Hin und wieder kommt es vor, dass sich Kritik an den Kritikern rührt. Vor allem passiert das auf den abgeschiedenen, trockenkalten Seiten des Feuilletons, in verwinkelten Artikeln unter dem Reiter „Kultur“ auf Nachrichtenportalen oder in vielen, vielen, sehr vielen Blogs.
Diese Kritik, sozusagen der zweiten Ordnung, wird vorrangig dann angestellt, wenn ein Kulturphänomen gesellschaftsrelevante Züge annimmt, also groß wird. (Oder jedenfalls danach aussieht.)
Wie zuletzt bei der Debatte um „Wetten dass..?“ ohne Gottschalk oder die neue Staffel des Dschungelcamps. Letztendlich sah man bei beiden Themen ein, dass viel zu viel über sie geschrieben wurde und das nichts oder zu wenig dabei heraus kam, um all den Aufwand (die Seiten echtes oder virtuelles Papier) zu rechtfertigen. Also rückte der Aufwand selber, und diejenigen die den Aufwand betrieben in den Fokus. Die Kulturredakteure und Journalisten, die scheinbar selbst dem gierigen Konsum von Massenware verfallen waren und dabei vergessen hatten: Sie sind nicht dazu da Gemeinplätze in Stone Serif und Mirage zu kommunizieren.
Wirklich viel Kritik wurde natürlich nicht an den Kritikern geübt. Und die Kritiker die es taten, waren sofort Kulturpessimisten (Intern: Nestbeschmutzer). Und dann verschwanden sie wieder, unaufgeregt und unbeachtet wie zuvor.
Gute Kritik ist schwierig. Weil sie viel Arbeit und noch mehr Wissen voraussetzt.
Gute Kritik ist allerdings auch wichtig, weil sie hilft Kulturprodukte einzuordnen und weil Kritik selbst ein Kulturprodukt ist. Sie muss natürlich gut geschrieben, recherchiert und vor allem inspiriert sein.
Gute Kritik zeichnet sich durch scheinbare Objektivität aus. Durch einen Willen jedenfalls, sich möglichst objektiv einem Kulturthema/Kulturprodukt zu nähern, es zu betrachten, es einzuordnen, es abzuwiegen, seine Relevanz zu bewerten, thematische wie stilistische Merkmale zu erkunden. Gute Kritik ist also kein Spaziergang. (Jedenfalls kein Spaziergang bei schönem Wetter.)
Phillip Stadelmaier schrieb einen Artikel über „The Impossible“, den Film zur Tsunami-Katastrophe in Thailand 2004 (Süddeutsche Zeitung, 1. Februar).
Dabei bediente sich Stadelmaier kaum Argumenten oder gar Wissen/Einsicht um seine abfällige Meinung dem Film gegenüber zu begründen, sondern pflückte die Meinung und gebrüllte Abneigung Anderer aus der Luft und legte sie in seinen Text:
Stadelmaier besuchte eine „Sneak Preview“, also einen Kinogänger-Blindflug, und nutzte die Anwesenden als seine Legitimationsgruppe für eine Abwertung und Anklage von „The Impossible“.
Erstmal scheint es eine gute Idee der „Sneak Preview“, ein wöchentliches Phänomen überall im Land, eine journalistischen Betrachtung angedeihen zu lassen.
Man könnte über lokale Unterschiede schreiben, über die Fähigkeit von guten Theaterleitern ein gewisses Publikum zu kultivieren. Man könnte über die Party-Kultur in einem „Sneak-Preview“-Saal schreiben, über die Filmsnobs, die nur da sind um ihre negative Meinung über die Auswahl bestätigt zu sehen, oder die Begeisterten, die sich auch nicht von der Möglichkeit eines B-Horrorfilms abschrecken lassen (das diese Möglichkeit besteht, zeigt sich in der generellen Altersfreigabe für „Sneak Previews“ von FSK 18). Man könnte über Gewinnspiele im Kinosaal sprechen, die als Motivationsgrund immer wieder Besucher am Montagabend ins Kino locken, oder man schreibt darüber das die richtig großen Filme niemals ge-„sneak previewed“ werden. Warum nicht? „Sneak Previews“ sind eben doch nur Werbeveranstaltungen.
Doch Stadelmaier flüchtet sich in Verallgemeinerungen, Vorurteile und Oberflächlichkeiten. Er teilt das Publikum in betrunkene Jungs-Gruppen und Tupperware-mitbringende-Sparfüchse. Das war es. Wow. Mit ähnlicher Trennschärfe unterscheidet man Männer und Frauen auf öffentlichen Toiletten.
