Archiv der Kategorie: Über den Bildschirm

HARLEKIN POST (032) Cahiers du Cinema

Hin und wieder kommt es vor, dass sich Kritik an den Kritikern rührt. Vor allem passiert das auf den abgeschiedenen, trockenkalten Seiten des Feuilletons, in verwinkelten Artikeln unter dem Reiter „Kultur“ auf Nachrichtenportalen oder in vielen, vielen, sehr vielen Blogs.
Diese Kritik, sozusagen der zweiten Ordnung, wird vorrangig dann angestellt, wenn ein Kulturphänomen gesellschaftsrelevante Züge annimmt, also groß wird. (Oder jedenfalls danach aussieht.)
Wie zuletzt bei der Debatte um „Wetten dass..?“ ohne Gottschalk oder die neue Staffel des Dschungelcamps. Letztendlich sah man bei beiden Themen ein, dass viel zu viel über sie geschrieben wurde und das nichts oder zu wenig dabei heraus kam, um all den Aufwand (die Seiten echtes oder virtuelles Papier) zu rechtfertigen. Also rückte der Aufwand selber, und diejenigen die den Aufwand betrieben in den Fokus. Die Kulturredakteure und Journalisten, die scheinbar selbst dem gierigen Konsum von Massenware verfallen waren und dabei vergessen hatten: Sie sind nicht dazu da Gemeinplätze in Stone Serif und Mirage zu kommunizieren.
Wirklich viel Kritik wurde natürlich nicht an den Kritikern geübt. Und die Kritiker die es taten, waren sofort Kulturpessimisten (Intern: Nestbeschmutzer). Und dann verschwanden sie wieder, unaufgeregt und unbeachtet wie zuvor.

Gute Kritik ist schwierig. Weil sie viel Arbeit und noch mehr Wissen voraussetzt.
Gute Kritik ist allerdings auch wichtig, weil sie hilft Kulturprodukte einzuordnen und weil Kritik selbst ein Kulturprodukt ist. Sie muss natürlich gut geschrieben, recherchiert und vor allem inspiriert sein.
Gute Kritik zeichnet sich durch scheinbare Objektivität aus. Durch einen Willen jedenfalls, sich möglichst objektiv einem Kulturthema/Kulturprodukt zu nähern, es zu betrachten, es einzuordnen, es abzuwiegen, seine Relevanz zu bewerten, thematische wie stilistische Merkmale zu erkunden. Gute Kritik ist also kein Spaziergang. (Jedenfalls kein Spaziergang bei schönem Wetter.)

Phillip Stadelmaier schrieb einen Artikel über „The Impossible“, den Film zur Tsunami-Katastrophe in Thailand 2004 (Süddeutsche Zeitung, 1. Februar).
Dabei bediente sich Stadelmaier kaum Argumenten oder gar Wissen/Einsicht um seine abfällige Meinung dem Film gegenüber zu begründen, sondern pflückte die Meinung und gebrüllte Abneigung Anderer aus der Luft und legte sie in seinen Text:
Stadelmaier besuchte eine „Sneak Preview“, also einen Kinogänger-Blindflug, und nutzte die Anwesenden als seine Legitimationsgruppe für eine Abwertung und Anklage von „The Impossible“.

Erstmal scheint es eine gute Idee der „Sneak Preview“, ein wöchentliches Phänomen überall im Land, eine journalistischen Betrachtung angedeihen zu lassen.
Man könnte über lokale Unterschiede schreiben, über die Fähigkeit von guten Theaterleitern ein gewisses Publikum zu kultivieren. Man könnte über die Party-Kultur in einem „Sneak-Preview“-Saal schreiben, über die Filmsnobs, die nur da sind um ihre negative Meinung über die Auswahl bestätigt zu sehen, oder die Begeisterten, die sich auch nicht von der Möglichkeit eines B-Horrorfilms abschrecken lassen (das diese Möglichkeit besteht, zeigt sich in der generellen Altersfreigabe für „Sneak Previews“ von FSK 18). Man könnte über Gewinnspiele im Kinosaal sprechen, die als Motivationsgrund immer wieder Besucher am Montagabend ins Kino locken, oder man schreibt darüber das die richtig großen Filme niemals ge-„sneak previewed“ werden. Warum nicht? „Sneak Previews“ sind eben doch nur Werbeveranstaltungen.
Doch Stadelmaier flüchtet sich in Verallgemeinerungen, Vorurteile und Oberflächlichkeiten. Er teilt das Publikum in betrunkene Jungs-Gruppen und Tupperware-mitbringende-Sparfüchse. Das war es. Wow. Mit ähnlicher Trennschärfe unterscheidet man Männer und Frauen auf öffentlichen Toiletten.

Und dann die Bewertung von „The Impossible“. Stadelmaier glaubt in der grölenden Masse eine Müdigkeit gegenüber emotional aufgeladenen, schulischen Bildern zu sehen. Glaubt im Kommentarwahn der Masse eine allgemeine Erkenntnis in der Bevölkerung zu filmischen Mitteln zu erkennen. Als wäre die Youtube-Kommentar-Generation besonders selbstreferentiell und erkenntnisreich. (Siehe: Sprichwörtlich alle Kommentare zu YouTube-Videos. Egal welches Thema, egal was für ein Video. Selbst unter Katzenvideos steht: „Fuck you, Du scheiß Katzen-Schlampe!“ Sehr erleuchtet, diese Leute. Erzähl mir mehr!)
Wenn in „The Impossible“ die auf den Fluten treibende Cola-Dose vom Publikum belacht wird, glaubt Stadelmaier das hier simple Konsumkritik erkannt und verspottet wird. Und wenn der weinende Kinderdarsteller vom offensichtlich falschen Publikum ausgebuht wird, sieht Stadelmaier einen Aufbruch des Zuschauers in postmoderne Gefilde und seine theoretisierte „Bildermüdigkeit“ bestätigt.
Bestimmt, Phillip. Ganz bestimmt.

Filme haben ihr Publikum, genauso wie es Theaterstücke und Musiker haben.
Die Aufgabe des Kritikers ist es eben nicht ein Publikum zu sein. Dafür wird man bezahlt, nicht dafür sich in eine „Sneak Preview“ zu setzen und hinterher zu protokollieren wie schön es war mit den Bekloppten in Richtung Leinwand zu schreien und sich als Feind des Kino-MoWs zu outen. Danke Stadelmaier, schreib lieber weiter offensichtliche Kritiken über „Schutzengel“. (War sehr aufschlussreich was da stand: Aha. Eine Soldatenbiografie von Til Schweiger die pro Krieg ist. Hm? Wirklich? Wie wäre es mit einem ähnlichen Artikel über „Der Hobbit“? Lass mich raten: Er war wunderbar, aber nicht so gut wie „Herr der Ringe“. Danke!)

1954 veröffentlichte Francois Truffaut als Kritiker seinen ersten Artikel zur Auteur-Theorie. Diese Theorie setzt Filmemacher, besonders Autorenfilmer, mit ihren Werken in den Kontrast zu Produzenten-Filmen. Sie geht davon aus, dass man Filme nicht grundsätzlich nur nach inhaltlichen oder formalen Gesichtspunkten beurteilen und besprechen sollte. Es ist an den Filmkritikern, so Truffaut, sich auf die Suche nach tieferen Schichten eines Films zu begeben. Schichten die ein Filmemacher anlegt, manchmal ohne Wissen des Zuschauers. Der Kritiker soll danach forschen. Das sei er seinen Lesern schuldig!

