Archiv der Kategorie: Über die Welt

Piano

Gorch Fock, Gorch Fock, Gorch Fock. Was ist denn nur los? Ein Thema beherrscht seit Tagen die Nachrichtenmagazine, wie es vorher nur der olle Thilo getan hat (keine Angst zu dem komm ich auch noch). Und die Nachrichtenmacher wundern sich: „Huch. Da scheint ja Diskussionsbedarf zu bestehen.“ (Nein. Ihr seid die einzigen die diskutieren! Allen anderen ist klar: Auf einem Segelschulschiff ist es nicht wie im „International Economics“-Studium. Da kann man nicht schon in der ersten Pause den Rotkäppchen-Sekt kippen und vor „Einführung in Wirtschaftsethik“ reinhauen, um den Rest des Tages mit einer ukrainischen Zwangsprostituierten bei Herrn Ackermann im Keller zu versacken!) Doch es wird weiter berichtet. Jeden Tag ein neuer Experte oder ein ehemaliges Besatzungsmitglied, was dann in die Kamera weint: „Nee. So was hat es damals bei uns nicht gegeben. So was glaube ich auch nicht. Und sowieso. Gemeinsam segeln. Buhuhu.“
[Der Autor des letzten Abschnitts möchte Sie darüber informieren, dass in der ursprünglichen Fassung „Berufsschule“ statt „International Economics“-Studium stand. Allerdings kam ihm dann die Erleuchtung, anstatt auf Außenseitern herum zu hacken, er viel lieber die geistig und moralisch zurück gebliebenen Manager verunglimpfen möchte. Er hofft diese moralische Schlagseite nachzuvollziehen. Vielen Dank.]
Gibt es denn momentan kein Dritte-Welt-Land mit irgendeiner Krise? Ach ja, Tunesien. Wann kriegen es die eigentlich mit ihrem Aufstand endlich gebacken? Damit unbescholtene Star-Wars-Fans endlich wieder an die Original-Schauplätze von Tatooine reisen dürfen, hm? Das dauert!
Und sonst? Was ist zum, Beispiel mit … ehm … Sambia? Klingt exotisch. Nichts los da?
Doch! Hey. Die haben da die höchste HIV-Infektionsrate auf der Welt. Ist doch schon mal was. Verdrängt nicht die stundenlangen Bernd-Eichinger-Rückblicke aus den Tagesthemen, aber schafft es vielleicht in die „Kurzmitteilungen“ des Auslandsjournals.
Ha. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Sambia ist in den letzten 15 Jahren von 60 auf 37 gefallen. Sehr gut. Aktueller Bezug. Weiter! Jedes zehnte Kind stirbt, knapp jede hundertste Mutter auch. Ohh!!! Wunderbar. Tote Kinder. Wahrscheinlich kriegen wir damit immer noch nicht Jay und Indira [Ich schäme mich so diese Namen zu kennen!] aus der Vorschau von RTL Aktuell, aber ins heute-journal sollten wir es schaffen.
Nun zu den Gründen. Ein Schnellschuss der rationalen Erklärung für all das Leid, muss immer parat sein, sonst schaltet selbst der Uni-Professor ab. Tada: Die Hälfte der sambischen Bevölkerung ist christlich. Nur einem Viertel stehen Verhütungsmittel zur Verfügung. Hohe Fruchtbarkeit, viele tote Kinder, tote Mütter und HIV. Ein Gedicht von einer Nachricht!!!
Was können wir damit noch machen? Wertschöpfungskette, Verwendbarkeit. Los, los! Sambia, Du schaffst es auf das Focus-Titelbild! Ich glaub‘ an Dich.
Sambia liegt im Süden Afrikas. In Afrika sind 25 Millionen Menschen mit Aids infiziert. Das sind weit mehr als die Hälfte aller Infizierten auf der Welt. Und jetzt kommt der Hammer! Trommelwirbel: Die meisten der Infizierten leben im Süden des Kontinents. Ja! Von Chad in der Mitte, über die Brennpunkte Sambia, Botswana und Zimbabwe bis nach Südafrika konzentriert sich die Seuche. 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung hat Aids. Und mit Aids ist hier nicht nur HIV gemeint: Hepatitis, Syphilis und alle Arten von Geschlechtskrankheiten. Aber der Clou ist:
Wie in Sambia sind im gesamten Süden Afrikas die meisten Menschen Christen, also missioniert. Am häufigsten Römisch-Katholisch. In Zimbabwe sind es sogar 85%. Und was heißt das? Ha? Keine Kondome, heißt das. Ja! Kondome sind vom Teufel. So sieht’s aus. Ist das nicht mal eine Kausalkette mit der man arbeiten kann?
Vor einiger Zeit hat der ehemalige BDI-Präsident (auch so ein International Economics-Vertreter) Hans-Olaf Henkel bei Maischberger Thilo Sarrazin verteidigt, sogar gelobt: „Endlich eine schonungslose Aufdeckung der Vorurteile die wir schon ewig hatten.“, oder so ähnlich. Henkel ist übrigens der Typ, der einen arischen-Euro will … äh, ich meine einen zweiten, einen besseren Euro für Deutschland (und für alle anderen Länder die er so mag). Er will den jetzigen, den weichen Euro nur für Kanaken-Staaten … ich meine „Süd-Euro-Länder“, wie Griechenland oder in Zukunft die Türkei.
Sein Argument für Thilo ist übrigens die Zahl 57! … Ja. 57 Länder auf der Erde sind muslimisch. Und in fast allen dieser Länder, so Henkel, haben Frauen keine Rechte, werden Minderheiten verfolgt und ist es sowieso total blöde. (Das sich Deutschland mit Sarrazin und Henkel in die Liste der Länder die Minderheiten verfolgt einreiht ist eine Ironie, die Herrn Henkel eher abgeht.)
Also. 57 Länder in denen es ungerecht zugeht. Eines der 57 Länder ist übrigens Algerien, dass liegt im Norden Afrikas. Hier liegt die Aids-Quote unter 5%. Rekord für den Kontinent unserer aller Herkunft. Was hat man wohl für ein Argument gegen christliche, sogar christlich-fundamentale Länder wie Sambia, in denen die Menschen an verhinderbaren Krankheiten krepieren …?
Ich sag nicht, dass in den 57 Ländern die Menschen (vor allem die Frauen) im Glück und in der absoluten Erfüllung leben. Aber immerhin verendet ein ganzes Volk dort nicht an einer Seuche, die mit ein bisschen mehr religiöser Modernität bekämpft und überwunden werden könnte.
Aber vielleicht geht es Herrn Henkel (der als Argument gegen den Islam immer wieder vom „christlichen“ Abendland anfängt) auch gar nicht um den Islam an sich. Und vielleicht geht es auch Sarrazin (Herrn, wie auch Frau) gar nicht nur um den Islam. Vielleicht geht es um Absatzmärkte und um Angst. In einem Land, in dem der Fundamentalismus herrscht, kann man weniger verkaufen. Viele Bedürfnisse werden über die Religion abgedeckt. Hier kommt man nicht so einfach rein, verscherbelt seine Erste-Welt-Abfall-Güter und baut billige Produktionsstätten auf. Eines hat Henkel gelernt: Wenn die vorherrschende Moral nicht der Konsum ist, wird weniger konsumiert. (Klingt ganz einfach, oder?) Deswegen haben Wirtschaftler, wie er, auch so viel Angst vor Religionen (oder jedenfalls den Religionen, die nicht mit prunkvollen Goldbauten bereits vor 1000 Jahren im Kapitalismus ankamen). Es ist irrational und absolut abwegig, für jemanden der es gewohnt ist Bedürfnisse, nach Zahlung einer Abgabe, schnell und effizient zu befriedigen, dass auf einmal die Zahlung einer Abgabe wegfallen soll. Dass Menschen weniger Bedürfnisse haben. Nein. Sollen Sie nicht und dürfen Sie auch nicht. Man will verkaufen, an alle! (Im Grunde muss ich sogar gestehen: Mir gefällt der „an alle“ Aspekt von Henkel. Nur diese ganze „Der Islam ist pauschal scheiße“-Teil, der stößt irgendwie auf.)
Zur gleichen Zeit, da sich die Diskussion um ihren geistig beschränkten Mann abkühlt, tritt Frau Sarrazin auf den Plan. Sie schreit Kinder in ihrer Klasse an, verteidigt das „Stimme erheben“ mit dem Ruf nach mehr Disziplin und fordert bei Maischberger (ah!) das man als Eltern seinem Kind nicht „viel Spaß“ in der Schule wünschen sollte. Die Frage die sich aufdrängt: Was wünsche ich dann? Hals und Beinbruch? Glück? Ja, vielleicht.
Glück, dass die herrische, prä-68er Lehrerin sich mir gegenüber nicht vergisst, all ihren Hass und die Frustration über den beschränkten Lebensumstand in dem sie schon seit Jahrzehnten steckt nicht heraus lässt und mich nicht vor versammelter Klasse zusammenscheißt und anschließend ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt und mich auf den Gang schickt?
Als ich in der zwölften Klasse war, hielt an unserer Schule so ein Spät-Nazi (T’schuldigung, Adenauer-Kumpel) einen Vortrag darüber, dass wir uns glücklich schätzen können, dass niemand in der Schule mehr prügelt. Ich frag mich manchmal ob solchen Leuten nachts von Körperfressern ins Hirn geschissen wird? Die Gesellschaft, vorrangig konservative Politiker, regen sich über Prügelattacken in der Münchener U-Bahn auf und wollen dann mehr „Zucht und Ordnung“ in den Schulen. Weil das ja auch so viel bringt. Weil die Reaktion auf Disziplin und Einengung nicht Revolten, sondern folgsame Kinder sind. Frau Sarrazin: Die größter Denker unserer Zeit, sind die die Spaß an ihrem Fach hatten. Sind die, die Verständnis gefördert nicht eingeprügelt bekamen! Sie wollen ruhigere Kinder? Motivieren Sie mal! Machen Sie ihren Job richtig, nicht mäßig!
Und die Schlussfolgerung, dass Kinder mit Migrationshintergrund noch viel weniger diszipliniert sind als alle anderen ist ebenso absurd wie töricht. Die Kinder die Sie meinen sind eines: Sie sind jung! Sie sind jung und sie hören an jeder Ecke das sie als Türke oder Albaner oder Moslem in diesem Land nicht gewollt werden! Sie lesen es, mit ihrem Gesicht – Frau Sarrazin – daneben, auf jeder Bild-Zeitung und hören es von Menschen, die zu dumm waren und ihre braune Kacke geglaubt haben. Und jetzt überlegen sie mal zurück: Als Sie jung waren, damals unter dem Führer, ich meine den von der CDU. Wie beeinflussbar Sie waren! Wie hilflos und wie sehr Sie sich gefreut haben als es mit Deutschland wieder bergauf ging. Als Sie endlich wieder jemand waren! Hm? Überlegen Sie mal!