Und dann die Bewertung von „The Impossible“. Stadelmaier glaubt in der grölenden Masse eine Müdigkeit gegenüber emotional aufgeladenen, schulischen Bildern zu sehen. Glaubt im Kommentarwahn der Masse eine allgemeine Erkenntnis in der Bevölkerung zu filmischen Mitteln zu erkennen. Als wäre die Youtube-Kommentar-Generation besonders selbstreferentiell und erkenntnisreich. (Siehe: Sprichwörtlich alle Kommentare zu YouTube-Videos. Egal welches Thema, egal was für ein Video. Selbst unter Katzenvideos steht: „Fuck you, Du scheiß Katzen-Schlampe!“ Sehr erleuchtet, diese Leute. Erzähl mir mehr!)
Wenn in „The Impossible“ die auf den Fluten treibende Cola-Dose vom Publikum belacht wird, glaubt Stadelmaier das hier simple Konsumkritik erkannt und verspottet wird. Und wenn der weinende Kinderdarsteller vom offensichtlich falschen Publikum ausgebuht wird, sieht Stadelmaier einen Aufbruch des Zuschauers in postmoderne Gefilde und seine theoretisierte „Bildermüdigkeit“ bestätigt.
Bestimmt, Phillip. Ganz bestimmt.
Filme haben ihr Publikum, genauso wie es Theaterstücke und Musiker haben.
Die Aufgabe des Kritikers ist es eben nicht ein Publikum zu sein. Dafür wird man bezahlt, nicht dafür sich in eine „Sneak Preview“ zu setzen und hinterher zu protokollieren wie schön es war mit den Bekloppten in Richtung Leinwand zu schreien und sich als Feind des Kino-MoWs zu outen. Danke Stadelmaier, schreib lieber weiter offensichtliche Kritiken über „Schutzengel“. (War sehr aufschlussreich was da stand: Aha. Eine Soldatenbiografie von Til Schweiger die pro Krieg ist. Hm? Wirklich? Wie wäre es mit einem ähnlichen Artikel über „Der Hobbit“? Lass mich raten: Er war wunderbar, aber nicht so gut wie „Herr der Ringe“. Danke!)
1954 veröffentlichte Francois Truffaut als Kritiker seinen ersten Artikel zur Auteur-Theorie. Diese Theorie setzt Filmemacher, besonders Autorenfilmer, mit ihren Werken in den Kontrast zu Produzenten-Filmen. Sie geht davon aus, dass man Filme nicht grundsätzlich nur nach inhaltlichen oder formalen Gesichtspunkten beurteilen und besprechen sollte. Es ist an den Filmkritikern, so Truffaut, sich auf die Suche nach tieferen Schichten eines Films zu begeben. Schichten die ein Filmemacher anlegt, manchmal ohne Wissen des Zuschauers. Der Kritiker soll danach forschen. Das sei er seinen Lesern schuldig!
Jee-woon Kim war einmal so ein Autorenfilmer. Er schrieb das Buch zu „A Bittersweet Life“ und „Der Fluch der 2 Schwestern“ und führte bei beiden Filmen Regie.
Kim hat mich besonders mit „A Bittersweet Life“ beeindruckt. In erster Linie ist es ein Gangsterfilm, so wurde er in Deutschland auch vermarktet. Geradezu klassisch. Ein Gangster wird nach einer moralischen Handlung verbannt und beinahe getötet. Anschließend rächt er sich. Doch „A Bittersweet Life“ geht noch weiter. Der Film zeigt eine gespaltene Welt. Südkorea, gerade Seoul, ist eine Welt der glatten, glänzenden und antiseptischen Oberflächen. Die Schattenwelt, in der sich die Hauptfigur Sun-Woo in „A Bittersweet Life“ bewegt, ist in dieses edle und teure Gewand gehüllt. Sie überstrahlt damit fast das dreckige Geschäft. Dieses wird erst deutlich heraus gehoben, als der Held aus der strahlenden Welt verbannt wird. Wie ein Engel fällt er sprichwörtlich in den Morast. Die Entscheidung für Moral befleckt das Leben von Sun-Woo nachhaltig, er wird sterblich. Jee-woon Kim spielt leichtfüßig mit einer grundsätzlichen Dualität. Gut und Böse. Bitter und Süß. Humor und Gewalt. Liebe und Hass.
Jee-woon Kim führte auch beim neuen Film von Arnold Schwarzenegger Regie. (Ein Zeichen für die typischen Hollywood-Rekrutierungspolitik. Darüber sollte man mal was schreiben, Phillip!)