Jee-woon Kim war einmal so ein Autorenfilmer. Er schrieb das Buch zu „A Bittersweet Life“ und „Der Fluch der 2 Schwestern“ und führte bei beiden Filmen Regie.
Kim hat mich besonders mit „A Bittersweet Life“ beeindruckt. In erster Linie ist es ein Gangsterfilm, so wurde er in Deutschland auch vermarktet. Geradezu klassisch. Ein Gangster wird nach einer moralischen Handlung verbannt und beinahe getötet. Anschließend rächt er sich. Doch „A Bittersweet Life“ geht noch weiter. Der Film zeigt eine gespaltene Welt. Südkorea, gerade Seoul, ist eine Welt der glatten, glänzenden und antiseptischen Oberflächen. Die Schattenwelt, in der sich die Hauptfigur Sun-Woo in „A Bittersweet Life“ bewegt, ist in dieses edle und teure Gewand gehüllt. Sie überstrahlt damit fast das dreckige Geschäft. Dieses wird erst deutlich heraus gehoben, als der Held aus der strahlenden Welt verbannt wird. Wie ein Engel fällt er sprichwörtlich in den Morast. Die Entscheidung für Moral befleckt das Leben von Sun-Woo nachhaltig, er wird sterblich. Jee-woon Kim spielt leichtfüßig mit einer grundsätzlichen Dualität. Gut und Böse. Bitter und Süß. Humor und Gewalt. Liebe und Hass.
Jee-woon Kim führte auch beim neuen Film von Arnold Schwarzenegger Regie. (Ein Zeichen für die typischen Hollywood-Rekrutierungspolitik. Darüber sollte man mal was schreiben, Phillip!)
„The Last Stand“ wurde, gerade in den deutschen Medien, nicht gerade zurückhaltend verrissen. Und man kann erst mal nichts dagegen sagen: Die Story ist einfach. Ein Sheriff, ein Dorf, ein entflohener Kartellboss. Irgendwoher kennt man das schon. Ein absoluter Produzenten-Film eben. Dann auch noch Arnold Schwarzenegger als Hauptdarsteller, einen Bösewicht spielt Peter Stormare, Johnny Knoxville den Waffennarren mit gutem Herz und Forest Whitaker den FBI-Agenten.
Guckt man sich den Film dann aber an, bemerkt man kleine Momente die deutlich auf einen Autoren am Werk hinweisen (sowohl am Buch, als auch auf dem Regie-Stuhl): Schwarzeneggers Deputy verletzt sich mit einer Pistole, absolut selbstverantwortlich. Später sterben dutzende Menschen durch Waffen, aber niemals ist die Wucht einer Waffe so spürbar wie in dieser Szene. Man spielt eben nicht mit Waffen. Waffen sind für uns gefährlich – nicht so für den Übermenschen Schwarzenegger.
Anschließend nimmt sich Jee-woon tatsächlich Zeit für eine gewisse Charakterzeichnung. Luis Guzman, zum Beispiel, nimmt mit seiner Rolle als älterer Deputy nie wirklich Abstand von notorisch tollpatschigen Rollen der Vergangenheit. Aber er wirkt manchmal fast ernst. Ein trauriger Clown. Und dank des großartigen Synchronsprechers Thomas Danneberg addiert sich zu Arnold Schwarzenegger – wie eigentlich in all seinen Filmen – über die Stimme sogar so etwas wie Charakter. Ein Charakter den sein blechernes Spiel im Englischen vermissen lässt.
(An dieser Stelle ein kurzer Dank an die tapfere Synchronkultur in Deutschland. Hier wird immer schlechter bezahlt, und deswegen auch immer schlechter produziert, aber manchmal können hervorragende Sprecher doch noch etwas herausholen. Danke! Über euch sollten Filmkritiker mal schreiben! Stadelmaier???)
„The Last Stand“ ist kein großartiger Film. Nicht mal im Ansatz ein guter Film mit Arnold Schwarzenegger. Und Jee-woon Kim kann man nur wünschen, dass er beim nächsten Film wieder selbst schreiben darf und zurück nach Südkorea kehrt. Trotzdem:
An „The Last Stand“ waren drei Autoren beteiligt (typisch für Produzenten-Filme, bei denen man die Massenkompatibilität durch professionelle Pens-for-Hire sicherstellen will). Der eher unbekannte Andrew Knauer verkaufte so seine Idee und die erste Drehbuchfassung. Man erkennt in der Geschichte sogleich auch Momente von Interesse und Begeisterung für Story und Charaktere – diese wurden dann zwar leicht durch die Überarbeitung von Jeffrey Nachmanoff verwässert, doch auch der Autor von „Traitor“ scheint sein Interesse an Handlung und Personen nicht komplett verloren zu haben. Geschuldet ist das vielleicht auch dem Story Supervisor George Nolfi („Der Plan“).
Alles in allem: Wenigstens ein unterhaltsamer Film. Wenn man sich die Zeit nimmt hinzusehen. Wenigstens 90 Minuten.

Ich weiß nicht in wie weit Juan Antonio Bayona mit seinem Liebelingsautor Sergio G. Sanchez (mit dem er schon den wunderbar-schauderhaften „Das Waisenhaus“ gemacht hat) vielleicht in „The Impossible“ Geschlossenheit in der Handlungsvermissen lässt, wie viele bemühte Bilder er aufzieht oder wie wenig er sich für seine Figuren interessiert. Ich habe den Film noch nicht gesehen. Aber ich erwarte von Filmkritikern eine gewisse Auseinandersetzung. Ich erwarte einen interessierten Blick. Gerade wenn sie für ihre Meinung bezahlt werden, und zwar auch von mir. (Ja. Monetäre Argumente sind problematisch. Na und? So ist auch die Frage ob man die Sklaverei in einer Action-Comedy behandeln darf – hat niemanden daran gehindert Tarantino über den grünen Klee zu loben!) Etwas mehr Einsatz und Arbeit. Mehr will ich gar nicht.
Und was „The Impossible“ angeht: Den guck ich mir auf jeden Fall an. Und auf jeden Fall nicht in einer „Sneak Preview“.

HARLEKIN POST (031) Bipolar

Sonntagmorgen. Verspielte Sonnenstrahlen brechen, wie ungezügelte Jungpferde, durch die frisch-geputzten Scheiben und tanzen mir auf der Nase. Es kitzelt, ich muss niesen und wache freudig auf.

Okay. Das war gelogen.
Mit bitterem Geschmack im Mund (Warum hab ich gestern, nach zwei Sekt und nem Beck’s, eigentlich ein Schultheiss getrunken?) und Schnupfen, wache ich auf und huste erst mal den Schleim meiner Erkältung ab. Es ist kalt im Zimmer. Die Heizung geht nicht richtig. Scheiße. Ins Bad. Wer ist das? – Früher dachte ich mal, dass man Augenringe stolz, wie Medaillen für „Best Work-a-holic of the Year“, tragen kann. Kann man nicht.

Mit flinken Füßen trippel ich die Treppe bis zum Briefkasten, fische mir ein Potpourri an unterschiedlichen Sonntagsausgaben verschiedenster Zeitungen heraus (u.a. „Das Intellektuellen Tagblatt“, „Schlau Heute“ und „Informierte Berliner“) und bin gerade rechtzeitig am Küchentisch, als der 15€-für-250g-Fair-Trade-Bio-Kaffee durch das chlorfrei gebleichte Recycle-Papier des Filters gelaufen ist. Nachdem ich mir genügend Zeit genommen habe, um Weltnachrichten, Finanz-Kritik und Politische-Dossiers zu lesen, stoße ich auf den Feuilleton – der in jeder, der schlauen Zeitungen, natürlich fast ausschließlich aus Opern-Rezensionen besteht und immer ganz schlicht nur „Kultur“ heißt.

In der Realität schippe ich den Großteil des ja!-Kaffees neben die Kaffeemaschine, trinke ausschließlich stark mit Discounter-Milch gepanscht und nehme so, hustend und schniefend, vor meinem Laptop platzt. Die spiegel-online-Meldungen zu irgendwas mit CSU sehe ich gar nicht. Dafür: Gestern war also „Wetten dass..??“. Aha. Mir doch egal. Oder? Eine Sekunde: War peinlich, wa? Geil. Klick.

Elf Millionen Menschen haben ihren Samstagabend dem zweiten deutschen Fernsehen geopfert. Wahrscheinlich der Grund, warum sich SPIEGEL, WELT, FOCUS und natürlich auch die BILD mit Nachbesprechungen überschlagen. Mal geht es um das Chaos, mal um die „Hollywood“-Stars, die nicht zurecht kamen oder alles zu lang fanden, mal geht es um Cindy aus Marzahn.
Ja. Wirklich. Um Cindy aus Marzahn.
Ich schreib das noch mal, weil ich es selber nicht glauben kann: Um Cindy aus Marzahn.
Und dabei war sie nicht mal da. Sondern hatte Rückenschmerzen. Vielleicht vom vielen vorne über beugen. Wenn man im Arsch von RTL und ZDF und wem noch alles steckt, passiert so was. (Gossip. Gossip.)
Jetzt ist anscheinend ein Kampf um Cindy ausgebrochen.
Sekunde. Das muss ich auch noch mal schreiben: Ein Kampf um Cindy aus Marzahn.
Damit ich das nicht vergesse: Das ZDF war damals schon an der Gründung von ARTE beteiligt, oder? Obwohl: Die machen ja auch das Weihnachtsfest der Volksmusik und den Fernsehgarten. Okay. Ich nehme alles zurück.
„Uralt“ und „Billig“ streiten sich um „Zum kotzen“. Hey, wenigstens hat spiegel-online was zu schreiben. Und ich darf mich gebildet fühlen, weil ich diese „Nachrichten“ ja lese. Ohne Video, und so. Nachrichten. Tz. Dieses Wort. Nach richten. Das will ich nicht. Auf keinen Fall.