Momentan wird auch noch – neben dauernd mehr und immer mehr Gorch Fock (allein der Name klingt schon wie für die Schlagzeile einer Regionalzeitung reserviert.) – über das Verbot der FSK den Film „Tal der Wölfe – Palästina“ aufzuführen berichtet. Wesentlich weniger natürlich als über die Gorch Fock und den Typen der dabei war als Sean Connery „Im Namen der Rose“ drehte, aber immerhin …
Kleiner Vorschlag meinerseits zum Ende: Übersetzt den Film endlich ins Deutsche, zeigt ihn überall, lasst drüber streiten, zeigt ihn vor Schulklassen, diskutiert die historische Wirklichkeit und wertet den Film künstlerisch ordentlich aus. Am Ende zeigt sich sowieso: Das ist nur ein Film und nicht mal ein Guter. Gleichzeitig: Bringt endlich die Selbstmordattentäter-Komödie „Four Lions“ raus.
Und an die Spinner der CSU, die neuerdings wieder gerne Dinge verbieten lassen: Hat beim tausendjährigen Reich ja auch so gut funktioniert ihr Spacken!

Lady in Black

Es ist ein ganz gewöhnlicher Montagmorgen in Deutschland: Die Vögel, jedenfalls die Dummen, pfeifen von den Dächern und haben den Abflug gen Süden verpasst … aber das Problem hat sich ja im nächsten Frühling dann erledigt. Charlotte Roche … wie spricht man das eigentlich aus? Roche, wie „Rocher“ … obwohl „Rocher“ spricht meine Oma auch anders aus als ich. Also „Roche“ wie „Roach“ oder „Roche“ wie „Roch“? Ist auch egal. Ist nicht so als müsste das irgendjemand außer ihr Mann demnächst beim Sex schreien …ah! … (Ja. Ich weiß auch das man heutzutage nicht mehr Vor- und Zunamen beim Sex schreit … aber wer weiß, vielleicht hat das bald n’ Comeback: „Oh, Herr Wulff, ja, tiefer, tiefer!“ „Ja, Frau Roach. Ja!“ „Man sagt Roch.“ „Wirklich?“ „Ja. Ich hab‘ den Namen seit meiner Geburt.“ „Komisch.“ „Wieso komisch? Seit wann haben Sie ihren Namen?“ „Nein, ich meine nicht den Namen, ich meine mich daran zu erinnern mal bei Spiegel-TV gehört zu haben „Charlotte Roach“.“ „Ach, die von Spiegel-TV sind auch nicht mehr das was sie mal waren.“ „Das stimmt wohl. Noch mehr Sex?“ „Unterschreiben Sie die Laufzeitverlängerung?“ „Ich unterschreibe gar nichts.“ „Dann bitte gern.“)

Okay. Den letzten In-Klammern-Einschub hab ich etwas übertrieben. Aber vielleicht findet sich ja auch jemand der mit Ursula in die Kiste hüpft, diesmal vielleicht mit Verhütungsmittel, dann kriegt Deutschland vielleicht doch noch gerechte Hartz-IV-Sätze. All die ganzen Anti-Stuttgart-21-Aktivisitinnen schlafen mit Bahn-Funktionären & … na ja, ich will aus der Bundespolitik keinen caligulanen oder hedonistischen (je nachdem was für ein abstraktes Wort man für die unnötig umständliche Beschreibung eines eigentlich klaren Sachverhalts bevorzugt) Ein-Akter machen.

Wo wir gerade bei Theater sind: Ein neues Killerspiel ist draußen. Ich sage den Namen nicht, aber es beginnt mit „C“ und endet auf „all of Duty: Black Ops“. In Deutschland erscheint der blutrünstige Titel in einer entschärften Ab-18-Version. Trotzdem schreien immer noch alle prä-P90-Lehrer und prä-prä-C64 Politiker und Aktivisten laut und lauter gegen jegliche Art von virtueller Schießerei. Und irgendwie haben sie ja alle Recht: Ja. Computerspiele in denen immer realistischere Szenarien des ersten, zweiten, dritten oder Korea-, Vietnam- oder jedes anderen Krieges gezeigt werden und bespielt werden können, erzeugen Spannung, Adrenalinausschüttung, Gänsehaut (wenn es ein gutes Spiel ist) und volle Kassen bei den Produzenten. Ja. Computerspiele, ebenso wie Horrorfilme, Actionfilme, Liebeskomödien, Theaterstücke, Rockkonzerte oder Kochlehrgänge haben im besten Fall eine Auswirkung auf ihr Publikum. Und im schlechtesten Fall endet man schwanger nach einem Uriah Heep-Konzert, bei dem man sich von einem Hilfsarbeiter hinter nem Bierstand hat bumsen lassen. So ist das nun mal. Unterhaltung heißt Unterhaltung, weil man sich hinterher darüber unterhalten kann. (Uh. Das war wirklich der schlechteste Satz den ich je geschrieben habe.) Aber das alles heißt noch nicht, dass Jugendliche durch Killerspiele zu Mördern werden. Bei allen Schul-Amokläufen hatten die Jungs auch immer auch Zugang zu Waffen. Hätten sie nämlich keinen Zugang zu Waffen gehabt, hätten sie erst mal welche klauen müssen. Das wiederum wäre für die realitätsfernen Computerjunkies eine so unglaublich echte Erfahrung gewesen, sie wären schnurstracks zu ihren Polygonen zurückgekehrt und hätten lieber eine Streitaxt bei World of Warcraft einem Troll abgenommen … Der Punkt ist: Es gibt eine Milliarde von Faktoren die aus einem gewöhnlichen, verpickelten Teenager einen Amokläufer machen. Einer davon ist das Spielen von Killerspielen. Ein anderer ist das Nicht-spielen von Killerspielen und der damit verbundene soziale Abstieg. Denn seien wir mal ehrlich: Teenager sind unglaublich statusfixiert. Egal was hundert Jahre Disney-Channel-TV-Filme uns weißmachen wollen. Andere Gründe für den Schul-Amok kann es aber auch noch geben: Zum Beispiel Pickel. Jugendschutz ist gut, Jugendschutz ist wichtig. Aber es ist ein Schutz, keine Bestrafung.

Zur gleichen Zeit in einer ganz anderen Ecke der Welt: Mit einer Motorsäge rücken in Simbabwe Tierschützer Nashörnern zu Leibe und Walschützer wollen eine gesetzliche Fangerlaubnis mit Japan aushandeln. Wenn Du mit sturem Protest nichts änderst, oder Wilderer nicht über den ganzen, verdammten Kontinent jagen kannst: Pragmatismus. Pragmatismus ist toll. Nicht nur weil das Wort so futuristisch „ploppend“ auf der Zunge liegt, man kriegt endlich mal was hin. Ich würde gerne besseres, deutsches Fernsehen sehen. Vielleicht eine Science-Fiction-Serie die mich nicht vor Fremdscham in die hintersten und mit Chipskrümeln vollgestopften Winkel meiner Couch zwingt. Ich könnte jetzt rumheulen, weinen und zetern. Und ich denke ich hab das schon ausschweifend gemacht. Pragmatisch wäre: Ich mache meine eigene Science-Fiction-Serie. Hey. Gar keine so dumme Idee. Was der SWR kann … kann ich leider nicht, weil dazu müsste ich meinen guten Geschmack und jeglichen Anspruch abschalten und mir von Mike Tyson, einem Grizzlybären und einer Bohrinsel voller Schwerstarbeiter mit Rohrzangen den Schädel einschlagen lassen und diktatorisch für volksverblödendes Programm auch noch gesetzlich verordnete Gebühren kassieren. Ich tu ja viel für die Kunst, aber das …
Jedenfalla ist das jetzt mal eine Ansage. Weitere Details folgen.
Und so: Bis auf weiteres … Hochachtungsvoll … euer … F.
(„Jim! Spiel mir was zum heroischen Ausmarsch!“ … Bum-chak … Bum-chak … „Ja. Der Beat gefällt mir. Nun der Text.“ … For in Darkness I was walking … „Hm? Kommt mir bekannt vor.“ … And destruction lay around me, from a Fight I could not win .. „ah ja … und jetzt der Refrain“ … ah hahahahahaaaa …. Ah hahahahahahaaa … „Uh … Gitarrensolo“ …)