„The Last Stand“ wurde, gerade in den deutschen Medien, nicht gerade zurückhaltend verrissen. Und man kann erst mal nichts dagegen sagen: Die Story ist einfach. Ein Sheriff, ein Dorf, ein entflohener Kartellboss. Irgendwoher kennt man das schon. Ein absoluter Produzenten-Film eben. Dann auch noch Arnold Schwarzenegger als Hauptdarsteller, einen Bösewicht spielt Peter Stormare, Johnny Knoxville den Waffennarren mit gutem Herz und Forest Whitaker den FBI-Agenten.
Guckt man sich den Film dann aber an, bemerkt man kleine Momente die deutlich auf einen Autoren am Werk hinweisen (sowohl am Buch, als auch auf dem Regie-Stuhl): Schwarzeneggers Deputy verletzt sich mit einer Pistole, absolut selbstverantwortlich. Später sterben dutzende Menschen durch Waffen, aber niemals ist die Wucht einer Waffe so spürbar wie in dieser Szene. Man spielt eben nicht mit Waffen. Waffen sind für uns gefährlich – nicht so für den Übermenschen Schwarzenegger.
Anschließend nimmt sich Jee-woon tatsächlich Zeit für eine gewisse Charakterzeichnung. Luis Guzman, zum Beispiel, nimmt mit seiner Rolle als älterer Deputy nie wirklich Abstand von notorisch tollpatschigen Rollen der Vergangenheit. Aber er wirkt manchmal fast ernst. Ein trauriger Clown. Und dank des großartigen Synchronsprechers Thomas Danneberg addiert sich zu Arnold Schwarzenegger – wie eigentlich in all seinen Filmen – über die Stimme sogar so etwas wie Charakter. Ein Charakter den sein blechernes Spiel im Englischen vermissen lässt.
(An dieser Stelle ein kurzer Dank an die tapfere Synchronkultur in Deutschland. Hier wird immer schlechter bezahlt, und deswegen auch immer schlechter produziert, aber manchmal können hervorragende Sprecher doch noch etwas herausholen. Danke! Über euch sollten Filmkritiker mal schreiben! Stadelmaier???)
„The Last Stand“ ist kein großartiger Film. Nicht mal im Ansatz ein guter Film mit Arnold Schwarzenegger. Und Jee-woon Kim kann man nur wünschen, dass er beim nächsten Film wieder selbst schreiben darf und zurück nach Südkorea kehrt. Trotzdem:
An „The Last Stand“ waren drei Autoren beteiligt (typisch für Produzenten-Filme, bei denen man die Massenkompatibilität durch professionelle Pens-for-Hire sicherstellen will). Der eher unbekannte Andrew Knauer verkaufte so seine Idee und die erste Drehbuchfassung. Man erkennt in der Geschichte sogleich auch Momente von Interesse und Begeisterung für Story und Charaktere – diese wurden dann zwar leicht durch die Überarbeitung von Jeffrey Nachmanoff verwässert, doch auch der Autor von „Traitor“ scheint sein Interesse an Handlung und Personen nicht komplett verloren zu haben. Geschuldet ist das vielleicht auch dem Story Supervisor George Nolfi („Der Plan“).
Alles in allem: Wenigstens ein unterhaltsamer Film. Wenn man sich die Zeit nimmt hinzusehen. Wenigstens 90 Minuten.
Ich weiß nicht in wie weit Juan Antonio Bayona mit seinem Liebelingsautor Sergio G. Sanchez (mit dem er schon den wunderbar-schauderhaften „Das Waisenhaus“ gemacht hat) vielleicht in „The Impossible“ Geschlossenheit in der Handlungsvermissen lässt, wie viele bemühte Bilder er aufzieht oder wie wenig er sich für seine Figuren interessiert. Ich habe den Film noch nicht gesehen. Aber ich erwarte von Filmkritikern eine gewisse Auseinandersetzung. Ich erwarte einen interessierten Blick. Gerade wenn sie für ihre Meinung bezahlt werden, und zwar auch von mir. (Ja. Monetäre Argumente sind problematisch. Na und? So ist auch die Frage ob man die Sklaverei in einer Action-Comedy behandeln darf – hat niemanden daran gehindert Tarantino über den grünen Klee zu loben!) Etwas mehr Einsatz und Arbeit. Mehr will ich gar nicht.
Und was „The Impossible“ angeht: Den guck ich mir auf jeden Fall an. Und auf jeden Fall nicht in einer „Sneak Preview“.