Für mich war der Feuilleton immer das Sahnehäubchen. Schwere Themen in Politik und Wirtschaft, Banales und Persönliches im Lokalteil, Entnervendes und Großartiges im Sportteil und Erhebendes im Feuilleton. Dies kann ein Streit sein, eine Besprechung, vielleicht eine Auseinandersetzung zweier Journalisten, oder mit einem Philosophen (siehe R.D. Precht – arrogante Sau. Wann kommt das neue Buch nochmal als Taschebuch raus?), oder die Kritik. Aber wenn die Kritik zum Dauerläufer wird, wenn „Hollywood“-Stars (Warum setzt man das eigentlich davor? Und warum in Anführungszeichen?), als Referenzen der eigenen Fassungslosigkeit herangezogen werden, wieder und wieder … liebe spiegel-online-Redaktion. Es reicht. Dann guckt den Scheiß eben nicht.
Aber nicht diese bipolare Haltung. Dieser gierig, geifernder und doch tadelnde, lachend-gackernde Gaffer-Blick. Einfach mal aufhören.

Die Amis kriegen das ja auch hin. Am Dienstag ist Wahl, dann ist Schluss. Und der ganze Wahlkampf hat nur … plus/minus zwei Jahre gedauert.

Ich will das nicht, ich will das doch.
In großen Mengen liest man in den Zeitungen und auf den Online-Portalen lange Artikel über den Schrott, der sich anscheinend Fernsehen nennt. Ich selber bin da nicht besser. Am Sonntagmorgen hab ich mir dann gleich bei YouTube die Jo-Jo-Wette angesehen. Bis ich es nicht mehr ausgehalten habe. Vor allem weil Forrest Gump so erschüttert aussah, und schlecht geschauspielert hat er auch.

Peinlichkeiten von bekannten Prominenten, Streitereien zwischen Sendern, die Abwesenheit einer … Person … bei einer Fernsehshow. Das sind alles Dinge, die sich einfach konsumieren lassen. Sie gehen nie zu tief und weil sie so weit weg sind, erreichen sie uns nicht. Das ist beruhigend.
Außerdem sind Schadenfreude, Hohn und Spott Balsam für die offenen Wunden der eigenen Angst. (Hui. Der Satz war aber schön.)
Wenn ich von den Feuilleton-Seiten weiter blättere, und bei den Berichten über Simbabwe lande, werde ich nachdenklich. Wenn ich Artikel über Abschiebegefängnisse an deutschen Flughäfen lese, werde ich sauer. Wenn ich lesen muss, dass Steinbrück Kanzlerkandidat ist, frag ich mich warum ich wählen gehen soll und was aus Morgen wird. Dann muss ich mich erst mal mit mir selbst beschäftigen. Das ist nie einfach.
Aber vielleicht ganz heilsam. Ich habe, zum Beispiel, diese Woche den wunderbaren Film „Ruby Sparks“ gesehen. In dem Film geht es um einen Autor, der eine Liebesgeschichte schreibt und das Mädchen daraus wird lebendig. Es geht um die eigenen Vorstellungen an einen Partner. Und ob der perfekte Partner – auf Tastendruck – vielleicht im ersten Moment perfekt wäre, aber irgendwann dann doch nicht mehr. Vielleicht bin ich alleine, nicht weil es den perfekten Partner nicht gibt, sondern weil ich ihn mir wünsche und in Gedanken und Schrift erschaffe.
Die selbstkonstruierte Wirklichkeit im Kontrast.
Ich habe außerdem das ansehnliche Foto-Buch „Ice: Portraits of Vanishing Glaciers“ gelesen und eine Reportage dazu gesehn, in dem der Fotograf James Balog den Rückgang der Eisberge an den Polkappen dokumentiert. In der exzellenten Talkshow „Real Time with Bill Maher“ wurde dann darüber diskutiert, dass die Menschheit die globale Erwärmung überhaupt nicht mehr aufhalten kann. Egal was wir jetzt auch tun würden, der Effekt würde erst in knapp 100 Jahren eintreten. Wie hilflos man sich da fühlt. Und soll ich deswegen aufhören alle Standby-Geräte in der Wohnung von den ausschaltbaren Steckerleisten zu nehmen? Was heißt Verantwortung für mich?
Erstmal: Ein klein bisschen mehr in die Auswahl der Nachrichten zu investieren. Auf die Überschriften zu scheißen und stattdessen keine Angst vor mir selbst zu haben. Harter Tobak.

Nächsten Sonntag ist meine Erkältung hoffentlich ausgestanden. Dann werde ich vielleicht nicht von Sonnenstrahlen geweckt, aber möglicherweise hab ich bis dahin 6€ für den normalen Fair-Trade-Kaffee ausgegeben und auch diese Milch in den grünen Tetra-Packs gekauft, die die zehn Cent pro Liter direkt an die Erzeuger zurückführt. Das erste was ich dann tue, ist Bruno Mars zu hören. Und ich werde mich nicht dafür schämen, dass mir diese Scheiß-Popmusik, richtig gut gefällt. Und mehr ist dazu nicht zu sagen.

HARLEKIN POST (029) Schutzengel – Eine Filmkritik

„Schutzengel“ von und mit Til Schweiger ist ein Film.
Er beginnt kompromisslos am Anfang der Geschichte, erzählt danach den Mittelteil und hört am Ende auf. Drei Akte oder fünf Akte. Man kann diesen Film kundenfreundlich einteilen wie man will. Krönender Abschluss ist der Abspann. Weiße, breite, gut lesbare Buchstaben auf schwarzem Grund. Die Geschwindigkeit der Buchstaben ist optimal gewählt: Dem geneigten Zuschauer entgeht nichts.
Die Auswahl der sonstigen Bestandteilen ist exquisit: Es gibt nahe Kameraeinstellungen, ebenso wie halbnahe und manchmal sogar eine weite Einstellungen. Innenaufnahmen wechseln sich mit Außenaufnahmen ab, als wäre es ein Klacks. Hin und wieder gibt sogar einen der heiß begehrten „Establishing Shots“ von Berlin. Es ist für jeden etwas dabei.
Ab und an wird, wie selbstverständlich, in Zeitlupe erzählt und anschließend – als wäre nichts passiert – wieder in Normalgeschwindigkeit. Die meisterhafte Montage von Bild an Bild, erlaubt sich nahezu keine Fehler. Immer ist etwas zu sehen. Nicht immer ganz, aber immerhin immer etwas. Toll.
Der Film verfügt auch über Farbe und Ton. Und gerade bei der Farbwahl wurde kunstbewusst auf den Einsatz von kräftigen Elementen verzichtet. Grau und Braun sind, ganz im Sinne eines reduzierten Oskar Schlemmer, tonangebend.
Musik gibt es auch, allerdings mit sehr wenig Gesang. Was wiederum die Konzentration auf die elektrisch erzeugten Geräusche gestattet und diese, den geneigten Zuhörer, auch genießen lässt.
Es gibt Schausteller und Darsteller, Komparsen und Komparsinnen. Es gibt einen Rollstuhlfahrer, ebenso wie einen Türken. Es gibt Frauen und Männer, alte und junge Menschen. Die Bandbreite von Personen ist schier endlos. Wunderbar um sich in den vielen Gesichtern zu verlieren oder wiederzufinden.
Der Film hat eine unglaubliche, ausgewiesene Länge von zwei Stunden und vierzehn Minuten, was eindrucksvoll beweist: Die Macher waren nicht faul. Außerdem erlaubt diese Länge im Kino den beliebten Überlängenzuschlag zu verlangen. Welch ein Glück.
Mit Vorfreude und Spannung harre ich der Zeit, da „Schutzengel“ als DVD-Beigabe der TV-Movie zugesteckt, oder neben der Kasse von ProMarkt für 5€ angeboten wird. Juhu!
(inspiriert durch Christoph Horst)