Le suicide et le hartz

Vor etwas mehr als hundert Jahren schrieb ein junger Franzose ein Buch über „Selbstmord“. Nicht wie man ihn begeht, sondern wer ihn begeht und unter welchen Voraussetzungen. Der Franzose unterschied verschiedene Selbstmordarten, wobei der egoistische Selbstmord die zentrale Rolle einnahm.
Egoistischer Selbstmord kann unterschiedliche Gründe haben. Finanzielle Probleme, psychische Leiden und so weiter und so weiter. Wichtig beim egoistischen Selbstmord: Man tut es für sich.
Der Franzose fand heraus: Es gibt gewisse Faktoren die den egoistischen Selbstmord begünstigen, also Umweltbedingungen unter denen Selbstmord statistisch häufiger auftritt als unter anderen Bedingungen. Eine Bedingung die eher gegen Selbstmord immunisiert, ist familiäre Eingebundenheit. Demnach begeht ein verheirateter Mann mit vier Kindern weniger selten Selbstmord, als ein gleichaltriger Single. Die Wahrscheinlichkeit Selbstmord zu begehen sinkt für den Single nur wenn er jünger wird. Warum? Weil jüngere Menschen im Durchschnitt seltener Selbstmord begehen. Ist doch klar.
Also: Umso älter man wird und Single ist, umso größer die Wahrscheinlichkeit für Selbstmord. Wobei man auch nicht zu alt sein darf. Dann nämlich setzt die Weisheit und Gelassenheit des Alters ein (auch wieder statistisch belegt) und man begeht wieder seltener Selbstmord.
Warum ich das alles hier aufschreibe?
Die Hartz-IV-Sätze sollen um nicht viel mehr als DER SPIEGEL kostet erhöht werden. Statistisch wird dies bedeuten, dass – einmal mehr von der Politik enttäuscht und hoch verschuldet – die Selbstmordrate in gewissen Teilen der Bevölkerung und somit auch im Durchschnitt steigt. Und in diesem Fall meine ich nicht nur den egoistischen Selbstmord, ich meine auch den altruistischen Selbstmord, also einen Selbstmord den man für andere, für die Gruppe selbstlos begeht. Zum Beispiel wenn man damit seine Familie entlasten kann. (Aufgemerkt alle Alten und Gebrechlichen die auf die Unterstützung ihrer Kinder angewiesen sind: Man kann nie früh genug anfangen sich über einen netten, altruistischen Selbstmord Gedanken zu machen. Oder was ist mit Querschnittgelähmten die auf staatliche Hilfe und das knappe Geld ihrer Verwandten angewiesen sind? Einfach mal mit dem elektrischen Rollstuhl über den Rand einer Klippe steuern. Wenn keine Klippe zur Hand, dann tut es auch eine steile Treppe, am besten in Altbauhäuser mit hohen Decken, dann ist der Weg runter auf die Zwischenebene länger.)
Die neuen Hartz-IV-Sätze werden übrigens mittels Statistiken berechnet. (Statistische Mittelwerte, zum Beispiel. Wie der Durchschnittspreis für einen Liter Milch, der durchschnittliche Gebrauch dieses Mittel und die durchschnittliche Erfordernis im Haushalt eines Hartz-IV-Empfängers.)
Wie man (also jeder) anhand des Selbstmordbeispiels nachvollziehen kann, begeht nicht jeder Single zwischen Vierzig und Sechzig Selbstmord. Warum auch. Es gibt Beate Uhse, den Sky Erotikkanal und das Internet. Das heißt: Statistiken bedeuten für den Einzelnen gar nichts. Hartz-IV bedeutet für den Einzelnen alles. Hartz-IV, Steuern, der Bundeshaushalt, die Vergabe von Staatsgeldern, Löhne, so ungefähr alles in dieser Welt was mit Verteilung und Vergabe zutun hat, enthält in seiner Berechnung statistische Werte. Statistische Werte sind aber – der Definition nach – nur Annäherungen. Statistische Werte bedeuten eine Abbildung, niemals die Wirklichkeit. Statistische Werte sind nicht das Objekt vor dem Feuer, sondern sind die Schatten an der Wand. Sie sind flach, runtergebrochen und entbehren jeder Differenzierung. Statistische Werte werden übrigens auch von einem gewissen Ex-Bundesbänker oder bald Ex-Bundesbänker herangezogen. Statistische Werte werden als Tatsachen verkauft. Sie sind es nicht. Die Realität ist anders. Wüssten wir sie, wir bräuchten die statistischen Werte nicht. Aber wir kennen die Realität nicht. Das ist das Problem. Dabei ist ein Teil der Realität zum Beispiel, dass sich Menschen nun mal umbringen. Sie verlassen ihre Familien, manchmal auch wenn sie zwei Kinder und eine Frau haben. Manchmal gehen sie eben, aus freien Stücken, ohne finanzielle Probleme und ohne einen triftigen Grund. Aber was wissen wir schon über triftige Gründe. Wir sind nicht gegangen.
Die Studie des Franzosen, die er vor mehr als hundert Jahren anfertigte, sagt viel aus. Sie beschreibt ziemlich genau wie man wissenschaftlich, gesellschaftswissenschaftlich eine komplexe Erhebung durchführt und auswertet. Der Franzose hat damit den Vergleich als wissenschaftliche Methode eingeführt und salonfähig gemacht. Aber in allen Kategorien und allen Unterteilungen findet man am Ende einfach keine Antwort auf das Warum in der Realität. Weil es eben nur Statistiken sind. Die Beliebigkeit, mit der ein Familienvater am Leben bleibt und ein anderer Familienvater den Freitod sucht, diese Beliebigkeit lässt sich mit Statistik nicht erklären. Statistisch ist ein Zufall ausgeschlossen.
(Zum Thema Zufall und seinem Einfluss auf so ungefähr alles müsste man weit mehr als nur einen Nebensatz in einem schnöden Blog anführen. Ich will es hier mal dabei belassen.)

Der Franzose hieß übrigens Emil Durkheim, ein Mitbegründer der Soziologie. Ein Kollege von ihm war Max Weber. Max Weber hat viel über Bürokratie geschrieben, über den Staat und Ordnung. In einer seiner Schriften schreibt er, dass nach allen Vorgaben und allen Gesetzen, Pflichten und Regeln, der Bürokrat im Einzelfall immer auf seinen gesunden Menschenverstand im Umgang mit dem ihm gegenübersitzenden Bürger zurückgreifen soll. Max Weber sprach vom „wohl gesonnenen Bürokraten“, einem Beamten mit Fingerspitzengefühl.
Wow. Wenn es also so sehr auf Menschenverstand und Einfühlungsvermögen, schon bei einem auf Regeln und Kausalitäten versessenen Soziologen ankam, warum entscheiden dann Merkel und Westerwelle über Hartz-IV?

Paracetamol

Die erste Tablette schmeiß ich um kurz nach Acht ein. Die ersten eMails sind sechs Mal abgerufen, mir raucht der Kopf. Billige DVDs werden in acht Newslettern für 2,99 bei Amazon angeboten und ich mach mir nen Kopf darüber ob Zwölf Euro, nein: Elf, Neunundneunzig zuviel sind für einen Film, der schon auf VHS eher unterdurchschnittlich war. Aber die „Bildqualitätswertung“ ist „überdurchschnittlich“, also: What the hell.
Kann Tron 1 jemals „gestochen scharf“ sein? Der ist aus den Achtzigern.
Kurz nach Neun: In der Mediathek hab ich alle Talkshows der vergangenen Woche gesehen. Fazit: Nina Hagen nervt und diese bescheuerte Alte, die jetzt überall rumsitzt und davon erzählt, dass sie mit Siebzig ihren ersten Orgasmus hatte find ich so spannend wie das letzte Album der Fantastischen Vier. Hey, wenn man sich nicht mindestens einmal im Leben als Künstler neu erfinden will, dann bitte wenigstens wie Herbert Grönemeyer Soundtracks schreiben. So erspart man dem leidgeprüften Bundesbürger immerhin das Gejaule.
„Ich wollt’ noch Danke sagen, aber lieg im Krankenwagen?“ Dreijährige in logopädischer Behandlung reimen besser:
„Und als sie so vor mir stand,
so rot und mit Sonnenbrand:
Ihr Akzent war französisch, ihr Pass war es nicht,
Au-Pair ihre Aufgabe, Au-Pair ihre Pflicht.
Sie trug Rippunterhemden und Spange im Mund,
Mückenstiche entzündet, der rechte Arm schon ganz wund.
Für mich war sie wunderschön, dieses Bild einer Frau,
wie Liv Tyler oder Lena, oder ihr Lego-Nachbau.
Und wie ein Gast in Mareikes Mini-Lädchen,
war ich hin und weg für mein wunderbares … exorbitantes … fabelhaftes, osteuropäisches Kindermädchen.“
(Na gut, jetzt bin ich etwas zu weit abgekommen.)
Wo war ich? Ach ja. Die Siebzigjährige. Tut mir eher Leid für sie, aber eine Meldung sieht anders aus. Es ist kurz nach Zwölf: Die vierte Paracetamol. Wann hören diese Kopfschmerzen eigentlich mal auf?
Mit Siebzig das erste Mal Toast gegessen, über so was sollte man eine Kerner-Sendung machen. Ach was: Einen Marathon. „Toast. Wie die Kriegsverlierergeneration ihr Vertrauen in Weißbrot verlor.“ Wichtig ist „Kriegsverlierer“, wir hätten ja auch gewinnen können. In hundert Jahren heißt es bestimmt: Wer erinnert sich noch daran wer hier wen überfallen hat?
Meine Kopfschmerzen hören ja gar nicht mehr auf!
Vielleicht sind es die Strahlen von all den überfälligen Atomkraftwerken. Was war die Logik dahinter noch mal? Atomkraftwerke nicht abschalten, damit die Wirtschaft angekurbelt wird? Das ist ungefähr so logisch, wie weiter essen bis man erstickt um am Ende eine gute Basis für ein Wetttrinken zu haben. Übrigens: Die Uranvorkommen der Erde reichen noch zirka siebzehn Jahre. „Was? Das hat uns keiner gesagt!“ Klasse Strategie, Angie!
Die nächste Paracetamol nehme ich gegen die Migrationsdebatte. (Ha, hier bietet sich ein guter Name für mein nächstes Online-Game an: Migrationstablette. Welche Arznei hilft gegen dummes Geschwafel?) Oder doch lieber gegen Thilo? Hass auf Ausländer gehört so sehr zum guten Ton eines jeden demokratischen Landes, wie von Lobbyisten finanzierte Geschlechtsumwandlungen zur FDP gehören. Die jungen Migranten sind also aggressiv? Geh Du doch mal in ein fremdes Land und lass alle Inländer Dich von Oben herab angucken und jeden Polizisten so vollgestopft mit Vorurteilen sein, dass er Dich bei der kleinsten falschen Handbewegung wegsperrt und dann sieh Dir die Sträflingsstatistiken in diesem Land an: Klar, bist Du da an erster Stelle. Dann bist Du der gewaltbereite Ausländer, immerhin hast Du Dich bei der Verhaftung gewehrt, wusstest Du doch nicht warum man Dich aufgreift. Wer würde sich nicht wehren?
Was? Aber die jungen Türken in Deutschland wissen doch genau – – -? Was wissen die? Die wissen dass ihnen sowieso niemand traut. Die wissen dass die Chancen für Deutschlands Jugend steigt, aber nur die blonde Jugend.
Aber die Statistiken! Aber was? Mit irgendwelchen Statistiken begründeter Fremdenhass bleibt immer noch Fremdenhass. Und wenn ein Volk, dass tagtäglich von den Nachrichten eingebläut bekommt dass es ja immer nur bergab geht und jeder sehen muss wo er bleibt, wenn dieses Volk eines kann, dann ist es alle nicht Völkischen zu hassen. (Merkt man wie ich das vorbelastete Wort „Völkisch“ hier einflechte? Dabei hat das rein gar keine echte negative Bedeutung. Die ganze Welt ist „völkisch“ …tz!)
Wäre es in Deutschland gestattet Araber auf der Straße tot zu prügeln, ich müsste mit einer Schneeschaufel die blutigen Leichen vor der Tür wegschieben um zu Netto zu kommen.
Puh! Die nächste Paracetamol.
Diesmal für abgehalfterten Retro-Pop-Chic von „The Hurts“ oder nur „Hurts“, keine Ahnung. Sind die „The“-Bands schon wieder out? Vielleicht sollte man in Zeiten von Google und den intelligenten Ergänzungen („meinten Sie „The Hurts“?“) vielleicht ganz auf Präpositionen verzichten. Da lobe ich mir Arcade Fire. Hätte ja auch „The“ Arcade Fire heißen können. Tut es nicht. Track 10 wirkt wie eine Kopfschmerztablette. Alles ist vergessen, alles wird taub. Für einen Moment ist Ruhe.
Wie hieß noch mal dieser Film für dessen Trailer ein Arcade Fire-Hit herhalten musste. Der Film von diesem „wahnsinnig kultigen“ Regisseur, der sich „unglaublich“ viele „unwahrscheinlich“ tiefsinnige Gedanken zu einem echt „megamäßig“ bedeutenden Kinderbuch gemacht hat, von dessen Film aber nach der Veröffentlichung keine Sau mehr gesprochen hat? Das ist der Hype. Die Welle bricht am Scheitelpunkt. Begraben wird alles und jeder.
Wo die wilden Kerle wohnen möchte ich auch mal hin.
Jetzt fangen die Kopfschmerzen wieder an. Es ist kurz nach halb Vier. Zeit für eine letzte Tablette. Was mich aufregt ist die Debatte über Reduzierung der Neuverschuldung.
Die, die Ausländer hassen und am liebsten wieder jeden Tag die rot-weißen Fahnen mit den lustigen vier schwarzen, zusammengebundenen Füßchen in der Mitte raushängen würde (ja, ich meine die Bild-Zeitung) fragen: Warum denn überhaupt Neuverschuldung? Dann doch lieber soziale Leistungen abbauen bis man überhaupt keine Steuern mehr zahlen muss.
Ich würde fragen: Wenn man sich für das geliehene Geld endlich mal den „WISO-Steuersparer auf DVD“ kauft, warum nicht?
Eine Überdosis Paracetamol kann zum Tod führen. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Wer muss sterben?

