aufopfern“ hat noch nicht so geklappt, aber ich zerstöre mich selbst und ich hab noch nie einen Hund, eine Katze oder ein Pferd getötet!)
Wie dem auch sei: Ich habe nach den Regeln von John McClane und Jack Traven gelebt… erinnert sich noch jemand an Jack Traven? Nein. Ich musste den Nachnamen auch erst wieder bei IMDb nachschlagen. Jack Traven (Keanu Reeves) war der Held in „Speed“. Ja. Genau. „Speed“. Als Blockbuster-Actionfilme noch 30 Millionen kosteten und 350 Millionen einspielten, ohne dabei auszusehen wie „Fire with Fire“.
Himmel war der furchtbar. Da sieht ne Folge „Homeland“ besser aus.
(Diese Scheiß-Inflation!)
Ja. Die guten, alten Actionfilme der 90er. Eben echte Helden.
Doch dann kamen die 2000er und mit ihnen eine neue Generation. Ich nenne sie die „Crystal-Meth-Heldengeneration“. Vollkommen außer Kontrolle!
Den Umschwung – von den klassischen 90er Helden auf die neuen Helden – kann man ziemlich deutlich an zwei Filmen festmachen:
„End of Days“ (1999) und „Collateral Damage“ (2002).
Ich bin ein großer Fan von Arnold Schwarzenegger. Wirklich. Ich habe alle Filme gesehen. Und wenn ich meine: Alle, dann auch wirklich alle.
Sogar „In 80 Tagen um die Welt“, in dem er Prince Hapi spielt – und ab und an guck ich mir „Welcome to the Jungle“ an, nur weil er da am Anfang ein Cameo und einen Satz hat.
Man kann also sagen: Ich habe Arnold in mein Herz geschlossen. Besonders seit er als T-800 im zweiten „Terminator“ die Aufforderung des jungen John Connors ernst nahm und WIRKLICH KEINEN MENSCHEN TÖTETE. In der großartige Szene, in der der T-800 im ersten oder zweiten Stock des halb zerstörten Cyberdyne-Gebäudes steht, sich die Mini-Gun greift und sämtliche umstehenden Polizeifahrzeuge vernichtet, ohne dabei einen einzigen Polizisten zu töten. Großartig. Ein echter Held – und der war nicht mal ein Mensch. Aber das war 1991.
1999 spielt Arnold dann seinen bis dato dunkelsten Helden in „End of Days“. Jericho Cane trinkt (Selbstzerstörung), hat seinen Familie verloren (Einzelgänger) und tritt u.a. mit einem Raketenwerfer gegen den Teufel an (Selbstüberschätzung). Herrlich. (Also das mit dem Raketenwerfer, nicht die Sache mit der Familie!)
Ich will eigentlich nichts verraten, aber: Entweder hat man den Film schon gesehen, oder man wird ihn nie sehen, weil man irgendwelche verqueren Ansprüche an Geschmack und Inhalt hat! Also: Am Ende des Films schmeißt sich Jericho in ein Schwert. Damit widersteht er dem Teufel und verhindert dass sein Körper missbraucht und eine junge Frau von ihm getötet wird. Selbstaufopferung samt Selbstzerstörung. Ein echter Held. Kein Happy, aber ein gutes Ende.
2002 spielt Arnold dann einen Feuerwehrmann in „Collateral Damage“. Der Feuerwehrmann verliert auch seine Familie.
Und wer hier denkt: Gleiches Muster. Langweilig. Falsch gedacht! Diesmal sterben Frau und Kind durch einen Terror-Angriff. Nicht so wie in „End of Days“, wo Frau und Kind durch Auftragsmörder sterben. Nein, nein. Niemand hat hier einfach Copy&Paste betrieben, und die erst Hälfte des vorherigen Drehbuchs einfach kopiert.
Nein, nein. Zwei vollkommen unterschiedliche Storys!
Jedenfalls: Der Feuerwehrmann Brewer (geiler Name!) ballert und kämpft sich durch Kolumbien und bis nach Washington D.C. Nur um am Ende einen Mann mit einer Axt zu zerteilen und eine Frau in eine offene Starkstromleitung zu werfen. Tada!
Am Ende wird er dafür sogar ausgezeichnet. – Happy „fucking“ End! Frau und Kind tod, aber dafür andere Frau umgebracht. Rache ist super!
Was ist da in zwei Jahren passiert? Von Aufopferung zu „Alle sterben, außer ich“.
Wie kommt so etwas?
Die einfach Antwort ist: Der elfte September.
So schlimm der Angriff und die Zerstörung des World Trade Centers waren, so nachhaltig haben sie Amerika verändert.
Auf einmal war es Auge um Auge & Zahn um Zahn. Die „Bitch“ musste sterben.
(Gut. Frauen hatte Arnold Schwarzenegger vorher auch schon getötet: Sharon Stone (als falsche Ehefrau Lori in „Total Recall“) starb z.B. 1990 durch Quaid (Schwarzenegger) auf dem Mars. Aber die war auch echt giftig. Und es ging immerhin um die Zukunft aller Mutanten. Um Mutanten-Kinder und Menschlichkeit und so. Also um Minderheitenschutz. Da kann man Sharon Stone schon in die Tiefe stürzen.)
Doch nicht nur Arnold Schwarzenegger war von der Gewaltwelle betroffen. Nach 2001 wurden die Helden in amerikanischen Actionfilmen gewaltbereiter, gerade wenn es gegen Terroristen ging.