HARLEKIN POST (020) Ein Leben ohne Loriot ist möglich, aber sinnlos

Vicco von Bülow ist tot.
Zeitungen, das Fernsehen, Radioprogramme und Online-Portale sind voll von Nachrufen.
Hape Kerkeling hebt den Grand Senior des deutschen Humors diffus gar zum „gesellschaftspolitischen“ Komiker. Loriot war alles, aber nicht politisch. Und ihn im Nachhinein nun zu einer politisch engagierten oder gar durch Politik motivierten Person zu machen, lässt dem Mops doch nun wirklich die Haare zu Berge stehen. Und wird Papa ante Portas nicht gerecht.
An dieser Stelle führt man nun gerne die Bundestagsrede von Loriot an. Wie herrlich hier Phrasen im Wortgemenge zu typischem Politiker-Sprech arrangiert sind. Und sie sind es. Eine seiner besten Arbeiten. Doch auch absolut anti-politisch. Politik wird hier als das enttarnt, was sie in den allermeisten Fällen ist. Heiße Luft. Worte, die auszusprechen es sich nicht lohnt. Egal von wem sie stammen und in welche Richtung sie zielen. Meistens stammen sie von allen und zielen überallhin.
Loriot war einer der wichtigsten Komiker, wenn nicht sogar der wichtigste Komiker Deutschlands, gerade weil er so un… sagen wir anti-politisch war. Heinz Erhard vor ihm, war die freundliche, zahnlose Nachkriegskatze. Ein versöhnlicher Identifikationscharakter. In allen seinen Rollen die Projektionsfläche für die Käfer-Generation.
Vicco von Bülow war anders. Er war die Seite an uns, die immer da ist, aber über die man nicht immer gerne spricht. Er war die Kleinigkeiten, die Spleens und die Ungereimtheiten. Er war all das, was eben so passiert. Er war es in seiner reinsten, seiner komischsten Form.
Loriot war Perfektionist. Er war kein Sketchschreiber im Sinn von „Sketchup“ oder den Millionen Nachfolgern, bis hin zum eher entsetzlichen als lustigen „Mensch Markus“ oder den „dreisten Dreien“. Loriot formte Situationen so lange, bis ihre Absurdität komisch, aber immer auch nachvollziehbar war. Er gab Charakteren nur einen leichten Schubs, und schon war die Groteske im Alltag gefunden.
Ich weiß nicht ob meine Kinder noch Herrn Müller-Lüdenscheidt kennen werden, oder gar Passagen aus Ödipussi mitsprechen können. Aber ich weiß jetzt das mein Erstgeborener Vicco heißen wird. Mit einem Dank an meinen Großvater: Deinetwegen liebe ich Loriot so, wie Du ihn geliebt hast. Weniger hat er nicht verdient.

Provopoli: Erster Teil

In letzter Zeit frage ich mich immer häufiger: Wer castet eigentlich die Hartz-IV-Familien fürs heute-journal? Ich meine diese Familien, die immer als Beispiel für die Untersten der Unterschicht herhalten müssen, um dann mal direkt in die Kamera so richtig arm zu sein! Neulich gesehen am aktuellen Beispiel eines Beitrags zur 5€-Hartz-IV-Erhöhung.
Die Gecasteten heißen dann beispielsweise Britta M. aus „Hier bitte Namen einer bundesdeutschen Großstadt einsetzen. Nicht zu groß, damit sich auch der bajuwarische Dorfbewohner damit identifiziert, aber auch nicht zu klein, damit der Durchschnitts-Metropolist auch weiter zuhört. Auf keinen Fall darf es Berlin sein, weil da, nach Ansicht des Durschnitts sowieso der Abschaum der Menschheit wohnt. Und es darf auf keine Stadt im Osten sein, weil der Durchschnittszuschauer im Durchschnitt eben durchschnittlich westdeutsch ist. Logisch. Und kein Westler will über das Leid der Ossis wissen, hatten wir ja alles schon zur Genüge. Den einzigen Solidarbeitrag den man noch bereit ist zu zahlen, ist das die Linke im Saarland über die 5%-Hürde springt.“
Also Britta M. aus Essen oder Lüdenscheid. Britta M. hat natürlich drei Kinder, und lässt diese auch gerne und immer wieder und wieder vor der Kamera spielen, bis schließlich auch wirklich jede Bagatelle, die sich „normales Unterschicht-Leben“ schimpft im Kasten ist. Als da wären: Köpfe der Barbie-Puppen vertauschen oder nach einer Partie Killerspiele ordentlich und unflätig die Mutti anbrüllen. Oh, ja. Da lacht das öffentlich-rechtliche Herz eines Fernseh-Redakteurs!
Und dann backt Britta M. mit ihren Kindern einen Kuchen. Warum sie das macht, wissen wir nicht. Als konditionierter RTL-Aktuell-Zuschauer wissen wir aber: Eigentlich ernähren sich Unterschichten-Kinder nur von Wurst und Pommes. Wenn WIR (und ich meine das königliche, ebenso wie das einschließende WIR) mal Currywurst oder Pommes – zum Beispiel im Stadion – essen, dann ist das volksnah. Wenn die Kinder von Britta M. das tun, dann ist das typisch. Logisch, oder?
Wie auch immer: Britta M. und ihre Kindern wollen einen Kuchen backen. Dafür war Britta M. einkaufen: Wie uns der Kommentar verrät, will Britta M. nämlich „trotz magerer Zuschüsse und kleinem Geldbeutel“ … Apropos: Warum „kleiner Geldbeutel“? Versteh ich nicht, diesen Kommentar. Und der kommt ständig. „Kleiner Geldbeutel“, „Magere Zuschüsse“, „Frenetischer Beifall“ … wie wäre es mal ohne Adjektiv. Und wenn der Geldbeutel klein ist, dann nimm ne Netto-Tüte, da passt mehr rein. Aber ich schweife vom Thema ab.
Der Kommentar war: „Trotz magerer Zuschüsse und kleinem Geldbeutel will Britta M. ihren Kindern aber trotzdem hin und wieder frisches Obst und Gemüse auf den Tisch stellen“. Dazu sehen wir wie Britta M. vier Äpfeln, drei Bananen und zwei Kartoffeln im viel zu großen Einkaufskorb präsentiert. Kleiner Tipp, Britta M.: Wenn Du mit dem geflochtenen Korb (der niemals Dir gehört!) nicht zum Bauern gehen würdest, würden bei Real auch mehr als vier Äpfel, drei Bananen und zwei Kartoffeln rausspringen, und für die gestellte Backszene müsste Deine kleine Jaqueline diesen Monat nicht auf ihren Kita-Platz verzichten. Aber weiter:
Nun sitzt Britta M. also vor einer wunderschönen, dunkelbraunen Esszimmer-Garnitur von Möbel-Roller am Küchentisch, und sieht von Unten in die Kamera. Es ist herrlich. Tatsächlich sehen die meisten Unterschichtler … politisch korrekt UnterschichtlerInnen … stets bedeutungsschwanger von Unten in die Kamera. Egal ob „Die Auswanderer XXL“ oder „Die Abspecker – Ruhrpott Edition“ oder „Weiß der Himmel was noch für Doku-Soaps“, immer ist die der Kameramittelpunkt knapp oberhalb der Augen. Mindestens. Es ist wirklich so. Kein Scheiß!
Ja, ja. Furchtbar ist das mit der armen Britta M. Wie sie so leidet, um 21 Uhr 45 im zweiten deutschen Fernsehen. Die Frage bleibt: Wie kommt das heute-journal an seine Hartzer? An all die Britta M.‘s aus Essen oder Lüdenscheid. Wahrscheinlich müssen die Kamerateams bald wirklich auf Britta M.‘s in Cottbus oder Wismar ausweichen. Die Herkunft im Untertitel kann man ja „redaktionell ändern“. So viele Hartz-IV-Familien gibt es im Westen ja nicht mehr zu finden. Dann warten die Redakteure und Kamerateams (oder sagen wir lieber die vier Dauer-Praktikanten, die sich das geizige ZDF noch leistet) tagein, tagaus eben vor ostdeutschen Ämtern. Und passen auf, liegen auf der Lauer, suchen nach dem ausgemergelten Blick einer Britta M.
Falls man mal sie entdeckt, bietet man fünfhundert Westmark, also Euro. Dann darf das Kamerateam einen ganzen Tag die Sozialbauwohnung belagern, und die gierige Kamera kann sich mal so richtig sattsehen an der ganzen Mischpoke.
Dummerweise werden die fünfhundert Euronen aber als Nebenerwerb mit Hartz-IV verrechnet und am Ende bleibt nichts für Britta M. übrig. Aber im Fernsehen war sie mal, immerhin. Berühmt ist sie, im ganzen Haus und auch bei Lidl hat sie schon jemand angesprochen. Jedes Mal wenn sie wieder aufs Amt muss, hofft sie erneut angesprochen zu werden. Vielleicht kommt jemand von den Tagesthemen, oder von Frontal 21. Die bezahlen sie unter der Hand.
Danke ZDF … Du bist mein Allerlieblingssender, wenn ich mal einen Schlaganfall habe und im Pflegeheim nicht mehr alleine umschalten kann. Weil dann, dann ist auch egal.
Außer vielleicht, ich hab dann so einen Sprachcomputer und kann mir was wünschen. So macht das Stephen Hawking wahrscheinlich. „Bitte – Umschalten – Ich – Will – Germanys – Next – Topmodel – Sehen“
Dann will ich aber auch so einen Strohhalm, mit dem ich rumfahren kann. Apropos Hawking: Lebt das alte, schwarze Loch eigentlich noch? Es hieß doch schon vor zehn Jahren schon: Der macht’s nicht mehr lang. Kickt aber trotzdem immer noch ein transuniversales Standardwerk nach dem nächsten raus. Respekt. Na ja: „Kickt“ vielleicht nicht.
Oh, jetzt hab ich doch tatsächlich beim Lachen Cola-Light durch die Nase aufs Keyboard geschnieft. Ist aber auch schon spät. Gleich kommt das Nachtmagazin. Vielleicht gibt‘s mal wieder was über Ausländer, und wie die sich so integrieren. So einen Beitrag über eine typische, türkische Familie in Kreuzberg oder kurdische Gastarbeiter in Gelsenkirchen. Wer castet die eigentlich?