Apple hat eine neue App raus gebracht. Für das neue iPhone 5, oder 4?
Jedenfalls: Die App zeigt genau an, wie viele Menschen sterben müssten, damit man Bundeskanzler wird. Also wer in der Machtreihenfolge ausgeschaltet werden müsste, durch eine Atomexplosion oder so. Außerdem zeigt die App, für alle 30 Millionen Menschen, oder so, die zum Beispiel bei mir sterben müssten, sämtliche Allergien, Krankheiten, Routen zur Arbeit, Lieblingsferienorte, Schwächen für Schoko-Kuchen (Diabetes – der schmackhafte Tod!), eben alles an, was man so gebrauchen könnte um einen „Unfalltod“ einzufädeln.

Ich hatte neulich eine Todesphantasie von Mao. Mao stand an einer Klippe und trug einen roten Fallschirm und lächelte mich an. Jedenfalls dachte ich er würde lächeln, wir Europäer können das ja nie so genau sagen bei den Asiaten. Auf jeden Fall (nach dieser zum Himmel schreienden Verallgemeinerung und rassistischen Äußerung gelockert) lächelte Mao und sagte: „Flieg Du Arsch. Nun flieg doch endlich.“ Ich nahm ein Messer aus der Tasche, ich trage sonst nie Messer dabei, aber dieser Tag schien perfekt um damit anzufangen, schnitt die Träger von Maos Fallschirm durch, stach zur Sicherheit auch noch in den gefalteten Schirm und stieß ihn die Klippe herunter. Warum hab ich eigentlich so einen Hass auf Mao? Steht der für alle Chinesen? Den Typen aus Tiger & Dragon fand ich doch voll nett.

In einer Umfrage unter kürzlich Geschiedenen gaben achtundsiebzig Prozent an, dass ein baldiges Ableben des Ex-Partners keine oder eine positive Auswirkung auf ihren Gemütszustand haben würde. In einer ähnlichen Umfrage unter Verwitverten, die an ihrem Beziehungsstatus maßgeblichen Anteil hatten (ja das heißt: Sie haben den Anderen ermordet, und was ist das bitte für ein geiles Wort „Verwitverte“??) war die einhellige Antwort: „Fuck you. Ich hab zwölf Jahre bis Lebenslänglich bekommen, ich beantworte keine beschissenen Fragen, Vierauge. Troll Dich!“ (Das „Troll Dich!“ ist es, was diesen Absatz ausmacht. Findet ihr nicht?)

Woody Allen hat bei seinem Vater angefragt ob er seine Mutter heiraten darf. Sein Vater hat ihn daraufhin erschlagen. Seine letzten Worte waren: “If you had the low ground, try the high ground.“

Roman Polanski wurde aus dem Hausarrest entlassen. Wenn man mich dafür fünfundzwanzig Jahre lange Filme überall auf der Welt machen lässt, mit den besten Schauspielern, fast grenzenlosen Budgets und dauernd irgendwelchen Umbauten an fremden Orten, die dann wie die USA aussehen sollen, nur um mich dann für ein paar Monate in eine Luxuswohnung in der Schweiz mit Internet, Lieferservice und Pay-per-View zu sperren, setzte ich auch gerne mal eine Minderjährige unter Drogen und vergewaltige sie unter den Augen von Jack Nicholson.

Mit dem letzten Absatz sollte nicht gesagt werden: Roman Polanski soll sterben. Verdammt noch mal, und „Ghostwriter“ war auch echt gut. Nein. Manchmal stehe ich einfach neben mir.

In einer nicht ganz ohne Verbindung zur vorangegangenen Idee stehenden Meldung (wow ist die deutsche Sprache kompliziert): Steve McQueen ist seit dreißig Jahren tot. Er stand mal als erster Name auf einer Todesliste von Charles Manson. Ich erwähne das nur, weil: Charles Manson lebt noch. Wirklich. Tatsache. Er sitzt irgendwo in Amerika im Knast und … wartet wahrscheinlich. Weil im Jenseits reißt ihm Bullit dafür auf jeden Fall den Arsch auf. Ich meine: Steve McQueen starb an einer Astbest-Vergiftung, weil er seinen Kopf bei mörderischen Rennen, in absolut unsicheren aber pfeilschnellen Autos, in Umschläge eingehüllt hat, die in flüssiges Astbest getaucht waren. Scheiße. Du kannst noch so viele Hippies dazu bringen für Dich eine Dinnerparty zu sprengen und wehrlose Schwangere zu töten, aber das: Steve reißt ihm auf jeden Fall so was von den Arsch auf … ich würde sagen dafür hat Jesus schon jetzt alle Karten verkauft.
Und dann sitzen sie da. Gott und Jesus, auf den billigen Plätzen Petrus und Paulus. Gott lehnt sich runter zu seinem Sohn und sagt „Papillion am Arsch. Mein Lieblingsfilm ist Gesprengte Ketten.“ Und schon verpasst Steve Charles eins mit nem Schiffsanker.

Ich weiß nicht wie ich drauf komme, aber der Lieblingsfilm von Oliver Kahn, kein Scherz, ist Papillion. Den guckt er mindestens einmal im Jahr … oder war es im Monat?
Da wird man Titan. Ist eigentlich die adrette Sportmoderatorin schon aus dem Koma aufgewacht? Warum trifft so was eigentlich nicht mal Leute wie Kim Jong-il?

Die Brücke

Beschwingt setzte ich mich auf die Balustrade. Das dunkle Gewässer spülte in tief-seufzender Einsilbigkeit unter mir her. Noch immer klang „Go with the flow“ in meinen Ohren. Hatte die Stimme, die so sehr meinen Freunden glich, wirklich Recht? War dies wirklich die Nacht der Entscheidungen?
Ich goss mir etwas mehr des kurz-vor-kühl-Getränks aus der schimmernd-grünen Flasche in meinen Hals. Sinne und Motorik gehorchten mir schon seit geraumer Zeit nur eingeschränkt. Betrunken, schoss es mir durch den Kopf, es muss doch nicht jeden Abend betrunken sein. Aber ich war betrunken, wie jeden Abend.
Lieber hätte ich mich selber ins eigene Bett getragen, mir die vertraute Decke über das unvertraute Antlitz gezogen, hätte für ein paar kurze Wimpernschläge ganz nah die Fasern betrachtet, ihr Gewebe halb-halluzinierend bewundert, dann wäre ich eingeschlummert, entschlafen zurecht, aber nein.
Ich saß auf gemeißelter Stadtverschönerung, mit der Absicht mich selbst zu verunstalten. Was hatte ich noch vor wenigen Augenblicken vorgehabt? Eine Schlägerei? Mit wem? Gott stand nicht zur Verfügung, obwohl ich mit ihm mehr als eine Rechnung zu begleichen gehabt hätte. Vielleicht gab es woanders eine Projektionsfläche.
Ich richtet mich auf, spürte wie meine Beine zitterten, zitterten und bebten. Wie die Erde der Steppe bebt, bevor eine Horde Wild unaufhaltsam und ohne Einsicht stürmt. Ich vergesse immer wieder wie ich auf Afrika-Metaphern komme. „Grüßt mir die Sonne!“, rief ich ein paar verschlungenen Paar-Touristen zu, die nicht mehr als ein Abwenden für mich übrig hatten. Dann sprang ich. Hätte ich gewusst, dass dies tatsächlich mein letzter Sprung war, hätte ich versucht eine Schraube, vielleicht einen Salto oder gar eine Drehung mit Standbeinwechsel hinzu bekommen. Stattdessen plumpste ich wie ein schwerer Sack Kartoffeln ins Wasser. Beim Aufschlag schon versagte mir der Atem. Die Luft wurde aus meinen Lungen gepumpt wie nur ein Vorschlaghammer sie pumpen kann. Dann war Stille, ein weites Rauschen, vielleicht auch ein weit entferntes Rauschen. Dunkelheit, natürlich, war es doch Nacht. Ich versuchte zu atmen, Wasser rann zwischen Zähnen bis in mein Inneres. Obwohl mir die Tragweite der Situation bewusst war, war mir zu gleichen Teilen die Ironie bewusst: Student der Ozeanologie ertrinkt. Was hatte mich nur geritten mein Leben an so etwas zu verschwenden. Schlampe!