Wunderbar sieht man den Übergang von der alten zur neuen „political correctness“ in der „Stirb Langsam“ Reihe. 2007 prügelte sich Bruce Willis im vierten Teil mit einer Asiatin, tötete sie und berichtet dann – geschmacksbefreit – am Telefon dem Ober-Bösewicht ganz genüsslich vom Ableben der (Zitat) „Schlampe“.
War ja auch total vertretbar. Immerhin: Die „Schlampe“ hat Amerika bedroht.
Den Vogel hat jetzt Gerard Butler abgeschossen. In „Olympus has fallen“ überwältigt er zwei Terroristen, fesselt sie an Stühle und befragt sie dann. Obwohl „befragen“ ein echter Euphemismus ist. Als sie nicht antworten, rammt er einem seiner Gefangenen ein Messer durch den Hals in den Kopf.
Ja. Ernsthaft. Durch den Hals in den Kopf. Einem gefesselten und geknebelten Mann!
(Nicht mal Jack Bauer würde so etwas tun, und was Helden angeht war der bisher einer der Kaputtesten.)
Ich hätte beinahe mein salziges Popcorn wieder ausgekotzt. Hinterher rammt Butler dann das gleiche Messer dem anderen Gefangenen ins Bein. Danach wird schnell weggeschnitten, was uns vor weiterer Film-Folter bewahrt. Wow. Vielen Dank.
Aber was erwarte ich: Ein Land jubelt und feiert den offiziell angeordneten Mord an einem Terroristen in echt, warum sollte es sich über den Tod eines Film-Terroristen aufregen.
Dirty Harry fragte einst einen angeschossen Mann, der unbewaffnet am Boden lag und nach einer Schrotflinte greifen wollte: „Do you feel lucky, Punk.“
Damals galt das als unmoralisch. Dirty Harry wurde als Anti-Held betitelt, als moralisch fragwürdig.
Gerard Butler würde einem unbewaffneten Mann, der nach einer Schrotflinte greift, wahrscheinlich direkt zwischen die Augen schießen. Und hierher sagt niemand: „Oh Gott, wie konnte er.“ sondern „Gut so!“
Die zweite, viel kompliziertere Antwort auf die Frage, warum amerikanische Actionhelden so viel unbarmherziger geworden sind, lautet:
Sie sind gar nicht unbarmherziger geworden. Wir sind es.
Wir sind Unbarmherzigkeit und Gewalt mittlerweile gewohnt.
Das ist keine grundsätzlich kulturpessimistische Aussage, sondern einfach zu erklären: Durch tausende von digitalen Fernsehkanälen, zehn hoch tausend Webseiten im Netz, durch 24 Stunden Nachrichten aus aller Welt und einem ständig größer werdenden Angebot an Entertainment. Durch all das Unterhaltungs- und Ablenkungsangebot wird diese Unterhaltung nicht nur mehr, sie wird breiter.
Die Randgebiete müssen dauernd neu ausgelotet werden, sonst lässt sich die „dreckigste Komödie aller Zeiten“ oder der „brutalste Horrorfilm aller Zeiten“ nicht mehr vermarkten. Unterhaltung ist es eben nur noch, wenn es neu ist. Und neu ist, was anders ist.
So wird in der Breite verschoben. Und so werden bei „Wetten dass..?“ eben nicht mehr „Automodelle am Geschmack der Fußmatten“ erkannt, sondern es wird mit Sprungfeder-Schuhen über Kleinwagen gesprungen.
Und diesem Entertainment-Anspruch muss sich natürlich auch der Action-Held anpassen. Er wird größer (siehe die Schwemme an Superheldenfilmen) und brutaler.
Das klingt natürlich alles sehr pessimistisch. Ist es aber nicht.
Der große Wandel der Actionhelden vollzog sich vor etwas mehr als zehn Jahren. Die Zeit für einen weiteren Wandel scheint gekommen.
Und auch wenn Superman in „Man of Steel“ einfach mal eine komplette Stadt (samt Bewohner) zerstört, nur weil er mehr Bock auf Kämpfen als auf Retten hat, ist diese Heldenfigur noch nicht verloren. Oder wenn bei „Fast & Furious 6“, ohne Kommentar, mit einem Panzer über Kleinwagen gebrettert wird, ohne auf Fahrer oder Beifahrer zu achten: Kein Grund nicht auf Teil 7 der Reihe zu hoffen.
In „World War Z“ spielt Brad Pitt seine erste Blockbuster-Franchise-Hauptrolle. Seine erste ECHTE Action-Helden-Rolle (mal abgesehen von Achill in „Troja“ – Aber das war ja … ach. Das war garnichts!).
Pitt spielt den fürsorglichen Familienvater, schießt erst wenn auf ihn geschossen wird und tut alles um eine einzelne Soldatin zu retten. „World War Z“ hat weltweit fast eine halbe Milliarde eingespielt (und damit auch knapp die enormen Produktionskosten). Der scheinbar „sanfte“ Held Brad Pitt kommt gut an.
2015 soll der nächste „Stirb Langsam“-Film rauskommen. „Die Hardest“ soll die nächste Bruce-Willis-Actionnummer heißen. Vielleicht heißt es dann ja mal wieder: John McClane kommt nach Los Angeles. Vielleicht sucht er wieder Kontakt zu seiner Ex-Frau Holly. Vielleicht gerät er dann mal wieder mitten in einen ausgeklügelten Coup. Vielleicht hängt am Ende Holly wieder aus einem Fenster. Und vielleicht löst John die Situation stilecht mit dem Öffnen einer Armbanduhr.
Wie bei allen meinen Helden aus den 90ern: Die Hoffnung stirbt nie.