Diese Schweine

Steffen Seibert, ehemals Moderator von „Hallo Deutschland“ und dem ZDF-Morgenmagazin, ist neuer Leiter des BPA. Er ist die neue Stimme der Bundesregierung. Die vorherige Stimme, Ulrich Wilhelm, wird Intendant des Bayrischen Rundfunks.
Es wirkt alles irgendwie schräg. Nicht das sich das BPA eine Grinsebacke wie Seibert sucht. Natürlich braucht man für die nichts sagenden Äußerungen der CDU/FDP-Regierung wenigstens ein freundliches Gesicht.
Es ist dieses Wechselspiel an der Spitze. Der öffentliche Rundfunk wird, demnächst sogar höchstamtlich und als Steuer, vom Bürger finanziert. Das ist nicht schlimm. Ich bezahle mit meinen Steuern auch Panzer und Landminen, die ich nicht mag, kann ich also auch gleich die Nachrichten und Unterhaltung mit bezahlen. Oder?
Ich will nicht (wieder) über Qualität streiten. Mich nicht (wieder) beschweren das die ersten, zweiten und dritten Programme mittlerweile so abgeflacht, unanspruchsvoll und kulturell egal sind, dass man genauso gut 24 Stunden lang Jamba-Sparabos in Dauerwerbesendungen verkaufen könnte, nur unterbrochen von „Nennen Sie vier Autmarken mit Y“-Spielchen vor Pappwänden. Damit würde man wenigstens Gewinn erzielen. Nein. Keine Qualitätsdebatte. Heute nicht.
Es geht um die Freiheit der Presse. Die vierte Gewalt. Die keine Gewalt mehr ist, oder aber doch. Nur eben keine eigene Gewalt mehr, wenn sie gesteuert und beeinflusst und durch Karrieren verknüpft ist mit der ersten Gewalt und der zweiten und sogar der dritten Gewalt. Steffen Seibert ist mir nie besonders aufgefallen. Nicht als politischer Mensch, nicht als Überzeugungstäter. Ich denke aber es macht sich gut auf einem Lebenslauf „Regierungssprecher“ zu sein. Das ist okay. Jetzt weiß ich wohin ich ihn stecken kann: Karrierist.
Als Intendant des Bayrischen Rundfunks unterstehen Ulrich Wilhelm Rundfunkgebühren von knapp einer Milliarde Euro, welche das Programm auskleiden, dass er „intendiert“. Selbst im Grundgesetz steht etwas von einer „staatsferne“ der Rundfunkanstalten.
Vielleicht sollten wir überhaupt keine Rundfunkgebühren zahlen. Mal sehen wie sich die Medienlandschaft dann verändert. Schlimmer als jetzt kann es ja nicht werden. Vielleicht kommen Zuschauer zurück, wenn man sie – in Konkurrenz – wirklich mit Qualität locken muss. Zuschauer die keiner in irgendeiner Statistik hat, weil sie seit Jahren kein Fernsehen mehr gucken. Angewidert von dem was dort ausgestrahlt wird.

Angewidert war ich auch, als ich das erste Mal vom „Comedy Central Roast“ gehört habe. Dies ist ein Format des amerikanischen Comedy-Spartenkanals, indem abgehalfterte Showgrößen (also F-Prominente) von einem „Panel“, bestehend aus noch viel abgehalfterten Prominenten, niedergemacht und vor laufender Kamera und Studiopublikum beschimpft werden. Sie werden im Neudeutsch „geroastet“. (Ja, genau: Uah!!!) Dieses Format gibt es seit Ende der Neunziger.
Waren am Anfang eher „sympathische“ oder durchaus respektierte Schauspieler und Comedians, wie Jerry Stiller oder Drew Carey, Ziel der einstudierten und klassisch-lustigen Attacken, drehte sich das Format in den letzten Jahren deutlich in Richtung: Abgehalftert. Pamela Anderson wurde 2005 aufs Korn genommen, und es wurde böse. 2006 war William Shatner dran und jetzt: David Hasselhoff.
Gibt es jemanden der abgehalfterter ist? Irgendjemanden? Der kleine Junge mit dem Lichtschwert, von dem Youtube-Video wirkt stolz und respektiert im Vergleich zu ihm.
Moderiert wurde die jüngste Sendung von Seth MacFarlane, dem Schöpfer von Family Guy. Ähnlich war der Humor. Sowieso: Die geskripteten Kalauer-Triaden hörten sich wie das übrig gebliebene Material von verzweifelten, zweitklassigen Sitcom-Schreibern an. Normalerweise müssen die Witze wie „Schatz: Du warst doch einkaufen. Aber Du hast die Milch vergessen.“ „Ja. Geh doch in den Supermarkt und kauf noch welche. Wo Du schon dabei bist: Bring Mehl, Butter, Zucker, Saft, Speck, Aufschnitt, Käse, Brot, Getränke und den Rest mit. Ich hab’ einiges vergessen.“ schreiben, die sich eigentlich nicht mal durch die blechern klingenden Retorten-Lacher ertragen lassen. Da hat sich also einiges aufgestaut. Wichtig bei dem „Roast“ ist auch, dass sich alle gegenseitig rösten.
Ich frag’ mich wie das in Deutschland aussehen würde. Ja. Ehrlich: Mir hat der Hasselhoff-Roast sogar Spaß gemacht. Na gut, es waren ein bisschen viele „David Hasselhoff ist in Deutschland berühmt, deswegen … (es folgt irgendeine Anspielung aufs dritte Reich)“-Witze dabei, aber trotzdem: „The Hoff“ geht mit seiner siechenden Karriere wenigstens so um, dass ich was davon habe. Und wenn es nur ein billiger Lacher ist. Ich wünsche mir mehr solches Verantwortungsbewusstsein. Man könnte in Deutschland doch statt Dschungelcamp auch so etwas machen. Ein deutscher „Roast“. Ich frage mich, wie das aussehen würde:

The Roast of Steffen Seibert

Moderation: Mario Barth. Auf der Bank der Ankläger sitzen: Verona Pooth, Michel Friedmann, Johannes Heesters, Stefan Raab, Benjamin von Stuckrad-Barre und Dieter Bohlen. Das Studio ist gut gefüllt. Dann wird das Licht gedimmt und Mario Barth schleicht zu seiner Anmoderation auf die Bühne:
„Neee, neee. Echt ey. Alle hier. Herzlich Willkommen, ich glaube es ja nicht. The Roast of Steffen Seibert. …
Meine Freundin mag ihn ja. Ja, sie mag ihn. Sacht mir immer: Den Seibert, den sehe ich zu gerne. Dann sach ich immer: Da bist Du nicht die Einzige. Na ja, die Einzige ohne Gehhilfe, vielleicht. Echt ey.
Gut. Die Erste „Rösthilfe“ ist Verona Pooth. Und wisst ihr, wie die sich die 11-88-0 mittlerweile merkt? 11 Euro kostet ihre gesamte Kollektion bei Kik, 88 Näherinnen sind neulich in ner Kik-Fabrik in Bangladesh an Erschöpfung gestorben, und Null Leute hats interessiert. Hier ist: Verona Pooth.“
„Äh, ja … hallo. Danke Mario. Kannst Deiner Freundin sagen: Ich weiß wie sie sich fühlt. Unbefriedigt.
Und das bringt uns gleich zu Steffen. Steffen: Jetzt gehst Du weg vom ZDF, zur Bundesregierung. Deine bisherigen Zuschauer sind jetzt die Leute, die Deine neue Chefin gewählt haben. Die, und die Zivis die sie ins Wahllokal geschoben haben.
Aber ich möchte noch jemanden begrüßen: Dieter. Meine große Liebe. Niemand kannte mich bevor wir geheiratet haben und mittlerweile will mich niemand mehr kennen. Bitte, Dieter, nimm mich zurück. Oder lass mich wenigstens einmal DSDS gewinnen, dann hab ich wenigstens die Chance einen bescheuerten Sommerhit zu singen und anschließend beim Tanz der Vampire aufzutreten.“
Mario Barth schreitet ein:
„Danke Verona. Das war vielleicht etwas zu weit ab vom Thema. Unsere nächste Rösthilfe ist Michel Friedmann. Einige kennen ihn vielleicht auch unter dem Namen: Paolo Pinkel. Allerdings wenn diese Personen heute hier sind: Wie seit ihr aus der Zwangsprostitution entkommen?“
„Danke, Mario und ich grüße Sie, Herr Seibert.
(Ans Publikum) Wussten Sie das Herr Seibert eine Goldene Kamera für seine Berichterstattung zum elften September bekommen hat?
Für eine Vorzeigejuden, wie mich, ist es schön zu sehen, dass außer den jüdischen Lobbyisten in Washington, die den US-Präsidenten nach 9/11 dazu brachten in zwei islamische Länder einzufallen, noch jemand aus dem tragischen Tod von tausenden von Menschen im World Trade Center Kapital geschlagen hat.
Aber wir wollen nicht bei diesem Thema bleiben. Obwohl: Ich sehe gerade Herrn Heesters im Panel, obwohl er wahrscheinlich nicht weiß was Panel heißt, oder welcher Tag heute ist, oder ob er schon wieder in seine Windel gemacht hat. Auf jeden Fall: Herr Heesters. Sie sind doch damals gerade in Rente gegangen, als in Deutschland vier Millionen meiner jüdischen Glaubensgenossen getötet wurden. Möchten Sie mir erklären, warum sie nie was dazu gesagt haben? Oder haben sie damals schon so schlecht gehört, dass ihnen das Schreien und Weinen aus den Wagons, die Richtung Osten fuhren, nicht aufgefallen ist. Ich frag nur.“
„Danke, Herr Friedmann.“, schreitet Mario Barth ein. „Bitte, bedienen Sie sich. Hinter der Bühne gibt es Koks und Haargel. Und falls sie eine Prostituierte brauchen: Drücken Sie die Neun. Morgen können wir dann mit einer der unwichtigen Zeitungen wieder eine Entschuldigung von ihnen bei Bärbel Schäfer protokollieren. Danke.
Der nächste Ankläger ist Stefan Raab, weil Johannes Heesters nicht aufstehen kann, er hat vergessen wie. Stefan, würdest Du und Dein Grinsen und wenigstens eins Deiner karierten Umstandshemden auf die Bühne kommen. Danke.“
„Danke, Mario. Äh, äh, äh … Du wirkst im richtigen Leben gar nicht so witzig, muss ich Dir sagen. Außerdem muss ich Dir sagen, äh, äh, äh … Du musst als Kind viele Videospiele gespielt haben, direkt vor dem äh, äh, äh … Fernseher: Dein, äh, äh, äh … Rücken ist ganz krumm. Oder bist Du noch gar nicht zum aufrechten Gang entwickelt. Ha, ha, ha. (Niemand lacht.) Wie auch immer: Ich kenne Steffen Seibert nicht, äh, äh, äh … dafür hab ich mit allen Mitgliedern von Monrose, Preluders, Queensberry, NoAngels, Bro’Sis, Overground, Room 2012 und Nu Pagadi geschlafen. Some & Any kommen nächste Woche dran. Und wer die nicht kennt, äh, äh, äh … der ist selber doof. Ey!
(Stille: Niemand lacht. Das Publikum ist zusammengesetzt aus der Zeit-Wirtschaftsredaktion, zwei diplomatischen Corps islamischer Länder und den letzten Überlebenden der ersten Adorno-Vorlesung.)
Okay. Wen ich aber, äh, äh, äh, kenne ist Verona. Verona: Deine Stimme … willst Du nicht mit mir einen Song aufnehmen? Lena konnte auch nicht singen und die hat Stockholm gewonnen. Die war einfach so natürlich, äh, äh, äh … Wie wär’s? Wir machen was zusammen? Vielleicht n’bisschen ne andere Richtung? Eher so Tierimitationen? Hm?“
„Danke, Stefan.“ Wieder schreitet Mario Barth ein. Langsam wird er sogar den Zuschauern sympathisch.
„Wenn jemand wieder sehen will, wie Du und die Überlebenden der Kelly-Family einen Berg in einem Soßentopf runterrutschen oder sich in fahrenden Werbebannern gähnend langweilige Duelle liefern, rufen wir Dich.
Der nächste Ankläger ist Benjamin von Stuckrad-Barre. Benjamin: Ich hab’ keins Deiner Bücher gelesen. Ich kann nämlich gar nicht lesen. Aber irgendwann in den Neunzigern haben ein paar ungewaschene Redakteure und genauso viele Leser von elitären Wochenmagazinen beschlossen: Sie brauchen einen koksenden Anführer, ein Idealbild. Aber da Christoph Schlingensief keine Zeit hatte, haben wir Dich eingeladen. Bitte verklag mich nicht wegen dem Witz. Danke.“
„Werde ich nicht, werde ich nicht.“, sagt Stuckrad-Barre und richtet sich erstmal den P&K-Anzug. Die Augen sind leer. Sein Blick wandert zu Michel Friedmann:
„Herr Friedmann. Keine Angst. Ich werde keine Witze über einen Juden machen. Ich bin die furchtvolle Nachfolgegeneration der Verdränger. Ich mache keine Witze über Juden, über Nazis ja. Natürlich. Nur. Über meine eigenen Unsicherheiten, ja. Natürlich. Nur. Aber ich mache die Witze über mich. Niemand sonst.
Steffen Seibert: Über Sie kann ich auch keine Witze machen. Wie auch? Sie sind die Durchschnittlichkeit in Person. Das Mittelmaß. Die Glocke, nicht die Kurve. Ebenso wie die Regierung, wie Schwarz-Geld, eigentlich nur wie Schwarz. Sie greifen nach allen die Ihnen in die gleiche Richtung laufen. Oder: Sie greifen einfach nach allen. Nach allen Seiten. Ohne politische Meinung, ohne Verstand. Rechts, Links, Rot, Grün, Gelb, Pink, Braun … Wenn man alle Farben lange genug mischt kommt immer schwarze Suppe heraus: Alles tendiert dahin. Nun tendiert schwarz auch zu allen.
Dieter Bohlen: Was soll man da noch sagen. Im letzten Jahrzehnt, oder so, haben Sie ihr Ding ungefähr in alles rein gehalten, was in der Gala auf Seite Drei abgebildet war: Und im Hintergrund eines Fotos von irgendeiner Premierenfeier, oder der Eröffnung einer Douglaz-Filiale im Breisgau stand. Sie und Oliver Pocher und Lothar Matthäus sollten eigentlich in jeder Dorfdisko einen eigenen Raum bekommen: Nur damit es leichter wird.“ Mario Barth steht auf und applaudiert: Die letzten beiden Namen kannte er auch.
„Danke, Benjamin: Verursacht es eigentlich körperliche Schmerzen, wenn man mal für Harald Schmidt geschrieben hat, als dieser noch wirklich wichtig war, und jetzt von einem proletarischen Analphabeten (Verona kichert: „Er hat anal gesagt!“) von der Bühne gewunken wird, der jetzt wirklich wichtig ist? Denk darüber nach, während Du und Florian Illies wieder an den Milliarden Kopien eurer neuen Bücher erstickt, die wieder niemand lesen will und wieder alle Feuilletons besprechen.
Der letzte Ankläger ist Dieter Bohlen: Dieter, komm nach vorne. Stell Dich genau auf den Stern und … Du kennst den Rest.“
„Ja … moin, erstmal: Danke Mario. Du kannst jetzt mal abwackeln und weiter Dankesgebete gen Himmel schicken, dafür dass Du nicht – wie alle anderen „Comedians“ in diesem Land – dauernd bei „Genial Daneben“ auftreten musst.
Steffen Seibert. Sie sind Konvertit. Ich wette aber sie tauchen in keiner Datei von Wolfgang Schäuble auf …
(Ein Raunen geht durch das Publikum. Niemand hat diesen Kommentar von Dieter Bohlen erwartet. Gespanntes Erwarten, dann dreht sich Dieter Bohlen zu Verona Pooth.)
Verona. Du bügelfreies Männerhemd. Du billige Velur-Kabeljau-Fregatte.
(Und Dieter ist zurück wo er hingehört. Das Publikum entspannt sich wieder.)
Johannes Heesters. Sie sind so alt, sie hatten schon was gegen Juden, da haben die noch Jesus ans Kreuz genagelt.
Michel Friedmann. Sie haben zum Thema Willensfreiheit in Philosophie promoviert. Da steckt ein guter Witz drin, in Beziehung zu Zwangsprostituierten, aber davon hatten wir schon einen, also diese Frage: Wo ist die Willensfreiheit in der jüdischen Gemeinschaft, wenn sie immer wieder aalglatte und gottlose Sheyster wie sie in den Vorsitz des ZdJ wählen?
Stefan Raab. Seit Moses Pelham Dir eine reingehauen hat, hat keiner mehr von ihm gehört. Danke dafür.
Und Benjamin von Stuckrad-Barre: Wer liest schon die Welt?“
Mit diesen Worten verlässt Dieter Bohlen die Bühne. Mario Barth kommt zurück:
„Okay, ja … äh. Neee, neee. Wir sind noch nicht am Ende. Für die Antwort kommt jetzt Steffen Seibert auf die Bühne. Steffen … bitte.“
Mäßiger Applaus.
„Danke Mario. Ich will nur eines sagen: Mich interessiert das alles eigentlich überhaupt nicht. Warum auch? Ihr seid so unwichtig. Die Menschen im Fernsehen, ohne jede Bedeutung. Das wichtige ist: Ich bin jetzt Regierungssprecher, der Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung. Ich bin im Rang eines Staatssekretärs. Ich habe ausgesorgt. Ganz Oben in der Nahrungskette, und ich bin noch nicht mal Fünfzig. Ich brauche nichts machen, außer lächeln und stetig sinkende Arbeitslosenzahlen verkünden, oder mal betroffen für ein Unglück gucken. Und es wird viele Unglücke geben und die Arbeitslosenzahlen werden weiter sinken, weil immer weniger Leute einen Job brauchen. Ja. So ist das. Und ich werde es als Erfolg verkaufen. Es ist mein Job. Verkaufen. Ihr interessiert mich nicht. Wähler interessieren mich nicht, weil ich nicht gewählt werde. Ich werde angepasst geboren und so komme ich nach Oben. Und vielleicht, wenn es keiner merkt, bleibe ich auch bei der nächsten Regierung. Und die Nachrichten die ich rausgebe: Es sind keine Nachrichten. Es sind Pressemeldungen. Statements. Und sie interessieren mich einen Dreck. Also entschuldigt wenn ich mich einen Dreck um euch schere.“
Mit diesen Worten lässt Steffen sprichwörtlich das Mikrofon fallen, es gibt einen kurzen Rückkopplungseffekt und er geht von der Bühne.
Es wird unruhig im Saal. Selbst Mario Barth weiß nicht was er tun soll. Dann greift er sich das Mikrofon.
„Wer weiß was der Unterschied zwischen dieser Show und der Wirklichkeit ist? In der Wirklichkeit würde er niemals das Mikrofon fallen lassen.“