Leise, jetzt!

Vergangene Woche war der erste Todestag von Michael Jackson. Und die ganze Welt gedachte seiner verwesenden, gebleichten Haut. Irgendwo stand, dass Michael Jackson präsenter ist als jemals zuvor. Er verkauft mehr Alben, sein aktueller Film purzelt wie verrückt in den Media-Märkten über den Kassentresen und im Radio wird er öfter gespielt als an seinem tatsächlichen Todestag.
Es gibt Partys zu seinen Ehren, hier in Berlin in angesagten Szene-Locations, irgendwo in Übersee, in den Hollywood-Hills, ebenso wie in Uptown New-York und auch im kleinen Dorfgemeinschaftszentrum von Köln-Mühlheim. Alle feiern einen, in mehreren Fällen angeklagten Kinderschänder.
„Aber er ist ja nur angeklagt, äh wurde angeklagt. Nichts nachgewiesen. Das ist doch Verleumdung.“ Fuck you, Verleumdung. Der Typ war operierter als Cher, natürlich hatte er ein Rad ab. Und wir feiern ihn als „King of Pop“. Wir geben für den verstorbenen Ex-Schwarzen Michael Jackson mehr Geld aus denn je, gleichzeitig interessiert sich die Welt für Kinderarmut weniger als seit Jahren. Die G8/G20-Clubbrüder und Schwestern treffen sich, nur um zu bemerken: Ui. Da sterben doch tatsächlich wieder mehr Kinder an Unterernährung auf der Welt als noch vor ein paar Jahren. Und niemand juck’s. Und bei den vielen toten schwarzen Kindern sind bestimmt einige dabei die das gleiche, wenn nicht mehr Rhythmus-Gefühl, die gleiche Stimme und so weiter und so weiter entwickelt hätten, wie Michael Jackson. Und die sind dann auch noch ECHT schwarz. Ich meine: wären!

Aber mit solchen Vergleichen sollte man vorsichtig sein, sprengt man damit doch jede Thriller-Motto-Party, oder vergrätzt die Leute am Tresen und verscheucht sich von den Gratis-Erdnüssen. Als würden Zombies oder Werewölfe Erdnüsse essen. Ein paar Schaumgummi-Menschenaugen, ist das zuviel verlangt?!
Kleiner „Fun-Fact“ nebenbei: Heidi Klum ist 96% aller Deutschen bekannt, bekannter als Jesus. Mal raten wie viele Menschen Michael Jackson kennen.
Ob sich nicht auch ein paar „Schäfchen“ vom alten „J“ abgewandt hätten, hätte er mit kleinen Jungs in einem Bett geschlafen? Seiner Nachfolgeorganisation, wenn wir mal davon ausgehen dass seine paar Jahre Wanderschaft so was wie eine einvernehmliche, aber vertragslose GbR darstellen, laufen genau deswegen ja gerade die Kunden weg.

Eine andere Nachfolgeorganisation, die PDS … ich meine die Linke (warum kann ich mir das nicht merken?) … schließt ja gerade wieder an die Erfolge ihrer Vorgängerorganisation an, und zwar: Absolut keine Bedeutung in was für einer Weise auch immer zu haben. Vielen Dank fürs mitmachen, aber Demokratie ist nicht Olympia. Dabei sein ist nicht alles. Nur wer auf dem Treppchen steht bekommt eine Medaille und nur wer eine Medaille hat, findet auch Einzug in den Medaillenspiegel. Aber wie ein weißer Sprinter beim 100m-Finale der Herren, kreuzt die PD-Linke chancenlos und nach zwei Sekunden schon achtzig Meter hinten die Bahn und hofft darauf jemanden mit umzureißen, damit wenigstens das Bild in die Zeitung kommt und Mama-Gysi was zum Rumzeigen beim Soljanka-Abend im betreuten Wohnen hat.

Abschließend noch ein paar Worte zu BP. Nein, eigentlich reicht es nicht sich nur an BP zu richten. Ich richte mich also an alle die im Energiegeschäft etwas zu sagen haben. Merkel, Obama, Putin, Schröder, Hayward …
Wir haben alles. Wirklich alles. Unsere Welt ist bestens ausgestattet. Es gibt „intelligente Raketen“, die Sperlingen die Rotze aus der Nase schießen können, ohne einen Zivilisten dabei zu gefährden. Es gibt Fernsehen aus der Steckdose und bald soll es Funkstrom geben. Jaha! Fucking Funkstrom! Damit der Jute-Beutel-Träger auch ohne Steckdose im Mauerpark sein iPad aufladen kann.
Are you fucking kidding me???
Erzählt mir nie wieder: Das geht nicht. In Kalifornien sitzen sie an einem Fusionsreaktor. Kalte Fusion! Der Break-Even-Point sei bald erreicht, man bekommt dann mehr Energie raus als man rein steckt. Aber für ein Kraftwerk reicht das noch nicht. Wirklich?
Wenn auch nur ein verschwitzter Power-World-of-Warcraft-User äußern würde, dass er ein paar Euro für ein nach Bärlauch-Pesto riechendes iPad ausgeben würde: Es würde Geruchshüllen fürs iPad an jeder Straßenecke geben. Ach was: Man würde Trikotwerbung für Geruchshüllen in der Bundesliga sehen.
Aber wir kriegen kein bescheuertes Ölleck geflickt? Hallo? Das ist nicht wie bei einem kleinen Riss in einem Fahrradschlauch. MAN SIEHT WO DAS ÖL RAUSKOMMT. Eine Webcam zeigt das Öl in Echtzeit ausströmen! Wenn da Unten eine Webcam aufgebaut ist: Baut einen Sanitärfachhandel daneben.
Und dann noch was: Ich will fliegende Autos und die Versorgung der gesamten Erde mit erneuerbaren Energien innerhalb der nächsten zehn Jahre.
Und wehe jemand holt dafür James Cameron. Holt die Leute die Möbelgeschäfte oder Bettenlager bauen. Innerhalb von zwei Jahren standen davon zehntausende in Ostdeutschland.
So wie man die Bevölkerung … nein. So wie wir uns selbst auf der Erde behandeln … da fällt mir tatsächlich eine Zeile aus einem Michael Jackson – Song ein:
„all i wanna say is that, they don’t really care about us”
Nur das “they” ist wohl eher ein “we”! Und „we“ scheinen kein Problem damit zu haben. Arme „we“.

Mein innerer Reichsparteitag

Da saß ich also Sonntagabend vor dem Fernseher. Ziemlich glücklich, elektrisiert, geradezu begeistert vom Spiel der deutschen Mannschaft in der ersten Halbzeit. Ich will gerade aufstehen und mein Kaltgetränk nachfüllen, da höre ich diese folgenreichen Worte: „Es muss ihm doch ein innerer Reichsparteitag gewesen sein“. Katrin Müller-Hohenstein, neben sich den Titan, über das Tor von Klose und seine Bedeutung für den bald Rekord-WM-Schützen. Und ich dachte gleich: Da wird sich jemand aufregen.
Nicht das ich es schlimm fand, was sie gesagt hat. Aber nach 29 Jahren öffentlich-rechtlicher political correctness weiß man was beim zweiten deutschen Fernsehen erlaubt ist und was eher nicht. Und so spurten auch gleich die Zeitungen, berichteten über den Fauxpas, darüber dass sich Katrin entschuldigt hat, oder der Intendant für sie, dass irgendein Verbund der Reinigungskräfte-Nürnberg, oder so ähnlich, sich empört gezeigt hat, eben über all die typischen Dinge, die passieren wenn eigentlich nichts passiert ist.
Und wenn wir mal ehrlich sind: Es ist nichts passiert. „Innerer Reichsparteitag“. Das ist ja schon fast ne Redewendung. So wie „Bimbos klatschen“ oder „Juden schubsen“ … oder gilt das nur für den Wedding? Ich bin verwirrt.
Aber so ist das mit den Sportmoderatorinnen. Karen Thomas hat sich versprochen und „Schalke 05“ gesagt, durfte dann nie wieder ran ans Leder, Monica Lierhaus halten sie nach Anfragen vom Playboy im Koma und jetzt wird Katrin Müller-Hohenstein rausgeschubst … ich meine geklatscht. Wenn Günther Jauch sich mit Frank Plasberg den Sarkasmus um die Ohren haut, sagt auch keiner was, sondern stellt die alte Medienhure auch noch für die Talk-Prime-Time der ARD ein. Es wird mir ein innerer Reichsparteitag sein, wenn er damit auf die Fresse fliegt. Aber für so was wird man ja mittlerweile ans Hakenkreuz genagelt. Übrigens hat Olli Kahn auch so nen Bock geschossen und während der gleichen Übertragung von „Hygiene im Tor gesprochen“, allerdings war er natürlich so cool, dass er gleich selber merkte: „komisches Wort“. Aber mehr doch nicht … oder?