Aufarbeitung

Meine Nase läuft unentwegt, meine Hände sind schwitzig, die Füße kalt und ich bin mir ziemlich sicher, könnte ich meine eigene Temperatur zuverlässig abschätzen, ein Griff an die Stirn würde Werte weiter über 40 ergeben.
In diesem Anfang-März-Krank-sein-Zustand ist mir eine Idee zu einer Sitcom gekommen. Gekommen im wahrsten Sinne des Wortes, im Schlaf, man mag auch Fiebertraum dazu sagen: Also eine Sitcom.
Sitcom ist ein Format, das meiner Meinung nach, viel zu stiefmütterlich in der deutschen Fernsehlandschaft behandelt wird. Ein Format, dass durch seine handliche Länge, die kurzweilige Oberfläche und zu Zeiten auch mal einem moralischen Sub-Plot eigentlich prädestiniert für deutsche Aufarbeitung ist.
Und sind wir mal ehrlich: Das ist nicht der erste Serienversuch über Humor eine Katharsis für den scheinbar endlosen Horror der jüngeren, deutschen Vergangenheit zu finden. Und genau das braucht die Aufarbeitung. Klärung, ein Ende, einen Abspann und damit das gute Gefühl das dieser Film, egal wie lang er dauerte und wie schlimm er war, endlich vorbei ist.

Da ich noch keinen wirklich passenden Titel für meine Idee habe, gebe ich dem Ganzen einen fernsehtypischen Arbeitstitel. In diesem Fall „Josua“
Josua ist Jude. Und genau darum geht es. In der Tradition der sich dauernd erneuernden, dabei kaum etwas neu erfindenden Tradition des Vorabendprogramms, entwickelte ich eine Sitcom die auf dem erfolgreichen Modell der Achtziger-Serie „Alf“ basiert.
Hierbei kracht ein Außerirdischer durch das Garagendach einer Mittelstandsfamilie und ist anschließend vier Staffeln damit beschäftigt sich vor den Behörden zu verstecken, und sich von den spießigen Erdenbürgern verstecken zu lassen.
Jetzt hat wahrscheinlich schon jeder eine Ahnung worauf das hinausläuft, also weiter:

Also Josua. Wir schreiben das Jahr 1931. Deutschland, irgendwo in der Nähe von Stuttgart. Josua ist Jude und rettet, dies wird uns in einer eindrucksvollen und durch das begrenzte Budget einer Sitcom stark limitierten Eröffnungssequenz erzählt, den jungen Offizier Kessel aus einem reißenden Fluss. Kessel war mit seinem Wagen auf dem Weg nach Hause, hatte am Abend sechs Bier zu viel und kam dann auf einer Brücke von der Straße ab. So krachte er durch das Geländer und landete im reißenden Fluss. Der angehende Arzt und Jude Josua war ebenfalls auf dem Weg nach Hause, auf dem Fahrrad und natürlich nicht betrunken, wie wir im ersten Gespräch der beiden Hauptpersonen gewieft dialogisch ausspielen:

Josua zieht den durchnässten Kessel ans Ufer.

JOSUA Sind Sie verletzt?
KESSEL Ich ggll …
JOSUA Ja?
KESSEL Ich ggll …
JOSUA Sind Sie nicht von hier?
KESSEL (sauer) Natürlich! Ich bin Deutscher. Und Arier.
JOSUA Und betrunken.
KESSEL Deutsche Männer sind nicht betrunken. Deutsche Männer trinken.
JOSUA Zuviel, wie ich sagen muss. Sie sind außerdem klitschnass.
KESSEL Wasser macht mir nichts. Es steht unter mir. Haben Sie etwa nicht getrunken, junger Mann?
JOSUA Nein, habe ich nicht. Ich trinke nicht.
KESSEL (verdächtigend) Warum nicht. Es ist Samstagabend. Religiöse Gründe?
JOSUA Nein, dramaturgische.
KESSEL Sind Sie Jude?
JOSUA Sie haben es erfasst. Kann ich Sie nach Hause bringen?
KESSEL Niemals. Ich ggll …
JOSUA Nicht schon wieder.
KESSEL Ich gg-gglaube, mir ist schlecht.
JOSUA Ach. Sie sind nicht betrunken, aber – – –

Josua will noch etwas sagen, da übergibt sich Kessel auf seine Schuhe.

Nachdem sich Kessel wieder gefangen hat, erkennt er was Josua für ihn getan hat, allerdings hat er keine Zeit mehr sich zu bedanken. Am nächsten Morgen ist Josua einfach verschwunden.
Nein. Josua ist nicht deportiert worden, immerhin ist es erst 1931. Wie ein gestörtes Kleinkind, welches sprunghaft von Langeweile überkommen wird, fällt dem deutschen Volk erst einige Jahre danach ein, dass man ja Juden hasst und sie für alles verantwortlich machen muss, was man nicht mit Blitzkriegen oder Autobahnen hinbiegen kann. Zum Beispiel das Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit und des fehlende völkischen Charakters, und wenn der fehlt, dann braucht man einen reinigender Genozid um sich wieder wohl zu fühlen.
Also springen wir ins Jahr 1943:
Josua ist auf der Flucht und versucht sich im Keller der, mittlerweile, Familie Kessel zu verstecken. Vater Kessel hat Mutter Helga geheiratet und mit ihr die elfjährige Tochter Emma und den siebenjährigen Sohn Hans. Kessel ist Berufsalkoholiker und nebenbei noch bei der SS. Abends will er sich mal wieder eine Kiste Bier aus dem Keller holen und entdeckt dabei Josua. Eigentlich will er sofort die Kameraden holen und Josua ein Erster-Klasse-Ticket für diese schmucken Züge gen Osten besorgen, mit dem seine „Artgenossen“ doch so fein in die freimachenden Ferien fahren, aber dann erinnert er sich an die Nacht vor zwölf Jahren. Er schuldet Josua sein Leben und mit einer modernen Popkulturreferenz im Dialog…

KESSEL Ich schulde Dir mein Leben.
JOSUA Du meinst, so wie Chewie Han Solo in Star Wars?
KESSEL Was? Tut mir leid. Ich spreche kein Jüdisch.
JOSUA Schon gut.

… nimmt Kessel Josua in die Familie auf und versteckt ihn fortan gegen seine eigene Überzeugung.
Natürlich lernt die Familie in den folgenden drei Staffeln viel von ihrem geheimen Gast. In einer Episode, in der der kleine Hans zur HJ soll, wird mit Josua zusammen das gute Gefühl, welches einem die Zugehörigkeit zu einer Gruppe und die Anonymität gibt, ergründet und am Ende finden alle zusammen heraus: Die Familie ist die stärkste aller Gruppe, auch Freunde können Familie sein und Freunde sind wichtiger als Landsleute.
Gleichzeitig gibt es immer wieder Probleme mit den skeptischen und spionierenden Nachbarn, den Autmeiers. Oft läutet die SS an der Tür, sucht nach einem versteckten Juden und Josua muss sich in der Küche verstecken, unter dem Tisch, in einer Kammer zwischen Fußboden und Kellerdecke.
Jede Episode beginnt, genretypisch, mit einem neuen Problem. Zum Beispiel das eine Mal als Josua Sabbat feiern will und Kessel versucht koscher zu kochen. Helga versucht im Eisenwarenladen einen siebenarmigen Leuchter zu kaufen, und kommt am Ende mit zwei vierarmigen Leuchtern nach Hause, die sie zusammenstellt und herzensgut einen Arm abbricht.
Natürlich treten auch Gaststars auf. Bruno Ganz spielt in der Episode „Wir fahren nach Berlin“ mit, genauso wie Christoph Walz in der Episode „Vichy waschi.“ Götz George gibt noch einmal den Mengele, in der Doppelfolge „Out of Auschwitz“ und antwortet auf die Frage, ob er noch etwas Schweinebraten möchte, mit: „Nur wenn dem Schwein mit Sterbehilfe geholfen wurde.“ Großer Lacher am Tisch, Kopfschütteln bei Josua darunter.
Auch eine Sitcom-übliche Catch-Phrase schafft es in die Serie, wenn Josua fast in jeder Folge mit Handtuch um die Hüften aus dem Badezimmer kommt und Kessel fragt, warum die Gasleitung so rumpelt. Die Antwort des viel zu oft wiederholten Kalauers wächst über die Jahre beinahe rührend ans Publikum und wird schließlich auch auf T-Shirts gedruckt, in Anführungszeichen und Sprechblase über Kessels Kopf:
Keine Angst. Geh’ ruhig duschen.
Viel Kritik und böse Worte bekommt die Serie dagegen in der Presse. Aber ebenso wie der hohen Auflage von Dieter Bohlens Memoiren oder dem neusten Martin Walser-Buch, kann Kritik der Serie nichts anhaben. Schon gar keine Moral-Kritik. Sender, Produzenten und Erfinder feiern unglaubliche Einschalquoten und einen Dauerplatz bei Stefan Raab, Harald Schmidt und auf den Sofas von Will, Illner und Plasberg.
Der Darsteller des Josua allerdings, muss seine Karriere nach der letzten Episode begraben. Nachdem die Serie eingestellt wird, weil sich auch der derbste Nazi-Humor einmal totläuft, ihm wahrsten Sinne, wird er nur noch als „der Typ, der den Juden in dieser Nazi-Sitcom gespielt hat“ auf dem Sofa von Frühstücksfernsehsendungen im dritten Programm vorgestellt. Dabei ist es auch ganz egal wie viel avantgardistische Interpretationen er von Anouilhs Antigone an der Volksbühne gibt. Ähnlich wie der Alkoholiker Kessel in der Serie, verfällt er schnell dem hochprozentigen Problemausblender. Anders als die fiktive Figur, hat er allerdings keinen Gut-Juden zur Seite, der ihn, wie in der Episode „Ein Arier kennt kein Schmerz“, von der Flasche wegbringt:

INT. ABEND Küche

Kessel kippt das Schnapsglas herunter und verzieht keine Miene.

JOSUA Sie bleibt nur bei Dir, weil sie aufgeschmissen wäre, wenn sie Dich verlässt. Verstehst Du das? Das ist doch keine Basis für eine Beziehung.
KESSEL (betrunken) „Lieber Frau und Kind erschossen, als ein Tropfen Schnaps vergossen.“
JOSUA Bier.
KESSEL Wirklich? Du trinkst doch gar nicht.
JOSUA Ich meine, es heißt „Bier“. „Als ein Tropfen Bier vergossen.“
KESSEL Das ist mein Gedicht, Jude.
JOSUA Ach. Sind wir wieder beim „Sie“, ja?
KESSEL Ich hasse euch. Ihr seid schwach und linkisch und … schwach.
JOSUA Armdrücken?
KESSEL Jederzeit.

Kessel räumt mit einem Wisch den Tisch ab und macht sich bereit.

JOSUA Wenn ich gewinne, hörst Du auf zu trinken.
KESSEL Abgemacht.
JOSUA Ernsthaft. Vergiss nicht: Lebensschuld und so … schwöre!
KESSEL Auf den Führer.
JOSUA Schwör’ auf was, ohne peinlichen Schnurbart.
KESSEL Auf das tausendjährige Reich.
JOSUA Gut. Auch wenn ich denke, dass der Name leicht optimistisch gewählt war.
KESSEL Du wirst schon sehen.

Josua ergreift Kessels Hand und dieser beginnt sofort zu drücken. Sein Gesicht verfärbt sich rot.

JOSUA Was ich mich immer gefragt habe …
KESSEL (verkniffen) Ja?
JOSUA Ihr habt einen Führer, dessen Eltern verwandt sind … einen Propagandaminister mit Klumpfuß und einen Filmstar mit einer jüdischen Frau.
KESSEL (gepresst) Geschieden.
JOSUA Findest Du nicht, dass ihr einer leichten Form von Doppelmoral aufsitzt …?
KESSEL (stöhnend) Gleich … hab’ … ich … Dich.

Mit aller Kraft und jetzt auch zwei Händen zieht Kessel Josuas Arm langsam in seine Richtung, Josua spannt seine Muskeln an und knallt Kessel dann auf seine Seite des Tisches. Kessel erstarrt, dann fällt er mit dem Gesicht auf den Tisch und beginnt sofort zu schnarchen.

JOSUA Herrenrasse … tz.

Josua steht auf, löscht das Licht und geht zur Küchentür. Mit einem Blick zurück auf Kessel:

JOSUA Schlaf gut, kleiner Siegfried.

Abblende und „Friends“-Abspannmusik.
Ding. Ding. Ding-Ding. De-Ding-Ding.
„I’ll be there for youuuu!“