Was ich auch komisch fand war Nord-Korea gegen Brasilien. Hat da außer mir noch jemand in der ersten Halbzeit gedacht: Cool. Die können vielleicht sogar ein Null zu Null halten, oder gewinnen. Und dann aber gleich:
Äh … was passiert eigentlich wenn Nord-Korea gewinnt?
Ich meine ich bin immer für die Underdogs, aber Nord-Korea?
Das geht doch nicht, oder? Aber was kann Nord-Korea für seine Regierung?
In der „Peoples Republic“ (genau!) werden die WM-Spiele nur zeitversetzt und bei positivem Ergebnis übertragen. Vielleicht zeigen die einfach zweimal die erste Halbzeit … allerdings: Woher sollen die Nordkoreaner wissen das ein Null zu Null gegen Brasilien gut ist? Wenn man nichts von der Welt weiß?
Und wenn Nord-Korea dann doch vielleicht ins Achtelfinale kommt, dann ins Viertelfinale, ins Halb- und anschließend ins Finale? Kommt Kim Jong-il dann nach Südafrika?
Aber wie gesagt: Was hat ein Land mit seiner Regierung zu tun.
Ist bei uns ja nicht anders.

Das sehen wir an Angela Merkel. Wer mag die noch? Nicht mal der Nicolas.
Dabei war doch die letzten fünfzig Jahre alles so schön. Okay, davor vielleicht … wo wir wieder beim Reichsparteitag wären.
Jedenfalls holt sich Angie jetzt den Wulff nach Berlin. Gegen den Wunsch von knapp 80 Millionen. Das nenne ich mal Arsch in der Hose.
Hier ist der „innere Reichsparteitag“ nurnoch Reichsparteitag. Ausdruck für etwas, dass groß und laut und furchtbar ist. Eben unsere Regierung. Und leider kann man nichts dagegen machen. Die SPD-Spitzen wollten immer geliebt werden. Haben Vertrauensfragen gestellt und sich damit regelmäßig selbst ruiniert.
Nicht so Frau Merkel und vor ihr der Dicke auch nicht. Regieren bis nichts mehr geht und dann noch ein Stück.
Da passt natürlich Schisser Wulff ganz gut dazu. Der hat soviel Angst vor der Bedeutungslosigkeit, dass er seinen Landesvaterposten – den er durch Ausharren über Jahrzehnte erstritten hat – erst nach der Wahl aufgeben will. Berufspolitiker eben. Sympathisch ist anders. Aber wo gibt es überhaupt noch „sympathisch“. Selbstvermarker Grinsebacke-Gauck ist wedernoch. Was heutzutage wohl reichen muss.
Aber anstatt das die SPD oder die Grünen es ordentlich anstellen: Allerfeinste Oppositionspolitik. Kein Verhandeln, Verbarrikadieren. Damit man „gut“ aussieht. Interessiert doch sowieso niemanden mehr. Und die Linken? Ganz großes Damentennis. Anstatt der CDU/CSU und FDP ein Bein zu stellen, stellen sie ihre eigene Kandidatin auf. Großartig. Eins mit Sternchen für blödeste Aktion der Welt. Und warum? Irgendwas vonwegen „nee, ich mag den Gauck nicht, der hat was gegen die DDR, und die war doch so gut“. Spacken! So rutscht man von „unwählbar“ auf „unglaublich dumm“. Links will nicht gestalten, sondern meckern und gefällt sich im Outfit des Vorzeige-Rentner-Wendeverlierer-Daseins. Das ist mir KEINE innere Montagsdemo.

Vor ein paar Tagen klebte da ein Zettel an unserer Wohnhaustür (sagt man das „Wohnhaustür“? Wohl eher nur Haustür … egal).
Auf den Zettel war ein Foto eines jungen Neonazis kopiert, dazu Name, Anschrift und ein paar „Infos“ zur Person: Er lebe in der Nachbarschaft und seine Wohnung diene als Ort der Planung von Neonazi- … Kram. Wow.
So weit ist es jetzt schon wieder, ja? Wir diffamieren, wir prangern öffentlich für Gedankengut und Einstellungen an? Wie wäre es mit kleinen Aufnähern mit der politischen Gesinnung? Damit wir die Kommunisten gleich erkennen?
Dann erkennen wir auch gleich die Antifa-Anhänger, oder welche bekloppte Organisation mit hässlichem schwarz-rot-weißem Logo auch immer hinter den Aushängen steckte.
Hey, ich hatte bisher nichts gegen eine gesunde Haltung gegen Neonazis. Irgendwo links auf dem Spektrum finde ich gut. Nicht zu links und nicht zu weit ab vom Spektrum, damit man bei den „Linken“ landet, aber links. Doch das jetzt? What the fuck?
Erstmal ist „Neonazi sein“ noch kein Verbrechen. Es zeugt vielleicht nicht von allzu großer Intelligenz, vielleicht auch von fehlendem Geschichtsbewusstsein oder Geschichtsverständnis oder allgemein von fehlendem Verständnis. Aber das scheint ja ansteckend zu sein.
Und überhaupt: Wir sind hier doch nicht in den USA, wo verurteilte Sexualstraftäter sich (wie in The Big Lebowski) in der Nachbarschaft vorstellen müssen und an Halloween das Haus nicht verlassen dürfen.
Ich will natürlich auch nicht unbedingt neben einem Nazi wohnen. Wer will das schon. Dauernd stolpert man über die Springerstiefel im Treppenhaus und dann immer das Gesinge und der Gestank, wenn der von seinen Fackelmärschen zurückkommt. Ich möchte das sich in meinem Haus eine Model-WG ist, wo all die hübschen jungen Mädchen „total“ politisch sind und man sich mit ihnen stundenlang über die Beziehungen zu China und den Franzosen auf der gemeinsamen Dachterrasse unterhalten kann. Ich will einen freakigen World-of-Warcraft-Nachbarn, der mir eine superschnelle Internetverbindung für lau einrichtet und dann noch Premiere … äh, Sky … ich will ein Italiener im ersten Stock, der gerne mal ne selbstgemachte Pizza vorbei bringt, die er so „über“ hat und ich will im absoluten In-Bezirk wohnen, beneidet werden aber dafür nichts zahlen und mir aber gleichzeitig nicht dauernd die „Szene“ vor der Haustür angucken müssen. All das will ich, wenn ich mal wieder zuviel Zeit zum Nachdenken haben … aber was ich wirklich will ist:
In diesem Land scheißenochmal meine Meinung frei äußern können. Und damit ich das kann, damit ich sagen kann was ich will und denken kann was ich will, muss das jeder andere auch dürfen. Ohne dafür belangt zu werden. Es geht nicht um gewalttätige Neonazis, es geht nicht um Straftäter und potentielle Gefahrenquellen in der Nachbarschaft. Aber jeder muss in seiner Wohnung denken dürfen was er will, ohne dass es den Nachbar einen Scheiß angeht. Und solange man dieser Typ nur Nazikram „plant“ … (woher weiß man das überhaupt?) … solange man nur plant … darf man dafür auch nicht belangt werden. Sonst sind wir hier bald bei Minority Report. Ups. Sind wir schon … und Kurnaz hat nicht mal geplant … der ist nur verreist. Fuck. Eingeholt von der Realität.
Und wenn die Antifa oder wer auch immer wirklich mal etwas gegen Rechts unternehmen will … dann sollen die 7000 Leute auftreiben die in die NPD eintreten, oder in die Reps oder die DVU. Die haben gerade mal 6000 Mitglieder. Dann einfach in der Partei eine Abstimmung über Auflösung verlangen, alle dafür stimmen, Mehrheit und fertig.
In diesem Land unterliegt nämlich auch die NPD dem Parteiengesetz. So tut man was.
Aber vielleicht ist es mit der Antifa genauso wie mit der Linken: Es geht ums meckern ums agitieren. Man will was zutun haben, aber bloß nichts Konstruktives.
Es wäre ihnen wahrscheinlich ein innerer Reichsparteitag, wenn jener denunzierte Neonazi am Ende von einem wütenden Mob verprügelt und aufgeknöpft würde. Da ist man dann ganz schnell in einer Liga mit dem KKK. Und das ist etwas, was man doch unbedingt erreichen will, oder?

Niemals Ich

Kevin-Prinz Boateng. Abgesehen vom „Kevin“ ist das ein wirklich schöner Name. Geradezu niedlich. Das der dazugehörige Fußballer neuerdings nur noch als böse guckendes, Hanteln stemmendes Monster in allen regionalen und überregionalen Buntblättern zu sehen ist, macht aus dem Prinz dann allerdings eher den „bösen Mohr“.
Im Internet wird dann sogar noch eine Schippe drauf gelegt. Die wunderbare Anonymität des Netz hilft jedem, aber auch wirklich jedem dahergelaufenen Arschgesicht seine Hassfantasien und damit wohl in erster Linie Frust abzubauen.
Es ist geradezu typisch-freudianisch (freudsch?) wie man im WWW an jeder zweiten Blog-Ecke (!!!) oder unter jedem „News“-Artikel mit bestialisch bis primatenhaft-primitiven Beleidigungen konfrontiert wird. Ich nehme mich da nicht raus. Zwar hab ich Kevin-Prinz nie weniger als das Beste gewünscht, aber Andere mussten trotzdem leiden:

Das Internet habe ich im zarten Alter von 18 im wöchentlichen I-Café des Jugendtreffs Fulda kennen gelernt. Zwar hatten wir auch zuhause ein Modem, aber … na ja … die Geschwindigkeit machte daraus eher etwas für lange und verregnete Sonntagnachmittage. Also fuhren ein Kumpel und ich jeden Freitag einen dritten Kumpel in eben diesem I-Café besuchen (der Name „I-Café kam übrigens schon lange vor iPods und iPads auf. Suck it, Steve!). Dort loggten wir uns, während wir auf das Ende der Spätschicht warteten, in diverse Chatrooms ein. Jedes Mal unter einem anderen Namen und mit einer anderen, fiktiven Identität. Ich würde mich gerne immer noch selbst davon überzeugen das wird sonderbar kreativ waren und wir das „in eine andere Rolle schlüpfen“ nur ausprobieren wollten. Fakt ist aber: Was wir taten unterschied sich nur durch eine einzige Tatsache vom Annehmen alternativer Identitäten, wie wir es vorher schon in tausenden von Computerspielen getan hatten: Diesmal glaubten wir an die Echtheit, die fleischliche Wahrheit unserer virtuellen Gegenüber. Und so stürzten wir uns, wie zuvor in Duke Nukem 3D, diesmal in das Spiel „Chatroom“. Emails checken brachte damals nichts, Adressen waren noch so rar gesät wie Burkas im jüdischen Museum und das Wort „Profil“ brachte man nicht mit Facebook sondern mit Scherenschnitt in Verbindung (ach ja, es waren simplere Zeiten … und – gegeben die uncoole 60er-Referenz „Scherenschnitt“ – auch sehr viel langweiligere Zeiten).
Allerdings, gemessen an der Einfachheit der Zeit, war unser Einsatz des Chats nicht weniger unmoralisch, nicht naiver als der beleidigende Nutzen den heutzutage hunderttausende von Menschen jeden Tag gesichts- und identitätslos aus den Kommentarfunktionen des Netz ziehen. (Puh. Das war ein langer und viel zu umständlicher Satz. Aber was würde das jetzt für Arbeit bedeuten den zu zerteilen und dadurch lesbarer und verständlich zu machen, hm? Ich mach da nichts mehr dran. Merkt sowieso keiner.)
Leute die als „CrazyEddie77“ oder als „Unknown“ YouTube-Videos bewerten und kommentieren, Spiegel-Online-Artikel durch namenlose Diskussionen in Foren gewichten: So wie diese Leute wollten wir damals auch nur was loswerden, wollten austesten wo und wie man den maximalen Effekt erzielt (in den aufgeregten Antworten des Gegenübers) und wo man am Ende selbst die Grenze zieht. Eigentlich nirgendwo. Wir machten uns lustig, spotteten und beschimpften. Wichtig für den Kick war und ist: Echt muss der Gegenüber sein (das muss man glauben), dann lässt man alles raus, alles los.

Ein paar Jahre später, jetzt schon mit eigener eMail-Adresse, wohnte ich bereits in Berlin und studierte so vor mich hin, als ich mich – wieder zusammen mit einem Kumpel (man sieht, meine adoleszenten Versuche das Internet zu begreifen, zu beherrschen und zu erobern waren durchaus stets gruppendynamisch) – auf eine Rammstein-Fanseite verirrte.
Heute noch zitiere ich gerne aus unserer, vermeintlich cleveren Parodie eines schwul-ergebenen Fans im Gästebuch. Unser erfundener Fan berichtete dort in einem langen Eintrag und in – wie wir fanden – für das Gästebuch ungewöhnlich wortgewandter und gleichzeitig erschreckend eindrücklicher Manier, wie er sexuell vom Rammstein-Sänger bedrängt wurde und es ihm gefiel. Ein Sturm der Entrüstung ließ sich in den Folgetagen auf der Fanseite und unter unserem Eintrag lesen. Etwas Besseres hätte man uns nicht antun können. Es war großartig zu sehen was für einen Eindruck man auf das Leben Anderer – jedenfalls virtuell – haben kann, gerade in einer Zeit, in der man ansonsten das Gefühl hat überhaupt keinen Eindruck irgendwo zu hinterlassen.

Neulich hat man mir dann ein YouTube-Video eines jungen Mädchens gezeigt, welches vor der UN auftrat um dort an die Anwesenden und an die Welt zu appellieren und viele gute Gründe nannte, warum man sich für besseren und für mehr Umweltschutz einsetzen sollte. Das Mädchen sprach ohne Furcht zu den mächtigsten Menschen auf diesem Planeten und bat diese, sich für ihre Welt, die immerhin mal ihre Kinder erben sollen, stärker einzusetzen. Der Auftritt war beeindruckend und das Video fesselte tatsächlich auf jene 10-YouTube-Minuten die unsere Aufmerksamkeitsspanne definieren, wie es früher die Buchdeckel der Gebrüder Karamasow taten. (Wow. Ich kippe einfach immer wieder in den technikhassenden Jargon eines Ende-Achtzig-Jährigen. Vielleicht hab ich Alzheimer oder so was, oder das Raider war nicht mehr gut … )
Jedenfalls: Wie ein entfesseltes ES, ein triebgesteuertes und ohne moralisches oder rationales Denken gezügeltes Tier hatten unter dem Video dutzende „User“, nicht Personen, nur „User“ – gelöste Benutzer, einzig existent im Internet – … hatten also „User“ die übelsten Beschimpfungen und zeilenweise grenzdebilen Schwachsinn gespostet. Vielen war das, was das Mädchen im Video gesagt hatte, entweder zu langweilig oder überhaupt viel zu „unmachbar“ (ich zitiere mal frei). Anstatt allerdings in eine Diskussion einzusteigen, wurde nur abwertend beschimpft oder mit den typischen Kürzeln Verachtung ausgedrückt.
Kaum noch erschüttert hat mich dann die Tatsache, dass neben dem UN-Mädchen-Video, mit 2000 Hits, ein Video eines Hundebabys angeboten wurde, mit 9 Millionen Hits. God save cute little Hundebabys!

Vielerorts ist es im Internet möglich sich lang und breit und gern beachtet und von Meinungsforschern (oder was sich so was heutzutage schimpft) zitiert, zu einem Thema zu äußern. Dies passiert absolut anonym. Meistens ist es für einen Kommentar nicht mal mehr nötig ein Profil zu erstellen oder gar einen Namen oder eine eMail-Adresse anzugeben: So gesehen entkoppelt sich so besonders leicht das Es vom Über-Ich, welches beim Erstellen eines, jedenfalls für kurze Zeit, Profils bei (z.B.) Facebook durchaus oft noch anwesend ist (jedenfalls in Teilen. Hasst ihr eigentlich auch diese vielen Einschränkungen und Kompromisse?). Das Über-Ich wägt hier nach gesellschaftlichen Konventionen ab, erlaubt oder verwehrt die Angabe gewisser Neigungen und Präferenzen, sanktioniert Äußerungen über Andere, Kritik und auch schon mal ein Foto, von sich und von anderen, aber öfter dann schon von sich und nicht von anderen.
Das Über-Ich kontrolliert das Es im Beisein des Ich. Dagegen wird die Freiheit des Internets gerade dafür besungen. Der große Vorteil sei doch, dass das WordWideWeb endlich für den Menschen die maximale Freiheit bedeute, die Möglichkeit sich auszuleben, GANZ MAN SELBST zu sein. Danke Piraten-Partei, dass man das Internet und dadurch die grenzenlose Freiheit jetzt auch wählen kann. (das war ironisch gemeint, falls ihr es nicht gemerkt habt: NERDS! Fucking Retards! Zieht euch mit ner Staffel Xena aufs Klo zurück und überlasst Politik den Leuten die im Politikunterricht auch mal den Mut besaßen sich zu melden. Apropos: Wenn Xena, dann Staffel 1, Episode 8: Gastauftritt Kevin „Hercules“ Sorbo. Rockt der, oder was?)
Wo war ich? Ah ja: Bullshit ihr verkappten Ches des WWWs. So!
Ohne die Kontrolle des Über-Ich ist man nicht MAN SELBST, ebenso wenig wie man ohne Es MAN SELBST sein kann. Über-Ich und Es bedingen einander und sind für das GANZE SELBST absolut notwendig.
Aber die meisten Anbieter von Portalen, Foren oder Blogs, auf denen man Kommentare, Bewertungen oder Meinungen hinterlassen kann, wissen das Hits und Traffic die Währung des Internets sind. Und Hits und Traffic lassen sich leichter „erwirtschaften“, wenn man das Kommentieren ohne Profil möglich macht, also die Anonymität für Bewerter und „Poster“ gewährt. Das Über-Ich bleibt Draußen. Es darf rein. So einfach ist das.
Für solche Trennungen der Summanten des GANZEN SELBST gibt es und gab es, schon bevor ich mit 18 in Chatrooms mit wahrscheinlich ebenso alten und verkorksten Idioten Beleidigungen austauschte, Computerspiele. Davor gab es Rollenspiele mit Stift und Papier und davor gab es schon immer die Möglichkeit sich als Sprayer (oder im alten Rom als „Kohlestiftmaler“) nachts an eine wehrlose Hauswand anzuschleichen und ihr mit einem hastig geschriebenen „Fickt euch alle“ sein Es aufzudrücken.
Was sich geändert hat, fragt ihr? Ehrlich? Das fragt ihr euch? Hat wirklich niemand verstanden worauf ich hinaus will? Hm? Die Präsenz, mensch! Die Präsenz! Die Möglichkeit und die Leichtigkeit die das Internet für so etwas bereithält. Jetzt kapiert?
Nirgendwo ist die Gemeinschaft so wenig vom Über-Ich geprägt wie im Internet. Die absolute Freiheit lässt nicht die absolute Gemeinschaft zu, sie schafft die absolute Trennung. Wie man das lösen kann und was das alles – tiefergehend meine ich – bedeutet … muss wann anders diskutiert werden. Und das werde ich, ohhh ja … keine Sorge.
Es scheint vielleicht sowieso etwas paradox, dass ich dies in einem anonymen Blog schreibe. Also will ich zum Schluss für eine Sekunde aus meiner paltonischen (platonikischen?) Höhle herauskommen:
Mein Name ist Floris. Ja, so heiße ich. Ich bin 29, lebe in Berlin und zwar im Wedding. Mein Vorname und sein uneindeutiges Geschlecht hat mich vor dem Wehrdienst bewahrt. Ich fresse viel zu viel Süßigkeiten und komme nur schwer mit dem Sport hinterher. Ich liebe Autofahren, egal was das mit dem Planeten anstellt, habe im Zoo mal über ne Stunden interessiert den Affen beim Sex zugesehen (aus rein wissenschaftlichem Interesse natürlich … was mir die alarmierten Wärter auch nicht geglaubt haben) und ich trage manchmal rosa Hemden.

Ach ja, und ich finde Kevin-Prinz Boateng sollte in der Nationalmannschaft spielen und dieser arrogante Pisser Michael Ballack ist sowieso zu alt.

Nicht Fünf, Nicht Sieben

Stellen wir uns für einen Moment vor wir schweben. Nicht über der Bettdecke, sondern im freien Raum. Wir verlieren die Orientierung. Die unzähligen Sterne um uns, sind zu weit weg und zu zahlreich um an ihnen Höhe, Länge oder Lage festzumachen. Wir schweben. Ein einzelner Stern leuchtet uns an. Warmes, weiches Licht.
Wir atmen ganz ruhig. Strecken die Arme aus, alle Glieder von uns. Wir schließen die Augen, öffnen sie wieder: Um uns ist Licht. Ein Lächeln umspielt unsere Lippen. Dann: Bam!
Ein schwitzender, schleimiger Priester hält uns in seinen Klauen. Wir sind vielleicht sechs, oder sieben. Er benutzt uns, flüstert dabei, gierig ist seine Stimme, sein Atmen an unserer Kehle, feucht und hechelnd. Er kommt uns näher und näher. Wir wollen zurück ins Weltall. Wir wollen schweben. Er hält uns hier, es dauert lange. Sehr lange. Es passiert oft. Viel zu oft. Irgendwann ist es vorbei. Wir versuchen es zu verdrängen. Zwanzig Jahre. Immer wenn die Bilder von seiner Pranke, die uns am Boden hält, wieder vor unserem inneren Auge auftauchen, flüchten wir uns in den leeren Raum. Ins Schweben. Alleine. Dort wo er nicht hinkommt. Den Glauben haben wir schon längst verloren. Die Angst vor Magie, vor allem was mit tieferer Bedeutung beladen wurde. Sie macht uns furchtsam, lässt uns weichen. Wir leben in der ständigen Anwesenheit dieser Angst. Sie sitzt mit uns im Zimmer, lugt kalt grinsend mit feuerroten Augen in unsere Richtung. Nur das Schweben lässt uns stille Momente der Ruhe. Dann kehren wir wieder vor das Erlebte zurück. An einen Ort an dem das nicht existiert. Nie existiert hat. Und ich noch lebe.

Meine Mutter ruft mich vor dem Start der Maschine an. Sie klingt nervös und ihre Stimme ist ein bisschen belegt. Sie hat mir noch ein Buch am Flughafen gekauft. „Phillip Roth, den liest Du doch auf Englisch, oder?“ Sie ist unruhiger als früher, meint es wäre nichts, ich schiebe es auf das Alter. Ich versuche ihr Mut zu machen, habe nicht viel Zeit, wünsche ihr einen guten Flug und lege auf. Am Nachmittag erscheint mein Vorgesetzter in meinem Büro. Zuerst verstehe ich nicht was er von mir will. Eine Explosion? Über Philadelphia? Meine Mutter?
Spiegel-Online spricht von einem „Feuerregen über Philadelphia“, dann bin ich schon aus der Tür. Im Büro meines Vorgesetzten steht ein Fernseher. Dann sagen sie die Flugnummer durch. Meine Kehle schnürt sich zu. Was hat meine Mutter gesagt? LH … und weiter? Der Reporter sagt: Philadelphia nach München. Ich versuche zu schlucken, es geht nicht. Zuerst rufe ich meine Schwester an. Die Flugnummer? Ich reiße sie aus einer Vorlesung. Sie wird hysterisch, dann warten. Die Bilder auf dem Fernsehschirm scheinen so irreal. So weit weg. So etwas beeinflusst mein Leben nicht. Nein. Hat nichts mit mir zu tun.
Vier Tage später ist die Beerdigung. Ich habe noch nicht geweint. Ich kann nicht. Ein leerer Sarg. Das ist sie nicht. Ein Mann hatte Plastiksprengstoff unter seinem Hodensack versteckt. Am Bahnhofskiosk sehe ich eine Überschrift „Genital-Bomber“. Jemand lacht. Ich kriege keine Luft mehr. Ich will schreien aber es geht nicht. Ein Bekenner-Video wird nach einer Woche Al-Jazira zugespielt. Ich weine nicht, ich kotze.
Einhundertsechsundvierzig Insassen, zweihundertachtundneunzig Bewohner von Philadelphia. Ich sehe einen Moslem auf der Straße einen Turban tragen. Ich will ihn schlagen, stattdessen weine ich.

Mein Vater war ein stolzer Mann. Mein Großvater war Bibliothekar, also war mein Vater auch Bibliothekar. Er hat in seinem Leben mehr als zweitausend Bücher gelesen, hat er mir einmal erzählt. Sein Lieblingsbuch war das eines Juden, wie er dann flüsternd hinzufügte. Niemand wusste davon. Er behielt es für sich. Sagte es niemandem. Außer mir. Wir waren auf einem Spaziergang, von dem kleinen Laden meiner Eltern zum Meer. Mein Vater wollte nie dass ich im Gazastreifen bleibe. Er wollte auch nicht dass ich Bibliothekar werde. Ich wurde Lehrer für Englisch und Geschichte an einer Gesamtschule in Hamburg. Offiziell bin ich ägyptischer Staatsbürger, mit Aufenthaltsgenehmigung. Am 28. Dezember 2008 starb mein Vater durch einen herab gestürzten Stützpfeiler in seinem eigenen Laden. Die Israelis nannten die Offensive „Operation Gegossenes Blei“. Im Internet habe ich gelesen das der Name an ein Kinderlied angelehnt ist. Mein Vater litt sechs Stunden. Er lag unter dem Pfeiler, während die Luftangriffe vermeintliche Schmugglertunnel von Rafah nach Ägypten zerstörten. Er verblutete. Meine Mutter war bei Verwandten in Port Said, sie lebt jetzt dort.
Israelis haben meinen Vater getötet. Meinen Vater der im Laden seines Vaters, meines Großvaters, starb. Meinen Vater, der mehr als zweitausend Bücher in seinem Leben gelesen haben will. Ich versuche die Mörder meines Vaters nicht zu verabscheuen. Ich hasse sie, aber ich versuche sie nicht zu hassen. Neulich bin ich in Hamburg in einem Buchladen gewesen. Er wirkte groß und hell, zwei Etagen. Ich fragte die Verkäuferin wie viele Bücher hier stehen. Über Viertausend. Mein Vater hätte noch so einiges zu lesen gehabt. Ich griff mir Der Process, schlug es auf. Beinahe wütend. Ein Geistlicher sagt darin: „Die Schrift ist unveränderlich, und die Meinungen sind oft nur ein Ausdruck der Verzweiflung darüber.“

Ich stehe vor der alten Kommode im Schlafzimmer. Der Fensterladen vor dem Badfenster knarrt etwas. Ich habe ihn am Morgen nicht ordentlich befestigt. Der Wind von der Küste spielt mit ihm. Ich öffne die oberste Schublade der Kommode, schlage die kleine Decke zurück, dort liegt die Pistole. Jetzt werde ich mich töten.
Ich bin Theologe, dass bin ich noch. Ich war Pfarrer. Für eine kurze Zeit. Ich glaube an etwas, an etwas das größer ist als ich, als die Menschen. Ich nenne es Gott.
Ich glaube dass Glaube etwas Großartiges ist, etwas Persönliches und etwas eigentlich Unbeschreibliches. Ich habe mein Leben damit zugebracht es zu beschreiben: Es geht nicht. Soll wahrscheinlich nicht gehen. Dessen bin ich mir sicher.
Was geht, ist aus Glaube Religion zu machen. Religion ist, sich bei einem Konzert mit nur einer Note zufrieden geben.
Nehmen wir die Zauberflöte von Mozart. Das ist der Glaube den ein einzelner Mensch hat. Jeder hat seine eigene Zauberflöte. Nun ist Religion als würde man aus der genialen Komposition von Mozart nur eine einzige, vielleicht eine hohe, eine schrille und laute Note herausnehmen und jedermann verkaufen, dies sei die wahre Zauberflöte, die musst du hören.
Religion ist organisiert, gesponnen wie ein Teppich, verknüpft und arrangiert zur besseren Lenkung. Ein Konzern. Zu groß um komplex zu sein. Es werden Regeln aufgestellt, den „Gläubigen“ wird ihr Glaube genommen und durch Religion ersetzt. In der Gruppe fühlt sich ein Mensch immer wohler als alleine.
Ich bin jetzt siebzig Jahre alt. Ich habe meine Erfahrung gemacht. Mein Leben lang habe ich das studiert, Religion und Glaube. Als ich die starren Regeln der Kirche kritisierte, wurde ich exkommuniziert. Ich glaube immer noch. Religiös bin ich nicht. Mein Glaube ist stark, er hilft und führt mich. Weil es mein Glaube ist, kann mich nichts erschüttern. Keine Karikatur von Jesus verärgert mich, ich lache oft darüber. Da niemand weiß wie mein Glaube aussieht und ich selbst kaum Worte finde, wie soll sich jemand darüber lustig machen?
Zuflucht, Nächstenlieben und Hilfsbereitschaft sind die Aushängeschilder der Kirche. Aber was ist sie anderes als Benzin. Sie treibt dich an, gibt dir Kraft, aber zu welchem Preis? Sie frisst auf, vernichtet und verzerrt, weil sie es muss. Sie muss sich erhalten, muss wachsen, dass Kapital sind die Gläubigen. Sie sind der Marktwert. Ein Unternehmen. Mächtig und groß.
Ich habe einen Sohn. Er ist jetzt etwas älter als ich war, als ich aus meiner Pfarrei entlassen wurde. Er ist nicht religiös, nicht einmal getauft, aber er glaubt. Er glaubt nicht das gleiche wie ich, aber er glaubt.
Das was ich nun vorhabe verbietet die Religion. Mein Glaube tut es nicht.
Ich bin einfach zu schwach um weiter zu machen. Ich habe versucht die Kirche zu reformieren, habe geschrieben, gebellt, an die Mauern geschlagen und geschrieen. Es nützte nichts. Nun will ich es beenden.
Wieder höre ich das Knarren des Fensterladens im Wind. Ich bedecke die Pistole wieder und schließe die Schublade. Noch bin ich nicht fertig. Noch nicht schwach und feige genug.